Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.12.2006, Az.: 1 A 3/06
Bandscheibenprolaps; Bandscheibenvorfall; Beamtenverhältnis; Beamter; Dienst; Dienstunfall; Dienstunfähigkeit; Kausalzusammenhang; Körperschaden; Mitursächlichkeit; mitwirkende Teilursache; Ruhestand; Schwerhörigkeit; Tauglichkeit; Tauglichkeitseinschränkung; Teilursache; Unfallruhegehalt; Ursache; ursächlicher Zusammenhang; wesentliche Teilursache; Wirbelsäulenleiden; Zurruhesetzung; öffentlicher Dienst
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.12.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 3/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53228
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 36 Abs 1 BeamtVG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung eines erhöhten Unfallruhegehalts nach § 36 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) wegen eines erlittenen Dienstunfalls.
Der 1943 geborene Kläger war bei der Beklagten von 1973 bis 1998 zuletzt als Hauptlokomotivführer beschäftigt. Zum 1. Mai 1998 wurde der Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der festgestellten Dienstunfähigkeit lag das ärztliche Untersuchungsergebnis des bei der Beklagten zuständigen Arztes für Arbeitsmedizin, Oberbahnarzt Dr. med. A., vom 11. Dezember 1997 zugrunde. Danach wurde eine cochleäre Schwerhörigkeit beiderseits, chronisch-recidivierendes Lumbalsyndrom mit sequestriertem Bandscheibenprolaps L4/5 und Hyperuricaemie attestiert. Vor seiner Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand hatte der Kläger im Januar 1997 einen Unfall bei Rangierarbeiten erlitten. Der durch den Unfall erlittene Körperschaden „Bandscheibenvorfall L4 mit Wurzelkompression L5 im Sinne einer Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens“ wurde nach Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgrund des Urteils der Kammer vom 10. September 2001 (1 A 45/99) durch die Beklagte mit Bescheid vom 12. Oktober 2001 als Dienstunfall anerkannt.
Am 22. Oktober 2001 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Versorgungsbezüge wegen des erlittenen Dienstunfalls. Die Beklagte schaltete daraufhin den Oberbahnarzt Dr. med. B. mit der Frage ein, ob der aufgrund des Dienstunfalls erlittene Körperschaden überwiegend für die Versetzung in den Ruhestand ursächlich gewesen sei. Mit Schreiben vom 21. Februar 2002 teilte Dr. med. B. mit, dass die bei dem Kläger diagnostizierte Schwerhörigkeit für die Versetzung in den Ruhestand „führend“ gewesen sei. Unter dem 18. März 2002 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger nicht infolge eines Dienstunfalls dienstunfähig geworden ist. Mit Schreiben vom 21. März 2002 lehnte die Beklagte die Bewilligung eines Unfallruhegehalts ab, da die Dienstunfähigkeit nicht Folge des erlittenen Dienstunfalls sei.
Dagegen erhob der Kläger unter dem 11. April 2002 Widerspruch. Die Versetzung in den Ruhestand sei hauptsächlich wegen der Verletzung seiner Wirbelsäule erfolgt; diese sei Folge eines Dienstunfalls. Dieses ergebe sich bereits aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall im Januar 1997 und seiner Versetzung in den Ruhestand. Nachdem der Kläger nach Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 09. Juli 1997 bis 6. August 1997 einen Arbeitsversuch gemacht habe, habe dieser aufgrund von Rückenbeschwerden abgebrochen werden müssen und in der sich anschließend durchgeführten Untersuchung durch Dr. med. B. sei dann die Dienstunfähigkeit des Klägers festgestellt worden.
In der Folge stellte die Beklagte die Bearbeitung des Widerspruchs zurück, nachdem der Kläger beantragt hatte, die bei ihm festgestellte Schwerhörigkeit als Berufskrankheit festzustellen. Nachdem die Beklagte im April 2005 diesen Antrag abgelehnt hatte, wies die Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2005, zugestellt am 7. Dezember 2005, den Widerspruch unter Verweis auf die ergänzend eingeholte ärztliche Stellungnahme von Dr. med. B. zurück.
Am 6. Januar 2006 hat der Kläger Klage erhoben. Ergänzend zu seinem Vorbringen im Widerspruchsverfahren weist der Kläger daraufhin, dass andere Kollegen, die ebenfalls schwerhörig seien, nicht vorzeitig in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit versetzt worden seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. März 2002 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. November 2005 zu verpflichten, dem Kläger beginnend ab dem 1. Mai 1998 Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG zu gewähren und den Nachzahlungsbetrag mit 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage unter Bezugnahme auf die angegriffenen Bescheide und die eingeholten ärztlichen Stellungnahmen von Dr. B. entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die versagte Bewilligung eines Unfallruhegehalts nach § 36 BeamtVG in den angefochtenen Bescheiden ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm aufgrund des als Dienstunfall anerkannten Unfalls vom 17. Januar 1997 und des damit verursachten Körperschadens Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG zu zahlen ist.
Nach § 36 Abs. 1 BeamtVG erhält ein Beamter Unfallruhegehalt, wenn er infolge eines Dienstunfalles dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist. Der Gebrauch des Wortes „infolge“ macht dabei deutlich, dass die Gewährung von Unfallruhegehalt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Dienstunfall, Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung voraussetzt. Daran fehlt es hier.Ein solcher Kausalzusammenhang liegt nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Der aufgrund des Dienstunfalls erlittene Bandscheibenvorfall hatte keine solche Bedeutung, dass dieser (mit-)ausschlaggebend für die Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung des Klägers war.
Kommen für die Dienstunfähigkeit sowohl dienstunfallbedingte als auch andere Erkrankungen als Ursachen in Betracht, so muss grundsätzlich dem dienstunfallbedingten Körperschaden gegenüber den anderen Gesundheitsschäden eine entsprechende Bedeutung für den Eintritt der Dienstunfähigkeit zukommen, wenn er als ursächlich gelten soll (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 13. April 2005 - 6 K 1498/04.KO, zitiert nach Juris). Zumindest muss der Dienstunfall die gleiche Bedeutung für die Dienstunfähigkeit haben wie die übrigen ursächlichen Bedingungen (BVerwG, Urteil vom 9. April 1968 - II C 81.64 - Buchholz 232, BBG § 135 Nr. 35). Dann ist er als wesentlich mitwirkende Teilursache anzusehen. Alle Bedingungen, die zur Dienstunfähigkeit beitragen und in annähernd gleichem Maße darauf hingewirkt haben, sind als Mitursache im Rechtssinne anzusehen (BVerwG, Urteil vom 12. April 1978 - 6 C 59.76 - Buchholz 232 § 141 a BBG Nr. 4). Ein Dienstunfall ist dementsprechend dann als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet des beamtenrechtlichen Dienstunfallrechts anzusehen, wenn er wegen seiner besonderen Beziehung zum Erfolg, d.h. der eingetretenen Dienstunfähigkeit, nach natürlicher Betrachtungsweise wesentlich mitgewirkt hat (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1981 - 2 C 17/81 - NJW 1982, 1893 ).
Unter Beachtung dieses Maßstabs stellt das vom Kläger geltend gemachte, als Dienstunfall anerkannte Wirbelsäulenleiden keine wesentliche (Mit-) Ursache für seinen vorzeitigen Ruhestand dar. Dem Kläger ist mit Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 1997 mitgeteilt worden, dass die Zurruhesetzung wegen der „festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen“ erfolgt. In diesem Schreiben wird auf das bahnärztliche Untersuchungsergebnis vom 11. Dezember 1997 von Dr. med. B. Bezug genommen, das neben Schwerhörigkeit und anderen Leiden auch die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers diagnostiziert. Dort heißt es „Bei o.a. Erkrankungen und den daraus resultierenden Tauglichkeitseinschränkungen halte ich den Beamten zur Erfüllung seiner Dienstpflichten … für dauernd unfähig.“ Diese Beurteilung gibt nach ihrem Wortlaut für sich genommen keinen hinreichenden Aufschluss darüber, welche Gründe für die Zurruhesetzung maßgeblich waren bzw. ob alle festgestellten Erkrankungen des Klägers in der Gesamtheit als beachtliche Teilursachen zur Dienstunfähigkeit geführt haben. Hinreichenden Aufschluss über diese Frage gibt indes das der bahnärztlichen Einschätzung vom 11. Dezember 1997 zugrundeliegende Gutachten vom 4. Dezember 1997 von Dr. B.. Darin heißt es: „Im Rahmen einer planmäßigen, bahnärztlichen Wiederholungsuntersuchung wurde bei dem Mitarbeiter ein eingeschränktes Hörvermögen festgestellt. Ein daraufhin veranlasstes bahnohrenärztliches Gutachten erbrachte cochleäre Schwerhörigkeit bds. Der Hörverlust ist so hoch, dass ein Einsatz des Mitarbeiters im Fahr- und Betriebsdienst nicht mehr möglich ist.“ Zu den weiteren Erkrankungen des Klägers heißt es lediglich: „An weiteren Erkrankungen ist ein chronisch-recidivierendes Lumbal- und Thorakalsyndrom bei sequestriertem Bandscheibenprolaps L4/5 bekannt. Deswegen statt. HV in Bad Driburg 07/97.“
Daraus wird deutlich, dass allein die Schwerhörigkeit des Klägers für die Zurruhesetzung des Klägers ursächlich war und dem ebenfalls vorliegenden Bandscheibenleiden für die Zurruhesetzung keine weitere Bedeutung zukam. Dass neben der Schwerhörigkeit keine weiteren Ursachen maßgeblich waren, lässt sich zudem durch das ohrenärztliche Gutachten vom 10. November 1997 von Dr. C. belegen. Dort wird unter Punkt 7. als Begründung der Untauglichkeit oder Einschränkungen beim Kläger „Hörverlust zu hoch“ angegeben.
Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese ärztliche Einschätzung nach der Anerkennung des Unfalls im Januar 1997 mit den damit verbundenen körperlichen Schäden (Bandscheibenvorfall) als Dienstunfall nachträglich zu ändern ist. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 13. Februar 2002 bei Dr. B. nachgefragt, ob die Zurruhesetzung auch ohne den Unfall erfolgt wäre. Dieses hat Dr. B. unter Hinweis auf das Gutachten vom 4. Dezember 1997 bejaht. Dieses ist für die Kammer mit Blick darauf, dass das Gutachten vom 4. Dezember 1997 eine deutliche Aussage trifft, auch nachvollziehbar. Soweit der Kläger anführt, dass Hörschwierigkeiten bereits früher aufgetreten seien und aufgrund des zeitlichen Ablaufs erst der Unfall im Januar 1997 zur Zurruhesetzung geführt haben könne, vermag dieses die dokumentierten ärztlichen Einschätzungen nicht in Frage zu stellen. Im Falle des Klägers wurde in dessen Tauglichkeitsmappe erstmalig eine Verschlechterung des Hörvermögens am 25. Juli 1991 dokumentiert (Verminderung des Abstandshörvermögens für Flüstersprache auf 4m bds.; vgl. Beiakte D in 1 A 130/05, Bl. 13 R). Dieser Befund hat sich nach dem Ergebnis des bahnohrenärztlichen Gutachtens vom 10. November 1997 erheblich verschlechtert (Verminderung des Abstandshörvermögens für Flüstersprache 0,25 m bds; vgl. Nr. 2 des Gutachtens, Beiakte A zu 1 A 130/05, Bl. 195). Zudem wurde erstmalig 1997 audiometrisch eine Hörminderung dokumentiert, die mit einer Lärmschädigung vereinbar ist (vgl. Schreiben von Dr. D. vom 14. Mai 2003, Beiakte A zu 1 A 130/05, Bl. 261). Dies zeigt, dass sich das Hörvermögen des Klägers bis 1997 deutlich verschlechtert hat, was den zeitlichen Ablauf und die Zurruhesetzung zum 1. Mai 1998 erklärt. Dass der Kläger dem vorgehend im Januar 1997 einen Unfall mit Bandscheibenvorfall hatte, hat damit keine Auswirkungen auf die alleinige Kausalität der Schwerhörigkeit für die Dienstunfähigkeit.
Schließlich vermag der von dem Kläger angeführte Umstand, dass in anderen ihm bekannten Fällen eine Schwerhörigkeit nicht zu einer Dienstunfähigkeit geführt habe, ebenfalls keine Mitursächlichkeit seines Bandscheibenleidens für die erfolgte Zurruhesetzung zu begründen. Das Krankheitsbild anderer Kollegen und die damit verbundenen Beeinträchtigungen lassen keine Rückschlüsse auf die individuell zu beurteilende Situation beim Kläger zu. Selbst wenn die Schwerhörigkeit entgegen der eindeutigen fachärztlichen Stellungnahmen als alleinige Ursache für die Zurruhesetzung auszuscheiden hätte, kann ohne fachärztlich begründete Annahmen nicht geschlossen werden, dass damit der Bandscheibenvorfall als wesentliche Ursache für die Dienstunfähigkeit des Klägers anzusehen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.