Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.04.2004, Az.: L 15 AL 5/02

Arbeitslosengeld; Arbeitsunfähigkeit; Krankengeld; Versicherungspflicht

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.04.2004
Aktenzeichen
L 15 AL 5/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50638
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 21.08.2001 - AZ: S 9 AL 417/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Hat ein Arbeitsloser bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Fortzahlung von Arbeitslosengeld gemäß § 126 SGB III, weil kein (rechtmäßiger) Bezug von Arbeitslosengeld vorangegangen war, schließt das die Versicherungspflicht wegen Bezugs von Arbeitslosengeld i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht aus, solange der Bewiligungsbescheid nicht zurück genommen worden ist.

Ob das auch für die Zeit zwischen Bewilligung und deren Rücknahme gilt, wenn keine Zahlung erfolgt ist, bleibt offen. Jedenfalls erlischt die Versicherungspflicht nach anfänglicher Zahlung nicht deshalb, weil die Zahlung gemäß § 331 SGB III eingestellt worden ist.

Bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit und fehlendem Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht dann grundsätzlich ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 21. August 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin ab 15. September 1998 Krankengeld in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Die Beigeladene hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte zu erstatten. Ansonsten sind keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Streitig ist die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für zwei Tage und die Verpflichtung der Beklagten, einen Bescheid über die Aufhebung der Bewilligung und  Erstattung von Alg für einen weiteren Zeitraum zurückzunehmen und Alg zu zahlen. Weiter kommt eine Verpflichtung der beigeladenen Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld für den streitigen Zeitraum in Betracht.

2

Die Klägerin bezog nach Ablauf einer zwölfwöchigen Sperrzeit aufgrund einer Verfügung vom 21. August 1998 (Bescheid vom 25. August 1998) Alg ab dem 6. August 1998.

3

Am 24. August 1998 begab sich die Klägerin zu einer Bekannten nach Düsseldorf. Einer Einladung der Beklagten zu einem Besprechungstermin am 2. September 1998 sowie einer erneuten Einladung zum 11. September 1998 folgte die Klägerin nicht. Die Beklagte wurde zunächst von einer Nachbarin der Klägerin informiert, dass diese seit dem 26. August 1998 in Düsseldorf sei. Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlungen mit Ablauf des 31. August 1998 ein und erstellte nach ihren Angaben durch das Zentralamt einen Bescheid über die Aufhebung der Bewilligung wegen Ortsabwesenheit ab dem 26. August  1998. Diesen Bescheid, von dem sich weder eine Durchschrift noch ein Zustellungsnachweis in den Akten befindet, erhielt die Klägerin nach ihren Angaben nicht. Bei einer Vorsprache am 15. September 1998 erklärte die Klägerin persönlich, dass sie vom 24. August 1998 bis 11. September 1998 in Düsseldorf gewesen sei und nach ihrer Rückkehr am 14. September 1998 wegen gesundheitlicher Beschwerden (Gallensteinleiden) Dr. I. aufgesucht habe mit dem Ergebnis, dass für den 30. September 1998 ein Operationstermin vereinbart worden sei. Die Klägerin legte eine Bescheinigung von Dr. I. vom 15. September 1998 über Arbeitsunfähigkeit vom 24. August 1998 bis 30. September 1998 vor. Nach einem Telefonvermerk vom 16. September 1998 teilte die Praxis des Dr. I. jedoch mit, laut Krankenkasse dürfe eine Krankschreibung maximal drei Tage rückwirkend vorgenommen werden und übersandte eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Ausstellungsdatum vom 15. September 1998 über den Zeitraum vom 15. bis 30. September 1998.

4

Mit Schreiben vom 16. September 1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass bei Gesundschreibung umgehend erneut ein Antrag auf Weiterbewilligung gestellt werden müsse und dass die Beigeladene jetzt auf Antrag Krankengeld zahle.

5

Mit Schreiben vom 17. September 1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe vom 26. bis 31. August 1998 Alg in Höhe von DM 184,38 wegen Ortsabwesenheit und mangelnder Verfügbarkeit zu Unrecht bezogen und dies durch unterlassene Anzeige verursacht. Vor einer abschließenden Entscheidung werde ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

6

Mit Bescheid vom 19. Oktober 1998 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 26. August 1998 ganz auf und forderte Erstattung von DM 184,38 zuzüglich gezahlter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von DM 35,73, insgesamt DM 220,11.

7

Am 3. Februar 1999 beantragte die Klägerin, die nach eigenen Angaben zwischenzeitlich weiterhin arbeitsunfähig gewesen war und ab 1. Dezember 1998 Sozialhilfe bezogen hatte, erneut Alg, das ihr bewilligt wurde.

8

Am 16. Februar 1999 stellte die Klägerin den Antrag, den Bescheid vom 19. Oktober 1998 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) aufzuheben und Alg sowie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bis 4. Oktober 1998 zu erbringen. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X hätten nicht vorgelegen. Sie sei seit dem 24. August 1998 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe einen Anspruch auf Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) gehabt, ohne dass es auf die verspätete Anzeige ankomme. Einen Anspruch auf Krankengeld habe sie nicht mehr geltend machen können, da sie, wie sie zwischenzeitlich erfahren habe, seit dem 27. August 1998 nicht mehr Mitglied der AOK sei. Sie sei auch nicht nach § 24 SGB X angehört worden. Darüber hinaus sei der Bescheid vom 19. Oktober 1998 nach § 331 Abs. 2 SGB III als verfristet anzusehen.

9

Mit Bescheid vom 24. Februar 1999 hob die Beklagte nach entsprechender Anhörung der Klägerin die Bewilligung von Alg schon ab 24. August 1998 ganz auf und verlangte auch für die Zeit vom 24. bis 25. August 1998 Erstattung in Höhe von DM 61,46.

10

Mit Schreiben vom 16. August 1999 erhob der Prozessbevollmächtigte gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Februar 1999, der nur der Klägerin persönlich zugestellt worden war, Widerspruch, auf dessen Begründung im Einzelnen Bezug genommen wird.

11

Mit Bescheid vom 16. August 1999 lehnte die Beklagte den Antrag vom 16. Februar 1999 ab, da  mit dem Bescheid vom 19. Oktober 1998 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Dagegen erhob die Klägerin rechtzeitig Widerspruch.

12

Nachdem die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben hatte, entschied die Beklagte über beide Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 4. November 1999:

13

Mit dem Widerspruchsbescheid zum Az. W 2867/99 gewährte die Beklagte wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wies aber den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Februar 1999 als unbegründet zurück, da die Klägerin nicht verfügbar gewesen sei; sie habe sich zweifelsfrei nicht im Nahbereich des Arbeitsamts (AA) Bremen aufgehalten. Sie habe durch die Bewilligungsbescheide und das Merkblatt für Arbeitslose wissen müssen, dass jede Änderung in den Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen sei. Der Bescheid sei daher nach § 45 Abs. 2 SGB X zurückzunehmen, da der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe.

14

Mit Widerspruchsbescheid vom gleichen Tage zum Az. W 2897/99 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. August 1999 als unbegründet zurück. Der Bescheid vom 19. Oktober 1998 sei nicht zu beanstanden, so dass eine Rücknahme nicht in Betracht komme. Es habe sich nicht um eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III gehandelt.

15

Am 21. Dezember 1999 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten, dem die Widerspruchsbescheide mit Schreiben vom 22. November 1999 übersandt worden waren, Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und u.a. vorgetragen, Hintergrund ihrer  Reise zu einer Bekannten nach Düsseldorf sei ein akutes Gallensteinleiden gewesen, das starke krampfartige Bauchschmerzen verursacht habe. Weil sie in Bremen keine engen Freunde oder Verwandte habe,  habe sie sich, um sich versorgt zu wissen, zu der Bekannten begeben. Am 11. September sei sie zurückgekehrt, da die Schmerzen so schlimm geworden  seien, dass sie deshalb einen Arzt habe aufsuchen wollen, was sie dann am 14. September (einem Montag) getan habe. Sie habe die Kosten der stationären Behandlung vom 30. September bis zum 7. Oktober 1998 in Höhe von rund DM 6000 wegen fehlenden Versicherungsschutzes selbst tragen müssen. Die Krankenkasse habe  ihr mitgeteilt, dass sie seit dem 27. August 1998 nicht mehr Mitglied sei. Im Übrigen handele es sich – bis zu dem Aufhebungsbescheid vom 19. Oktober 1998 – um eine vorläufige Zahlungseinstellung, die gemäß  § 331 Abs. 2 SGB III rechtswidrig sei und zu einer Nachzahlung führen müsse. Auf die ausführliche Begründung im Schriftsatz vom 20. Dezember 1999 wird Bezug genommen.

16

Mit Urteil vom 21. August 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 24. Februar 1999 sei mangels rechtzeitiger Anfechtung rechtsbeständig geworden. Dieser Bescheid und auch der Bescheid vom 19. Oktober 1998 seien auch nicht gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Denn sie seien nach § 48 SGB X rechtmäßig. Die Klägerin habe gewusst bzw. wissen müssen, dass sie wegen des Aufenthalts in Düsseldorf, über den das AA erst durch eine Nachbarin nachträglich informiert worden sei, nicht mehr verfügbar gewesen sei und keinen Anspruch auf Alg gehabt habe. Das hätte ihr aufgrund des ihr ausgehändigten Merkblatts bewusst sein müssen. Es sei auch offensichtlich, dass Verfügbarkeit für den Anspruch erforderlich sei. Deshalb habe die Beklagte zu Recht ab dem Zeitpunkt der Änderung die Bewilligung auch für die Vergangenheit aufgehoben und Leistungen zurückgefordert.

17

Gegen dieses ihr am 17. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Februar 2003 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Februar 1999 sei mangels Zustellung des Bescheides an den Prozessbevollmächtigten nicht verspätet gewesen. Im Übrigen habe die Beklagte Wiedereinsetzung gewährt und in der Sache über den Widerspruch entschieden. Ihr Anspruch gegen die Beklagte stütze sich hauptsächlich auf § 331 Abs. 2 SGB III. Eine fehlende Verfügbarkeit wegen Ortsabwesenheit könne dahinstehen. Jedenfalls ab Rückkehr und erneuter Meldung am 15. September 1998 habe sie Anspruch auf Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit. Es habe ein atypischer Fall vorgelegen, so dass die Beklagte bei der Rücknahme der Bewilligung Ermessen hätte ausüben müssen. Denn sie – die Klägerin - habe sich im guten Glauben hinsichtlich des bestehenden Krankenversicherungsschutzes am 30. September 1998 in stationäre Behandlung begeben und nicht gewusst, dass die Leistungen bereits vorher eingestellt worden seien. Der entstandene Anspruch einschließlich der Wirkungen auf den Krankenversicherungsschutz könne nicht nachträglich rückwirkend aufgehoben werden. Der Beklagten sei auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorzuwerfen, die sie schon im Zusammenhang mit der Einstellung der vorläufigen Zahlung hätte wahrnehmen müssen. Deshalb müsse sie im Wege des Herstellungsanspruchs jedenfalls für den Krankenversicherungsschutz haften. Hilfsweise habe die Krankenkasse Krankengeld zu zahlen. Die Klägerin hat ein ärztliches Attest des Dr. I. vom 28. April 2004 vorgelegt, wonach sie nach ihrem Krankenhausaufenthalt vom 8. Oktober 1998 bis zum 4. Januar 1999 weiterhin arbeitsunfähig war.

18

Der Senat hat die zuständige Krankenkasse beigeladen.

19

Die Klägerin beantragt,

20

1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 21. August 2001 aufzuheben,

21

2. den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1999 (Az. W 2867/99) aufzuheben,

22

3. den Bescheid vom 16. August 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1999 (Az. W 2897/99) aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 19. Oktober 1998 zurückzunehmen, hilfsweise,

23

die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin ab dem 15. September 1998 Krankengeld zu zahlen.

24

Die Beklagte beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Nach ihrer Auffassung hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Maßgeblich sei, dass die Klägerin wegen Ortsabwesenheit nicht verfügbar gewesen sei. Auf den weiteren Vortrag zur Krankenversicherung komme es nicht an, zumal an die Beklagte ohnehin keine weitreichenden Anforderungen im Hinblick auf Auskünfte zu einer anderen Sozialversicherung zu stellen seien, hier genüge der Hinweis auf den richtigen Leistungsträger.

27

Die Beigeladene beantragt,

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die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

29

Sie trägt vor, Arbeitsunfähigkeit könne frühestens ab 15. September 1998 anerkannt werden. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch  – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) werde von dem tatsächlichen Leistungsbezug bestimmt. Eine Bewilligung, die ohne Zahlung rückwirkend wieder aufgehoben werde, löse keine Versicherungspflicht aus. Da Alg bis zum 31. August 1998 gezahlt worden sei, ende die Mitgliedschaft auch an diesem Tag. Nach § 19 Abs. 2 SGB V hätte ein befristeter Leistungsanspruch für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft bestanden. Entsprechende Leistungsansprüche seien aber inzwischen verjährt.

30

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte – L 15 AL 5/02 (S 9 AL 417/99) – sowie auf die Leistungsakte der Beklagten, Stammnummer 214A072752). Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

31

Die zulässige Berufung ist (in ihrem Hauptantrag) nicht begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist zwar der Bescheid vom 24. Februar 1999, der Arbeitslosengeld (Alg) für den 24. und 25. August 1998 betrifft, schon deshalb nicht als rechtsbeständig anzusehen, weil die Beklagte Wiedereinsetzung gewährt und über den Widerspruch in der Sache entschieden hat. Über die Rechtmäßigkeit des Bescheides ist daher in der Sache zu entscheiden. Dagegen ist der Bescheid vom 19. Oktober 1998, der Alg ab 26. August 1998 betrifft, rechtsbeständig geworden, so dass hier zu prüfen ist, ob die Beklagte entgegen ihrer Entscheidung im angefochtenen Bescheid vom 16. August 1999/Widerspruchsbescheid vom 4. November 1999 zu dessen Rücknahme verpflichtet ist.

32

In der Sache hängt der Erfolg der Klage hinsichtlich beider Bescheide davon ab, ob die Beklagte berechtigt war, die Bewilligung von Alg ab 24. August 1998 aufzuheben und Erstattung der bereits gezahlten Beträge sowie der gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu verlangen. Ein entsprechendes Recht stand der Beklagten gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III zu. Denn der Bescheid der Beklagten vom 25. August 1998 war insoweit von Anfang an rechtswidrig, als er Alg über den 23. August 1998 hinaus gewährte. Denn ab 24. August 1998 waren die Voraussetzungen, wie der Beklagten allerdings zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, nicht mehr gegeben, weil die Klägerin ortsabwesend und deshalb nicht i. S. des § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III für Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes (AA) verfügbar und somit entsprechend der Definition in § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht arbeitslos war. Damit entfiel der Anspruch auf Alg nach § 117 Abs. 1 SGB III.

33

Es kommt auch keine Fortzahlung von Alg wegen Krankheit gemäß § 126 SGB III, bei der mangelnde Verfügbarkeit (aus anderen Gründen als der Krankheit) nicht erheblich wäre, in Betracht, weil eine Erkrankung, die zu Arbeitsunfähigkeit geführt hat, erst ab 15. September 1998 durch Bescheinigung des Dr. I. nachgewiesen ist. Die zuvor von dem Arzt ausgestellte Bescheinigung mit Beginnzeitpunkt 24. August 1998 ist durch die zweite Bescheinigung des Arztes korrigiert worden in der zutreffenden Einsicht, dass eine frühere Arbeitsunfähigkeit, insbesondere bereits ab 24. August 1998, nach einer Untersuchung am 15. (oder nach Angaben der Klägerin am 14.) September 1998 nicht (sicher) festgestellt werden kann. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin entgegen der korrigierten Bescheinigung schon ab 24. August 1998 arbeitsunfähig krank war. Zwar sind Oberbauchbeschwerden mit Verdacht auf ein Gallensteinleiden schon durch den zur Akte gelangten Arztbrief des Dr. J., Bayreuth, vom 22. Juli 1998 belegt. Die Klägerin hat sich danach aber am 6. August 1998 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt und in dem Antrag keine Krankschreibung oder Einschränkung der Verfügbarkeit aus gesundheitlichen Gründen angegeben. Ihre Angaben in der Klageschrift, sie habe sich wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden zu der Bekannten nach Düsseldorf begeben, belegen eine Arbeitsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht und geben auch keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen in dieser Hinsicht, zumal die Klägerin persönlich in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sie sei wegen der Erkrankung der in Düsseldorf lebenden Freundin auf deren Bitten nach Düsseldorf gefahren. Denn die Klägerin selbst hat zu diesen Zeitpunkt offenbar keinen Anlass gesehen, einen Arzt aufzusuchen, und hat angegeben, erst am 11. September 1998 nach Bremen zurückgekehrt zu sein, da die Schmerzen so schlimm geworden seien, dass sie deshalb einen Arzt habe aufsuchen wollen. Zu dem Arztbesuch ist es dann nach Angaben der Klägerin am Montag, dem 14. September 1998, gekommen, zur Krankschreibung am 15. September 1998. Dieser Ablauf lässt es ganz unwahrscheinlich erscheinen, dass weitere Ermittlungen dazu führen könnten, dass durch die Auskunft eines Arztes zu belegen ist, dass Arbeitsunfähigkeit bereits am 24. August 1998 vorgelegen hat.

34

Die Vorsprache beim AA am 15. September 1998 könnte zwar als erneute Arbeitslosmeldung gewertet werden, sie führt aber deshalb nicht zu einem ab dem Meldezeitpunkt zu gewährenden Anspruch auf Alg, weil die Klägerin gleichzeitig mitgeteilt und belegt hat, dass sie arbeitsunfähig krank und deshalb nicht verfügbar war. Eine Leistungsfortzahlung gemäß § 126 SGB X kam zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht mehr in Betracht, weil die Klägerin mit der ab 15. September 1998 gültigen Krankschreibung nicht »während des Bezugs von Alg« arbeitsunfähig geworden ist. Denn die Vorschrift setzt den tatsächlichen und rechtmäßigen Bezug von Alg bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit voraus. Sie kommt nach dem Wortlaut (»verliert er ... nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld«) nur in Betracht, wenn bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Alg zu zahlen ist und ohne den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit weitergezahlt werden müsste (vgl. Winkler in Gagel, SGB III § 126 Rz 15 und 16 m. w. N.).

35

Zu Recht hat die Beklagte den Bescheid über die Bewilligung von Alg mit dem zu überprüfenden Bescheid vom 19. Oktober 1998 auch rückwirkend aufgehoben. Das ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X möglich und gemäß § 330 Abs. 2 SGB III geboten, wenn ein Betroffener die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die letztgenannten Voraussetzungen sind gegeben. Die Klägerin hat bei der Beklagten Alg beantragt und sich dabei als uneingeschränkt verfügbar bezeichnet und mit ihrer Unterschrift bescheinigt, dass sie Änderungen unverzüglich anzeigen werde sowie das »Merkblatt 1 für Arbeitslose, Dienste und Leistungen« erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe. In diesem Merkblatt wird ausdrücklich und ausführlich darauf hingewiesen, dass der Arbeitslose den Vermittlungsbemühungen des AA zur Verfügung stehen und dem AA mitteilen muss, wenn er seinen Wohnort verlässt. Der Klägerin musste daher – jedenfalls bei Meidung grober Fahrlässigkeit – bewusst sein, dass der Anspruch auf Alg ab Verlassen des Wohnortes weggefallen war. Selbst wenn sie sich für arbeitsunfähig gehalten hat, musste ihr aufgrund des Merkblattes bewusst sein, dass sie in diesem Fall nicht schlicht ihren Wohnort verlassen darf, sondern eine Arbeitsunfähigkeit beim AA unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung anzuzeigen hat. Der Umstand, dass die Klägerin die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, kann nicht zu einer anderen Bewertung führen, da sie in diesem Falle verpflichtet gewesen wäre, sich kundig zu machen. Im Übrigen liegt auch ohne weitere im Einzelnen erteilte bzw. nachzulesende Belehrungen auf der Hand, dass ein Alg-Anspruch nicht besteht, wenn der Arbeitslose sich ohne Wissen des AA von seinem Aufenthaltsort entfernt und somit für das AA nicht erreichbar ist. Das musste bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch der Klägerin, die schon seit vielen Jahren in Deutschland lebt und auch beschäftigt war, klar sein. Auch der persönliche Eindruck in der mündlichen Verhandlung lässt keine andere Schlussfolgerung zu.

36

Bei rückwirkender Aufhebung der Bewilligung ergibt sich die Pflicht zur Erstattung der Versicherungsbeiträge aus § 335 Abs. 1 SGB III. Gegen die Höhe der Alg-Rückforderung  und der Erstattungsforderung der Versicherungsbeiträge bestehen keine Einwendungen.

37

Die Entscheidung der Beklagten vom 19. Oktober 1998 ist auch nicht aus formellen Gründen von der Beklagten zurückzunehmen. Zwar war die Anhörung im Hinblick auf die vollständige Aufhebung der Alg-Bewilligung und die Forderung der Erstattung der Versicherungsbeiträge nicht vollständig. Wenn insoweit ein Fehler im Verwaltungsverfahren vorlag, so ist dieser aber bei einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht zu beachten, da es bei dieser Überprüfung lediglich auf die materiell-rechtliche Richtigkeit der Entscheidung ankommt.

38

Ob bereits mit Bescheid vom 10. September 1998 eine Aufhebung der Bewilligung erfolgt ist, lässt sich nicht feststellen. Eine Zweitschrift dieses Bescheides findet sich in der Akte ebenso wenig wie ein Zustellungsnachweis. Auch der Bescheid vom 19. Oktober 1998 enthält keinen Hinweis auf eine bereits erfolgte (gleichartige) Aufhebung. Da die Klägerin nach ihren Angaben einen solchen Bescheid auch nicht erhalten hat, kann von einer wirksamen Aufhebung der Bewilligung durch einen solchen Bescheid auch nicht ausgegangen werden.

39

Ein Anspruch auf Alg lässt sich auch nicht, wie die Klägerin meint, aus § 331 Abs. 2 SGB III ( in der hier noch maßgeblichen Fassung des 1. SGB III – Änderungsgesetzes vom 16. 12. 1997 – BGBl I 2970) ableiten, da die Vorschrift – in Entsprechung zur vorläufigen Zahlungseinstellung nach Abs. 1 – nur einen vorläufigen Zahlungsanspruch betrifft, der nach Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. dazu Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 231 Rn 7; Pilz in Gagel SGB III § 331 Rn 3, 15).

40

Auch der Bescheid vom 24. Februar 1999 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1999 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insofern kann auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen werden, da diese inhaltlich auch die vom Bescheid vom 24. Februar 1999 (lediglich noch) erfassten beiden Tage vom 24. bis zum 25. August 1998 betreffen. Auch insofern bestehen gegen die Höhe der Rückforderung keine Einwendungen. Eine ausreichende vorherige Anhörung der Klägerin ist in diesem Falle ebenfalls erfolgt.

41

Der Hilfsantrag der Klägerin ist jedoch zulässig und begründet.

42

Nach Beiladung kann ein Versicherungsträger gemäß § 75 Abs. 5 verurteilt werden (vgl. zu einem ähnlichen Fall BSG vom 7.2. 2002 B 7 AL 28/01 R, ZfS 2002,238 [OLG Saarbrücken 05.12.2001 - 5 U 903/00-83-]). Der geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld ab 15. September 1998 steht der Klägerin gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zu. Sie war zu diesem Zeitpunkt Versicherte der Beigeladenen aufgrund der Versicherungspflicht, die sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ergibt. Danach sind versicherungspflichtig Personen u. a. in der Zeit, für die sie Alg beziehen, wobei im 2. Halbs. ausdrücklich geregelt ist, dass dies auch gilt, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Hier kommt es – anders als in § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III – nicht darauf an, ob der Bezug rechtmäßig ist (vgl. Winkler, a. a. O. Rn 15). Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Arbeitslose schon krankenversichert ist, wenn ein Anspruch auf Alg materiell-rechtlich nicht gegeben, eine Bewilligungsentscheidung jedoch ergangen ist, auch wenn eine Zahlung nicht geleistet wurde (Henke in Hennig u. a. AFG, § 155 Rn 14 unter Hinweis auf BSG vom 23.11.1983, SozR 4100 § 159 Nr. 5; anders wohl Gagel, AFG § 155 Rn 33, sofern die Entscheidung unmittelbar darauf zurückgenommen wird). Jedenfalls lässt bei (noch) wirksamer Bewilligungsentscheidung und anfänglicher tatsächlicher Leistungszahlung die faktische (vorläufige) Zahlungseinstellung nicht den entstandenen Krankenversicherungsschutz entfallen. Zwar hat die Klägerin nach dem 31. August 1998 auch tatsächlich keine Leistungen mehr bezogen. Der Bewilligungsbescheid, der die Beklagte zur Zahlung von Leistungen verpflichtete, bestand aber fort. Dass dessen Aufhebung durch einen Bescheid vom 10. September 1998 nicht nachgewiesen werden kann, wurde bereits ausgeführt. Die faktische Einstellung der Zahlung bei noch nicht aufgehobenem Bewilligungsbescheid kann aber ebenso wenig zum Erlöschen des Versicherungsverhältnisses führen wie die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung. Denn anderenfalls wäre der mit der Regelung des § 5 Abs.1 Nr. 2 2. Halbs. SGB V beabsichtigte Vertrauensschutz nicht gegeben. Bei der Anwendung der Regelung des § 190 Abs. 12 SGB V, wonach die Mitgliedschaft mit Ablauf des letzten Tages beendet wird, für den die Leistung bezogen wird, ist diese Vertrauensschutzregelung zu beachten (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V § 5 Rn 162). Der Vertrauensschutz dessen, dem ein Anspruch auf Alg zuerkannt ist, ist nicht geringer zu bewerten als der dessen, der lediglich tatsächlich Leistungen bezieht, ohne einen Anspruch zu haben, oder der Schutz dessen, der – etwa wegen einer Verrechnung – faktisch keine Leistung bezieht. Auch für letztgenannten Fall ist anerkannt, dass dies die Versicherungspflicht nicht beeinträchtigt (vgl. Peters in KassKomm, SGB V, § 5 Rn 40). Die gleiche Interessenlage besteht bei der vorläufigen Zahlungseinstellung bei bewilligter Leistung, die als eine formlose, vorweggenommene „Verrechnung“ von Leistungsanspruch und (fiktivem) Rückgewähranspruch aufgefasst werden kann. Das Erfordernis des tatsächlichen Bezugs bedeutet jedenfalls nicht, dass die Versicherungspflicht entfällt, sobald eine zuvor erfolgte Auszahlung der Leistung faktisch eingestellt wird. Vielmehr reicht insoweit aus, dass mindestens für einen Tag eine Leistung tatsächlich bezogen wurde (vgl. Hauck-Haines, SGB V § 5 Rn 197 zur Versicherungspflicht trotz anfänglich rechtswidriger Bewilligung der Leistung). Die bloße faktische Nichtzahlung, die die Beklagte nach § 331 SGB III bis zu einem, nach heutiger Rechtslage bis zu zwei Monaten betreiben kann, stellt noch keine Änderung dar, die zu einer Aufhebung der Versicherungspflicht führen kann.

43

Da die Klägerin auch die weitere Voraussetzung der Arbeitsunfähigkeit bzw. Krankenhausbehandlung erfüllt, steht ihr Krankengeld ab 15. September 1998 zu. Der Anspruch ruht auch nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 SGB V. Denn die Klägerin hat in dieser Zeit keine andere Entgeltersatzleistung erhalten und die Beigeladene kann sich auch nicht auf eine fehlende Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch die Klägerin berufen. Denn diese hat sich beim Arbeitsamt unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemeldet, während die Beigeladene ihr die Auskunft erteilt hatte, dass ihre Mitgliedschaft dort beendet sei (vgl. BSG SozR 3-2500 § 49 Nr. 4). Auch eine Erschöpfung des Krankengeldanspruchs i. S. des § 48 SGB V hat die Beigeladene weder eingewandt noch bestehen dafür  Anhaltspunkte.

44

Schließlich ist auch keine Verjährung des Anspruchs eingetreten. Zwar verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen gemäß § 45 SGB I in vier Jahren. Nach den auch hier heranzuziehenden Regelungen des BGB, hier in § 199 Abs. 1 Nr. 2, beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Ein solches Verschulden der Klägerin kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil die Beigeladene ihre Leistungspflicht gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf das beendete Versicherungsverhältnis verneint hatte.

45

Selbst unter der Annahme, das Versicherungsverhältnis der Klägerin sei mit dem Ende der Zahlungen am 31. August 1998 beendet, ergäbe sich – jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum – ein Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 SGB V als nachgehender Versicherungsschutz für einen Monat.

46

Der Senat konnte sich auf die obigen Feststellungen im Sinne eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 SGG) beschränken. Die Festlegung der dem Gesetz entsprechenden Höhe und Dauer des Anspruchs bleibt einer noch zu treffenden Entscheidung der Beigeladenen vorbehalten, wobei der Krankenhausaufenthalt und die ärztlichen Feststellungen zur Arbeitsunfähigkeit ebenso zu berücksichtigen sein dürften wie die Entstehung des Anspruchs gemäß § 46 Satz1 Nr. 2 SGB V ab dem Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.