Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.02.2019, Az.: L 11 AS 879/18

Verfassungsrechtlich unbedenkliche sanktionsbedingte Minderung von Leistungen nach dem SGB II um 100%; Zumutbarkeit einer angebotenen Beschäftigung; Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sachleistungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.02.2019
Aktenzeichen
L 11 AS 879/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 16665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - AZ: S 50 AS 59/09

Redaktioneller Leitsatz

Gegen den sanktionsbedingten vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Regelleistungen nach § 20 SGB II (seit 1. April 2011: Regelbedarfsleistungen) bestehen aufgrund der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sachleistungen bzw. geldwerter Leistungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. Januar 2013 (S 50 AS 59/09) abgeändert, soweit es den Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 betrifft.

Die Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 wird insgesamt abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Für das erstinstanzliche Verfahren bleibt es bei der im Urteil vom 9. Januar 2013 getroffenen Kostenentscheidung

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitbefangen ist der Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011, mit dem die dem Kläger zunächst bewilligten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 31. Juli 2011 in vollem Umfang (d.h. zu 100 %) gemindert wurden.

Der 1979 geborene Kläger bezog im Jahr 2011 bereits seit langem laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Diese Leistungen wurden damals von den Rechtsvorgängern des Beklagten erbracht, d.h. einerseits vom Landkreis (LK) I. (zuständig für die in § 6 Abs 1 Nr 2 SGB II in der damals geltenden Fassung genannten Leistungen, also insbesondere für Kosten der Unterkunft und Heizung - KdUH -; vgl. hierzu die vom Beklagten übersandten Bewilligungsbescheide des Landkreises R., Bl. 208ff. der Gerichtsakte L 11 AS 878/18). Die übrigen Leistungen wurden von der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden aufgrund der zum 1. Januar 2012 eingetretenen Rechtsnachfolge: der Beklagte) erbracht. Insoweit wurden dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 15. November 2010 Regelleistungen nach § 20 SGB II für den Bewilligungszeitraum Dezember 2010 bis Mai 2011 bewilligt. Den Zahlbetrag setzte der Beklagte für die Monate Dezember 2010 bis Februar 2011 sanktionsbedingt auf 0 EUR fest. Für die Monate März bis Mai 2011 betrug die Regelleistung 359 EUR pro Monat. Für die Zeit ab 1. Juni 2011 bewilligte der Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 19. Mai 2011 Regelleistungen nach § 20 SGB II für den Bewilligungszeitraum Juni bis November 2011, wobei der Zahlbetrag für die Monate Juni und Juli 2011 entsprechend dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Sanktionsbescheid von vornherein auf 0 EUR festgesetzt wurde.

Bereits vor dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionsgeschehen hatte der Beklagte u.a. folgende Sanktionsbescheide erlassen:

1. bestandskräftiger Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2010 (Vereitelung des Zustandekommens einer Beschäftigung als Raumpfleger; Minderung: ursprünglich 30 % für die Monate Juli bis September 2010). Später wurde der Minderungsbetrag durch einen von den Beteiligten vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg unter dem Aktenzeichen S 37 AS 1394/10 geschlossenen Vergleich auf insgesamt 150 EUR reduziert. In dem Vergleich wurde u.a. zusätzlich vereinbart: "Dieser Vergleich hat keine Auswirkungen auf andere Sanktionsverfahren" (vgl. Bl. 2056, 2057, 2064 der Verwaltungsakte - VA -).

2. bestandskräftiger Sanktionsbescheid vom 5. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 wegen Verstoßes gegen den Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 14. April 2010 (unzureichender Nachweis von Eigenbemühungen zum Stichtag 19. Juni 2010; Minderung: 60 % für die Monate September 2010 bis November 2010). Die von dem Kläger gegen diesen Sanktionsbescheid geführte Klage blieb erfolglos (vgl. Urteile des SG Lüneburg vom 16. November 2011 - S 42 AS 1666/10 - und des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 28. Februar 2013 - L 9 AS 1321/11 -; Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Mai 2013 - B 14 AS 98/13 B -).

3. Sanktionsbescheide vom 15. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2011 sowie vom 7. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2011 wegen Verstößen gegen Pflichten aus dem Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 14. April 2010 (fehlende Nachweise von Eigenbemühungen zu den Stichtagen 19. August bzw. 19. Oktober 2010; Minderung um 100 % für die Monate Dezember 2010 bis Februar 2011 bzw. Januar bis März 2011; vgl. zur Rechtmäßigkeit dieser Bescheide: Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 2019 - L 11 AS 878/18 -).

Wegen weiterer gegenüber dem Kläger erlassener Sanktionsbescheide wird auf die vom Beklagten erstellte Übersicht verwiesen (Anlage zum Schriftsatz vom 15. November 2018 zum Verfahren L 11 AS 878/18, Bl. 140 der Gerichtsakte L 11 AS 879/18).

Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 unterbreitete der Beklagte dem Kläger den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Vermittlungsvorschlag gerichtet auf eine geringfügige Beschäftigung als Kartoffelsortierer und -schäler (Hilfsarbeiter) bei der J. GmbH in K. (Arbeitszeit unter 15 Stunden pro Woche, verteilt auf 2 Tage zu ca. 7 Stunden pro Tag nach Absprache; Lohn/Gehalt: 400,- EUR). Der Kläger wurde aufgefordert, umgehend einen Vorstellungstermin zu vereinbaren und sich dort unter Vorlage seines Lebenslaufs und von Zeugnissen vorzustellen. In der dem Vermittlungsvorschlag beigefügten Rechtsfolgenbelehrung wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass sein Arbeitslosengeld II zuletzt aufgrund des Bescheides vom 7. Dezember 2010 in Höhe von 100 % der maßgebenden Regelleistung abgesenkt worden sei. Weigere sich der Kläger, die ihm mit diesem Vermittlungsvorschlag angeboten Arbeit aufzunehmen, entfalle das ihm zustehende Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Monaten vollständig (beginnend mit dem Kalendermonat nach Zugang eines entsprechenden Bescheides). Ein weiterer wiederholter Pflichtverstoß liege auch dann vor, wenn er die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch negatives Bewerbungsverhalten vereitelte (vgl. wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsfolgenbelehrung: Blatt 2006 VA).

Der Kläger wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 1. März 2011 an die J. GmbH und führte wörtlich u.a. aus: "( ...) Ich bedaure es aufrichtig, ihre Zeit verschwenden zu müssen, leider werde ich dazu gezwungen. Meine Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur I. hat es sich zur Aufgabe gemacht, mir ständig Stellenangebote aufzudrücken, von denen sie sicher weiß, dass diese unmöglich zu mir passen, immer verbunden mit der Drohung, meine Existenzsicherung zu verlieren, indem Gründe konstruiert werden, mich sanktionieren zu können. ( ...) Ich verfüge nicht über das Geld, zu einem "Vorstellungstermin" zu erscheinen oder zu Ihrer Firma zu pendeln. ( ...) Dies kann und soll Ihnen natürlich egal sein, ich will nur ehrlich sein; und mein Anschreiben an Sie, dass formal gesehen Bestandteil meiner Bewerbung ist, kann nur wahrheitsgemäß zeigen, dass ich für ihr Stellenangebot absolut ungeeignet bin:  Als u.a. chronische Asthmatiker und chronischer Schmerzpatient bin ich leider gesundheitlich erheblich eingeschränkt (schwerkrank nach § 62 SGB V).  Und aufgrund der relativ starken Medikamente, die ich regelmäßig einnehmen muss (Dauermedikation), ist mir der Umgang mit Maschinen und Motoren nicht möglich.  Eine Einwilligung zur Schichtarbeit / Akkordarbeit liegt meinerseits aus guten Gründen nicht vor.  Ich habe keinerlei Erfahrung mit Arbeit im Lebensmittelbereich.  Eine ärztliche Bescheinigung, dass ich momentan überhaupt im Lebensmittelbereich arbeiten darf, liegt nicht vor, und kann aus zwei Gründen auch nicht kurzfristig eingeholt werden: Einerseits erreiche ich sanktionsbedingt derzeit meine Ärzte nicht (obwohl ich lebensnotwendig darauf angewiesen bin), andererseits habe ich, womöglich kältebedingt, derzeit nässende Hautaufplatzungen, wodurch ich Ihre Kartoffeln vollbluten würde. ( ...)"

Nach der Unterschrift des Klägers enthielt das Schreiben noch folgende Nachsätze: "PS Sollten Sie auf einem persönlichen Vorstellungsgespräch bestehen, um sich vor Ort von meiner fehlenden Eignung zu überzeugen, muss ich Sie auffordern, vorher schriftlich mitzuteilen, ob Sie meine Fahrkosten übernehmen. Dies wäre ggfs. auch für einen Antrag bei der Arbeitsagentur erforderlich. PPS Aufgrund der oben geschilderten Umstände muss ich Sie dringend bitten, mir Ihre Ablehnung so schnell wie möglich mitzuteilen; ich wäre sonst gezwungen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen."

Zu einem Vorstellungsgespräch bei der J. GmbH kam es nicht. Insoweit befindet sich in der Verwaltungsakte die Kopie eines Schreibens der J. GmbH vom 4. März 2011 an den Kläger, in dem dieser zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Gleichzeitig ist dem Kläger angeboten worden, ihn hierfür von zuhause abzuholen. Nach Mitteilung der J. GmbH erfolgte jedoch keine Rückmeldung des Klägers (Schreiben vom 17. März 2011, Bl. 1993ff. VA).

Der Beklagte hörte den Kläger zum Erlass eines Sanktionsbescheides an (Anhörungsschreiben vom 18. März 2011, Bl. 1996 VA). Der Kläger machte daraufhin durch seinen Bevollmächtigten geltend, dass der Arbeitsort nicht "akzeptierbar" sei. Die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz betrage wenigstens 10 km. Der Kläger verfüge jedoch über kein Kraftfahrzeug. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei der Arbeitsort praktisch nicht zu erreichen. Zudem werde die Arbeitszeit als flexibel beschrieben, so dass der Kläger offensichtlich zu jeder Zeit zur Verfügung zu stehen habe. Hinsichtlich anderer Vermittlungsangebote, die mit dem streitbefangenen Vermittlungsvorschlag vergleichbar seien, habe der Kläger im Klageverfahren zu 80 % Erfolg gehabt. Der Kläger habe kein negatives Bewerbungsverhalten an den Tag gelegt. Zum Zeitpunkt des Vermittlungsangebots sei der Kläger zu 100 % sanktioniert gewesen, so das keine Mitwirkungspflicht bestanden hätten. Nichtsdestotrotz habe der Kläger mitgewirkt und sich beworben. Seitens der J. GmbH sei keine Reaktion erfolgt, insbesondere habe er keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten. Er habe von der J. GmbH lediglich das Schreiben vom 17. März 2011 (Bl. 1992 VA) erhalten, mit dem Bewerbungsunterlagen zurückgegeben worden seien. Auch sei dem Beklagten "bestens bekannt", dass der Gesundheitszustand des Klägers "nicht der beste" sei. Der Kläger sei chronischer Asthmatiker. Insoweit hatte der Kläger den Beklagten bereits im November 2010 auf die bei ihm bestehende schwerwiegende chronische Erkrankung hingewiesen (vgl. Bescheinigung seiner Krankenkasse über den Nachweis einer - dort nicht näher konkretisierten - schwerwiegenden chronischen Erkrankung im Sinne der Härtefallregelung nach § 62 SGB V). Soweit der Beklagte dem Kläger zur Auflage machen wolle, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sei auf die insoweit anhängigen Verfahren sowie die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits angenommene Verfassungsbeschwerde des Klägers hinzuweisen (vgl. Schreiben des Klägers vom 18. und 30. November 2010).

Mit dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Bescheid vom 15. April 2011 verfügte der Beklagte den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2011. Betroffen seien neben der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass dem Kläger am 23. Februar 2011 eine zumutbare Arbeit als Kartoffelsortierer und -schäler angeboten worden sei. Trotz der Belehrung über die Rechtsfolgen habe der Kläger durch sein Verhalten das Zustandekommen der Tätigkeit vereitelt. Die vorgebrachten Gründe (u.a. gesundheitliche Gründe sowie Entfernung zum Arbeitsort) könnten bei Abwägung der persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtige Gründe im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB II anerkannt werden. Ergänzend wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass ihm in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen - insbesondere in Form von Lebensmittelgutschein - gewährt werden könnten. Gleichzeitig hob der Beklagte im vorliegend streitbefangenen Sanktionsbescheid die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 15. April 2011 gemäß § 48 SGB X für den Monat Mai 2011auf. Die Umsetzung der vorliegend streitbefangenen Sanktion für die Monate Juni und Juli 2011 erfolgte in dem für den Folgebewilligungszeitraum erlassenen Bewilligungsbescheid vom 19. Mai 2011 (Bl. 2038 VA - Festsetzung des Zahlbetrags für die Monate Juni bis Juli 2011 auf 0 EUR und für die Monate August bis November 2011 auf 364 EUR pro Monat).

Im Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 20. April 2011, Bl. 2096 VA) verwies der Kläger auf sein vor dem SG Lüneburg gegen den Sanktionsbescheid vom 15. November 2010 geführtes Klageverfahren S 50 AS 336/11 (Berufungsverfahren: L 11 AS 878/18). Dort sei dem Kläger mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hinreichende Erfolgsaussichten gegeben seien, Prozesskostenhilfe gewährt worden. Es sehe somit so aus, dass die dort streitbefangene Sanktionsentscheidung keinen Bestand haben werde. Die Sach- und Rechtslage im Verfahren S 50 AS 336/11 sei identisch mit dem jetzigen Bescheid vom 15. April 2011. Auch habe der Kläger keine sog. Negativbewerbung abgegeben. Er sei von dem potentiellen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, was bei einer Negativbewerbung nicht erfolgt wäre. Im Sanktionsbescheid habe der Beklagte Gründe nachgeschoben, zu denen der Kläger sich im Anhörungsverfahren nicht habe äußern können. Dies stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Da der Kläger im streitbefangenen Zeitraum bereits zu 100 % sanktioniert gewesen sei, habe für ihn keine Mitwirkungspflicht mehr bestanden. Er sei auch nicht verpflichtet gewesen, überhaupt "irgendwelche Erklärungen abzugeben bzw. überhaupt irgendetwas zu erledigen". Mit diesem Argument habe sich der Beklagte bislang nicht auseinandergesetzt.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der Kläger bereits aufgrund des Sanktionsbescheides vom 7. Dezember 2010 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2011 zu 100 % sanktioniert worden sei, so dass es sich vorliegend um eine wiederholte Pflichtverletzung handele. Der Kläger habe durch sein Verhalten die Anbahnung des Arbeitsverhältnisses verhindert. Der Arbeitgeber habe ihm ein Vorstellungsgespräch nach Terminabsprache angeboten. Auch habe der Arbeitgeber angeboten, ihn für das Vorstellungsgespräch abzuholen. Eine Rückmeldung des Klägers zu diesem Angebot sei jedoch nicht erfolgt. Hierfür habe dem Kläger kein wichtiger Grund zur Seite gestanden. Es sei ihm zuzumuten gewesen, einen Termin für das Vorstellungsgespräch mit dem Arbeitgeber abzusprechen. Die Entfernung zum Arbeitsort betrage laut Routenplaner 8,09 km. Soweit keine Mitfahrmöglichkeit gegeben sei, sei dem Kläger die Benutzung eines Fahrrades zuzumuten. Bei Vorliegen der Voraussetzungen wäre auch eine Kostenübernahme aus dem Vermittlungsbudget erfolgt. Diese Möglichkeit sei dem Kläger aus diversen Widerspruchs- / Klageverfahren bekannt. Der Kläger habe sich auch nicht nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Eine Begrenzung der Minderung auf 60 % des für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfs könne daher nicht erfolgen (Widerspruchsbescheid vom 15. September 2010).

Hiergegen hat der Kläger am 6. Oktober 2011 beim SG Lüneburg Klage erhoben. Er hat vorgetragen, dass der Beklagte ihn nicht nur zu 100 % sanktioniert habe, sondern auch die Gewährung von Lebensmittelgutscheinen unterlassen habe. Gleichzeitig habe der Beklagte den "Ausschluss aus der Krankenkasse erklärt". Hiergegen habe der Kläger das Eilverfahren S 46 AS 185/11 ER geführt. Auf das dortige Vorbringen berufe er sich auch im vorliegenden Verfahren. Das Vorgehen des Beklagten verstoße gegen § 1 SGB II, wonach die Beendigung der Hilfebedürftigkeit durch eine selbst gewählte Tätigkeit erfolgen solle. Der Kläger müsse somit nicht jede Arbeit annehmen. Zum Zeitpunkt des Vermittlungsvorschlags sei der Kläger bereits zu 100 % sanktioniert worden, so dass er auch nicht mehr verpflichtet gewesen sei, an irgendwelchen Maßnahmen des Beklagten mitzuwirken. Insoweit habe der Kläger bereits z.B. in den Verfahren S 29 AS 1559/08 und S 29 AS 1619/08 vom SG Lüneburg Recht bekommen. Dort habe das SG u.a. ausgeführt: "Der Beklagten war bekannt, dass die finanziellen Möglichkeiten des Klägers aufgrund Sanktionen seit Januar 2008 beschränkt waren. Unter Berücksichtigung dieser Umstände war Kläger nicht möglich, sich für die grundsätzlich zumutbaren Tätigkeiten in I. zu bewerben". Obwohl der Kläger zur Mitwirkung nicht verpflichtet gewesen sei, habe er sich Geld geliehen und sich mit dem potentiellen Arbeitgeber in Verbindung gesetzt. Die vom Beklagten behauptete Einladung zum Vorstellungsgespräch habe der Kläger "zu keinem Zeitpunkt erhalten". Zusätzlich habe der Kläger dem Beklagten auch mitgeteilt, dass bislang keine Rückmeldung des Arbeitgebers erfolgt sei. Damit fehle es an der für eine Sanktion erforderlichen vorsätzlichen ausdrücklichen Weigerung. Die Kläger treffe nicht einmal fahrlässiges schuldhaftes Verhalten. Auch könne er sich nicht des Eindrucks erwehren, dass er durch das Vermittlungsangebot weiter in der 100-%-Sanktionierung verbleiben sollte.

Das SG hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 das vorliegende Verfahren (S 50 AS 1310/11) mit elf weiteren Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (vgl. zur der im Berufungsverfahren erfolgten teilweisen Aufhebung dieser Verbindungen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass es "im Allgemeinen" mehrere Gründe gegeben habe, weshalb er in der Vergangenheit zu Meldeterminen nicht erschienen sei: Aus seiner Sicht hätten ihm die bei einem Meldetermin zu besprechenden Themen vorab mitgeteilt werden müssen. Nur so hätten sich sein Rechtsbeistand (Bruder) und sein Prozessbevollmächtigter in das jeweilige Thema einarbeiten und er (der Kläger) sich selbst "Gedanken und Notizen" machen können. Aus § 65 SGB I folge, dass es keine Mitwirkungsobliegenheit gebe, solange der Betroffene keine SGB II-Leistungen mehr bekomme. In "weiten Teilen" habe er überhaupt kein Bargeld bekommen, sondern lediglich Lebensmittelgutscheine. Er habe es sich daher gar nicht leisten könne, die Termine wahrzunehmen und einen Fahrschein zu lösen. Das Verhältnis zwischen seiner Fallmanagerin und ihm sei von einer "großen Vertrauenskrise" geprägt gewesen. Insoweit habe sich der Beklagte auch geweigert, über die Dienstaufsichtsbeschwerden des Klägers zu entscheiden. Es seien zudem Gesprächsprotokolle verfälscht worden. Auf jede Meldeaufforderung habe er reagiert, "meist anwaltlich". Auf diese Einwände sei niemals inhaltlich eingegangen worden. Vielmehr sei jeweils sofort ein Sanktionsbescheid gefolgt.

Das SG hat über die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 619/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 336/11, S 50 AS 453/11 und S 50 AS 1310/11 mit Urteil vom 9. Januar 2013 entschieden. Es hat der Klage gegen den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 teilweise stattgegeben und die Minderung von 100 % auf 60 % reduziert. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Kläger ohne wichtigen Grund geweigert habe, die ihm angebotene und auch zumutbare Arbeit anzunehmen. Ein ärztliches Attest, wonach ihm die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, habe er nicht vorgelegt und sich zudem geweigert, die gesundheitliche Situation ärztlich klären zu lassen. Die Minderung betrage jedoch nur 60 %, da die vorangegangene Sanktion 30 % betragen habe (Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010). Die anderen drei vorangegangenen Sanktionsbescheide hätten trotz ihrer Bestandskraft keine sog. "Zählwirkung", da sie auf Verstößen gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt beruhten. Nach damaligem Recht hätten jedoch nur Verstöße gegen Eingliederungsvereinbarungen und nicht gegen Eingliederungs-Verwaltungsakte sanktioniert werden können (vgl. im Einzelnen: Seite 13f. des angefochtenen Urteils, auch zu der dort vorgenommenen inzidenten Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bereits bestandskräftigen vorangegangenen Sanktionsbescheide).

Gegen das dem Kläger am 19. Februar 2013 und dem Beklagten am 22. Februar 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Februar 2013 und der Beklagte am 15. März 2013 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt zur Begründung vor, dass das Urteil schon an einem Verfahrensmangel leide. Es seien am Sitzungstag insgesamt 18 Verfahren verhandelt worden, so dass auf jedes einzelne Verfahren lediglich 15 bis 20 Minuten entfallen seien. In dieser Zeit hätten die einzelnen Verfahren nicht in angemessener Art und Weise verhandelt bzw. erörtert werden können. Auffällig sei auch, dass die Erfolgsquote nur zu 30 % mit der vorherigen Bewilligung von Prozesskostenhilfe (welche hinreichende Erfolgsaussicht voraussetze) korrespondiere. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass in den parallel zu den Gerichtsverfahren laufenden Verwaltungsverfahren mehrere für den Kläger positive Entscheidungen ergangen seien. Die Wechselwirkung der einzelnen Verfahren sei nicht beachtet worden. Beispielsweise gehe das SG einerseits davon aus, dass der Kläger so krank sei, dass er eingehend untersucht werden müsse. Andererseits verweigere es aber die Übernahme der Krankenkassenbeiträge. Das SG habe zu Unrecht die nur mit "ein paar lapidaren Hinweisen" begründeten Bescheide des Beklagten "durchgehen lassen". Sämtliche Bescheide seien unwirksam gewesen, weil die damals in I. herrschende Mischverwaltung rechtswidrig gewesen sei (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 4. Mai 2006 - L 6 AS 156/06 -). Mittlerweile habe auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Hartz IV-Leistungen zu gering bemessen seien. Zudem hätten die Vereinten Nationen Deutschland "hinsichtlich des SGB II kritisiert". Dies sei auch bereits im Verfahren S 50 AS 1075/11 vorgetragen worden. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung, da der Kläger nicht der einzige Betroffene sei. Die angegriffene Entscheidung weiche auch von obergerichtlichen Entscheidungen ab, wofür "Zitate ( ) gebracht werden" könnten. Bei den Sanktionen handele es sich um sog. "Paketsanktionen", die nach der Rechtsprechung des BSG unzulässig seien (Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 R -). Auch könne dem SG nicht zugestimmt werden, wonach zwar sich erhöhende Sanktionen zulässig, jedoch der Höhe nach gleichlautende Sanktionen unzulässig seien. Aus einem weiteren vom Kläger vor dem SG Lüneburg bzw. vor dem LSG geführten Verfahren (S 23 AS 1292/10 / L 15 AS 16/11) ergebe sich ein Verhaltensmuster des Beklagten, wonach die Sanktionen und nicht etwa die Eingliederungsvereinbarung im Vordergrund stehe. Mit der Ablehnung von Stellenangeboten (100 %-Sanktionen) habe sich das SG Lüneburg bereits zweimal befasst und jeweils ausgeführt, dass dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass es dem Kläger aufgrund seiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten sowie der wiederholten Sanktionen nicht möglich gewesen sei, sich für grundsätzlich zumutbare Tätigkeiten in I. zu bewerben (Urteile S 29 AS 1119/08 und S 29 AS 1559/08). Die 50. Kammer habe entgegengesetzt entschieden, so dass er (der Kläger) sich frage, "wo die Rechtssicherheit bleibt".

Der Senat hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 den Verbindungsbeschluss des SG vom 13. Oktober 2011 teilweise aufgehoben. Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens L 11 AS 879/18 ist seitdem ausschließlich der Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011, d.h. die erstinstanzlich ursprünglich unter den Aktenzeichen S 50 AS 1310/11 geführte Klage.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg S 50 AS 59/09 vom 9. Januar 2013 abzuändern, soweit es um den Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 geht,

2. der Klage des Klägers insoweit insgesamt stattzugeben.

Der Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg S 50 AS 59/09 vom 9. Januar 2013 abzuändern, soweit es um den Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 geht,

2. die Klage des Klägers insgesamt abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass nach dem bis zum 31. März 2011 geltenden Recht nicht nur Verstöße gegen Eingliederungsvereinbarungen, sondern auch Verstöße gegen Eingliederungs-Verwaltungsakte sanktioniert werden konnten (vgl. Urteil des 9. Senats des erkennenden Gerichts vom 28. Februar 2013 - L 9 AS 1321/11 -). Dementsprechend komme den bestandskräftigen vorangegangenen Sanktionsbescheiden (Verstöße gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt) eine sog. Zählwirkung zu, so dass die Minderung im angefochtenen Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 zutreffend auf 100 % festgesetzt worden sei.

Eine zwischen den Beteiligten am 12. September 2013 vor dem LSG Niedersachsen-Bremen erfolgte gerichtsnahe Mediation ist erfolglos geblieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten (10 Bände), die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte S 50 AS 1310/11 / L 11 AS 879/18 sowie folgende Gerichtsakten des Sozialgerichts Lüneburg verwiesen (betreffend weitere von den Beteiligten geführte Verfahren, ggf. ergänzt um das Aktenzeichen des LSG Niedersachsen-Bremen bei zweitinstanzlichen Verfahren): S 29 AS 629/08, S 29 AS 749/08, S 29 AS 769/08 / L 7 AS 896/09, S 29 AS 869/08, S 29 AS 1479/08, S 29 AS 1549/08 / L 7 AS 911/09 NZB, S 29 AS 1559/08, S 29 AS 1589/08 / L 7 AS 912/09 NZB, S 29 AS 1599/08, S 29 AS 1609/08, S 29 AS 1619/08, S 29 AS 2019/08, S 50 AS 59/09 / L 11/9 AS 276/13, S 29 AS 79/09 / L 7 AS 916/09 NZB, S 29 AS 99/09 / L 7 AS 913/09 NZB, S 29 AS 199/09, S 29 AS 139/09 / L 7 AS 915/09 NZB, S 29 AS 219/09 / L 7 AS 910/09, S 50 AS 339/09 / L 11 AS 875/18, S 50 AS 379/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 619/09 / L 11 AS 877/18, S 50 AS 1319/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1339/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1359/09 / L 11/9 AS 276/13, S 50 AS 1379/09, S 50 AS 1559/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1739/08 / L 9 AS 280/13, S 50 AS 1999/09 / L 11 AS 876/18, S 23 AS 1292/10 / L 15 AS 16/11, S 42 AS 1666/10 / L 9 AS 1321/11, S 46 AS 185/11 ER, S 50 AS 336/11 / L 11 AS 878/18, S 50 AS 453/11 / L 11 AS 878/18, S 50 AS 1000/11, S 50 AS 1310/11 / L 11 AS 879/18.

Die Berufungen des Klägers bzw. des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 9. Januar 2013, soweit diese die ursprünglich unter den erstinstanzlichen Aktenzeichen S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 619/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 336/11 und S 50 AS 453/11 geführten Klagen betreffen, wurden bzw. werden beim erkennenden Senat unter den Aktenzeichen L 11/9 AS 276/13 sowie L 11 AS 875 - 878/18 geführt (vgl. im Einzelnen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung mehr als 750,- EUR betragen hat (vgl. zu dieser Wertgrenze: § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Schließlich richtet sich die Berufung des Klägers u.a. gegen sämtliche vom SG teilweise oder vollständig bestätigten Sanktionen (vgl. zur erstinstanzlichen Verbindung der ursprünglich zwölf Einzelverfahren: Beschluss des SG vom 13. Oktober 2011). Dieser Gesamtbetrag lag deutlich über 750,- EUR (vgl. zur Addition mehrerer Ansprüche auf Geld- bzw. Sachleistungen bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes gemäß § 144 SGG: Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn 16 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dementsprechend ist auch die Berufung des Beklagten statthaft, da sich dieser mit seiner gegen das Urteil S 50 AS 59/09 gerichteten Berufung nicht nur gegen die im vorliegenden Verfahren erfolgte Absenkung der dreimonatigen Sanktion (Mai bis Juli 2011) von 100 % auf 60 % wendet (Wert des Beschwerdegegenstandes: 430,80 EUR), sondern auch gegen die im Urteil S 50 AS 59/09 erfolgte Aufhebung der Sanktionsbescheide vom 6. März 2009, 15. November 2010 und 7. Dezember 2010. Die Summe dieser Sanktionsbeträge überschreitet 750,- EUR deutlich. Dass der Senat im Laufe des Berufungsverfahrens die vom SG verbundenen zwölf Einzelverfahren zum Teil wieder getrennt hat, führt nicht zum Wegfall der Statthaftigkeit der nunmehr getrennt geführten Berufungen, da für die Prüfung der Statthaftigkeit der Berufung auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung abzustellen ist (§ 202 SGG i.V.m. § 4 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO), vgl. etwa: BSG, Urteil vom 17. November 2005 - B 11a/11 AL 57/04 R -, SozR 4-1500 § 96 Nr 4, Rn 14).

Während die Berufung des Klägers unbegründet ist, ist die Berufung des Beklagten begründet. Der Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 erweist sich als insgesamt rechtmäßig. Das Urteil des SG, mit dem der Klage des Klägers teilweise stattgegeben wurde, ist dementsprechend abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

1. Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist nach teilweiser Aufhebung des vom SG erlassenen Verbindungsbeschlusses (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018) nur noch der Sanktionsbescheid vom 15. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011. Die ursprünglich unter den erstinstanzlichen Aktenzeichen S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 619/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 453/11, S 50 AS 336/11 und S 50 AS 1310/11 geführten Klagen, über die das SG aufgrund seines Verbindungsbeschlusses vom 13. Oktober 2011 ebenfalls durch das Urteil vom 9. Januar 2013 - S 50 AS 59/09 - entschieden hat, sind nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens, sondern der Berufungsverfahren L 11/9 AS 276/13 und L 11 AS 875 bis 878/18 (vgl. zur Zuordnung der Verfahren im Einzelnen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

2. Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Sanktionsbescheid war § 31 SGB II in der zum Zeitpunkt des die Sanktion auslösenden Verhaltens geltenden Fassung (§ 31 SGB II in der vom 1. Januar bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung - im Folgenden: alter Fassung - a.F.; vgl. zum sogenannten Geltungszeitraumprinzip: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R -; vgl. zur übergangsweisen Fortgeltung der bis 31. März 2011 geltenden Vorschriften für Pflichtverstöße aus der Zeit vor dem 1. April 2011: § 77 Abs 12 SGB II).

Nach § 31 SGB II a.F. wurde das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung u.a. dann abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigerte, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen (§ 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 c) SGB II a.F.). Dies galt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachwies (§ 31 Abs 1 Satz 2 SGB II a.F.).

a. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 23. Februar 2011 eine Beschäftigung als Kartoffelsortierer- und -schäler bei der J. GmbH in L. vorgeschlagen. Das Stellenangebot war hinreichend konkretisiert. Der Kläger wurde aufgefordert, umgehend einen Vorstellungstermin zu vereinbaren. Dem Vermittlungsvorschlag war eine vollständige und verständliche Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, in der der Kläger u.a. auf die Möglichkeit einer sanktionsbedingten vollständigen Minderung des Arbeitslosengeldes II, über die Dauer und den Beginn der Sanktion belehrt wurde.

b. Die angebotene Beschäftigung war ihm gemäß § 10 SGB II zumutbar.

Nach § 10 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II ist einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Arbeit zumutbar. Angebotene Arbeiten sind insbesondere nicht deshalb unzumutbar, weil sie nicht den früheren beruflichen Tätigkeiten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entsprechen, für die er ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat (§ 10 Abs 2 Nr 1 SGB II), oder im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringwertig anzusehen sind (§ 10 Abs 2 Nr 2 SGB II). Auch die räumliche Entfernung von maximal ca. 10 km vom Wohnort des Klägers begründet keine Unzumutbarkeit der angebotenen Stelle (vgl. § 10 Abs 2 Nr 3 SGB II), zumal der Beklagte bei Aufnahme der Beschäftigung entsprechende Leistungen aus dem Vermittlungsbudget in Aussicht gestellt hat (vgl. hierzu: Seite 4 des angefochtenen Widerspruchsbescheides). Gesundheitliche Einschränkungen, die die dem Kläger angebotene Tätigkeit als unzumutbar i.S.d. § 10 Abs 1 Nr 1 SGB II erscheinen lassen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen worden. Insoweit hatte der Kläger im November 2010 lediglich auf eine Bescheinigung seiner Krankenkasse über den Nachweis einer dort nicht näher konkretisierten schwerwiegenden chronischen Erkrankung im Sinne der Härtefallregelung nach § 62 SGB V verwiesen. Gleichzeitig hatte er im Vorgriff auf eine eventuell vom Beklagten für erforderlich gehaltene ärztliche Untersuchung auf seine insoweit anhängigen Verfahren sowie seine vom BVerfG bereits angenommen Verfassungsbeschwerde hingewiesen (vgl. Schreiben des Klägers vom 18. und 30. November 2010). Damit hatte er deutlich gemacht, dass er zu einer etwaigen Untersuchung oder Begutachtung nicht bereit sei. Der Senat teilt nach alledem die Auffassung des SG, dass der Vortrag des Klägers insoweit pauschal und ohne jede ärztliche Bestätigung geblieben ist, m.a.W. einen Vortrag "ins Blaue hinein" darstellt.

c. Der Kläger hat die Aufnahme der ihm zumutbaren Arbeit verweigert (§ 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 c) SGB II a.F.).

Weigerung bedeutet regelmäßig die vorsätzliche, ausdrückliche oder stillschweigende, schriftlich oder mündlich oder in anderer Weise vom Leistungsberechtigten zum Ausdruck gebrachte fehlende Bereitschaft, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Weigerung kann auch durch konkludentes Verhalten erfolgen (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 - B 14 AS 92/09 R -, Rn 21). Der Tatbestand kann durch jedes Verhalten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich das konkrete Verhältnis etwa durch Abschluss eines Arbeitsvertrages verfestigt hat, verwirklicht werden. Darunter fallen auch vorbereitende Handlungen wie das Abfassen von Bewerbungen (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 7a AL 14/05 R -, BSGE 97, 73 - zu § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III a.F.; ebenso: Lauterbach in: Gagel, SGB II / SGB III, Stand: Dezember 2018, § 31 SGB II Rn 51, 52). Eine Bewerbung in unangemessener Form ist einer Nichtbewerbung gleichzusetzen, wodurch wiederum der Tatbestand der Nichtannahme eines Arbeitsplatzangebots erfüllt wird (vgl. erneut: BSG, Urteil vom 5. September 2006, a.a.O.).

Mit einer Bewerbung soll der Arbeitsuchende sein Interesse an der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Dies gilt - im Sinne einer Obliegenheit - auch dann, wenn es sich bei der Bewerbung um die bloße Befolgung eines vom Leistungsträger unterbreiteten Vermittlungsvorschlags handelt. Der Arbeitsuchende ist in diesem Stadium gehalten, alle Bestrebungen zu unterlassen, die dieser Intention (Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses) nach außen hin erkennbar entgegenlaufen und den Arbeitgeber veranlassen, ihn schon vor einer persönlichen Vorstellung aus dem Bewerberkreis auszuscheiden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Inhalt oder die Form des Bewerbungsschreibens so abschreckend oder widersprüchlich sind, dass der Bewerber schon allein wegen des Schreibens aus der Auswahl für den Arbeitgeber ausscheidet. Abzustellen ist hierbei auf den objektiven Empfängerhorizont (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006, a.a.O., Rn 18).

Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei seinem Bewerbungsschreiben vom 1. März 2011 um eine sogenannte Negativbewerbung. Aufgrund seines konkreten Inhalts ist das Schreiben einer Weigerung gleichzustellen, die angebotene Tätigkeit aufzunehmen. Schließlich ergibt sich aus dem Gesamtinhalt des Bewerbungsschreibens, dass die Bewerbung nur aufgrund der Sanktionsandrohung des Beklagten erfolgt, das Stellenangebot aus Sicht des Klägers "unmöglich zu ... (ihm) ... passt", er eigentlich nur an der schnellstmöglichen Übersendung eines Ablehnungsschreibens interessiert ist und dass dem (potentiellen) Arbeitgeber bei verzögerter Übersendung eines Ablehnungsschreibens sogar rechtliche Konsequenzen, nämlich die Einschaltung eines Rechtsanwaltes angedroht werden. Dass der Geschäftsführer der J. GmbH den Kläger gleichwohl zu einem Gespräch eingeladen hat (ausweislich des Schreibens vom 4. März 2011 allerdings zum Zwecke der Überprüfung der fehlenden und nicht etwa der unterstellten oder vom potentiellen Arbeitgeber auch nur angenommenen Eignung des Klägers) und ihm hierfür sogar eine Beförderungsmöglichkeit angeboten hat, steht der Wertung des Bewerbungsschreibens als sog. Negativbewerbung nicht entgegen. Maßgeblich für die rechtliche Bewertung des Bewerbungsschreibens ist - wie bereits ausgeführt - der objektive Empfängerhorizont und nicht die Auffassung des konkret betroffenen potentiellen Arbeitgebers (vgl. hierzu erneut: BSG, Urteil vom 5. September 2006, a.a.O., Rn 19).

Da nach alledem bereits allein aufgrund des Inhalt des Bewerbungsschreibens der Tatbestand des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 c) SGB II a.F. erfüllt ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob in der unterbliebenen Rückmeldung auf das Schreiben der J. GmbH vom 4. März 2011 ein weiterer Pflichtverstoß i.S.d. § 31 SGB II a.F. zu sehen ist (vgl. zur Bekräftigung des Klägers, dieses Einladungsschreiben nicht erhalten zu haben: Sitzungsniederschrift vom 26. Februar 2019).

d. Dem Kläger stand für sein Verhalten auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB II a.F. zur Seite.

Zur Erreichbarkeit der angebotenen Arbeitsstelle, deren Zumutbarkeit und deren gesundheitlicher Eignung verweist der Senat auf die diesbezüglichen Darlegungen in Abschnitt c. Entgegen der Auffassung des Klägers beschränkten sich seine Mitwirkungsobliegenheiten auch nicht auf von ihm frei gewählte Tätigkeiten. Vielmehr war er gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II gehalten, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen. Als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter hatte er in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Er war gehalten, seine Arbeitskraft zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einzusetzen (§ 2 Abs 2 SGB II).

Entgegen der Auffassung des Klägers treffen diese Rechtspflichten nicht nur die Bezieher von Geldleistungen nach dem SGB II, sondern "erwerbsfähige Hilfebedürftige" (vgl. hierzu den Wortlaut von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II), somit auch diejenigen Hilfebedürftigen, deren SGB II-Leistungen sanktionsbedingt gemindert werden. Unabhängig davon hat der Kläger zumindest zeitweise im Leistungsbezug gestanden, nämlich durch den Bezug der ihm vom Beklagten für den Sanktionszeitraum angebotenen ergänzenden Sachleistungen bzw. geldwerten Leistungen.

3. Der im vorliegenden Verfahren angefochtene Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 erweist sich auch hinsichtlich der Höhe, des Beginns und der Laufzeit der Sanktion als rechtmäßig.

a. Nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. war bei einer Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abzusenken. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 SGB II betrug die Absenkung 60 vom Hundert und bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 SGB II 100 vom Hundert (§ 31 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB II a.F.). Um eine wiederholte Pflichtverletzung handelte es sich nicht, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurücklag (§ 31 Abs 3 Satz 4 SGB II a.F.).

In dem § 31 Abs 3 Satz 4 SGB II a.F. genannten Zeitraum waren mindestens zwei weitere Sanktionen i.H.v. mindestens 30 bzw. 60 % festgestellt worden.

So wurde das Arbeitslosengeld II des Klägers durch den Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2010 für die Monate Juli bis September 2010 um 30 % gemindert. Dass der Minderungsbetrag im Rahmen des von den Beteiligten vor dem SG Lüneburg im Verfahren S 37 AS 1394/10 geschlossenen Vergleichs nachträglich auf insgesamt 150 EUR reduziert wurde, ändert am Vorliegen einer bestandskräftigen 30 %-Sanktion nichts. Schließlich hatten die Beteiligten ausdrücklich vereinbart, dass dieser Vergleich keine Auswirkungen auf andere Sanktionsverfahren hat (vgl. Bl. 2056, 2057, 2064 VA). Eine weitere sanktionsbedingte Minderung des Arbeitslosengeldes II erfolgte durch den Sanktionsbescheid von 5. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 (um 60 % für die Monate September 2010 bis November 2010; vgl. zur Bestandskraft dieses Sanktionsbescheides: Urteile des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. November 2011 - S 42 AS 1666/10 - und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. Februar 2013 - L 9 AS 1321/11 - sowie Beschluss des BSG vom 21. Mai 2013 - B 14 AS 98/13 B -). Darüber hinaus ergingen gegenüber dem Kläger die Sanktionsbescheide vom 15. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2011 sowie vom 7. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2011 (fehlende Nachweise von Eigenbemühungen entsprechend dem Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 14. April 2010 zu den Stichtagen 19. August bzw. 19. Oktober 2010 - Minderung um 100 % für die Monate Dezember 2010 bis Februar 2011 bzw. Januar bis März 2011; vgl. zur Rechtmäßigkeit dieser Bescheide: Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 2019 - L 11 AS 878/18 -)

b. Entgegen der Auffassung des SG besteht kein Anlass, die bereits bestandskräftig gewordenen Sanktionsbescheide vom 11. Juni und 5. August 2010 im vorliegenden Verfahren (nochmals) inzident auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (so aber: S. 13 des angefochtenen Urteils des SG). Dies folgt aus der in § 77 SGG geregelten Bindungswirkung bzw. Bestandskraft dieser beiden Sanktionsbescheide. Dass gegen die Rechtmäßigkeit der beiden weiteren Sanktionsbescheide vom 15. November 2010 und 7. Dezember 2010 im Ergebnis keine Bedenken bestehen, hat der Senat im Berufungsverfahren L 11 AS 878/18 im Einzelnen dargelegt (Urteil vom 26. Februar 2019).

c. Da der Kläger sich auch nicht nachträglich bereit erklärt hat, eine Beschäftigung bei der J. GmbH aufzunehmen, kommt keine Reduzierung der Minderung auf 60 % in Betracht (vgl. § 31 Abs 3 Satz 5 SGB II a.F.). Die in § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. genannten ergänzenden Sachleistungen und geldwerten Leistungen hat der Beklagte dem Kläger bereits im Sanktionsbescheid ausdrücklich angeboten und auch zumindest zeitweise in Form sog. Lebensmittelgutscheine gewährt.

d. Entsprechend § 31 Abs 6 Satz 1 und 2 SGB II a.F. hat der Beklagte den Beginn der dreimonatigen Sanktion auf den 1. Mai 2011 verfügt (als Beginn des Monats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt - hier: Sanktionsbescheid vom 15. April 2011).

4. Gegen die vollständige Minderung des Arbeitslosengelds II (100%-Sanktion) bestehen angesichts der im SGB II enthaltenen Kompensationsmöglichkeiten auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

a. Der Senat hat bereits entschieden, dass gegen den sanktionsbedingten vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Regelleistungen nach § 20 SGB II (seit 1. April 2011: Regelbedarfsleistungen) aufgrund der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sachleistungen bzw. geldwerter Leistungen (§ 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. = § 31a Abs 3 SGB II in der derzeit geltenden Fassung) keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (Urteil des erkennenden Senats vom 28. September 2017 - L 11 AS 1067/15 -, veröffentlicht u.a. in: ZFSH/SGB 2018, 48; info also 2018, 95 - die hiergegen eingelegte und vom erkennenden Senat zugelassene Revision wurde vom BSG mit Beschluss vom 27. Juni 2018 - B 14 AS 44/17 R - als unzulässig verworfen). In dieser Entscheidung hat der Senat u.a. ausgeführt: Dass die sanktionsbedingte Minderung des Regelbedarfsanspruchs um 30 % nicht verfassungswidrig ist, ist bereits höchstrichterlich entschieden (BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 19/14 R -, BSGE 119, 17). Dem schließt sich der erkennende Senat vollinhaltlich an. Ebenso wenig ist die im vorliegenden Verfahren streitbefangene weitergehende Minderung verfassungswidrig. Vielmehr wird eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. hierzu erneut: BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 a.a.O.) infolge der Sanktion dadurch vermieden, dass der Grundsicherungsträger bei einer Minderung um mehr als 30 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs auf Antrag des Hilfeempfängers in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen kann (§ 31a Abs 3 Satz 1 SGB II). Soweit im Haushalt des Hilfeempfängers minderjährige Kinder leben, besteht sogar ein gebundener Anspruch auf entsprechende Sach- bzw. geldwerte Leistungen (§ 31a Abs 3 Satz 2 SGB II). ( ...)

Selbst wenn im politischen Raum das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, steht dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber generell - und damit auch bei der Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen - ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dem entspricht der Grundsatz einer nur zurückhaltenden verfassungsrechtlichen Kontrolle der diesbezüglichen einfachgesetzlichen Regelungen (vgl. hierzu im Einzelnen: Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 -, BVerfGE 125, 175, Rn 133ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Der Gesetzgeber ist daher nicht gehindert, auch die Gewährung existenzsichernder Leistungen an Voraussetzungen zu knüpfen (vgl. hierzu etwa: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09 -). Weder das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip erfordert eine voraussetzungslose Sicherung des Existenzminimums (vgl. BSG Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R - Rn 29, 30 m.w.N. - zu § 1a Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung).

Hieran hält der Senat weiterhin fest (vgl. auch etwa: Beschluss des erkennenden Senats vom 9. Februar 2018 - L 11 AS 29/18 B ER - sowie das ebenfalls die Beteiligten dieses Berufungsverfahrens betreffende Urteil vom 29. Januar 2019 - L 11 AS 877/18 -).

b. Dass im vorliegenden Fall ausweislich des Wortlauts des Sanktionsbescheides vom 14. April 2011 neben dem Anspruch auf Regelleistungen (§ 20 SGB II) auch der Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) sanktionsbedingt vollständig entfallen ist, begründet ebenfalls keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der im vorliegenden Verfahren streitbefangenen 100%-Sanktion. Der Gefahr des Verlustes der Wohnung aufgrund vermieterseitiger Kündigung nach § 543 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen - möglicherweise sanktionsbedingt aufgelaufener - Mietrückstände kann mittels der Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs 5 SGB II a.F. (= § 22 Abs 8 SGB II in der derzeit geltenden Fassung) wirksam begegnet werden (vgl. hierzu etwa: LSG Bayern, Beschluss vom 21. Dezember 2012 - L 11 AS 850/12 B ER -, NZS 2013, 393; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Dezember 2010 - L 19 AS 1862/10 B ER -; Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, Rn 272; Hammel ZfF 2013, 151, 159; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Katja Kipping, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vom 13. November 2012, BT-Drs. 17/11459, Seite 8; zur Verwaltungspraxis in Nordrhein-Westfalen: Empfehlung des Nordrhein-Westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der "Arbeitshilfe: Sanktionen gemäß § 31 SGB II", 3. Auflage 2010, S. 31, wonach bei Sanktionen Darlehen nach § 22 Abs 5 SGB II a.F. zur Abwendung von Obdachlosigkeit bei drohender Wohnungslosigkeit gewährt werden können; ausführlich zu diesem Problemkreis: Hammel ZfF 2013, 151, 157ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

c. Eine Verfassungswidrigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass der Krankenversicherungsschutz sanktionsbedingt entfallen könnte. Zwar trifft es zu, dass der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung an den tatsächlichen Bezug von SGB II-Leistungen und nicht an den - u.U. sanktionsbedingt geminderten - Anspruch dem Grunde nach anknüpft (vgl. § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V). Allerdings reicht für den Krankenversicherungsschutz bereits der Bezug von Sach- oder geldwerten Leistungen nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. (= § 31a Abs 3 SGB II in der derzeit geltenden Fassung), vgl. etwa: Knickrehm/Hahn in: Eicher/Luik, SGB II, 2. Auflage 2017, § 31a Rn 19a. Diese Leistungen sind dem Kläger - zumindest zeitweise - gewährt worden. Auf die Möglichkeit, diese zu beantragen, wurde der Kläger vom Beklagten im Sanktionsbescheid ausdrücklich hingewiesen. Soweit die Gewährung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, geht der erkennende Senat bei einer 100 %-Sanktion und einem drohenden Verlust des Krankenversicherungsschutzes von einer Ermessensreduzierung auf Null aus.

Nach alledem ist die im vorliegenden Verfahren streitbefangene Sanktion aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Senat teilt dementsprechend nicht die u.a. vom SG Gotha an der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen geäußerten Bedenken (vgl. hierzu: Vorlagebeschluss de SG Gotha vom 02. August 2016 - S 15 AS 5157/14 -, anhängig beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/16).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verfassungsmäßigkeit von 100%-Sanktionen zugelassen. Insoweit werden in der Kommentarliteratur verfassungsrechtliche Zweifel geäußert (etwa: Knickrehm/Hahn in: Eicher/Luik, SGB II, 2. Auflage 2017, § 31a Rn 19; Berlit in: LPK SGB II, 6. Auflage 2017, § 31a Rn 3ff. und 25; noch weitgehender: Vorlagebeschluss des SG Gotha vom 02. August 2016 - S 15 AS 5157/14