Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.12.2006, Az.: 1 A 339/04
Arbeitsstätte; Außendienst; Außendiensttätigkeit; Betriebsrat; Betriebsvereinbarung; Deutsche Post AG; Einsatzstelle; Einsatzwechseltätigkeit; Erstattung; Fahrtkosten; Filiale; Geschäftsreise; Inlandsgeschäftsreise; Niederlassung; Personalzahlungscenter; Prognose; regelmäßige Arbeitsstätte; Reise; Reisekosten; Reisekostenservice; Reisekostenvergütung; Springer; Stammarbeitsstätte; Stammdienststelle; Untätigkeitsklage; URL; Vertretungstätigkeit; Vorverfahren; Wegstreckenentschädigung; Widerspruch; Wohnort; öffentlicher Dienst; Öffnungsklausel
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.12.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 339/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53238
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 68 VwGO
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Reisekostenvergütung in Form der Wegstreckenentschädigung für Fahrten von ihrem Wohnort zu ihrer Dienststelle Bad Bevensen.
Sie ist als Beamtin bei der Beklagten beschäftigt. In der Zeit bis zum 31. Dezember 2003 war sie als Springerin in den Filialen Bad Bevensen, Lüneburg, Uelzen und Reppenstedt eingesetzt, und zwar als Mitarbeiterin im Verkauf. Diese Filialen gehören bzw. gehörten zur Niederlassung Filialen Hamburg der Beklagten. Die Abrechnung der Fahrtkosten zu den verschiedenen Filialen hatte auf der Grundlage der Unternehmensrichtlinie Geschäftsreisen des Vorstands der Beklagten (URL Geschäftsreisen) zu erfolgen. Rechtsgrundlage für diese gegenüber dem Bundesreisekostengesetz abweichenden Regelungen ist § 12 PostPersRG, nach der der Vorstand der Beklagten berechtigt ist, für die bei der Aktiengesellschaft beschäftigten Beamten und Beamtinnen von den reise- und umzugskostenrechtlichen Bestimmungen des Bundes abweichende Regelung zu erlassen. Nach der URL Geschäftsreisen werden Fahrten zur Stammarbeitsstätte des Beamten/der Beamtin grundsätzlich nicht erstattet. Liegt bei dem Beamten/der Beamtin eine sogenannte Einsatzwechseltätigkeit vor, d. h. er/sie hat mehrere Arbeitsstätten, bei denen er/sie regelmäßig in der Woche weniger als 20 % seiner/ihrer Arbeitszeit oder durchschnittlich im Kalenderjahr nicht an einem Arbeitstag je Arbeitswoche tätig ist, erhält der Beamte/die Beamtin Fahrtkosten zu jeder Arbeitsstätte, auch wenn die Fahrt von seinem/ihrem Wohnort begonnen wird. Für die URL Geschäftsreisen wurde des Weiteren eine „Entscheidungshilfe für das Erstellen von Listen für den Reisekostenservice der Personalzahlungscenter …“ erlassen, in der Erläuterungen zur Anwendung der Richtlinie vorgenommen wurden. Schließlich hatten die Niederlassungsleitung und der Betriebsrat der Niederlassung Filialen Hamburg der Beklagten im April 2001 eine Betriebsvereinbarung über die Zuordnung der Vertreter zu den Vertreterkreisen und den dabei zu beachtenden Rahmenregelungen (BV Springer) abgeschlossen. In der Anlage 1 zu dieser Betriebsvereinbarungen waren Beschäftigte aufgeführt und für sie bestimmt, wer eine Stammarbeitsstätte hatte und wer nicht. Die Klägerin war dort als Beschäftigte ohne Stammarbeitsstätte aufgeführt.
Bis zum 30. April 2002 erstattete die Beklagte entsprechend der URL Geschäftsreisen der Klägerin auch die Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Einsatzstelle wie bei einer Inlandsgeschäftsreise.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2002 teilte die Niederlassung Filiale Hamburg der Beklagten der Klägerin mit, dass aus steuerrechtlichen Gründen und in Anwendung der URL Geschäftsreisen bei ihr künftig davon auszugehen sei, dass sie mehrere regelmäßige Arbeitsstätten habe. Als Stammarbeitsstätte sei die Filiale Bad Bevensen festzulegen. Dies habe zur Folge, dass die Fahrten von der Wohnung der Klägerin zu ihrer Stammarbeitsstätte in Bad Bevensen nicht mehr erstattet würden. An dieser Änderung war der Betriebsrat nicht beteiligt worden.
Die Klägerin reichte weiterhin - wie vorgesehen - monatlich ihre Fahrtkostenabrechnungen ein, in denen sie auch die Fahrtstrecken von ihrem Wohnort zur Stammarbeitsstelle Bad Bevensen vermerkte. Die Beklagte erstattete jedoch nur die Fahrten von der Stammarbeitsstätte zu den anderen Arbeitsstätten, nicht jedoch die Fahrten von der Wohnung zur Stammarbeitsstätte.
Mit Schreiben vom 12. November 2002, 8. Juli 2003 und 24. Dezember 2003 bat die Klägerin die Beklagte, die für den Zeitraum Mai 2002 bis Dezember 2003 noch ausstehenden Erstattungen der Fahrtkosten von ihrem Wohnort zur Filiale Bad Bevensen vorzunehmen. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die ihr durch die Betriebsvereinbarung Springer zugestandene Einsatzwechseltätigkeit nicht einseitig durch die Beklagte ohne Beteiligung des Betriebsrates geändert werden könne.
Die Beklagte reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Mit Beschluss vom 13. Mai 2003 stellte das Arbeitsgericht Hamburg auf Antrag des Betriebsrates der Niederlassung Filialen Hamburg fest, dass die Niederlassung Filiale Hamburg der Beklagten verpflichtet sei, über den 30. April 2002 hinaus die in der URL Geschäftsreisen vorgesehenen Regelungen für Beschäftigte mit Einsatzwechseltätigkeit nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Springer anzuwenden, da sie nicht berechtigt gewesen sei, ohne Zustimmung ihres Betriebsrates mit der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Springer am 31. Dezember 2001 vorgenommenen Zuordnungen von Beschäftigten zu Stammarbeitsstätten oder einer bzw. mehreren regelmäßigen Arbeitsstätten oder die Zuordnung zu Einsatzwechseltätigkeit zu ändern. Die dagegen eingelegte Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg wurde wegen Kündigung der Betriebsvereinbarung zum 31. Dezember 2003 für erledigt erklärt.
Am 15. September 2004 hat die Klägerin wegen der noch immer nicht erfolgten Zahlung der begehrten Fahrtkostenerstattung vor dem hiesigen Gericht Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, die für den Zeitraum Mai 2002 bis Dezember 2003 von ihr geltend gemachten Fahrten von ihrem Wohnort zur Filiale Bad Bevensen seien mit 30 Cent pro Kilometer zu erstatten. Für sie sei auch für die Zeit nach dem 30. April 2002 von einer Einsatzwechseltätigkeit im Sinne der URL Geschäftsreisen auszugehen, weil dies so in der Betriebsvereinbarung Springer festgelegt worden sei und von der Beklagten hiervon nicht einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrates hätte abgewichen werden dürfen. Der Durchführung eines Vorverfahrens habe es nicht bedurft, da die Beklagte auf ihre Schreiben vom 12. November 2002, 8. Juli 2003 und 24. Dezember 2003 untätig geblieben sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, an sie 2.385,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Fahrtkostenerstattung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, die Klage sei bereits unzulässig, da das erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet, da die Tätigkeit der Klägerin ab Mai 2002 nicht mehr die Merkmale einer Einsatzwechseltätigkeit erfüllt habe. Vielmehr hätte bei ihr eine regelmäßige Stammarbeitsstätte vorgelegen. Die Betriebsvereinbarung Springer habe von den Regelungen der URL Geschäftsreisen keine abweichenden Regelungen treffen können. Sollte dies der Fall gewesen sein, wären sie wegen Verstoßes gegen ein zwingendes Gesetzesrecht gemäß § 134 BGB unwirksam. Denn Abweichungen von dem für Beamten grundsätzlich geltenden Bundesreisekostengesetz könne nur der Vorstand regeln, nicht jedoch die Betriebsparteien der Niederlassung Filialen Hamburg. Die Möglichkeit, die Befugnis vom Vorstand auf die Betriebsparteien zu delegieren, sei in § 11 Abs. 2 PostPersRG nicht vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als sogenannte Untätigkeitsklage zulässig.
Der Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 68 ff VwGO bedurfte es hier nicht mehr, da die Beklagte auf die Anträge der Klägerin, abweichend von der vorgenommenen Abrechnung auch die Kosten für die Fahrten von ihrem Wohnort zur Filiale Bad Bevensen zu erstatten, nicht reagiert hatte. Diese Anträge stellen aus Sicht eines objektiven Empfängers einen Widerspruch gegen das Schreiben der Niederlassung Filiale Hamburg vom 22. Mai 2002 sowie die monatlichen Abrechnungen, in denen der Antrag auf Erstattung der Kosten für Fahrten von dem Wohnort zu Filiale Bad Bevensen nicht entsprochen und in denen ein niedrigerer Erstattungsbetrag festgesetzt wurde, dar. Über diese drei Widersprüche hat die Beklagte bis heute nicht entschieden.
Die Klage ist auch begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Fahrten von ihrem Wohnort zur Filiale Bad Bevensen zu.
Rechtsgrundlage für diese Erstattung ist Abschnitt D der URL Geschäftsreisen. Danach werden bei einer Einsatzwechseltätigkeit Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Einsatzstelle wie bei einer Inlandsgeschäftsreise erstattet. Nach Abschnitt A Ziffer 3.6 der URL Geschäftsreisen liegt eine Einsatzwechseltätigkeit vor bei Beschäftigten, die keine regelmäßige Arbeitsstätte haben und bei ihrer Tätigkeit an ständig wechselnden Einsatzstellen eingesetzt sind. Sind sie darüber hinaus mehrfach am Tag an ständig wechselnden Einsatzstellen eingesetzt, liegt darüber hinaus eine Außendiensttätigkeit vor (Abschnitt A Ziffer 3.7 der URL Geschäftsreisen).
Eine regelmäßige Arbeitsstätte hat der Beschäftigte nach Abschnitt A Ziffer 3.4 der URL Geschäftsreisen nur dann, wenn er bei der Arbeitsstätte, bei der er eingesetzt ist, regelmäßig in der Woche mindestens 20 % seiner Arbeitszeit oder durchschnittlich im Kalenderjahr an einem Arbeitstag je Arbeitswoche im Betrieb tätig ist. Nach Abschnitt A Ziffer 6.1 sind Beschäftigte mit mehreren regelmäßigen Arbeitsstätten oder mit Einsatzwechseltätigkeit zu Jahresbeginn und bei Bedarf von der betroffenen Organisationseinheit dem verantwortlichen Personalzahlungscenter zu melden. In der „Entscheidungshilfe für das Erstellen von Listen für den Reisekostenservice der Personalzahlungsstelle …“ ist unter Ziffer 1 Abs. 2 ergänzend geregelt: „In diesem Zusammenhang ist der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte von wesentlicher Bedeutung. Für Beschäftigte, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung in mehreren regelmäßigen Arbeitsstätten tätig sind bzw. unter den Begriff Einsatzwechsel- bzw. Außendiensttätigkeit fallen, gelten besondere steuerrechtliche Bestimmungen, die bei der Abrechnung der Reise- bzw. Fahrtkosten durch den Reisekostenservice bei den Personalzahlungscentern berücksichtigt werden. Die Entscheidung, ob mehrere regelmäßige Arbeitsstätten vorliegen oder ein Einsatzwechsel- bzw. Außendiensttätigkeit gegeben ist, muss jedoch vor Ort von der Einsatzstelle des Beschäftigten nach den Umständen des Einzelfalles getroffen werden. Dabei ist in Form einer Ganzjahresbetrachtung der zukünftige Einsatz der betroffenen Beschäftigten zugrunde zu legen. Diese Festlegung ist einmal jährlich in Form einer Liste zu dokumentieren und jeweils zum 31. Januar des laufenden Kalenderjahres an den Reisekostenservice bei dem Personalzahlungscenter weiterzuleiten.“ In der Betriebsvereinbarung Springer zwischen der Niederlassungsleitung und dem Betriebsrat der Niederlassung Filialen Hamburg vom April 2001 ist dann u. a. einvernehmlich festgelegt worden, für welche Beschäftigte von einer Tätigkeit mit Stammdienststelle und für welche von einer Tätigkeit ohne Stammdienststelle auszugehen ist.
Nach diesen rechtlichen Grundlagen steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten für die Fahrtstrecke zwischen Wohnort und Filiale Bad Bevensen zu. In der Betriebsvereinbarung Springer von April 2001 ist die Klägerin als Beschäftigte ohne Stammdienststelle aufgeführt worden. Diese Prognoseentscheidung galt zunächst für das Jahr 2001. Die Prognoseentscheidung ist dann von den Beteiligten der Betriebsvereinbarungen nicht mehr einvernehmlich geändert worden. Vielmehr hat die Niederlassung Filialen Hamburg dann einseitig für die Zeit ab Mai 2002 prognostiziert, dass bei der Klägerin keine Einsatzwechseltätigkeit mehr vorliegen wird. Diese Entscheidung hätte die Niederlassung Filialen Hamburg jedoch nicht alleine treffen dürfen. Sie hätte insoweit an ihren Betriebsrat herantreten und um Anpassung der Betriebsvereinbarung bitten müssen. Dies ist nicht geschehen, so dass von den Festlegungen in der Betriebsvereinbarung weiterhin auszugehen ist, insbesondere von der in der Anlage 1 getroffenen Prognose und Festlegung, dass die Vertretungstätigkeit der Klägerin nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Stammdienststelle rechtfertigt. Des Weiteren führt die Betriebsvereinbarung nach ihrem Inhalt auch zu einer Bindung dahingehend, dass die Niederlassung Filialen Hamburg den Tätigkeitsbereich der Klägerin nicht ohne Zustimmung des Betriebsrates so verändern durfte, dass nicht mehr die Voraussetzungen für eine Einsatzwechseltätigkeit mehr vorliegen.
Die Betriebsvereinbarung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht im Hinblick auf die URL Geschäftsreisen nichtig. Zur Begründung nimmt das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen in dem Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom13. Mai 2003 (9 BV 16/02) Bezug, denen es folgt. Selbst wenn man entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht von einer sog. Öffnungsklausel ausgehen wollte, ist die Betriebsvereinbarung nicht nichtig oder wegen Rechtswidrigkeit unbeachtlich. Denn die Betriebsvereinbarung sichert ihrem Inhalt nach hier insoweit nur zu, dass die nach der URL Geschäftsreisen erforderliche Prognose und die dieser Prognose vorausgehende Festlegung der Art der Vertretertätigkeit des Bediensteten nicht allein vom Arbeitgeber sondern zusammen mit dem Betriebsrat zu erfolgen hat, und zwar entsprechend den Vorgaben der URL Geschäftsreisen. Dies ist zulässig und widerspricht nicht den URL Geschäftsreisen, da deren Inhalt nicht verändert wird. Da hier eine einvernehmliche neue Festlegung der Art der Vertretungstätigkeit der Klägerin und eine dementsprechende neue Prognose nicht erfolgt ist, muss sich die Beklagte an die weiterbestehende Festlegung und Prognose in Form der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung festhalten lassen.
Gegen die Höhe des Erstattungsbetrages sind Bedenken weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288,291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.