Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.2021, Az.: 6 K 20/21
Steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für medizinische Behandlungen als außergewöhnliche Belastung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.12.2021
- Aktenzeichen
- 6 K 20/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 62694
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2021:1214.6K20.21.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VI R 2/22
Rechtsgrundlage
- § 33 EStG
Fundstellen
- EStB 2022, 278
- StX 2022, 358-359
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen für die mit einer künstlichen Befruchtung zusammenhängenden medizinischen Behandlungen sowie hierdurch veranlasste Fahrtkosten sowie weitere Aufwendungen für eine professionelle Zahnreinigung als außergewöhnliche Belastung der Klägerin im Sinne von § 33 des Einkommensteuergesetzes -EStG- zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin war im Streitjahr ledig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Der Partner der Klägerin, X, leidet an einer chromosomalen Translokation (sogenannte balancierte reziproke Translokation), einer genetischen Veränderung, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Auf den Befund des Universitätsklinikums B vom xx.yy.zzzz über die zytogenetische Untersuchung des X (Anlage 9 zur Klageschrift) wird Bezug genommen.
Die Klägerin begab sich zum Ende des Jahres 2018 zusammen mit X im Kinderwunschzentrum A (nachfolgend: Kinderwunschzentrum) in Behandlung.
Dem ging eine humangenetische Beratung am Universitätsklinikum B sowie am Institut C voraus. Das Institut C bestätigte mit Schreiben vom xx.yy.2018, dass im vorliegenden Fall aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und des X die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik indiziert sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Anlagen 10 und 15 zur Klageschrift Bezug genommen. Des Weiteren erfolgte ein Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum zur künstlichen Befruchtung (Anlage 11 zur Klageschrift) sowie eine psychosoziale Beratung (Anlage 12 zur Klageschrift). Im Anschluss an die Beratungsgespräche entschieden sich die Klägerin und X dazu, eine künstliche Befruchtung mit Präimplantationsdiagnostik durchführen zu lassen, dadurch die chromosomale Fehlstellung auszuschließen und eine fortlaufende Schwangerschaft zu erreichen.
Die PID-Kommission der Ärztekammer D erteilte mit Schreiben vom xx.yy.2018 die erforderliche Zustimmung zur Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik, nachdem die Klägerin und ihr Partner ihre Lage angesichts des gemeinsamen Kinderwunsches gegenüber der PID-Kommission dargelegt und deren Zustimmung beantragt hatten. Wegen der Einzelheiten des Antrags und der Zustimmung wird auf die Anlagen 13 und 14 zur Klageschrift Bezug genommen.
Im Jahr 2019 fanden im Kinderwunschzentrum mehrere Behandlungen zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung statt, wobei aus medizinischen Gründen bei der vorliegenden chromosomalen Translokation des Mannes dennoch der Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Frau erfolgen musste.
In ihrer am 19. Februar 2020 bei dem beklagten Finanzamt eingereichten Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin für im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung entstandene Kosten den Abzug von Aufwendungen in Höhe von (zunächst) 22.965 € als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG.
Mit Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2020 versagte das beklagte Finanzamt eine Berücksichtigung sämtlicher Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung, da die Klägerin neben den an sie adressierten Rechnungen für durchgeführte Behandlungen keine Zahlungsnachweise und Abrechnungen der Krankenkasse eingereicht habe.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Einspruch vom 3. August 2020. Die Klägerin beantragte erneut die Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung. Leistungen der Krankenversicherung seien nicht erfolgt. Die Klägerin sei gesetzlich krankenversichert. Leistungsansprüche für Behandlungen zur künstlichen Befruchtung seien in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Eheleute beschränkt. Die entstandenen Kosten seien der Klägerin mithin nicht erstattet worden und folglich als zwangsläufige Aufwendungen im Sinne von § 33 EStG zu berücksichtigen. Unter Berufung auf die Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. Oktober 2017 (VI R 47/15) und vom 16. Dezember 2010 (VI R 43/10) trug die Klägerin vor, ihre Behandlung im Rahmen einer künstlichen Befruchtung sei mit Blick auf den gemeinsamen Kinderwunsch der Klägerin und ihres Partners medizinisch indiziert gewesen, um den objektiv anomalen und regelwidrigen Körperzustand des Partners zu beheben. Die Behandlungskosten seien unabhängig vom Familienstand der Klägerin als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigten, denn auch bei einem nicht verheirateten Paar sei die Fortpflanzungsfähigkeit eine biologisch notwendige Körperfunktion und die Behandlung des Partners der Klägerin allein führe --aufgrund der biologischen Zusammenhänge-- zu keiner Linderung der Krankheit. Die erforderliche Zwangsläufigkeit der Aufwendungen sei infolgedessen gegeben.
Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch der Klägerin mit Bescheid vom 28. Dezember 2020 als unbegründet zurück. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung infolge einer krankheitsbedingten Sterilität seien grundsätzlich als Krankheitskosten und insoweit unabhängig vom Familienstand als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Im Fall der Klägerin ergebe sich die Zwangslage wegen des Bestehens der Partnerschaft mit ihrem erkrankten Partner und nicht wegen einer Erkrankung der Klägerin selbst. Der Leidensdruck des unerfüllten Kinderwunsches aufgrund des erkrankten Partners sei insoweit nicht ausreichend, um eine Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 EStG der Aufwendungen der künstlichen Befruchtung der gesunden Frau, hier der Klägerin, zu begründen. Die von der Klägerin angeführten Urteile des BFH führten zu keiner anderen Betrachtungsweise. Der BFH habe zum einen erörtert, dass die Kosten der künstlichen Befruchtung eines Ehepaares als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden könnten, habe aber keine Aussage dazu getroffen, dass dieser Grundsatz auch für ein unverheiratetes Paar gelte; zum anderen habe der BFH ausgeführt, dass die Aufwendungen einer an Sterilität erkrankten Frau unabhängig vom Beziehungsstatus berücksichtigt werden könnten. In keinem der Urteile habe der BFH aber eine Aussage dazu getroffen, dass die Aufwendungen eines gesunden Steuerpflichtigen unabhängig vom Beziehungsstatus als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden könnten.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.
Die Klägerin habe sich gleichermaßen wie ihr Partner X in einer Zwangslage befunden. Eine frühere Beziehung des X sei insbesondere daran gescheitert, dass die damalige Partnerin des X wiederholt Schwangerschaftsabbrüche erlitten habe.
Der BFH habe mit Urteil vom 5. Oktober 2017 entschieden, dass Behandlungskosten für die künstliche Befruchtung einer Frau in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft unabhängig vom Familienstand der Frau als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung aufgrund gemeinsamen Kinderwunsches seien damit auch abziehbar, obwohl "nur" eine feste Beziehung und keine Ehe bestanden habe. Eine Zwangslage sei somit laut BFH auch bei Kinderlosigkeit in einer festen Partnerschaft anzunehmen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2010 habe der BFH zudem entschieden, dass auch bei einer krankheitsbedingten Sterilität des Mannes die Behandlungskosten der Frau als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Laut BFH sei die organisch bedingte Sterilität eines Ehepartners als Krankheit einzuordnen, denn "die Fortpflanzungsfähigkeit ist für Ehepartner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion". Der BFH führe weiterhin aus, dass die Behandlungsschritte, die bei der --unstreitig gesunden-- Frau durchzuführen seien, d. h. deren Hormonbehandlung mit dem Ziel der Heranreifung mehrere Eizellen, ebenfalls zu berücksichtigen seien. Wegen der biologischen Zusammenhänge könne --anders als bei anderen Erkrankungen-- durch eine medizinische Behandlung allein des Mannes keine Linderung der Krankheit eintreten. Die durchgeführte In-vitro-Fertilisation sei eine zur Behandlung der organisch bedingten Sterilität eines Ehepartners erforderliche medizinische Leistung, die zwar nicht der Beseitigung oder Linderung von Schmerzen oder Beschwerden oder Symptomen der Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes diene, wohl aber die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit, d. h. einschließlich der bei der (gesunden) Ehefrau durchzuführenden Behandlungsschritte, auf die sterilitätsbedingte Beseitigung der Kinderlosigkeit des Paares zielten.
Dies treffe auf die Situation der Klägerin und ihres Partners genauso zu. Wegen der biologischen Zusammenhänge seien die bei ihr durchzuführenden Behandlungen medizinisch erforderlich gewesen, da allein eine Behandlung ihres Partners nicht zu einer Veränderung der genetischen Disposition geführt hätte.
Auch das Finanzgericht München habe mit Urteilen vom 8. Oktober 2019 (6 K 1423/17 und 6 K 1420/17, juris) die Auffassung vertreten, es ändere aus Sicht des Kinderwunschpaares nichts an der Zwangsläufigkeit der behandlungsbedingten Aufwendungen im Sinne des § 33 EStG, ob die medizinische Indikation für die Behandlung in einem Defekt der männlichen Samenzelle oder aber in einem Defekt der weiblichen Eizelle liege. Die Urteile des Finanzgerichts München bestätigten zudem, dass die Behandlungskosten auch bei (im Rahmen einer Ehe) getrennt veranlagten Partnern anzuerkennen seien. Das Finanzgericht Münster habe mit Urteil vom 24. Juni 2020 (1 K 3722/18 E, juris) zudem entschieden, dass die Behandlungskosten für die künstliche Befruchtung einer alleinstehenden unverheirateten Frau, die zu ihrem Beziehungsstatus keine Angaben machte und selbst unter einer Krankheit litt, abziehbar seien.
Unter Berücksichtigung der angeführten Urteile und den hierin zum Ausdruck kommenden Wertungen müssten auch die der Klägerin entstandenen Kosten für ihre künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein. Es widerspräche der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem Gerechtigkeitsempfinden, wenn eine alleinstehende Frau mit Kinderwunsch, die zwar selbst unfruchtbar sei, die Behandlungskosten für eine Samenspende sowie künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung abziehen könne, und demgegenüber bei einem Paar, das seit Jahren in einer festen Beziehung lebe und bei welchem der biologische Zufall es so gewollt habe, dass der Mann derjenige sei, der die Erkrankung habe, die Behandlungskosten für eine künstliche Befruchtung mit dem Samen des eigenen Partners nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt würden.
Abweichend von der Würdigung des Sachverhalts in Bezug auf die Klägerin habe das beklagte Finanzamt die Kosten für Behandlungen, die am Körper des Mannes durchzuführen gewesen seien, im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des X als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Bei der Würdigung durch das Finanzamt spiele es damit offensichtlich keine Rolle, dass X mit der Klägerin nicht verheiratet sei. Diese Ungleichbehandlung sei im Rahmen der Veranlagung der Klägerin zu beseitigen.
Die Ansicht des Finanzamts, wonach eine Abziehbarkeit der Kosten für eine künstliche Befruchtung in den von der Klägerin angeführten finanzgerichtlichen Urteilen (auch) durch die in den Urteilsfällen gegebene Einheitsbetrachtung von Ehegatten bei Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen begründet gewesen sei, und diese Einheitsbetrachtung im Fall der unverheirateten Klägerin nach Auffassung des Finanzamts gerade nicht herangezogen werden könne, lasse die Wertungen der neueren Rechtsprechung des BFH unberücksichtigt.
Die hier durchgeführte Behandlung sei medizinisch indiziert gewesen und durchgeführt worden, um die chromosomale Translokation, d. h. einen objektiv anomalen, regelwidrigen Körperzustand des Mannes zu beheben. Im Übrigen seien die weiteren, von der Rechtsprechung genannten Voraussetzungen für einen Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastung erfüllt. Die zugrundeliegende Behandlung stehe im Einklang mit der innerstaatlichen Rechtsordnung und sei in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnung erfolgt. Entsprechende Nachweise habe die Klägerin vorgelegt.
Die Klägerin hat eine Aufstellung der entstandenen Kosten nebst Rechnungen sowie Rezepten sowie Kontoauszüge der Klägerin und des X für den streitbefangenen Zeitraum zur Akte gereicht. Danach hat zum Teil X die der Klägerin in Rechnung gestellten Beträge für Behandlungen und Rezepte aus seinen Mitteln direkt durch Zahlung an den Rechnungssteller bzw. die jeweilige Apotheke beglichen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Positionen:
Nr.
Datum Rechnung
Rechnungssteller
Betrag (€)
Bezahlung / Anmerkungen
1.
xx.01.2019
Ärztekammer D
1.500
X
2.
xx.01.2019
Apotheke
165
Klägerin
3.
xx.01.2019
Z
567
X
4.
xx.02.2019
Apotheke
179
Klägerin
5.
xx.03.2019
A
878
Klägerin
6.
xx.03.2019
A
758
Klägerin
7.
xx.03.2019
A
1.815
Klägerin
8.
xx.03.2019
A
178,5
Klägerin
9.
xx.04.2019
A
210
Klägerin
10.
xx.06.2019
Apotheke
165
Klägerin
11.
xx.06.2019
Z
1.370
X
12.
xx.07.2019
Apotheke
186
X
13.
xx.07.2019
A
2.226
X
14.
xx.07.2019
A
379
X
15.
xx.07.2019
A
499
X
16.
xx.07.2019
A
883
X
17.
xx.07.2019
A
210
X
18.
xx.08.2019
A
179
Klägerin
19.
xx.08.2019
Z
1.372
X
20.
xx.09.2019
A
179
Klägerin
21.
xx.09.2019
Apotheke
10
Klägerin
22.
xx.10.2019
A
504
Klägerin
23.
xx.10.2019
A
379
Klägerin
24.
xx.10.2019
A
499
Klägerin
25.
xx.10.2019
A
1.972
Klägerin
26.
xx.10.2019
Z
928
X
27.
xx.10.2019
A
210
Klägerin
28.
xx.11.2019
Apotheke
191
Klägerin (davon zusätzlicher Kauf ohne Rezept: 4,55 €)
29.
xx.11.2019
A
2.011
X
30.
xx.11.2019
A
499
Klägerin
31.
xx.11.2019
A
379
Klägerin
32.
xx.11.2019
A
1.011
X
Gesamt
22.491,50
davon Zahlung durch Klägerin
9.349,50
33.
xx.12.2019
Zahnarzt
80,00
Klägerin
Die Klägerin begehrt weiterhin den Abzug von Fahrtkosten in Höhe von 658,80 € zum Kinderwunschzentrum. Im Jahr 2019 sei die Klägerin an 15 Tagen aufgrund medizinischer Indikation mit dem PKW ihres Partners zu dem Kinderwunschzentrum gereist; an zwölf Tagen sei sie zusammen mit ihrem Partner nach A zu gemeinsamen Terminen im Kinderwunschzentraum gefahren, an drei Tagen jeweils allein. Auf die zur Akte gereichte Bestätigung des Kinderwunschzentrums vom 11. August 2020 über die Termine der Klägerin und des X wird Bezug genommen. Die einfache Distanz vom Wohnort der Klägerin zum Kinderwunschzentrum betrage 122 km; es seien für Hin- und Rückweg jeweils 0,30 € pro Kilometer anzusetzen. Für die gemeinsam mit ihrem Partner wahrgenommenen Termine seien die Kosten hälftig anzusetzen, soweit die Klägerin allein zu einem Termin gefahren sei in voller Höhe. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einigen in der Bestätigung des Kinderwunschzentrums aufgeführten, gemeinsam wahrgenommenen Behandlungsterminen (so z.B. xx. Juli 2019, xx. Juli 2019, xx. Juli 2019 und xx. August 2019) finden sich Belege über Zahlungen an Tankstellen in den zur Akte gereichten Kreditkartenabrechnungen des Partners der Klägerin. In den Kontounterlagen der Klägerin finden sich ebenfalls regelmäßige Abbuchungen von Beträgen durch Tankstellen.
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin zu den von X vorgenommenen Zahlungen erklärt, auch diese Beträge seien als außergewöhnliche Belastung der Klägerin anzuerkennen. Es seien die Grundsätze zum abgekürzten Zahlungsweg anwendbar. Überdies sei die Klägerin trotz der Zahlungen durch ihren Partner wirtschaftlich belastet, denn sie habe in vergleichbarer Höhe Kosten der Lebensführung getragen.
Weiterhin begehrt die Klägerin die Berücksichtigung von Kosten in Höhe von 80 € für eine professionelle Zahnreinigung als außergewöhnliche Belastung.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 29. Juli 2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2020 dahingehend zu ändern, dass Behandlungskosten für die künstliche Befruchtung der Klägerin in Höhe von 22.491,50 €, Fahrkosten in Höhe von 658,80 € sowie Zahnarztkosten in Höhe von 80 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Finanzamt nimmt Bezug auf die Einspruchsentscheidung und die darin angeführte Begründung. Weiterhin führt das Finanzamt an, nach § 33 EStG werde die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwüchsen. Dabei gehe der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwüchsen. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung könnten danach als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen sein, wenn sie dem Steuerpflichtigen infolge einer Krankheit entstünden. Unter einer "Krankheit" in diesem Sinne werde von der Rechtsprechung ein objektiv anomaler, regelwidriger Körperzustand verstanden. Der BFH habe in seinem Urteil vom 5. Oktober 2017 entschieden, dass Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung zur Überwindung einer krankheitsbedingten Empfängnisunfähigkeit einer Frau als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen seien. Auch habe der BFH mit Urteil vom 16. Dezember 2010 die organisch bedingte Sterilität eines Ehemannes als Krankheit im Sinne eines anomalen regelwidrigen Körperzustandes eingeordnet. Bei Kinderlosigkeit infolge einer Krankheit könne es sich bei den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung somit grundsätzlich um medizinische Leistungen zur Beseitigung oder Milderung von Krankheitsfolgen (Kinderlosigkeit) handeln, die einem Steuerpflichtigen als Heilbehandlungskosten aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwüchsen.
Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG müssten jedoch die dort genannten Gründe der Zwangsläufigkeit bei dem Steuerpflichtigen vorliegen, dem die Aufwendungen erwüchsen. Dies sei bei der genetisch gesunden und empfängnisfähigen Klägerin nicht der Fall. Die medizinischen Behandlungen seien zwar an der Person der Klägerin erfolgt, sie seien bei ihr jedoch nicht krankheitsbedingt und damit nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG erwachsen. Die bei der gesunden Klägerin vorgenommenen Behandlungen hätten vielmehr dem Zweck gedient, die krankheitsbedingten chromosomalen Zeugungsrisiken des Lebenspartners der Klägerin zu überwinden.
Auch die seitens der Klägerin herangezogene finanzgerichtliche Rechtsprechung vermöge eine Berücksichtigung der Kosten im Besteuerungsverfahren der Klägerin nicht zu begründen, denn in den angeführten Entscheidungen habe die krankheitsbedingte Ursächlichkeit entweder bei der den Abzug als außergewöhnliche Belastung beantragenden Steuerpflichtigen selbst gelegen oder aber es habe sich um Fälle von Ehegattenveranlagungen (§§ 26, 26a, 26b EStG) gehandelt. Aufgrund der besonderen Regelungen zur Veranlagung von Ehegatten gelte bei diesen unter anderem für außergewöhnliche Belastungen der Grundsatz der Individualbesteuerung nicht. Ehegatten würden bei der Zusammenveranlagung insoweit als ein Steuerpflichtiger behandelt. Auch bei einer getrennten Veranlagung (Rechtslage bis Veranlagungszeitraum 2012) seien die außergewöhnlichen Belastungen der Ehegatten als Einheit behandelt worden. Bei der ab dem Veranlagungszeitraum 2013 neu normierten Einzelveranlagung von Ehegatten seien auf Antrag die außergewöhnlichen Belastungen ebenfalls als Einheit zu bestimmen und dann jeweils zur Hälfte abzuziehen gewesen. Es sei mithin als Folge des bei Ehegatten anwendbaren Einheitsgedankens ohne Bedeutung, bei welchem der beiden Ehegatten die ursächlichen Gründe für die Zwangsläufigkeit von außergewöhnlichen Belastungen vorlägen. Entgegen der Annahme der Klägerin habe deshalb auch das Finanzgericht München in seinem Urteil vom 8. Oktober 2019 gerade nicht zu der Frage der Abziehbarkeit von Behandlungskosten im Fall ursächlich fehlender Zwangsläufigkeit in der Person des Steuerpflichtigen bei einer Einzelveranlagung nach § 25 EStG entschieden, sondern lediglich im Rahmen einer Ehegatteneinzelveranlagung (§ 26a EStG) die außergewöhnliche Belastung als Einheit ermittelt und zum Abzug gebracht. Die bei der Veranlagung von Ehegatten unter anderem für außergewöhnliche Belastungen normierte Einheitsbetrachtung sei der Einzelveranlagung gemäß § 25 EStG hingegen fremd. Ob die Kosten für die bei der Klägerin vorgenommenen Behandlungen aufgrund der biologisch untrennbaren Gesamttherapiemaßnahmen im Besteuerungsverfahren des krankheitsbedingt betroffenen Lebenspartners zu berücksichtigen wären, sei im Verfahren der Klägerin nicht zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 29. Juli 2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit damit die von der Klägerin getragenen Aufwendungen für die künstliche Befruchtung in Höhe von 9.344,95 € und Fahrtkosten in Höhe von 658,80 € als außergewöhnliche Belastungen unberücksichtigt geblieben sind (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
a. In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427; vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; und vom 2. September 2010 VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119).
b. Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern --wie im Fall der künstlichen Befruchtung z.B. infolge von Sterilität-- nur "umgangen" oder kompensiert wird (BFH-Urteil vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414). An der einzigen Ausnahme im BFH-Urteil vom 28. Juli 2005 III R 30/03 (BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495) --kein Abzug von Aufwendungen für künstliche Befruchtungen einer unverheirateten empfängnisunfähigen Frau-- hat der BFH nicht festgehalten (BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 III R 47/05, BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871), denn die Empfängnisunfähigkeit einer Frau ist --unabhängig von ihrem Familienstand-- eine Krankheit. Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird (BFH-Urteile in BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871; in BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414; vom 21. Februar 2008 III R 30/07, BFH/NV 2008, 1309; und vom 17. Mai 2017 VI R 34/15, BFHE 258, 358, BStBl II 2018, 344 [BFH 31.01.2017 - IX R 26/16]).
c. Die hier vorliegende chromosomale Translokation beim Mann ist als Krankheit anzusehen, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist (zur Zeugungsunfähigkeit des Mannes als Krankheit: BFH-Urteil vom 17. Mai 2017 VI R 34/15, BFHE 258, 358, BStBl II 2018, 344 [BFH 31.01.2017 - IX R 26/16]). Die von der Klägerin eingereichten ärztlichen Bescheinigungen und die Erlaubnis zur Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik belegen den Zustand der chromosomalen Translokation und die hiermit einhergehenden Risiken hinreichend. Der Senat hält es deshalb für angemessen, die vorliegend gegebene chromosomale Translokation angesichts der erheblichen, hieraus resultierenden Risiken und weitreichenden Folgen für ein auf natürlichem Weg gezeugtes Kind als Krankheit des Mannes einzuordnen (so auch Finanzgericht München, Urteile vom 8. Oktober 2019 6 K 1423/17 und 6 K 1420/17, juris: Vorliegen einer Krankheit, wenn eine Präimplantationsdiagnostik oder ähnliche Verfahren gemäß § 3a Embryonenschutzgesetz zulässig sind).
2. Die Außergewöhnlichkeit der Krankheitskosten wird unwiderleglich vermutet und ihre Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen unterstellt. Dies gilt bei der vorliegend gebotenen Gesamtbetrachtung auch in Bezug auf Kosten der Klägerin.
a. Obwohl eine Krankheit bei der Klägerin nicht vorliegt, gelten die für Krankheitskosten entwickelten Grundsätze --d.h. die damit verbundene unwiderlegliche Vermutung der Außergewöhnlichkeit sowie Unterstellung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen-- auch für die Klägerin, denn die Außergewöhnlichkeit sowohl des auslösenden Ereignisses als auch der Höhe der Aufwendungen sowie auch die Zwangsläufigkeit der zur Umgehung der Krankheit durch eine Kinderwunschbehandlung (hier: homologe künstliche Befruchtung) notwendigen Aufwendungen sind infolge der gebotenen Gesamtbetrachtung für die gesunde Frau gleichermaßen gegeben (vgl. hierzu Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 5. Mai 2010 9 K 231/97, EFG 2010, 1694; nachfolgend BFH-Urteil vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414).
b. Die Außergewöhnlichkeit des die Aufwendungen auslösenden Umstandes und Zwangsläufigkeit der zur Umgehung der Krankheit entstehenden Kosten ist im Falle einer Kinderwunschbehandlung nicht nur personenbezogen --d.h. hier mit Blick auf die Krankheit des Mannes-- zu betrachten. Abzustellen ist vielmehr auf den anomalen Zustand, der der Zeugung eines Kindes auf natürlichem Weg entgegensteht und die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik nebst künstlicher Befruchtung zur "Umgehung" der Krankheit und Realisierung des Kinderwunsches --vor allem auch durch eine Behandlung am Körper der Frau-- erforderlich macht. Aufgrund dieser untrennbaren Zusammenhänge ist es irrelevant, ob der regelwidrige Zustand bei der Frau oder beim Mann vorliegt.
Entscheidend ist, dass die Klägerin mit X ein Kind zeugen wollte, und dass dies aufgrund der bei dem Mann vorliegenden, chromosomalen Translokation ohne die konkret (und hauptsächlich) bei der Frau durchgeführte Behandlung --als "Umgehung" der Krankheit-- auf natürlichem Weg nicht möglich war, ohne die vorangehend beschriebenen, erheblichen Risiken einzugehen. Für die Abziehbarkeit der Aufwendungen des gesunden Partners als außergewöhnliche Belastung ist deshalb nicht auch ein "eigener", regelwidriger Zustand bei diesem Partner erforderlich, denn sowohl das jeweils unwiderleglich vermutete Merkmal der Außergewöhnlichkeit als auch der (tatsächlichen) Zwangsläufigkeit im Sinne der § 33 Absätze 1 und 2 EStG ist im Hinblick auf das auslösende Ereignis und die entstandenen Aufwendungen auf die gesunde Partnerin zu übertragen. Sie befindet sich gleichermaßen in einer Zwangslage. Der erhebliche Leidensdruck führt auch bei einer Krankheit des Mannes dazu, dass das Paar die erforderlichen Behandlungsschritte, vorliegend eine homologe künstliche Befruchtung einschließlich einer Präimplantationsdiagnostik, über sich ergehen lässt. Danach liegt es in der Natur der Sache, dass die Klägerin und ihr Partner die erforderlichen Entscheidungen --angefangen von der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bis zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung mit allen erforderlichen, sowohl physisch als auch psychisch belastenden Behandlungen-- nur gemeinsam treffen konnten (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 5. Mai 2010 9 K 231/07; nachgehende BFH-Urteil vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414). Ergänzend wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichten Beratungsbescheinigungen, aus denen deutlich der für beide Partner gleichermaßen bestehende --und durch entsprechende gesetzliche Aufklärungspflichten flankierte-- Beratungsbedarf angesichts der durchzuführenden Behandlungen und der damit einhergehenden Risiken hervorgeht.
c. Die aufgrund der Untrennbarkeit der biologischen Vorgänge bestehende Zwangsläufigkeit für beide Partner und die Abziehbarkeit von Aufwendungen der Klägerin als (dem Grunde nach) außergewöhnliche Belastung entfällt nicht deshalb, weil die Partner nicht verheiratet sind.
aa. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 10. Mai 2007 (III R 47/05, BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871) zur Berücksichtigung von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie im Urteil 5. Oktober 2017 (VI R 2/17, juris) zu Aufwendungen einer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden unfruchtbaren Frau (vgl. zudem Finanzgericht Münster, Urteil vom 24. Juni 2020 1 K 3722/18 E, juris: Aufwendungen für die künstliche Befruchtung einer alleinstehenden Frau mit krankheitsbedingter Fertilitätsstörung als außergewöhnliche Belastung - (nicht angegebener) Beziehungsstatus unbeachtlich).
bb. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind mit Blick auf das vorliegende Nichtbestehen einer Ehe für die zwischen der Klägerin und X bestehende Partnerschaft auch keine weiteren Umstände --etwa ob die Beziehung "festgefügt" ist-- darzulegen. Die Zwangsläufigkeit, dass zur Krankheitsbehebung bzw. Krankheitsumgehung die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden müssen, liegt allein in der hier gegebenen chromosomalen Translokation. Kinder zu haben und aufzuziehen ist --unabhängig vom Familienstand-- für sehr viele Menschen eine zentrale Sinngebung ihres Lebens. Ungewollte Kinderlosigkeit wird deshalb häufig als schwere Belastung erlebt, die im einer krankheitsbedingten Ursache nur durch die künstliche Befruchtung kompensiert werden kann (Finanzgericht Münster, Urteil vom 24. Juni 2020 1 K 3722/18 E, juris).
cc. Eine Abziehbarkeit der von der Klägerin getragenen Aufwendungen (dem Grunde nach) scheitert auch nicht an der im vorliegenden Fall --im Gegensatz zur Ehegattenveranlagung-- unanwendbaren Einheitsbetrachtung der § 26a und § 26b EStG. Danach kommt es, wie das Finanzamt zutreffend ausgeführt hat, bei Ehegatten für die Abziehbarkeit der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Ergebnis nicht darauf an, welcher Ehegatte die Kosten verausgabt hat. Anders als das Finanzamt meint, ist die bei Ehegatten erfolgende Einheitsbetrachtung nach Ansicht des erkennenden Senats aber nicht auch konstitutiv für die Abziehbarkeit der in Frage stehenden Aufwendungen, die der gesunde Partner, hier die Klägerin, im Streitjahr getragen hat (siehe zur Höhe nachfolgend zu 4.). Entscheidend ist vielmehr, dass --wie vorangehend ausgeführt-- für beide Partner gleichermaßen eine Zwangsläufigkeit durch den bei einem der Partner vorliegenden, anomalen Zustand begründet ist. Die Einheitsbetrachtung ist demnach ein Privileg der Ehegattenbesteuerung, sie hat aber keinen Einfluss auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG, die auch bei der nichtverheirateten Klägerin gegeben waren.
3. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG liegen auch im Übrigen vor. Die erfolgten Behandlungsschritte im Rahmen der künstlichen Befruchtung waren medizinisch indiziert, um die Krankheit in Gestalt der chromosomalen Translokation zu umgehen, und infolge der hier zugelassenen Präimplantationsdiagnostik auch nach den geltenden Gesetzen erlaubt.
4. In Bezug auf die Höhe der als außergewöhnliche Belastung der Klägerin anzuerkennenden Aufwendungen gelangt der erkennende Senat unter Würdigung der zu § 33 EStG und zur sogenannten Abkürzung des Zahlungswegs ergangenen Rechtsprechung des BFH zu der Auffassung, dass lediglich die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können, die die Klägerin durch Bezahlung der ihr in Rechnung gestellten Beträge für die Durchführung der künstlichen Befruchtung selbst getragen hat. Dabei handelt es sich um 9.344,95 € (nach Abzug eines Betrags von 4,55 € für einen nicht zum Rezept zugehörigen Kauf (s. Nr. 28 der obenstehenden Tabelle)) (dazu zu a.). Weiterhin waren im Schätzungswege die geltend gemachten und als von der Klägerin getragen anzusehenden Fahrtkosten in Höhe von 658,80 € zu berücksichtigen (dazu zu b.).
a. Die von X geleisteten Zahlungen auf an die Klägerin adressierte bzw. ausgestellte Rechnungen und Rezepte sieht der Senat im Ergebnis nicht als eine wirtschaftliche Belastung an, die der Klägerin im Sinne von § 33 EStG "erwachsen" ist.
aa. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass Ausgaben eines Dritten im Fall der sogenannten Abkürzung des Zahlungswegs als Aufwendungen des Steuerpflichtigen zu werten sein können. Abkürzung des Zahlungswegs bedeutet die Zuwendung eines Geldbetrags an den Steuerpflichtigen in der Weise, dass der Zuwendende im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen dessen Schuld tilgt (vgl. § 267 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), statt ihm den Geldbetrag unmittelbar zu geben. Das ist der Fall, wenn der Dritte für Rechnung des Steuerpflichtigen an dessen Gläubiger leistet (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. August 1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782; BFH-Urteil vom 7. Februar 2008 VI R 41/05, juris). Die Aufwendungen sind nicht nur im Fall der Abkürzung des Zahlungswegs dem Steuerpflichtigen zurechenbar, sondern ebenso, wenn der Dritte im eigenen Namen für den Steuerpflichtigen einen Vertrag abschließt und aufgrund dessen auch selbst die geschuldete Zahlung leistet (sogenannter abgekürzter Vertragsweg, BFH-Urteil vom 15. November 2005 IX R 25/03, BFHE 211, 318, BStBl II 2006, 623).
Die oben angeführten Urteile und die darin enthaltenen Grundsätze zum abgekürzten Zahlungsweg bzw. Vertragsweg sind zu Erwerbsaufwendungen des Steuerpflichtigen, d.h. im Bereich der Werbungskosten, ergangen.
Das Bundesministerium der Finanzen äußert in seinem Schreiben vom 7. Juli 2008 (IV C 1-S 2211/07/10007, BStBl I 2008, 717) die Ansicht, die Grundsätze des abgekürzten Vertragswegs seien nicht auf Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen anzuwenden.
bb. Im Bereich des § 33 EStG gilt der Grundsatz, dass die fraglichen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen "erwachsen" müssen. Der Steuerpflichtige muss wirtschaftlich mit den Aufwendungen belastet sein. Auf die Herkunft der Mittel kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, ob der Steuerpflichtige über eigenes Vermögen verfügt oder ob er Geld von einem Dritten geschenkt erhalten hat (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 40. Aufl. 2021 § 33 Rn. 13). Es entspricht zudem ständiger Rechtsprechung des BFH, dass eine außergewöhnliche Belastung des Steuerpflichtigen im Rahmen des § 33 EStG durch Krankheitskosten dann nicht anzuerkennen ist, wenn der Steuerpflichtige wegen seiner Aufwendungen dadurch entschädigt worden ist, dass ihm entsprechende Beihilfen oder Versicherungsleistungen gewährt wurden (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1971 VI R 242/69, BFHE 104, 63, BStBl II 1972, 177). Könne dem Steuerpflichtigen die Anerkennung auch dann nicht versagt werden, wenn dem Steuerpflichtigen die für die Begleichung der Aufwendungen erforderlichen Mittel geschenkt worden seien, müsse im Fall des Ersatzes der Aufwendungen durch Beihilfen oder Versicherungsleistungen die Belastung doch deswegen verneint werden, weil hier eine enge Bindung zwischen Aufwand und Ersatz bestehe (BFH in BFHE 104, 63, BStBl II 1972, 177).
cc. Im vorliegenden Fall, in dem X der Klägerin durch die Tilgung ihrer Schulden jeweils Geldbeträge zugewendet hat, ist zwar (auch) eine Abkürzung des Zahlungswegs im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung des BFH gegeben. Der erkennende Senat ist jedoch angesichts des Wortlautes des § 33 EStG, der hierzu ergangenen Rechtsprechung im Hinblick auf Ersatz- oder Erstattungsleistungen sowie der hierin zum Ausdruck kommenden Wertungen der Ansicht, dass die Grundsätze der Abkürzung des Zahlungswegs nicht unbesehen auf die vorliegenden Aufwendungen übertragen werden können. Dies gilt nach Auffassung des erkennenden Senats gleichermaßen für die in der Abkürzung des Zahlungswegs liegende Zuwendung der Mittel als (für die Berücksichtigung von Aufwendungen gemäß § 33 EStG im Grundsatz unschädliche) Schenkung, denn anders als in Fällen des abgekürzten Zahlungswegs oder der Schenkung durch einen Dritten führt die hier gegebene Besonderheit einer auf identischem Sachverhalt beruhenden Zwangsläufigkeit für zwei Steuerpflichtige dazu, dass ein Abzug als außergewöhnliche Belastung (primär) beim Zahlenden in Betracht kommt.
X hat die Zahlungen vorliegend nicht lediglich zur Begleichung einer Schuld der Klägerin, sondern auch im eigenen Interesse geleistet. Die jeweilige Zahlung ist der Höhe nach in Bezug auf ein(e) der Klägerin für eine bestimmte Leistung gestellte Rechnung bzw. auf ihren Namen ausgestelltes Rezept erfolgt, so dass ein unmittelbarer Bezug der jeweiligen Zahlung durch X zu einem Behandlungsschritt im Rahmen der gemeinsam durchgeführten künstlichen Befruchtung vorliegt. Aufgrund der gebotenen Gesamtbetrachtung und der bei X gleichermaßen gegebenen Zwangslage gelangt der Senat zu der Auffassung, dass die fraglichen Aufwendungen angesichts der tatsächlichen Verausgabung durch X nicht der Klägerin erwachsen sind und sie folglich in Höhe der von X getragenen Aufwendungen nicht im Sinne von § 33 EStG wirtschaftlich belastet ist.
Der Senat löst damit den Konflikt zwischen den Grundsätzen zum abgekürzten Zahlungsweg und zur Behandlung von Schenkungen im Rahmen des § 33 EStG einerseits und dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal des "Erwachsens" gemäß § 33 Abs. 1 EStG andererseits dahingehend, dass im Fall der hier vorliegenden, identischen Zwangslage und der daraus resultierenden, tatsächlichen Zwangsläufigkeit für zwei Steuerpflichtige die Berücksichtigung der Aufwendungen bei dem Steuerpflichtigen in Betracht kommt, der sie tatsächlich und aufgrund der gleichgerichteten Interessenlage zumindest auch aus eigenem Interesse getragen hat. Das bedeutet, dass die von X bezahlten Beträge vorliegend nicht bei der Klägerin zu berücksichtigen sind.
Der Senat verkennt nicht, dass hierdurch ein --vom Gesetzgeber jedoch in dieser Weise beabsichtigter-- Unterschied zu den §§ 26 a, 26 b EStG besteht, da es bei Ehegatten für den Abzug von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Ergebnis ohne Bedeutung ist, wer die Aufwendungen trägt und die Aufwendungen damit den Ehegatten als Einheit --wie in einer Person-- erwachsen. Die Annahme einer tatsächlichen Zwangsläufigkeit bei nicht verheirateten Steuerpflichtigen in einem Fall wie diesem führt demnach zwar zu einer Eröffnung des Tatbestands des § 33 EStG für beide; sie macht das Merkmal der wirtschaftlichen Belastung bzw. des "Erwachsens" im Verhältnis der beiden Steuerpflichtigen zueinander --anders als bei Ehegatten-- jedoch nicht obsolet und eröffnet mangels gesetzlicher Grundlage auch kein Wahlrecht, wonach die (einmalig zu berücksichtigenden) Aufwendungen durch den einen oder den anderen Partner geltend gemacht werden könnten.
Der Vortrag der Klägerin, wonach sie in mit den Zahlungen des X vergleichbarer Höhe Kosten der allgemeinen Lebensführung der Partner getragen habe, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn nach Auffassung des Senats ist die hiermit geltend gemachte Belastung allenfalls mittelbar mit dem die Zwangslage auslösenden Ereignis verknüpft. Dadurch werden Kosten der allgemeinen Lebensführung, die auch sonst grundsätzlich nicht gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen sind, nicht zu außergewöhnlichen Belastungen.
b. Die geltend gemachten Fahrtkosten zwischen Wohnsitz und Kinderwunschzentrum waren in Höhe der beantragten 658,80 € zu berücksichtigen.
aa. Fahrtkosten eines Steuerpflichtigen sind im Allgemeinen weder außergewöhnliche noch zwangsläufige Aufwendungen im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG. Die Außergewöhnlichkeit und Zwangsläufigkeit solcher Aufwendungen ist jedoch ausnahmsweise dann zu bejahen, wenn sie zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich sind, z.B. unumgängliche Fahrtkosten zum Arzt wie die Reisekosten aus Anlass einer Behandlung des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227). So liegt es hier. Die Hin- und Rückfahrten waren für die Durchführung der künstlichen Befruchtung (und damit zur "Umgehung" der chromosomalen Translokation) unerlässlich.
bb. Nach der Rechtsprechung des BFH sind derartige dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen anerkannte Aufwendungen nur in der Höhe der Kosten öffentlicher Verkehrsmittel als notwendig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zu berücksichtigen; allerdings können auch PKW-Kosten ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn besondere persönliche Verhältnisse oder andere Umstände die Benutzung eines PKW erfordern (vgl. BFH in BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227 [BFH 03.12.1998 - III R 5/98] m.w.N.).
Der Senat geht vorliegend davon aus, dass die Nutzung des PKW angesichts der besonderen Umstände erforderlich war. Die Durchführung einer künstlichen Befruchtung geht mit einer genau bestimmten Zeiteinteilung und dazu vor allem mit körperlichen Eingriffen einher, so dass die An- und Abreise zu und von Terminen im Kinderwunschzentraum mit dem PKW (zumeist in Begleitung des Partners der Klägerin) als erforderlich und angemessen anzusehen ist.
Die geltend gemachten Kosten waren auch im Übrigen der Höhe nach anzuerkennen. Der von der Klägerin beantragte Kilometer-Pauschsatz von 0,30 € (vgl. dazu § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG) ermöglicht die steuerliche Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungen bei fehlendem konkreten Nachweis der Aufwendungen und stellt eine sinnvolle typisierende Berücksichtigung der für die PKW-Nutzung entstehenden Kosten dar (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 203/94, BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384).
Die bescheinigten Termine nahm die Klägerin weit überwiegend zusammen mit ihrem Partner wahr. Da die Kostentragung im Einzelnen nicht mehr nachvollzogen werden kann, es zur Überzeugung des erkennenden Senats jedoch anhand der Kontounterlagen hinreichend dargelegt ist, dass die Klägerin regelmäßig Fahrtkosten getragen hat, stellt sich eine hälftige Berücksichtigung der Fahrtkosten für gemeinsame Fahrten sowie der volle Ansatz der Kosten für Fahrten zu Terminen, die die Klägerin allein wahrgenommen hat, im Schätzungsweg (§ 162 der Abgabenordnung, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) als schlüssig und angemessen dar.
5. Die von der Klägerin getragenen Kosten sind nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin nicht von der Krankenkasse erstattet worden, so dass insoweit eine (abzugsschädliche) Ersatzleistung nicht vorliegt. Es ist auch nicht zumutbar, dass die Steuerpflichtige die Krankenkasse zunächst auf die Erstattung der Aufwendungen verklagen muss, weil die Kosten einer In-vitro-Fertilisation nur bei Verheirateten von der Krankenkasse getragen werden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 2008 III R 30/07, juris).
6. Für die Kosten der professionellen Zahnreinigung in Höhe von 80 € kommt eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG nicht in Betracht. Es mag sich bei der Durchführung einer professionellen Zahnreinigung zwar nicht (stets) um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse handeln, aber im Vordergrund steht bei einer solchen Behandlung die Vorsorge dafür, dass die Zähne gesund bleiben und eine Krankheit nicht entsteht.
7. Von den als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Aufwendungen in Höhe von insgesamt 10.003,75 € ist gemäß § 33 Abs. 3 EStG die zumutbare Belastung abzuziehen.
II. Die Übertragung der Berechnung der zumutbaren Belastung sowie der Einkommensteuer nach Abzug der errechneten zumutbaren Belastung folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
III. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
V. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zuzulassen.