Amtsgericht Hameln
Urt. v. 06.12.2005, Az.: 31 F 227/05 UK
Abänderung; Abänderungsgrund; Analogie; Anrechnung; Arbeitslosengeld II; Aushilfstätigkeit; BAföG; barunterhaltspflichtiger; Benachteiligung; Dritter; Einkommen; Elternteil; Erfüllungsleistung; Ersatzanspruch; Ersatzleistung; Kindergeld; Kindesunterhalt; Mutter; Nebentätigkeit; Passivlegitimation; Studierender; Titel; Titulierung; Unterhaltsbedarf; Vater; Verrechnung; Verzichtserklärung; Volljährigkeit; Vorausleistung; Zuwendung; Zweckbestimmung
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 06.12.2005
- Aktenzeichen
- 31 F 227/05 UK
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 51073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG - AZ: 21 UF 21/06
Rechtsgrundlagen
- § 1577 Abs 2 BGB
- § 1612b Abs 1 BGB
- § 1612b Abs 3 BGB
- § 1614 Abs 1 BGB
- § 323 ZPO
Tenor:
1. Die in dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Hameln vom 02.12.2003 - 31 F 326/03 UK - titulierte Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten wird dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab dem 01.07.2005 nur noch verpflichtet ist, Kindesunterhalt in Höhe von 90,00 € monatlich an die Beklagte zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 3/5 und der Beklagten zu 2/5 auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von einmalig 500,00 € und ab Januar 2006 in Höhe von weiteren Beträgen in Höhe von 90,00 € monatlich abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250,00 € abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger ist der Vater der Beklagte, die derzeit noch bei ihrer Mutter lebt. Die Ehe der Eltern der Beklagten ist im Dezember 2002 geschieden worden. Der aus der Ehe stammende minderjährige Sohn K. lebt ebenfalls bei der Mutter.
Der Kläger erzielt nach Abzug der berufsbedingten Aufwendungen ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 1.622,85 €.
Die Mutter der Beklagten ist arbeitslos und erhält Arbeitslosengeld II.
Die Beklagte studiert in H. Sie erhält seit November 2004 Regelleistungen nach dem BAföG in Höhe von 252,00 € monatlich. Da der Kläger dem vom Amt für Ausbildungsförderung aufgrund seiner Einkommenserklärung errechneten Unterhaltsbetrag in Höhe von 124,54 € nicht an die Beklagte abführt, erhält diese rückwirkend ab November 2004 einen weiteren Betrag in Höhe von 125,00 € als rückzahlungspflichtige Vorauszahlung nach § 36 BAföG.
Daneben erzielt die Beklagte Einkünfte aus einer Nebentätigkeit als Kellnerin.
Die Eltern des Klägers haben der Beklagten ein Auto überlassen. Die Bezahlung der Versicherung und der Steuern, die in Höhe von ca. 60,00 € monatlich anfallen, haben die Eltern ebenfalls übernommen. Die Kraftstoffkosten trägt die Beklagte selbst.
Daneben zahlen sie der Beklagten ein monatliches Taschengeld in Höhe von 40,00 €, um den Kläger von seinen Unterhaltspflichten zu entlasten.
In dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Hameln vom 02.12.2003 - 31 F 326/03 UK - ist der Kläger zur Zahlung von Kindesunterhalt an die Beklagte in Höhe von 147,11 € monatlich verurteilt worden. Seit Juni 2004 hat er keinerlei Zahlungen mehr erbracht.
Der Kläger behauptet, die Beklagte habe weitere Einkünfte in Höhe von umgerechnet 300,00 € - 350,00 € monatlich und ist der Ansicht, dass ihr Bedarf vollständig gedeckt sei.
Er ist ferner der Ansicht, dass die Leistungen seiner Eltern in vollem Umfang auf den Bedarf der Beklagten anzurechnen sei und es deshalb kein Bedarf mehr für eine Titulierung der Unterhaltsverpflichtung gebe.
Er beantragt,
das erwähnte Anerkenntnisurteil dahingehend abzuändern, dass er ab dem 01.07.2005 keinen Unterhalt mehr an die Beklagte zu zahlen hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Soweit der Kläger eine Herabsetzung der titulierten Unterhaltsverpflichtung auf mehr als 90,00 € für die Monate Juli 2005 bis November 2005 verlangt, ist die Klage bereits unzulässig, weil der Beklagten wegen des durch die Vorausleistungen in Höhe von 125,00 € monatlich bedingten Anspruchsüberganges nach § 37 BAföG in Höhe eines Betrages, der 90,00 € unterschreitet, die Passivlegitimation fehlt.
II.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und teilweise begründet.
Abweichend von der Ansicht des Klägers steht der Beklagten auch ab Juli 2005 ein Unterhaltsanspruch nach §§ 1601 ff. BGB zu, weil ihr Bedarf jedenfalls nicht vollständig durch eigene anzurechnende Einkünfte gedeckt ist.
1. Der Unterhaltsbedarf volljähriger Kinder bemisst sich nach dem gemeinsamen Einkommen der Eltern.
Da die Mutter der Beklagten Arbeitslosengeld II bezieht, welches anders als die frühere Arbeitslosenhilfe als Sozialleistung ohne Lohnersatzfunktion kein Einkommen im unterhaltsrechtlichen Sinne darstellt, richtet sich der Bedarf der Beklagten allein nach dem bereinigten Nettoeinkommen des Klägers. Dies beträgt unstreitig 1.622,85 €. Bei diesem Einkommen ist der Bedarf der noch bei ihrer Mutter lebenden Beklagten an sich der Einkommensstufe 3 der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen. Da der Kläger aber nur 2 Kindern unterhaltspflichtig ist, ist er der nächsthöheren Gruppe 4 gleichzustellen. Danach beläuft sich der Bedarf der Beklagten auf 406,00 €.
Dies stellt gleichzeitig den Betrag dar, mit dem der Beklagte maximal haftet (s. z.B. OLG Celle, Beschluss vom 28.11.2000, 21 WF 115/00, OLGR Celle 2001, 37/38).
Hinzuzurechnen sind die ausbildungsbedingten Mehraufwendungen für Fahrtkosten von Bad M. nach H. und Fachbücher etc., die das Gericht mangels konkreter Darlegungen pauschal auf 90,00 € monatlich festgesetzt hat (vgl. Anmerkung 8 zur Düsseldorfer Tabelle). Dabei ist berücksichtigt worden, dass die Kraftstoffkosten für das von den Großeltern väterlicherseits der Beklagten zur Verfügung gestellten Auto unstreitig von diesen nicht übernommen werden.
Danach ergibt sich ein Gesamtbedarf von 496,00 €.
2. Auf diesen Betrag sind die Leistungen, die die Beklagte nach dem BAföG in Höhe von 252,00 € monatlich als Regelleistung erhält (s. Bescheid vom 29.04.2005, Bl. 22 ff. d.A.), bedarfsdeckend anzurechnen (s. Ziffer 13.2 der Celler Leitlinien). Nach Abzug verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 244,00 €.
Nicht als anzurechnendes Einkommen anzusehen sind dagegen die Vorausleistungen nach § 36 BAföG in Höhe von 125,00 € monatlich, denn die Vorausleistung ist unter anderem quasi eine Ersatzleistung für die an sich zu erbringende Unterhaltszahlungen der Eltern (vgl. Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht 6. Auflage, § 6 Rn. 587).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte entsprechend der Behauptung des Klägers 200,00 - 250,00 € aus einer Nebentätigkeit als Kellnerin erzielt. Ein Student/eine Studentin ist nämlich neben dem Studium zu keiner Erwerbstätigkeit verpflichtet (s. z.B. BGH FamRZ 1995, 477), worauf der Kläger selbst zu Recht hingewiesen hat.
Übt der/die Unterhaltsberechtigte dennoch eine Tätigkeit aus, gilt bei der Frage der Anrechnung dieser Einkünfte § 1577 Abs. 2 BGB entsprechend (s. Ziffer 13.2 der Celler Leitlinien). Das Gericht sieht in diesem Fall die Anrechnung des behaupteten Einkommens als unbillig an. Der Kläger erbringt nämlich bereits seit Juni 2004 keinerlei Unterhaltszahlungen mehr. Er hat dadurch die Beklagte gezwungen, die Aushilfstätigkeiten fortzuführen bzw. aufzunehmen. Ihr jetzt durch die Anrechnung der aus der letztlich erzwungenen Tätigkeit erzielten Einkünfte die Möglichkeit zu nehmen, diese wieder aufzugeben, um sich etwa zur Erlangung eines schnellen Studienabschlusses noch konzentrierter dem Studium zu widmen, wäre eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Beklagten gegenüber anderen unterhaltsberechtigten Studenten, die aufgrund ausreichender Unterhaltsleistungen auf keine Nebentätigkeit angewiesen sind.
Soweit der Kläger behauptet, die Beklagte erziele weitere Einkünfte durch eine Betreuungstätigkeit für die Stadt B. M. in Höhe von 1.200,00 €, hätte er darlegen müssen, dass die behauptete Ferienfreizeit im Jahr 2005 überhaupt noch angeboten worden ist, sie weiterhin angeboten wird und die Beklagte die Betreuertätigkeit tatsächlich ausgeübt hat.
3. Der errechnete Zahlbetrag in Höhe von 244,00 € ist jedoch nicht nur gem. § 1612b Abs. 1 BGB um das hälftige Kindergeld, sondern in analogen Anwendung von § 1612b Abs. 3 BGB um das gesamte Kindergeld zu kürzen (OLG Celle, Urteil vom 13.08.2003, 15 UF 48/03; FamRZ 2004, 218/219; OLG Celle, Beschluss vom 28.11.2000, 21 WF 115/00, OLGR Celle 2001, 37/38; OLG Stuttgart, FamRZ 2004, 219/220; OLG Brandenburg, 1. Senat, FamRZ 2003, 553/554, offenbar unter Aufgabe seiner früheren gegenteilige Auffassung, s. FamRZ 2002, 1216/1217; OLG Koblenz, Urteil vom 21.01.2003, 11 UF 48/02, OLGR Koblenz 2003, 227/228; OLG Schleswig, 13. und 15. Senat, FamRZ 2000, 1245/1246; OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1246; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf, 3. Senat, FamRZ 1999, 1452; AG Hameln, Beschluss vom 14.01.2003, 31 F 356/02 UK; offenbar nunmehr auch Palandt-Diederichsen, BGB-Kommentar 63. Auflage, § 1612b Rn. 8 und 6 aE.; aA.: OLG Düsseldorf, 8. Senat, FamRZ 2004, 1809 - 1811; OLG Celle, 17. Senat, FamRZ 2001, 47 - 49; Wendl/Staudigl-Scholz, Das Unterhaltsrecht, 6. Auflage, § 2 Rn. 515).
Da die ebenfalls barunterhaltspflichtige Mutter der Beklagten unstreitig nicht leistungsfähig ist, wäre es unbillig, der Mutter den Kindergeldvorteil selbst zu belassen. Die Gegenmeinung, die die Auffassung vertritt, nach allgemeiner Lebenserfahrung würde der nicht leistungsfähige Elternteil dem unterhaltsberechtigten Kind ebenfalls geldwerte Leistungen wie Taschengeld oder Lebensmittel erbringen, verkennt, dass der nicht leistungsfähige Elternteil zu diesen Leistungen nicht verpflichtet ist und deshalb an sich dafür einen Ersatzanspruch gegen das Kind hat. Lebensnah ist dann eher die Betrachtungsweise, dass dieser Ersatzanspruch mit dem Anspruch auf Auskehrung des Kindergeldes verrechnet wird (OLG Celle, FamRZ 2004, 218/219).
Zieht man das Kindergeld ab, verbleibt ein Betrag von 90,00 €.
4. Die titulierte Unterhaltsverpflichtung ist nicht darüber hinaus um das von den Großeltern väterlicherseits gezahlte Taschengeld in Höhe von 40,00 € (bzw. demnächst ggf. 70,00 €) zu kürzen.
Zwar dient diese freiwillige Zuwendung Dritter nach deren Zweckbestimmung der Entlastung des unterhaltspflichtigen Klägers. Da der Unterhaltsanspruch der Beklagten aber lediglich gegenüber dem Kläger und aufgrund der ausreichenden Leistungsfähigkeit des Klägers nicht gem. § 1607 BGB gegen dessen Großeltern besteht und die Beklagte zudem wie jede(r) Unterhaltsberechtigte(r) einen Anspruch auf Titulierung des Unterhaltsanspruches hat, ist die freiwillige Zuwendung der Großeltern jedenfalls in diesem Fall, in dem es nicht um die Erstellung, sondern die Abänderung eines Titels geht, lediglich als Erfüllungsleistung des verpflichteten Klägers anzusehen, nicht aber als Abänderungsgrund iSv. § 323 ZPO.
Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, zunächst unter Hinweis auf die Zahlungen der Großeltern auf die Titulierung eines Teilbetrages zu verzichten und sodann bei etwaigem Wegfall der freiwilligen Leistungen den Kläger erneut zu verklagen. Dies gilt insbesondere in diesem Fall, in dem der unterhaltspflichtige Kläger bereits seit über einem Jahr der titulierten Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommt, die Beklagte zur Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche also gerade auf eine Titulierung angewiesen ist.
Dem unterhaltspflichtigen Kläger entsteht dadurch außerdem kein Nachteil, da er die freiwilligen Zahlung seiner Eltern der Beklagten in einem etwaigen Vollstreckungsverfahren als Erfüllungsleistung entgegenhalten kann.
Eine Anrechnung der Zahlung der Steuer- und Versicherungskosten für das der Beklagten überlassene Auto in Höhe von 60,00 € scheidet bereits deshalb aus, weil diese Zahlung zweckgebunden ist und der Beklagten nicht, wie beim Barunterhalt erforderlich, zur freien Verwendung zur Verfügung steht.
5. Der Unterhaltsanspruch der Beklagten ist schließlich nicht durch eine etwaige Verzichtserklärung untergegangen.
Selbst wenn die Beklagte entsprechend der Behauptung des Klägers eine solche Erklärung abgegeben haben sollte, entfiele dadurch nicht deren Unterhaltsanspruch, weil eine solche Verzichtserklärung nach § 1614 Abs. 1 BGB, wonach ein Verzicht auf Kindesunterhalt für die Zukunft nicht möglich ist, nichtig wäre.
6. Der Selbstbehalt des Klägers in Höhe von 890,00 € bleibt unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten gegenüber beiden Kindern ohne weiteres gewahrt.
7. Der Vortrag des Klägers, dass er am 16.12.2005 seine jetzige Lebensgefährtin heiraten werde, kann gem. § 296a ZPO nicht berücksichtigt werden, da er erst nach der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden ist.
Im Übrigen entfällt damit nicht automatisch und keineswegs rückwirkend die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten, zumal sich das zu berücksichtigende Einkommen nach der Heirat wegen der Zusammenveranlagung im Jahr der Eheschließung und ab dem Jahr 2006 wegen des Wechsels in die Steuerklasse III erhöht und der Beklagte im Jahr 2006 mit einer erheblichen Steuererstattung rechnen kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 8 und 11, 711 ZPO.