Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.07.2017, Az.: 5 A 26/17

Asyl; Asylrecht; Bescheidungsklage; Beschwerde; Gegenstandswert; Untätigkeitsklage

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
11.07.2017
Aktenzeichen
5 A 26/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Festlegung des Gegenstandswerts nach § 30 Abs. 1 RVG auf 5.000,- EUR ist nicht allein deshalb unbillig i.S.d. § 30 Abs. 2 RVG, weil das Begehren mittels einer auf Bescheidung gerichteten Untätigkeitsklage durchgesetzt werden soll. Eine Herabsetzung des Gegenstandswerts kommt nur in Betracht, wenn nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ein Gegenstandswert von 5.000,- EUR unbillig ist.

2. Auch in asylrechtlichen Streitigkeiten ist die Möglichkeit der Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG eröffnet, da nach § 1 Abs. 3 RVG die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften und somit dem Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG vorgehen.

Gründe

Das Gericht setzt nach Übertragung des Verfahrens auf die Kammer (§ 33 Abs. 8 Satz 2 RVG) auf den Antrag der erstattungspflichtigen Beklagten gemäß § 33 Abs. 1, 2 Satz 2 RVG den Wert der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss fest. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Gegenstandswert vorliegend auf 5.000,- EUR festzusetzen.

Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG beträgt der Gegenstandswert in Klageverfahren nach dem Asylverfahrensgesetz 5.000,- EUR. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person um 1.000,- EUR. Das Gericht kann zwar gemäß § 30 Abs. 2 RVG einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen, wenn der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Der durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 neugefasste Gebührentatbestand des § 30 RVG sollte zu einer Vereinfachung der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage beitragen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 (neu), S. 269). Die Unterscheidung zwischen einem Klageverfahren, das neben der Asylanerkennung die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und die Feststellung von Abschiebungshindernissen betrifft und den sonstigen Klageverfahren sollte entfallen. Es soll nicht mehr nach dem konkreten Begehren unterschieden werden, es soll stattdessen grundsätzlich einheitlich ein Wert von 5.000,- EUR gelten. Eine Korrektur des Gegenstandswertes durch Herauf- oder Herabsetzung ist nach § 30 Abs. 2 RVG nur ausnahmsweise und nur im Einzelfall vorzunehmen, weil anderenfalls die mit der Änderung des § 30 Abs. 1 RVG angestrebte Vereinfachung konterkariert würde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.07.2016 - OVG 3 K 40.16 -, juris, Rn. 9). Eine abweichende Wertfestsetzung verlangt stets besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht dem Streitgegenstand oder der Klageart geschuldet sind (vgl. Sommerfeldt/Sommerfeldt, in: von Seltmann (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar RVG, Stand: 01.03.2017, § 30 Rn. 7; Mayer, Entwicklungen zur Rechtsanwaltsvergütung 2014, NJW 2015, 1647 (1649); ders., in: Gerold/Schmidt (Hrsg.), RVG, 22. Aufl. 2015, § 30 Rn. 4). § 30 Abs. 2 RVG soll für besonders einfach gelagerte und für die Betroffenen weniger bedeutsame Verfahren einerseits und für besonders umfangreiche und schwierige Verfahren andererseits eine Korrekturmöglichkeit bieten (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 (neu), S. 269; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 06.12.2016 - 14a K 5393/16.A -, juris, Rn. 6). Unterschiede, die sich typischerweise aus dem jeweiligen Umfang des Streitgegenstands oder aus der jeweiligen Klageart ergeben, vermögen eine Korrektur des Gegenstandswerts für sich genommen nicht zu rechtfertigen (vgl. Jungbauer, in: Bischof/Jungbauer (Hrsg.), RVG, 7. Aufl. 2016, § 30 Rn. 27a).

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist der Regelstreitwert von 5.000,- EUR nicht unbillig (so auch VG Berlin, Beschl. v. 29.06.2017 - 8 K 720.17 A -; VG Stuttgart, Beschl. v. 10.03.2017 - A 9 K 5939/16 -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 06.12.2016 - 14a K 5393/16.A -; VG Wiesbaden, Beschl. v. 11.11.2016 - 5 K 528/16.WI.A -; VG Trier, Beschl. v. 11.12.2014 - 6 K 1512/14.TR -, alle juris; VG Stade, Beschl. v. 06.06.2016 - 3 A 1544/15 -, V.n.b.; VG Göttingen, Beschl. v. 28.09.2015 - 3 A 301/15 -, V.n.b.; a.A.: VG Köln, Beschl. v. 24.04.2017 - 4 K 9487/16.A -; VG Hannover, Beschl. v. 01.03.2017 - 7 A 6770/16 -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 06.01.2017 - 15a K 5086/16.A -; VG München, Beschl. v. 21.12.2016 - M 17 K 16.34299 -; VG Ansbach, Beschl. v. 26.01.2016 - AN 3 K 15.30560 -, alle juris). Die Besonderheit des dem Antrag zugrundeliegenden Klageverfahrens bestand allein darin, dass es sich um eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO handelte, die auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet war, den Asylantrag des Klägers zu bescheiden. Die Untätigkeitsklage in Form der Bescheidungsklage stellt für sich aber keinen Einzelfall dar. Das gilt insbesondere für Untätigkeitsklagen auf dem Gebiet des Asylrechts, wie die Vielzahl an derartigen Verfahren zeigt. Bei der Bescheidungsklage handelt es sich vielmehr um ein gesetzlich zugelassenes Mittel zur Durchsetzung des Rechts auf Bescheidung, das in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle Anwendung findet. Es handelt sich somit nicht um besondere Umstände des Einzelfalls, sondern um die Eigenheiten eines bestimmten Verfahrenstypus (vgl. VG Trier, Beschl. v. 11.12.2014 - 6 K 1512/14.TR -, juris, Rn. 3). Hätte der Gesetzgeber generell für derartige Klagen einen niedrigeren Gegenstandswert für gerechtfertigt gehalten, hätte er dies durch eine abstrakt generelle gesetzliche Regelung bestimmen können und müssen. Eine Herabsetzung aufgrund besonderer Einzelfallkonstellation erlaubt eine Bescheidungsklage als solche hingegen nicht generell (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 10.03.2017 - A 9 K 5939/16 -, juris, Rn. 16).

Ein Gegenstandswert von 5.000,- EUR ist vorliegend auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unbillig. Es ist nicht erkennbar, dass es sich um ein besonders einfaches und für den Kläger weniger bedeutsames Verfahren gehandelt hat. Der Kläger hat vielmehr in seiner Klage auch auf die vorherige Korrespondenz mit der Beklagten Bezug genommen und die entsprechenden Schreiben beigefügt. Gerade angesichts des bereits vorher von der Beklagten eingeleiteten Verfahrens nach der Dublin-Verordnung und der damit verbundenen Ablehnung seines Asylantrags kommt dem Begehren Bedeutung zu, mehr als zwei Jahre nach Stellung des Asylantrags Gewissheit über den Ausgang des Asylverfahrens und damit den Verbleib im Bundesgebiet zu erlangen.

Die Kammer hat die Beschwerde gemäß § 1 Abs. 3 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung der bislang erstinstanzlich höchst unterschiedlich entschiedenen Frage des Gegenstandswerts bei asylrechtlichen Untätigkeitsklagen, die in Form der Bescheidungsklage erhoben werden, zugelassen. Die Beschwerde ist nach § 33 Abs. 3 RVG statthaft und nicht nach § 80 AsylG ausgeschlossen, da nach § 1 Abs. 3 RVG die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.07.2016 - OVG 3 K 40.16 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 10.03.2017 - A 9 K 5939/16 -; VG Kassel, Beschl. v. 19.10.2016 - 3 O 1493/16.KS.A -, alle juris; Jungbauer, in: Bischof/Jungbauer (Hrsg.), RVG, 7. Aufl. 2016, § 30 Rn. 29; Mayer, Anm. zu VGH Mannheim, FD-RVG 2017, 387824; a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.02.2017 - A 2 S 271/17 -; VG Hannover, Beschl. v. 01.03.2017 - 7A 6770/16 -; VG Wiesbaden, Beschl. v. 11.11.2016 - 5 K 528/16.WI.A -; VG Trier, Beschl. v. 11.12.2014 - 6 K 1512/14.TR -, alle juris; Potthoff, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 30 Rn. 37; Neundorf, in: Kleuth/Heusch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 01.02.2017, § 80 AsylG Rn. 2; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 80 AsylG Rn. 2). § 1 Abs. 3 RVG regelt, dass die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgeht. Somit greift die Möglichkeit der Zulassung der Beschwerde im RVG auch in den Fällen, in denen die Beschwerde nach anderen Vorschriften ausgeschlossen ist. In Verfahren nach dem AsylG ist die Beschwerde nach § 80 AsylG grundsätzlich ausgeschlossen. Da es sich hierbei aber um eine Verfahrensvorschrift i.S.d. § 1 Abs. 3 RVG handelt - § 80 AsylG ist in Abschnitt 9: Gerichtsverfahren verortet -, greift der Beschwerdeausschluss nicht. Dies wird auch gestützt durch die Begründung des Gesetzentwurfs, in der ausgeführt wird, dass § 1 Abs. 3 RVG die gelegentlich auftretende Frage nach dem Verhältnis der Verfahrensvorschriften des Kostenrechts zu den Verfahrensvorschriften der für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften dahingehend klären soll, dass die kostenrechtlichen Vorschriften als die spezielleren Vorschriften vorgehen (BT-Drs. 17/11471 (neu), S. 266, 154). Dem kann nicht entgegengehalten werden, den Gesetzesmaterialien lasse sich ein Wille des Gesetzgebers, dass durch die Einführung des § 1 Abs. 3 RVG die spezielle asylrechtliche Vorschrift des § 80 AsylG verdrängt werden soll, nicht entnehmen (so aber VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.02.2017 - A 2 S 271/17 -, juris, Rn. 3; VG Hannover, Beschl. v. 01.03.2017 - 7 A 6770/16 -, juris, Rn. 8). Denn aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 1 Abs. 3 RVG bedurfte es keines weiteren, konkret auf § 80 AsylG bezogenen Hinweises in der Begründung des Gesetzentwurfs, um den (älteren) Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG durch die neugefasste Vorschrift im RVG zu konkretisieren. Hinzu kommt, dass Zweck des Beschwerdeausschlusses in § 80 AsylG eine möglichst umfassende Beschleunigung des Asylverfahrens ist (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 80 AsylG Rn. 3). Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts geht es aber um ein dem Asylverfahren nachgelagertes Verfahren, bei dem es einzig um die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung geht, weshalb eine Beschleunigung nicht mehr erforderlich erscheint. Somit sprechen auch keine teleologischen Gründe dafür, § 1 Abs. 3 RVG entgegen dem Wortlaut einschränkend auszulegen, indem § 80 AsylG der Vorrang gewährt wird.