Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 24.11.2003, Az.: L 4 KR 166/02 ER
Frage der Beitragshöhe einer bereits bestehenden Krankenkasse im Gegensatz zu der Errichtung einer Krankenkasse
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 24.11.2003
- Aktenzeichen
- L 4 KR 166/02 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 36795
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:1124.L4KR166.02ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - Az: S9 KR 210/02 ER
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 1 GKG
- § 20 Abs. 3 GKG
- § 175 Abs. 4 S. 2 SGB V
Fundstellen
- NJW 2004, 560 (amtl. Leitsatz)
- NZS 2004, 560
Amtlicher Leitsatz
In einem Verfahren einer gesetzlichen Krankenkasse gegen eine Aufsichtsanordnung, mit der das Bundesversicherungsamt die Krankenkasse zur Erhöhung ihres Beitragssatzes zwingen will, ist der Streitwert nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für die Krankenkasse (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG) und nicht nach dem Auffangwert (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG) zu bestimmen.
In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 24. November 2003 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende-,
den Richter Schreck und den Richter Wolff
beschlossen:
Tenor:
Der Streitwert des Verfahrens vor dem Landessozialgericht wird auf 2,5 Millionen Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) hat am 30. September 2002 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Aufsichtsanordnung der Antragsgegnerin (Ag) vom 24. September 2002 beantragt. Mit dieser Aufsichtsanordnung hatte die Ag die Ast verpflichtet, ihre Beitragssätze ab 1. Oktober 2002 zu erhöhen; so sollte u.a. der allgemeine Beitragssatz von 11,2% auf 12,8 % angehoben werden. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 30. September 2002 abgelehnt. Auf die Beschwerde der Ast hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 16. Dezember 2002 den Beschluss des SG aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Ag vom 24. September 2002 wieder hergestellt.
Am 29. Januar 2003 hat die Ast beantragt, den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren festzusetzen. Nach ihren Berechnungen bewirke die Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes von 11,2 % auf 12,8 % eine Steigerung des Beitragsaufkommens um 21.110.712,- Euro allein für das Jahr 2002. Demgegenüber meint die Ag, nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) sei von einem Streitwert von 4.000,- Euro auszugehen, der auf ein Drittel des Auffangstreitwertes, mithin auf 1.333,- Euro, festzusetzen sei. Denn es handele sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
II.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ist auf 2,5 Millionen Euro festzusetzen.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes richtet sich nach § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 1 Abs. 1 Satz 1 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, § 13 Abs. 1, 7 i.V.m. § 20 Abs. 3 analog GKG. Nach § 13 Abs. 1 GKG ist in den Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert vorbehaltlich der folgenden Vorschriften des GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (Satz 1). Bietet der bisherige Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 4.000,- Euro anzunehmen (Satz 2).
Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens war die Aufsichtsanordnung der Ag gegenüber der Ast über die Erhöhung der Beiträge zum 1. Oktober 2002. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Aufsichtsanordnung lässt sich nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG nach der Bedeutung der Sache für die Ast bestimmen. Hierfür bietet der Sach- und Streitstand hinreichende Anhaltspunkte. Der gegenteiligen Ansicht der Ag, der Streitwert sei nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 4.000,- Euro festzusetzen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Die Ast hat eine Berechnung vorgelegt, aus der sich für das Jahr 2002 eine bezifferte Differenz im Beitragsaufkommen zwischen der Erhebung des bisherigen allgemeinen Beitragssatzes von 11,2 % und dem von der Ag festgesetzten Beitragssatzes von 12,8 % ergibt. Nach der Berechnung der Ast hätte die Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes von 11,2 % auf 12,8 % eine Steigerung des Beitragsaufkommens um 21.110.712,-- Euro bewirkt. Die Berechnung der Ast ist nachvollziehbar und plausibel. Sie ist eine geeignete Grundlage, um die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Ast abzuschätzen. Der Senat legt sie der Ausübung seines richterlichen Ermessens nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG zugrunde.
Soweit die Ag die Richtigkeit der Berechnungsmethode der Ast bezweifelt, ist ihr Vortrag ebenso wenig substantiiert wie im Beschwerdeverfahren. Im übrigen verkennt sie, dass die Streitwertberechnung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG keine detaillierte Berechnung verlangt. Es reicht aus, wenn hinreichende Anhaltspunkte gegeben sind, die es ermöglichen, den Streitwert abzuschätzen.
Auch den Ausführungen der Ag zum Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 2. Januar 2003, Az: L 16 B 96/02 KR ER, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Entgegen dem Vortrag der Ag hat das LSG Nordrhein-Westfalen seinen Streitwertbeschluss gerade nicht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG gestützt. Denn es hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Bedeutung der Sache mit 4.000,--Euro nicht annähernd erfasst sei. Daher hat es den Streitwert nicht mit 4.000,--Euro, sondern mit 50.000,- Euro festgesetzt.
Auch die Ausführungen der Ag zum Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. November 1992, Az: 1 RR 1/91 (SozR 3-1930 § 8 Nr. 1), greifen nicht. Der Beschluss des BSG betrifft die Festsetzung des Gegenstandswertes in einem Verfahren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Anschlusserrichtung einer Betriebskrankenkasse. Zwar kommt das BSG in diesem Beschluss zu dem Ergebnis, dass das Beitragsaufkommen nicht der entscheidende Maßstab für die Bedeutung des Streitwertes nach § 13 Abs. 1 GKG sei, weil dem Beitragsanspruch stets die Leistungsverpflichtung für die betroffenen Versicherten gegenüberstehe. Im vorliegenden Verfahren jedoch geht es nicht um die Errichtung einer Krankenkasse. Es geht ausschließlich um die Frage der Beitragshöhe einer bereits bestehenden Krankenkasse.
Schließlich kann der Senat auch den Ausführungen der Ag über die Möglichkeit von Sonderkündigungen von Mitgliedern der Ast wegen der Beitragserhöhungen gem. § 175 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht beipflichten. Zwar steht den Mitgliedern einer gesetzlichen Krankenkasse bei einer Beitragssatzerhöhung das Recht zur Sonderkündigung zu. Sie ist nach § 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V aber erst zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt. Bei der Berechnung des Beitragsvolumens bis Dezember 2002, wie von der Ast vorgenommen, spielen eventuelle Sonderkündigungen folglich keine entscheidende Rolle.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 20. Mai 2003, Az: L 4 B 9/03 KR) ist der Streitwert im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz regelmäßig zu ermäßigen, weil es nur um vorläufige Maßnahmen geht (vgl. auch § 20 Abs. 3 GKG). Im vorliegenden Fall erscheint es angemessen, den von der Ast errechneten Wert von 21.110.712,- Euro auf die Hälfte herabzusetzen. Dieser Betrag überschreitet die in § 13 Abs. 7 GKG festgelegt Obergrenze von 2,5 Millionen Euro. Mithin war der Streitwert mit 2,5 Millionen Euro festzusetzen.
Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG nicht anfechtbar.
Schreck
Wolff