Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.09.2016, Az.: L 11 AS 48/15

SGB-II-Leistungen; Kosten für einen Lehrgang zum Erwerb des Realschulabschlusses; Unabweisbarkeit des Bedarfs; Alternativlose Aufwendungen; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Keine Übernahme von VHS-Lehrgangskosten für einen Vorbereitungskurs zum Erwerb des Realschulabschlusses als nicht durch den Regelbedarf abgedeckten Mehrbedarf

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.09.2016
Aktenzeichen
L 11 AS 48/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 27486
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2016:0927.L11AS48.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 16.12.2014 - AZ: S 19 AS 740/14

Fundstellen

  • FEVS 68, 473 - 476
  • NZS 2016, 916-917

Redaktioneller Leitsatz

Dass ein VHS-Vorbereitungskurs zum Erwerb des Realschulabschlusses sinnvoll ist, um die Chancen auf ein Bestehen der Prüfung bzw. auf ein gutes Prüfungsergebnis zu steigern, begründet noch keine Unabweisbarkeit im Sinne des § 22 Abs. 2 SGB II.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Dezember 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für einen Lehrgang zum Erwerb des Realschulabschlusses als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der im Januar 1996 geborene Kläger stand im streitbefangenen Zeitraum zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden minderjährigen Geschwistern im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II (vgl. für den Bewilligungszeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2014: Bescheide vom 17. Januar 2014 und 24. September 2014; Bewilligungszeitraum von August 2014 bis Januar 2015: Bescheide vom 22. Juli 2014, 24. September 2014 und 1. Oktober 2014). Er besuchte im Schuljahr 2011/2012 den 9. Schuljahrgang der Realschule H., welche er im Juli 2012 mit einem sog. Abgangszeugnis verließ. In diesem Zeugnis waren der Pflicht- sowie der Profilunterricht in drei Fächern mit "ungenügend", in neun Fächern mit "mangelhaft" und in zwei Fächern mit "ausreichend" benotet worden. Lediglich das Pflichtfach Kunst war mit "befriedigend" bewertet worden. Zum Arbeits- bzw. Sozialverhalten hieß es, dass der Kläger "deutlich zu wenig Leistungsbereitschaft, Mitarbeit und Verlässlichkeit" erkennen lasse und "deutlich zu wenig Vereinbarungen und Regeln erkennbar eingehalten" habe. Von den im Schuljahr 2011/2012 versäumten 39 Unterrichtstagen seien 11 unentschuldigt geblieben. Von August 2012 bis Juli 2013 besuchte er die einjährige Berufseinstiegsklasse der I., die er mit einem Abschlusszeugnis (Hauptschulabschluss) verließ. Dort waren ein Fach mit "gut", sieben Fächer mit "befriedigend" und vier Fächer mit "ausreichend" bewertet worden. Das Zeugnis wies 16 unentschuldigte Fehltage aus. Das Arbeits- und Sozialverhalten entsprach "den Erwartungen mit Einschränkungen": Der Kläger hätte "bei beständiger Anwesenheit (...) bessere Arbeitsergebnisse" erzielen können. Für die Folgezeit weist der beim Beklagten gespeicherte Lebenslauf des Klägers Zeiten der Arbeitslosigkeit (vom 1. bis 18. August 2013 sowie 31. August 2013 bis 2. Februar 2014) und für die Zeit vom 19. bis 30. August 2013 eine Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung aus.

Von Februar 2014 bis Januar 2015 besuchte der Kläger den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Tageslehrgang "Realschulabschluss" der Volkshochschule (VHS) J ... Nach der auf der Internet-Seite der VHS veröffentlichten Kursbeschreibung bereitet dieser Lehrgang darauf vor, den Sekundarabschluss I (Realschulabschluss) bzw. den erweiterten Sekundarabschluss I nachzuholen. Der Tageslehrgang dauert ca. 11 Monate und findet montags bis freitags von 8.00 bis 13.00 Uhr statt. Die Ferienzeiten der allgemein bildenden Schulen sind unterrichtsfrei. Es werden die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch, Geschichte, Sozialkunde, Biologie und Physik unterrichtet. Die Vorbereitung erfolgt für die Teilnahme an der sog. Nichtschüler-Prüfung (vgl. hierzu: Verordnung über die Prüfungen zum Erwerb der Abschlüsse des Sekundarbereichs I durch Nichtschülerinnen und Nichtschüler [NAVO - SI] vom 4. Juni 1996, Nds. GVBl. S. 284). Für den Besuch des Kurses waren 80,- Euro pro Monat zu zahlen.

Während der Beklagte dem Kläger für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf für die Zeit ab 1. Februar 2014 einen Betrag von 30,- Euro sowie für die Zeit ab 1. August 2014 einen Betrag von 70,- Euro gewährte (Bescheide vom 16. Januar und 22. Juli 2014), lehnte er den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Antrag auf Übernahme der VHS-Lehrgangskosten i.H.v. 80,- Euro pro Monat (Antrag vom 10. Juni 2014) mit der Begründung ab, dass kein Anspruch nach § 21 Abs 6 SGB II bestehe. Insoweit stellte der Beklagte zunächst klar, dass es sich bei dem Antrag auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs 6 SGB II in der Sache um einen Antrag auf Überprüfung des aktuellen Bewilligungsbescheides vom 17. Januar 2014 handele (Bewilligungszeitraum: Februar bis Juli 2014). Über diesen Bewilligungsbescheid hinaus könnten jedoch keine Leistungen bewilligt werden. Der Kläger habe bereits den Hauptschulabschluss erreicht und seine Schulpflicht erfüllt. Er sei bei der Arbeitsvermittlung bzw. Berufsberatung gemeldet. Hieraus resultiere auch sein Anspruch auf Kindergeld. Da der Besuch der VHS mit dem Ziel des Realschulabschlusses nicht atypisch sei, bestehe kein besonderer Bedarf. Zwar sei es durchaus wünschenswert, einen höheren Schulabschluss zu erlangen. Dieses Ziel sei jedoch nicht unabweisbar. Der Kläger sei in den unterschiedlichsten Ausbildungsberufen vermittelbar. Er selbst habe angegeben, eine Ausbildung bei der Bundeswehr anzustreben. Alternativen lehne er bisher ab. Die Kosten für den Schulbesuch könnten ggf. aus den pauschalisierten Regelbedarfen bestritten werden. Ebenso wenig existiere eine Rechtsgrundlage für die Absetzung der Lehrgangskosten vom Erwerbseinkommen der Mutter. Insbesondere liege kein entsprechender Unterhaltstitel vor (Bescheid vom 17. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2014).

Hiergegen hat der Kläger am 22. Juli 2014 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben und geltend gemacht, dass seine Mutter ihm gegenüber unterhaltsverpflichtet sei und somit auch die Kosten der Schulausbildung zu tragen habe. Die Mutter strecke aufgrund der rechtswidrigen Leistungsablehnung derzeit die Lehrgangsgebühren vor. Damit fehlten jedoch monatlich 80,- Euro für den Lebensunterhalt. Entweder sei der Mutter ein entsprechender Freibetrag zu gewähren oder aber ein Anspruch des Klägers nach § 21 Abs 6 SGB II zu bejahen. Der Beklagte hat dagegen im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, dass der Besuch des VHS-Lehrgangs nicht unabweisbar und laufend sei. Da es vorliegend nicht um den Besuch einer allgemein bildenden oder berufsbildenden Schule gehe, bestehe auch kein Anspruch nach § 28 Abs 1 SGB II.

Das SG hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Januar 2015 monatlich 80,- Euro für die Kosten des Tageslehrgangs "Realschulabschluss" zu gewähren. Das SG hat seinen zusprechenden Urteilstenor unter die Bedingung gestellt, das der Kläger seine regelmäßige Lehrgangsteilnahme monatlich nachweist. Der Anspruch auf einen entsprechenden Mehrbedarf ergebe sich aus § 21 Abs 6 SGB II. Zwar verfüge der Kläger bereits über einen Hauptschulabschluss. Es erscheine der Kammer jedoch für eine tatsächliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt unabdingbar, dass der Kläger den Realschulabschluss nachholt. Auch der Beklagte sollte ein Interesse daran haben, dem Kläger einen baldigen Ausweg aus seiner Hilfebedürftigkeit zu ermöglichen. Angesichts der Tatsache, dass jeder zweite Schulabsolvent das Abitur erreiche, habe der Kläger mit seinem Hauptschulabschluss auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt "überhaupt keine Chance". Der gesetzgeberische Wille, Hilfeempfänger bei der Wiedereingliederung in Arbeit/Ausbildung zu unterstützen, zeige sich in den §§ 16, 28 SGB II. Zwar passten diese Normen "nicht ganz auf den Einzelfall des Klägers", da dieser "entweder (...) zu alt oder die VHS (...) keine Schule im Sinne des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG)" sei. In "der Gesamtschau" zeigten jedoch die vorgenannten Normen den gesetzgeberischen Willen, hilfebedürftige Jugendliche und junge Erwachsene zu unterstützen, um ihnen ein Leben unabhängig von sozialen Sicherungssystemen zu ermöglichen. Ein Recht auf Bildung sei auch in Art 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt. Zudem sei die Formulierung "unabweisbar" (§ 21 Abs 6 SGB II) nicht mit "lebensnotwendig" gleichzusetzen. Unter diese Norm könnten nach der Rechtsprechung z.B. des SG Gotha und SG Wiesbaden auch die laufenden Fahrtkosten für den Besuch einer Berufsfachschule fallen, während es im vorliegenden Fall "nicht einmal um Folgekosten des Bildungssuchenden sondern um die Kosten der Bildung selbst" gehe. Ein Ansparen aus der Regelleistung sei dem Kläger nicht möglich, weil er dann über 25 Prozent seiner Regelleistung für den VHS-Lehrgang aufwenden müsse. Dementsprechend sei es auch der alleinerziehenden Mutter des Klägers nicht weiter zuzumuten, das Geld für den Kläger zu verauslagen. Mangels Anhaltspunkten für eine diesbezügliche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen erstrecke sich der Leistungsanspruch auf 12 Monate, wobei der Kläger monatliche Nachweise für seine Lehrgangsteilnahme zu erbringen habe (Urteil vom 16. Dezember 2014, dem Beklagten am 22. Dezember 2014 zugestellt).

Hiergegen macht der Beklagte mit seiner am 15. Januar 2015 eingelegten Berufung geltend, dass der Gesetzgeber Ansprüche von Schülerinnen und Schülern in § 28 SGB II abschließend geregelt habe. Ansonsten gehörten Schulbedarfe im Grundsatz zu den Aufwendungen, die für die Existenzsicherung eines jeden Kindes anfielen und die deshalb mit dem Regelbedarf für Kinder abgedeckt seien. Diese Bedarfe seien damit regelmäßig nicht von der Härtefallregelung erfasst. Ein Schulbesuch begründe gerade keine atypische Lebenssituation für ein Kind. Auch wenn der Besuch des VHS-Lehrgangs zur Erlangung des Realschulabschlusses durchaus zu begrüßen sei, handele es sich nicht um einen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen soziokulturellen Existenzminimums zwingend erforderlichen Bedarf. Der Kläger habe im Rahmen seiner Schulpflicht eine schulische Ausbildung absolviert. Er habe zunächst das Gymnasium, dann die Realschule und zuletzt eine berufsbildende Schule besucht. Hierdurch habe die kostenfreie Möglichkeit der Deckung des erforderlichen Bildungsbedarfs bestanden. Es sei auch nicht erkennbar, dass es sich bei dem Besuch des VHS-Lehrgangs um einen unaufschiebbaren Bedarf gehandelt habe. Der Kläger sei mit seinem Hauptschulabschluss in unterschiedlichste Ausbildungsberufe vermittelbar. Die Entwicklungsmöglichkeiten im beruflichen Bereich seien perspektivisch somit auch ohne den Realschulabschluss positiv zu bewerten. Der Bewilligung eines Mehrbedarfs stehe zudem entgegen, dass der Bedarf durch Zuwendungen Dritter gedeckt sei (Zahlungen der Mutter). Zu Unrecht habe das SG den Beklagten auch für die Zeit vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2015 verurteilt. Diesbezüglich sei der Kläger gesondert mit Bewilligungsbescheid vom 22./23. Juli 2014 beschieden worden. Dieser Bescheid sei weder Streitgegenstand gewesen noch sei gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Dezember 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass das SG den Willen des Gesetzgebers Hilfeempfänger bei der Eingliederung in Arbeit/Ausbildung zu unterstützen, zutreffend berücksichtigt habe. Der Kläger dürfe nicht auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen werden. Ebenso wenig sei es der Mutter zuzumuten, die Gebühren für den VHS-Lehrgang aus den ihr gewährten SGB II-Leistungen zu finanzieren. Die Lehrgangskosten müssten übernommen werden, da es dem Kläger nur aufgrund des Realschulabschlusses gelungen sei, seinen Ausbildungsplatz zu erlangen. Der Kläger habe angesichts seiner bisherigen Schullaufbahn keine Möglichkeit mehr gehabt, den Sekundarabschluss I kostenfrei zu erwerben.

Der Kläger hat im streitbefangenen Zeitraum den VHS-Lehrgang durchgängig besucht und im Februar 2015 den Sekundarabschluss I - Realschulabschluss erworben (Zeugnis vom 17. Februar 2015). Ausweislich seines in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten gespeicherten Lebenslaufs ist er anschließend vom 18. Mai bis 24. August 2015 sowie vom 12. Oktober 2015 bis 31. Juli 2016 in verschiedenen Maßnahmen gefördert worden (Aktivierungshilfen für Jüngere, Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung sowie Maßnahme "MAT-Baukastensystem SGB II"). Für die Zeiträume 3. Februar bis 17. Mai 2015 und 25. August bis 11. Oktober 2015 enthält der Lebenslauf jeweils die Eintragung "Arbeitslosigkeit". Am 1. August 2016 hat er bei der Bundeswehr eine Berufsausbildung zum Mechatroniker begonnen (Soldat auf Zeit).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten (vgl. Schriftsätze vom 17. Juni und 6. Juli 2016) ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

A. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Insbesondere wird der für die Statthaftigkeit der Berufung erforderliche Mindestwert von 750,- Euro überschritten, da sich die Berufung des Beklagten gegen die erstinstanzlich erfolgte Verurteilung zur Zahlung von 960,- Euro richtet.

B. Die Berufung ist des Beklagten ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der VHS-Lehrgangskosten.

I. Streitgegenstand ist der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2014. In diesen Bescheiden hat der Beklagte zutreffend klargestellt, dass es sich bei dem geltend gemachten Mehrbedarf nicht um einen eigenständigen Streitgegenstand sondern um einen nicht abtrennbaren Teil des mit Bescheid vom 17. Januar 2016 beschiedenen laufenden SGB II-Leistungsanspruchs handelt (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 18. November 2014 - B 4 AS 4/14 R -, BSGE 117, 240, Rn 10). Der Beklagte hat den Antrag auf Übernahme der VHS-Lehrgangskosten somit zu Recht als einen Antrag auf Überprüfung der laufenden Leistungsbewilligung gewertet.

II. In zeitlicher Hinsicht geht es im vorliegenden Verfahren zulässigerweise lediglich um den Bewilligungszeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2014, da in den Bescheiden über die laufende Leistungsbewilligung (Bescheid vom 17. Januar 2014 sowie Änderungsbescheide vom 24. September 2014) nur dieser Zeitraum geregelt worden ist. Soweit das SG den Beklagten darüber hinaus auch für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum (d.h. für die Monate August 2014 bis Januar 2015) zur Gewährung weiterer Leistungen verurteilt hat, ist es - wie der Beklagte zutreffend gerügt hat - über den zulässigen Streitgegenstand hinausgegangen. Dieser nachfolgende Bewilligungszeitraum wurde mit Bescheid vom 22. Juli 2014 geregelt. Der Bescheid vom 22. Juli 2014 ist jedoch weder Gegenstand der gegen den Bescheid vom 17. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2014 geführten Klage noch sind die für den späteren Bewilligungszeitraum ergangenen Bescheide gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Dementsprechend unterliegt das Urteil des SG aus verfahrensrechtlichen Gründen der Aufhebung, soweit Leistungen für die Monate August 2014 bis Januar 2015 zugesprochen worden sind.

III. Im Übrigen (d.h. für die Monate Februar bis Juli 2014) ist das Urteil des SG aufzuheben, weil der Kläger materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Übernahme der VHS-Lehrgangskosten hat.

1. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 21 Abs 6 SGB II. Nach dieser Norm wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Die streitbefangenen VHS-Lehrgangskosten waren jedoch nicht unabweisbar i.S.d. § 21 Abs 6 SGB II.

Der Begriff der "Unabweisbarkeit des Bedarfs" beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG, dass der Bedarf auch nicht durch alternative Handlungen abgewendet oder vermindert werden kann (BSG, Urteile vom 1. Juni 2010 - B 4 AS 63/09 R - und 10. September 2013 - B 4 AS 12/13 R -, SozR 4-4200 § 28 Nr 8, Rn 29). Insoweit muss auch beim unabweisbaren Bedarf hinsichtlich des Standards auf die herrschenden Lebensgewohnheiten unter Berücksichtigung einfacher Verhältnisse abgestellt werden (BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 45/08 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 5 sowie vom 10. September 2013, a.a.O.). Letztlich müssen die Aufwendungen "alternativlos" sein (vgl. hierzu erneut: BSG, Urteil vom 10. September 2013, a.a.O.). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung etwa ein Anspruch auf Übernahme von Schulgeld verneint, weil derartige Aufwendungen angesichts der Schulgeldfreiheit der allgemein bildenden Schulen nicht unabweisbar sind (etwa: LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14. September 2006 - L 6 AS 8/05 -; ähnlich: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. April 2016 - L 6 AS 303/15 -, Rn 26).

Zwar kommt im vorliegenden Fall ein solcher Verweis auf das kostenfreie staatliche Schulsystem nicht in Betracht, weil der Kläger mit dem Abschluss der Berufseinstiegsklasse (Erwerb des Hauptschulabschlusses) seine Schulpflicht erfüllt hat und ihm deshalb allgemein bildende Schulen nicht mehr offenstehen (vgl. hierzu: Schriftsatz des Klägers vom 6. Juli 2016). Unabweisbar ist der Besuch des streitbefangenen VHS-Lehrgangs allerdings bereits deshalb nicht, weil er für die Zulassung zur sog. "Nichtschüler-Prüfung" (Realschulabschluss) überhaupt nicht erforderlich ist. Für die Zulassung reicht allein ein Wohnsitz in Niedersachsen aus (vgl. § 4 Abs 1 Nr 1 NAVO-SI).

Dass ein solcher Vorbereitungskurs sinnvoll ist, um die Chancen auf ein Bestehen der Prüfung bzw. auf ein gutes Prüfungsergebnis zu steigern, begründet noch keine Unabweisbarkeit i.S.d. § 22 Abs 2 SGB II. Insoweit kann im vorliegenden Einzelfall auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass für das Nichterreichen des Realschulabschlusses während der regulären Schulzeit keinerlei vom Verhalten des Klägers unabhängige bzw. von ihm nicht zu vertretende Gründe erkennbar sind (z.B. längere Krankheitszeiten oder besondere Belastungsfaktoren). Vielmehr sprechen die dem Senat vorliegenden Zeugnisse dafür, dass das Nichterreichen des Realschulabschlusses während der regulären Schulzeit darauf beruhte, dass der Kläger "deutlich zu wenig Leistungsbereitschaft, Mitarbeit und Verlässlichkeit" gezeigt und "deutlich zu wenig Vereinbarungen und Regeln" eingehalten hat. Aus schulischer Sicht hätte der Kläger allein durch "beständige Anwesenheit (...) bessere Arbeitsergebnisse" erzielen können (so ausdrücklich: Abschlusszeugnis vom 22. Juni 2013). Zusammenfassend lässt sich somit nicht begründen, dass dem Kläger der Erwerb des Realschulabschlusses "alternativlos" (vgl. hierzu erneut: BSG, Urteil vom 10. September 2013, a.a.O.) nur im Rahmen der sog. Nichtschüler-Prüfung nach vorherigem Besuch des VHS-Lehrgangs möglich gewesen sein soll. Ebenso wenig hat der Kläger nachgewiesen, dass der Realschulabschluss zwingende Voraussetzung für seine Eingliederung in den Arbeitsmarkt war. Der Vortrag des Beklagten, wonach dem Kläger auch mit einem Hauptschulabschluss vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten offen gestanden hätten, ist unwidersprochen geblieben. Ebenso wenig war die zeitlich noch vor der Realschulprüfung erteilte Einstellungszusage des Karrierecenters der Bundeswehr davon abhängig gemacht worden, dass der Kläger über einen Realschulabschluss verfügt.

2. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 28 SGB II. Nach dieser Vorschrift sind Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert zu berücksichtigen. Bedarfe für Bildung werden nur bei Personen berücksichtigt, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine allgemein bildende oder berufsbildende Schule besuchen und keine Ausbildungsvergütung erhalten (Schülerinnen und Schüler).

Der Senat lässt offen, ob Ansprüche auf Bedarfe für Bildung schon deshalb von vornherein ausscheiden, weil der Kläger im streitbefangenen Zeitraum einen VHS-Lehrgang und keine allgemein bildende bzw. berufsbildende Schule besucht hat. Für diese Auffassung spricht zwar eine Auslegung des in § 28 Abs 1 Satz 2 SGB II genannten Tatbestandsmerkmals "allgemein bildende oder berufsbildende Schule" anhand der Legaldefinition des § 5 Abs 2 Nr 1 und 2 NSchG. Allerdings wird in der Rechtsprechung teilweise vertreten, dass im Rahmen des § 28 SGB II eine weite, über das Schulrecht hinausgehende Auslegung des Begriffs "allgemein bildende Schule" geboten sei (vgl. im Einzelnen: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. April 2016 - L 6 AS 303/15 -, Rn 28). Unabhängig davon besteht jedoch kein Anspruch auf Übernahme der Lehrgangskosten nach § 28 SGB II, weil dessen Absätze 2 und 4 bis 6 keine Leistungen für Lehrgangsgebühren oder Schulgeld vorsehen. Die in § 28 Abs 3 SGB II vorgesehenen Leistungen für die Ausstattung mit persönlichem Schuldbedarf hat der Beklagte dem Kläger bereits gewährt (vgl. Bescheide des Beklagten vom 16. Januar und 22. Juli 2014).

Ein Anspruch auf Übernahme der VHS-Lehrgangskosten als Leistung nach § 28 Abs 7 SGB II (Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben) scheitert - unabhängig davon, ob es sich bei den Lehrgangskosten überhaupt um eine solche Leistung handelt - an der dort geregelten Altersgrenze (Vollendung des 18. Lebensjahres). Der im Januar 1996 geborene Kläger war zu Beginn des VHS-Lehrgangs bereits volljährig.

3. Ein Anspruch Übernahme der VHS-Lehrgangskosten ergibt sich auch nicht aus § 16 SGB II (Leistungen zur Eingliederung). Insoweit hat bereits das LSG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 27. April 2016 - L 6 AS 303/15 - (Rn 25) im Einzelnen dargelegt, dass Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs 1 SGB II nur im Rahmen des im SGB III Geregelten möglich sind. § 81 Abs 3 SGB III, auf den § 16 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB II verweist, sieht Leistungen jedoch nur für den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses oder eines gleichwertigen Schulabschlusses vor, nicht dagegen für eine höhere Schulbildung wie den Realschulabschluss. Abweichende Regelungen hierzu trifft § 16 SGB II auch in seinen anderen Absätzen nicht.

Die erweiterten Fördermöglichkeiten für schwer zu erreichende junge Menschen (§ 16h SGB II in der Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl I, 1824) sind im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil diese Vorschrift erst am 30. Juli 2016 in Kraft getreten ist (Art 4 Abs 1 des o.g. Gesetzes)

C. Nachdem die Mutter des Klägers ihre ursprünglich erhobene Klage bereits erstinstanzlich zurückgenommen hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu prüfen, ob diese einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II hat. Ebenso wenig kann - wie vom Kläger hilfsweise begehrt - seiner Mutter aufgrund der von ihr vorfinanzierten Lehrgangskosten ein weiterer Freibetrag eingeräumt werden. Zwar kann die Berücksichtigung von Freibeträgen bei einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft dazu führen, dass sich ein niedrigerer Betrag des zu verteilenden Einkommens und damit ein weitergehender Leistungsanspruch eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (hier: des Klägers) ergibt. Allerdings könnte ein solcher weiterer Freibetrag nur vom Einkommen abgesetzt werden. Die Mutter des Klägers erzielte im streitbefangenen Bewilligungszeitraum jedoch kein eigenes Einkommen.

Anhaltspunkte für sonstige Fehler in der Berechnung der dem Kläger im streitbefangenen Zeitraum gewährten Leistungen sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.