Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.2021, Az.: 14 K 268/18
Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Grenze der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.12.2021
- Aktenzeichen
- 14 K 268/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 62654
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2021:1215.14K268.18.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VI R 1/22
Rechtsgrundlage
- § 3b EStG
Fundstelle
- GStB 2022, 207
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Grenze der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit (SFN-Zuschläge) nach § 3b Einkommensteuergesetz (EStG).
Die Klägerin betreibt eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen wurden von dem Betreuungspersonal ganztägig betreut. Die Betreuerinnen und Betreuer verbrachten auch die Nacht in den jeweiligen Wohngruppen.
Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen, den "Vorschriften des allgemeinen Teils für Arbeitsverträge xxx" (AVR) mit den in der Anlage yy der AVR getroffenen "Besonderen Regelungen für Mitarbeiter im xxx-dienst" als Bereitschaftsdienst behandelt.
Gemäß den AVR und den diese ergänzenden Anlagen setzten sich die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge aus der monatlichen Regelvergütung, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Soweit ein Stundenlohn für die Dienstbezüge zu ermitteln war, waren die Dienstbezüge des (vollbeschäftigten) Mitarbeiters durch das 4,348-fache der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des entsprechenden vollbeschäftigten Mitarbeiters zu teilen.
Die wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit betrug bei Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 39 Stunden. Die Beschäftigten waren im Rahmen begründeter dienstlicher oder betrieblicher Notwendigkeiten u. a. zur Leistung von Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet. In § 4 der Anlage yy AVR waren die verschiedenen besonderen Arbeitsformen beschrieben und voneinander abgegrenzt.
§ 4 Sonderformen der Arbeit
(1) Wechselschichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan/Dienstplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen der Mitarbeiter längstens nach Ablauf eines Monats erneut zu mindestens 2 Nachtschichten herangezogen wird. Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird. Nachtschichten sind Arbeitsschichten, die mindestens 2 Stunden Nachtarbeit umfassen.
(2) Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens 2 Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht, und die innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird.
(3) Bereitschaftsdienst leisten Mitarbeiter, die sich auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Dienstgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.
(4) Rufbereitschaft leisten Mitarbeiter, die sich auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Dienstgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. ...
(5) Nachtarbeit ist die Arbeit zwischen 21 Uhr und 6 Uhr.
..."
Nach § 5 Abs. 1 der Anlage yy AVR durfte Bereitschaftsdienst nur angeordnet werden, wenn zu erwarten war, "dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt". Voraussetzung für die Anordnung von Rufbereitschaft war dagegen nach § 5 Abs. 7 der Anlage yy AVR, dass "erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt".
Nach § 6 Abs. 1 der Anlage yy AVR erhielt der Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung einen Zeitzuschlag, der für Nachtarbeit 20 v. H. je Stunde des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Tabellenentgelts der Stufe x der höchsten Entgeltgruppe betrug.
Für die Rufbereitschaft wurde nach § 6 Abs. 3 der Anlage yy AVR eine tägliche Pauschale je Entgeltgruppe bezahlt und bei der Bewertung als Arbeitsleistung neben der Dauer der Rufbereitschaft auch danach unterschieden, ob die Arbeitsleistung außerhalb des Arbeitsortes oder am Arbeitsort erbracht wurde.
Gemäß § 7 der Anlage yy AVR wurde die Bereitschaftsdienstzeit wie folgt als Arbeitszeit bewertet:
§ 7 Bereitschaftsdienstentgelt
(1) Zum Zwecke der Entgeltberechnung wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit wie folgt als Arbeitszeit gewertet:
a) Nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistungen wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes wie folgt als Arbeitszeit gewertet:
Stufe
Arbeitsleistung innerhalb
des Bereitschaftsdienstes
Bewertung als Arbeitszeit
A
0 - 10 v.H.
15 v.H.
B
mehr als 10 v. H. bis 25 v.H.
25 v.H.
C
mehr als 25 v. H. bis 40 v.H.
40 v.H.
D
mehr als 40 v. H. bis 49 v.H.
55 v.H.
Ein hiernach der Stufe A zugeordneter Bereitschaftsdienst wird der Stufe B zugeteilt, wenn der Mitarbeiter während des Bereitschaftsdienstes in der Zeit von 22 bis 6 Uhr erfahrungsgemäß durchschnittlich mehr als dreimal dienstlich in Anspruch genommen wird.
b) Entsprechend der Zahl der vom Mitarbeiter je Kalendermonat abgeleisteten Bereitschaftsdienste wird die Zeit eines jeden Bereitschaftsdienstes zusätzlich wie folgt als Arbeitszeit gewertet:
Zahl der Bereitschaftsdienste
Bewertung als Arbeitszeit
im Kalendermonat:
1. - 8. Bereitschaftsdienst
25 v. H.
9. - 12. Bereitschaftsdienst
35 v. H.
13. und folgende Bereitschaftsdienste
45 v.H.
(2) ....
(3) Für die Mitarbeiter gemäß § 5 Abs. 9 wird zum Zwecke der Entgeltberechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit mit 25 v.H. als Arbeitszeit bewertet. Leistet der Mitarbeiter in einem Kalendermonat mehr als acht Bereitschaftsdienste, wird die Zeit eines jeden über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit 15 v.H. als Arbeitszeit bewertet.
(3a) Die Mitarbeiter erhalten zusätzlich zu dem Entgelt nach Absatz 3 für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden (§ 4 Abs. 5) je Stunde einen Zeitzuschlag in Höhe von 15 v.H. des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts.
(4) Das Entgelt für die nach den Absätzen 1, 3 und 3a zum Zwecke der Entgeltberechnung als Arbeitszeit bewertete Bereitschaftsdienstzeit bestimmt sich nach dem auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt.
...
In § 8 Abs. 1 der Anlage yy AVR wurde im Zusammenhang mit den Voraussetzungen nochmals festgelegt, dass als Bereitschaftszeiten die Zeiten galten, "in denen sich der Mitarbeiter am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Dienstgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen".
Die Beschäftigten der Klägerin waren Mitarbeiter im Sinne der Regelungen der Anlage yy AVR und ihre Dienstverträge entsprachen ohne Ausnahme dem Muster-Dienstvertrag in dieser Anlage. In den individuellen Dienstverträgen war jeweils als Sondervereinbarung die Regelung getroffen, dass der Dienstnehmer sich verpflichtet, im Rahmen des Dienstbetriebes Schicht- und Wechseldienste sowie Nachtbereitschaften zu übernehmen.
Während der Dauer des von 0 Uhr bis 8 Uhr andauernden Bereitschaftsdienstes hielten sich die Beschäftigten der Klägerin zur Wahrnehmung ihrer Betreuungsfunktion in den jeweiligen Wohngruppen auf und erhielten gemäß den vorstehend beschriebenen Regelungen die tatsächliche Anwesenheitszeit zu 25 Prozent als Arbeitszeit angerecht. Bei einem Bereitschaftsdienst mit einer Dauer von 8 Stunden wurden als Arbeitszeit 2 Stunden angerechnet, die übrigen Zeit der Anwesenheit in den Räumen der Arbeitgeberin wurden nicht als Arbeitszeit erfasst. Das als Arbeitszeit vergütete Entgelt wurde unter Lohnart 100 regulär versteuert.
Daneben erhielten die Mitarbeiter für die Ableistung des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden je Stunde einen Zuschlag gemäß § 3b EStG in Höhe eines steuerfreien Zeitzuschlags von 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts. Als Nachtarbeit galt tarifvertraglich die Arbeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr. Für den Bereitschaftsdienst von 0:00 Uhr bis 8:00 Uhr wurden danach neben der Regelvergütung für 6 Stunden steuerfreie Zuschläge gezahlt. Zu diesem Zweck führte die Klägerin Aufzeichnungen über die Arbeitszeit und die Nachtbereitschaft. Diese steuerfrei gezahlten Zuschläge wurden als Lohnart 120 gebucht.
Im Rahmen einer für die Jahre 2014 bis 2017 gemäß § 42f EStG i. V. m. § 193 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass die den Beschäftigten gezahlten Zuschläge zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden seien, da diese berechnet auf der Grundlage der Bereitschaftsentschädigung über den in § 3b EStG genannten Höchstgrenzen gelegen hätten. In Anwendung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) zur geringeren Beeinträchtigung beim Bereitschaftsdienst im Vergleich zum regulären Dienst in den begünstigten Zeiten sei die Grenze nicht auf der Grundlage des sich nach dem individuellen regulären Monatslohns ergebenden Stundenlohns (Grundlohns) zu berechnen, sondern lediglich auf der Grundlage der während der begünstigten Zeiten gezahlten Bereitschaftsentschädigung, die danach nur 25 % der regulären Vergütung betrage. Danach sei nur ein anteiliger Betrag von 40 % steuerfrei und die Differenz der Lohnsteuer zu unterwerfen.
Aufgrund der schriftlichen Einverständniserklärung der Klägerin vom 26. Juni 2018 zur Anwendung des § 40 EStG nahm der Prüfer für das nach seiner Berechnung zu Unrecht steuerfrei ausgezahlte Gehalt eine Lohnversteuerung nach Maßgabe der Bestimmungen des § 40 Abs. 1 EStG i.V.m. Richtlinie (R) 40.1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) mit einem Pauschsteuersatz in Höhe von 37,10 % vor, den er nach § 38a EStG ermittelte. Die sich für die jeweiligen Kalenderjahre ergebenden Nachforderungsbeträge errechnete er, indem er 40 % der unter Lohnart 100 gebuchten Gesamtsumme für die Bereitschaftsvergütung als steuerfrei behandelte, den so ermittelten Betrag von der Summe der unter Lohnart 120 gebuchten steuerfreien Zeitzuschläge abzog und die Differenz als steuerpflichtigen Lohn behandelte.
gez. Bereitschaftsvergütung LA 100
100.000 €
max. 40 % steuerfreier Zuschlag lt. Prüfer
40.000 €
gez. steuerfreier Zeitzuschlag LA 120
50.000 €
Diff. steuerpflichtiger Zuschlag
10.000 €
Gegenüber der Klägerin als Schuldnerin der pauschalen Lohnsteuer erging ein Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnsteuerabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2014 bis Dezember 2017, mit dem der Beklagte Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nachforderte.
Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und wandte sich gegen die Besteuerung der im Bereitschaftsdienst gezahlten Zeitzuschläge. Sie vertrat die Auffassung, dass maßgebend für die Berechnung des Grundlohns nur der dem Arbeitnehmer für die regelmäßige Arbeitszeit zustehende Arbeitslohn sein könne, weil der in § 3b Abs. 2 EStG gesetzlich definierte Grundlohn durch arbeitsrechtliche Vereinbarungen nicht ersetzt werden könne. Der Bereitschaftsdienst sei durch den regulären Monatslohn abgegolten, da nach den arbeitsvertraglichen Regelungen mit dem Lohn auch Bereitschaftsdienste abgegolten seien.
Zu diesem Grundlohn werde den Arbeitnehmern für die Bereitschaftsdienste eine Entschädigung gezahlt, in dem 25 % des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit bewertet und bezahlt würden. Diese Stunden würden steuerpflichtig abgerechnet. Daneben erhielten die Arbeitnehmer die SFN-Zuschläge. Diese würden nur für die von den Arbeitnehmern zu den begünstigen Zeiten tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt.
Das BFH-Urteil vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) sei auf ihren Fall nicht übertragbar, weil der dort entschiedene Fall zu einer sogenannten Rufbereitschaft entschieden worden sei, während sich ihre Beschäftigten tatsächlich auf dem Betriebsgelände aufhielten. Die Tätigkeit ihrer Mitarbeiter während dieser Zeit sei eher vergleichbar mit einem Wachdienst, der den Eingangsbereich eines Gebäudes auch zu Zeiten überwache, in denen kein Kundenverkehr stattfinde. Die Nachtbereitschaft gehöre zur tatsächlichen Arbeitsleistung, da der Grundlohn die Bereitschaftsdienste abdecke und zusätzlich eine lohnsteuerpflichtig abgerechnete Vergütung für die Bereitschaftsdienste gezahlt werde. Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Grenze der steuerfreien Pauschalen nach § 3b EStG sei daher nicht die für die Bereitschaftsdienste gesonderte Vergütung, sondern das aus einem Monatslohn in einen Stundenlohn umzurechnende Entgelt.
Die Verpflichtung zum Bereitschaftsdienst ergebe sich auf Basis des geschlossenen Dienstvertrages, sodass diese, auf dienstvertraglicher Grundlage beruhende (Dienst-) Verpflichtung als vom Grundlohn gedeckt zu bewerten sei. Mit dem Grundlohn erkaufe sie sich in einem synallagmatischen Vertragsverhältnis auch die Zusage ihrer Beschäftigten zum Bereitschaftsdienst ein.
Vom Grundlohn umfasst sei daher nicht nur die tarifvertraglich mit 39 Wochenstunden festgelegte regelmäßige Arbeitszeit, sondern der Grundlohn beschreibe vielmehr das tariflich festgelegte Entgelt für die gesamte übliche Arbeitsleistung in den verschiedenen Lohnformen und werde steuerrechtlich als Ausgangswert für die Errechnung von Zuschlägen herangezogen. Wenn also durch den Grundlohn oder das Grundgehalt, welches sich wiederum aus den spezifischen Anforderungen einer konkreten Tätigkeitsbeschreibung ergebe, aufgrund der besonderen Anforderungen der Arbeitsstelle auch die Verpflichtung zur Erbringung von Bereitschaftsdiensten umfasst sei, gehöre diese Verpflichtung zur üblichen Arbeitsleistung und damit ebenfalls zur regelmäßigen Arbeitszeit, die im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes an einen bestimmten Rahmen geknüpft sei.
So sei auch die Frage, ob Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu werten sei, spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. Oktober 2000 (Rechtssache C-303/98-SI/MAP) dahingehend geklärt, dass Bereitschaftsdienste in vollem Umfang als Arbeitszeit im Rahmen der Richtlinie zu sehen seien und mithin ebenfalls unter die Beschränkungen der wöchentlichen Höchstarbeit fielen. Somit dürfe die Beurteilung in Bezug auf ärztliche Bereitschaftsdiensten auch vorentscheidende Wirkung für die hier zu behandelnde Frage haben. Ergänzend werde auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) an die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 7. April 2011 verwiesen, in dem Auskunft zur steuerlichen Behandlung von Zeitzuschlägen für ärztliche Bereitschaftsdienste in den Nachtstunden gemäß der kommunalen Tarifverträge erteilt worden sei. Das BMF habe die Vereinbarungen dahingehend ausgelegt, dass die Bereitschaftsdienstentgelte steuerpflichtig abzurechnen seien, die übrigen Zuschläge aber nach § 3b EStG steuerfrei abgerechnet werden könnten. Die bei ihr anzuwendenden arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Regelungen seien deckungsgleich mit den Regelungen der Tarifverträge Ärzte/VKA; daher erschließe sich nicht, warum § 3b EStG im in ihrem Fall nicht anzuwenden sein sollte.
Mit Einspruchsbescheid vom 20. November 2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er zunächst aus, dass die Steuerfreiheit der SFN-Zuschläge nach § 3b EStG grundsätzlich voraussetze, dass es sich eindeutig um einen Zeitzuschlag, also einen Zuschlag zum Grundlohn handele, der für die begünstigten Zeiten gezahlt werde. Nicht begünstigt seien deshalb Zulagen für Bereitschaftsdienst, Schicht- und Wechselschichtzulagen, die keinen Zuschlag zu einer Grundvergütung vorsehen würden. Nach § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG sei Grundlohn der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zustehe.
Soweit die Klägerin auf die tarifvertraglichen Regelungen im AVR verweise, sei dem entgegenzuhalten, dass diese Regelungen für die steuerliche Beurteilung nicht entscheidend seien. Die Tatsache, dass danach der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gewertet werde und den Arbeitnehmern die Verpflichtung zum Bereitschaftsdienst arbeitsvertraglich auferlegt sei, sei unstreitig. Auch werde nicht infrage gestellt, dass nach der Stellungnahme des BMF vom 7. April 2011 hinsichtlich der für Ärzte tarifvertraglich geltenden Regelungen zu Bereitschaftszeiten der Zuschlag zum Bereitschaftsdienstentgelt nach § 3b EStG steuerfrei sei.
Ungeachtet der Regelungen der AVR habe der BFH in dem Urteil vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) aber entschieden, dass Zuschläge zu einer Bereitschaft als SFN-Zuschläge nur steuerfrei seien, soweit diese nicht über den in § 3b EStG vorgesehenen Prozentsätzen -- gemessen an der Rufbereitschaftsentschädigung -- lägen. Der geringen Beeinträchtigung bei Rufbereitschaft gegenüber der Beeinträchtigung bei voller Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten sei dadurch Rechnung zu tragen, dass sich die Grenze der Steuerbefreiung nicht an dem bei voller Arbeitsleistung auf einen Stundenlohn umzurechnende Grundlohn orientieren könne, sondern nur an dem Entgelt, das für Stunden gewährt werde, für die Rufbereitschaft angeordnet sei. Auch wenn der Arbeitnehmer bei Rufbereitschaft nicht arbeite, sei die "Bereitschaft", also das Bereithalten zur Arbeit, im weitesten Sinne als tatsächlich geleistete Sonntags- und Feiertagsarbeit im Sinne des § 3b EStG zu werten. Das Urteil werde von der Verwaltung sowohl für den Bereitschaftsdienst als auch für die Rufbereitschaft angewandt,
Nach § 8 der Anlage yy AVR sei der Bereitschaftsdienst die Zeit, während der der Arbeitnehmer sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Dienstgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten müsse, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, gegebenenfalls auf Anordnung aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegten. Nach § 5 der Anlage yy AVR dürfe der Dienstgeber Bereitschaftsdienst auch nur anordnen, wenn zu erwarten sei, dass zwar Arbeit anfalle, erfahrungsgemäß aber die Arbeit ohne Arbeitsleistung überwiege. Danach werde zu Bereitschaftszeiten keine volle Arbeitsleistung erbracht. Das Bereithalten sei zwar mit Beeinträchtigungen in der privaten Lebensführung verbunden, da sich der Arbeitnehmer nur so weit entfernen dürfe, dass eine Arbeitsaufnahme in angemessener Zeit möglich sei. Dennoch ergebe sich auch für die Zeit des Bereitschaftsdienstes im Internat eine geringe Beeinträchtigung gegenüber einer vollen Arbeitserbringung, sodass das BFH-Urteil uneingeschränkt auf den Bereitschaftsdienst zu übertragen sei.
Mit der Klage begehrt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Vorverfahren unverändert die Steuerfreiheit für die von ihr gezahlten SFN-Zuschläge.
Sie verweist noch einmal darauf, dass die nächtliche Anwesenheit der Mitarbeiter im Internat für die Betreuung bzw. Beaufsichtigung der Kinder und Jugendlichen unabdingbar und arbeitsvertraglich vereinbart sei. Da diese Bereitschaftsdienste mit dem Monatslohn der Beschäftigten abgegolten seien, müsse für die Berechnung des Stundenlohns der reguläre Monatslohn maßgebend sein, selbst wenn aufgrund arbeitsvertraglicher Regelungen die zeitliche Erfassung dieser Anwesenheitszeit anders geregelt sei. Wenn sich die Beschäftigten am Arbeitsplatz aufhielten, müsse es bei der Prüfung, ob die Zuschläge den Grundlohn überstiegen, auch bei der Berechnung des Grundlohns gemäß der Regelung des § 3b Abs. 2 EStG bleiben. Abgesehen davon sei es mittlerweile aufgrund der Rechtsprechung des EuGH auch unstreitig, dass der Bereitschaftsdienst zur tatsächlichen Arbeitsleistung gehöre. Wenn aber feststehe, dass der Bereitschaftsdienst arbeitsrechtlich als Arbeitszeit zu werten sei, impliziere dies, dass für diese Arbeitszeit auch eine Grundvergütung gezahlt werde, weil die Arbeitnehmer anderenfalls umsonst gearbeitet hätten. Da die Bereitschaftsdienste (unabhängig davon, dass zusätzlich 25 % der Bereitschaftsdienste gesondert vergütet würden) mit dem Grundgehalt abgedeckt seien, werde dieses Grundgehalt anteilig auch für die Bereitschaftsdienste gezahlt.
Das BMF habe mit Schreiben vom 7. April 2011 (IV C 5 - S 2343/0-02; DOK.: 2011/0274303) zur Steuerfreiheit von Zuschlägen nach § 3b EStG, bezogen auf den Zeitzuschlag für Bereitschaftsdienste an Feiertagen und in den Nachtstunden nach § 12 Abs. 3 und 4 TV-Ärzte/VKA Stellung genommen. Dieser Tarifvertrag entspreche hinsichtlich der streitrelevanten Regelungen im Wesentlichen den Regelungen des AVR. Nach Auffassung des BMF seien in diesem Fall lediglich die Bereitschaftsdienstentgelte steuerpflichtig abzurechnen gewesen, während die übrigen Zuschläge steuerfrei nach § 3b EStG hätten abgerechnet werden können. Übertragen auf ihren Fall seien danach gemäß der von ihr vorgenommenen steuerlichen Behandlung lediglich die 2 Arbeitsstunden steuerpflichtig abzurechnen während die Zuschläge von ihr steuerfrei hätten abgerechnet werden können.
Die Klägerin führt ergänzend aus, dass die von dem Beklagten vorgenommene Handhabung für alle Arbeitgeber, die Bereitschaftsdienste angeordneten, äußerst nachteilig sei. Der Bereitschaftsdienst sei ein sehr unattraktiver Dienst und die Möglichkeit, steuerfreien Lohn zu verdienen, entschädige die Arbeitnehmer für diesen unattraktiven Dienst.
Der Beklagte hält unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Vorverfahren an seiner im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest. Er verweist unter Darlegung der Voraussetzungen zur Zahlung eines steuerfreien Zuschlags nach § 3b EStG darauf, dass die zuschlagsfähige Tätigkeit im vorliegenden Fall der Bereitschaftsdienst sei, der rechnerisch mit 25 % vergütet werde und diese Vergütung werde ohne Rücksicht darauf gezahlt, ob der Bereitschaftsdienst auf Sonntage, Feiertage bzw. Nachtarbeit oder steuerlich nicht begünstigte Zeiten entfalle. Derartige Zuschläge entsprächen nicht den Anforderungen des § 3b EStG.
Demgegenüber werde der Zuschlag für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden in Höhe von 15 % nicht nach der Vergütung des Bereitschaftsdienstes, sondern nach dem auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt berechnet, und damit auf der Grundlage der Vergütung, die für regulär am Tag gelistete Arbeit gezahlt werde. Da nach den arbeitsvertraglichen Regelungen die Arbeit bei Nacht nicht voll vergütet werde, sei auch nur die geringere Vergütung für die Nachtbereitschaft anzusetzen.
Dass der Bereitschaftsdienst nicht in vollem Umfang als geleistete Arbeit gewertet werde, ergebe sich auch aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Januar 2019 (1 Sa 9/18 -juris-, nachgehend BAG 19. Juni 2020, 6 AZR 122/19 n. v.). Auch das Finanzgericht Baden-Württemberg habe mit Urteil vom 10. Januar 2012 (8 K 4030/09, juris) entschieden, dass die Grenze an der niedrigeren Rufbereitschaftsentschädigung zu bemessen sei.
Schließlich werde die Auffassung des Beklagten auch durch Ziffer 6.1 der Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 1. Dezember 2021 (Az.: 01.12.2021, S 2343.1.1-3/11St36, FM-NR202100033 -juris-) bestätigt. Darin sei zum Bereitschaftsdienstentgelt nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 TV-Ärzte/VKA geregelt, dass zum Zwecke der Entgeltberechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistungen gewertet werde und für die als Arbeitszeit gewertete Zeit des Bereitschaftsdienstes ein festgelegtes Entgelt je Stunde gezahlt werde. Diese anteilige, prozentuale Bewertung als Arbeitszeit solle den geringeren Beeinträchtigungen während des Bereitschaftsdienstes Rechnung tragen und sei Grundlage für die Berechnung des Grundlohns. Dieser für die Bereitschaftsdienstzeit errechnete Grundlohn betrage dann beispielsweise ausgehend von einem, bezogen auf die reguläre Arbeitszeit ermittelten Grundlohn von 40 € je nach Belastungsstufe in der Bereitschaftsdienstzeit zwischen 24 € und 36 €. Nur dieser geringere Grundlohn könne der Grundlohn für die Grenzen nach § 3b Abs. 1 EStG sein, und nicht der reguläre, auf eine Stunde umgerechnete Monatslohn.
Bei den Arbeitnehmern der Klägerin entspreche der Zuschlag für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden - gemessen an der Bereitschaftsdienstvergütung - dem Verhältnis 15/25 mithin 60 % und liege damit über den prozentualen Grenzen für Nachtarbeit im Sinne des § 3b EStG. Daher könne die Steuerbefreiung nur anteilig gewährt werden. Soweit die Klägerin auf die tariflichen Regelungen für Ärzte verweise, sei dem entgegenzuhalten, dass der nach den dortigen Tarifverträgen gewährte Nachtzuschlag lediglich 15 % der Vergütung für den Bereitschaftsdienst betrage und damit unterhalb der Grenzen für Nachtarbeit liege.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge mit der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung verletzt die Klägerin in ihren Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil der Beklagte die für die Bereitschaftsdienste geleisteten SFN-Zuschläge zu Unrecht der Lohnbesteuerung unterworfen hat.
I. Die Zuschläge überschreiten nicht die in § 3b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 EStG genannten Höchstgrenzen, weil der als Grundlohn für die Berechnung der prozentualen Grenzen anzusetzende Stundenlohn ausgehend von dem regulären Monatslohn der Beschäftigten und nicht von einem gekürzten, für die angerechnete Bereitschaftsdienstzeit ermittelten Grundlohn zu berechnen ist.
1. Nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie die in § 3b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 EStG genannten Grenzen des Grundlohns nicht übersteigen. Nach § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG ist Grundlohn der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 € anzusetzen.
a) Die Steuerfreiheit setzt voraus, dass es sich objektiv um ein zusätzliches Entgelt zur Abgeltung ausschließlich von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit handelt; Zulagen für andere Erschwernisse sind nicht steuerfrei (BFH-Urteil vom 15. Februar 2017 VI R 30/16, BFHE 257, 96, BStBl II 2017, 644). Es steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn gezahlt wurden und die Klägerin diese nur insoweit steuerfrei belassen hat, als sie auf tatsächlich von den Beschäftigten zu den in § 3b Abs. 1 EStG begünstigten Zeiten geleistete Arbeit entfiel. Diese von den Beschäftigten geleisteten Arbeitsstunden wurden, wie sich aus den vorliegenden Aufzeichnungen ergibt, auch ordnungsgemäß aufgezeichnet.
aa) Den beispielhaft vorliegenden Lohnabrechnungen ist zu entnehmen, dass diese Zuschläge gesondert neben dem Grundlohn geleistet wurden und nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts geleistete Tätigkeit bei der Klägerin waren. In den tarifvertraglichen Regelungen und in den vorliegenden Arbeitsverträgen der Beschäftigten wurde hinreichend zwischen der Grundvergütung und den steuerfreien Zulagen unterschieden. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen hierzu ab.
bb) Nach dem Inhalt der Regelungen in den Arbeitsverträgen und der AVR, die Bestandteile der Arbeitsverträge waren, setzte sich das Arbeitsentgelt der Beschäftigten aus der Grundvergütung und der vereinbarten Zulage bzw. den Zuschlägen nach dem Entgelttarifvertrag zusammen. Die Zuschläge sollten gemäß § 7 Abs. 3a AVR zusätzlich zu dem Entgelt nach Absatz 3 für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden je Stunde als Zeitzuschlag in Höhe von 15 v. H. des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts gezahlt werden.
b) Streitig ist lediglich, an welcher Lohngrenze sich die Beurteilung der Steuerbefreiung orientiert.
aa) Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass die von der Klägerin nicht angerechnete und damit auch nicht vergütete Arbeitszeit nicht Bestandteil der Berechnung des Grundlohns im Sinne des § 3b Abs. 2 S. 1 EStG sein kann und der Grundlohn sich daher nicht an den monatlichen Dienstbezügen, sondern lediglich an der für den Bereitschaftsdienst vergüteten Arbeitszeit orientieren muss.
Er hat zur Begründung seiner Auffassung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) angeführt, dass der geringeren Beeinträchtigung in der privaten Lebensführung beim Bereitschaftsdienst gegenüber der Beeinträchtigung bei voller Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten dadurch Rechnung zu tragen sei, dass die Grenzen der Steuerbefreiung nicht an dem bei voller Arbeitsleistung auf einen Stundenlohn umzurechnenden Grundlohn zu orientieren seien, sondern an dem Entgelt, das für Stunden gewährt werde, für die Rufbereitschaft angeordnet sei. Die Tätigkeit sei im vorliegenden Fall der Bereitschaftsdienst, der rechnerisch mit 25 % vergütet werde.
bb) Der Senat ist entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch der Ansicht, dass der Zuschlag für die Zeit des Bereitschaftsdienstes nicht nach der anteilig für den Bereitschaftsdienst gezahlten Vergütung von 25 %, sondern nach dem vollen auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt zu berechnen ist, da die Beschäftigten dem Dienstherrn ihre Arbeitskraft während der Bereitschaftsdienstzeit am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und er diese dort im Bedarfsfall abrufen kann. Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft am Arbeitsplatz zum Abruf bereitstellt, ist diese Bereitstellung ungeachtet der zwischen den Vertragsparteien getroffenen Regelungen zur Vergütung dieser Zeiten tatsächlich geleistete Arbeit im Sinne des § 3b Abs. 1 EStG.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist Arbeit "jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG-Urteil vom 22. April 2009, 5 AZR 292/08, DB 2009,1602). Versteht man den Begriff "tatsächlich geleistete Arbeit" in diesem Sinne, ist auch der Bereitschaftsdienst uneingeschränkt als Arbeit zu bewerten. Die Klägerin ist dafür verantwortlich, die ordnungsgemäße Beaufsichtigung der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten und mit dem Bereitschaftsdienst wird das Interesse der Klägerin an einer vertragsgemäßen Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben befriedigt, der Bereitschaftsdienst wird von den Arbeitnehmern nicht zur Befriedigung eigener Bedürfnisse, sondern im Ergebnis im Interesse der Klägerin geleistet.
(2) Dem vom Beklagten in Bezug genommenen Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 21. Januar 2019 ist zu entnehmen, dass von der Kammer eine andere, von der Rechtsprechung des BAG wohl abweichende Definition des Begriffs Arbeit zugrunde gelegt wird, wenn dort auf die Intensität der am Arbeitsplatz erbrachten Leistung abgestellt und die Möglichkeit des Ausruhens am Arbeitsplatz als für die Annahme von geleisteter Arbeit schädlich angesehen wird. Der Senat hält für die Auslegung des Begriffs der Arbeit in der Bereitschaftszeit die vom BAG entwickelte Begriffsbestimmung für allein zielführend, weil er entgegen der Ansicht des Beklagten davon ausgeht, dass es für die Beurteilung von Arbeitszeit nicht darauf ankommen kann, welche Arbeit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz konkret zu verrichten hat und welche Arbeitsintensität damit verbunden ist, sondern lediglich darauf, ob ein Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit zum Aufenthalt am Arbeitsplatz verpflichtet ist oder nicht. In diesem Sinne versteht der Senat auch das Urteil des EuGH vom 11. November 2021 (C-240/20 -juris-) und sieht sich durch dieses in seiner Auffassung bestärkt, wenn der EuGH ausführt, dass Bereitschaftszeit "Arbeitszeit" darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeit die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten, objektiv ganz erheblich beeinträchtigen. Von einer erheblichen Beeinträchtigung in diesem Sinne ist nach Ansicht des Senats immer dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer sich während der Bereitschaftszeit am Arbeitsplatz aufhalten muss, selbst wenn er sich dort auch ausruhen und schlafen kann. Das Finanzgericht Düsseldorf geht ebenfalls davon aus, dass tatsächlich geleistete Arbeit immer dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer die von ihm arbeitsrechtlich geschuldete Arbeitsleistung erbringt, für die ein Anspruch auf Grundlohn besteht (FG Düsseldorf, Urteil vom 11. Juli 2019,14 K 1653/17 L, EFG 2019,1662).
Die Beschäftigten der Klägerin erbringen danach bei der Ableistung der Bereitschaftsdienste ihre Arbeitsleistung über einen Zeitraum von 8 Stunden. Da dieser Bereitschaftsdienst Bestandteil der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung ist, für die von der Klägerin die nach der Anlage zu leistende Regelvergütung einschließlich der Zulagen gezahlt wird, besteht grundsätzlich auch für diese Zeiten ein Anspruch auf Grundlohn. Die Bereitschaftsdienste sind Teil des einheitlich zu beurteilenden individuellen Arbeitsverhältnisses, dass nach den arbeitsvertraglichen Regelungen aus den regelmäßigen Diensten einerseits und den Bereitschaftsdiensten andererseits besteht, selbst wenn diese von der Klägerin nicht im Umfang der von den Beschäftigten erbrachten Leistung als Arbeitszeit angerechnet und vergütet werden.
Für die Beurteilung des Grundlohns ist diese arbeitsvertraglich getroffene Einschränkung, die im Ergebnis der Leistung nicht vergüteter Überstunden gleichsteht, nicht relevant, da nach der Definition des Grundlohns in § 3b Abs. 2 EStG für die Berechnung auf die tarifvertraglich geregelte Arbeitszeit und nicht auf die tatsächliche geleistete Arbeitszeit abzustellen ist.
Für diese Sichtweise spricht ferner, dass die Klägerin, anders als im Sachverhalt des vom BFH mit Urteil vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) entschiedenen Fall, mit ihren Beschäftigten für den Bereitschaftsdienst keine gesonderte Entschädigung, z. B. in Form einer neben dem Monatslohn gezahlten Bereitschaftsdienstpauschale, gezahlt hat, sondern mit diesen lediglich eine Regelung darüber getroffen hat, in welchem Umfang der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gewertet werden soll.
(3) Das Urteil des BFH vom 27. August 2002 (VI R 64/96, BStBl II 2002, 883) wie auch das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg von 10. Januar 2012 (8 K 4030/09 -juris-) stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Beide Urteile sind zu der Vergütung von Rufbereitschaften ergangen. Diese Rufbereitschaften haben sich gegenüber den von den Beschäftigten der Klägerin zu leistenden Bereitschaftsdiensten insbesondere dadurch unterschieden, dass sich die Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeiten nicht am Arbeitsplatz aufhalten mussten, sondern an einem anderen, frei gewählten Ort aufhalten konnten und die Verpflichtung gegenüber den Arbeitgebern lediglich darin bestand, sich auf Anforderung zur Arbeit bereitzuhalten, um diese auf Abruf aufnehmen zu können. Der Senat teilt die in den Urteilen vertretene Auffassung, dass Rufbereitschaften, die die Möglichkeit einer privaten Lebensgestaltung nicht ausschließen, sondern diese lediglich einschränken, nicht mit Zeiten voller Arbeitserbringung vergleichbar sind und daher in Bezug auf die Grenzen der Steuerbefreiung auch anders zu beurteilen sind. Im Gegensatz zu den Zeiten dieser Rufbereitschaften, bei denen die private Lebensgestaltung lediglich beeinträchtigt, aber keineswegs völlig eingeschränkt gewesen ist, ist bei den von den Beschäftigten der Klägerin geleisteten Bereitschaftsdiensten die Möglichkeit der privaten Lebensgestaltung vergleichbar den Einschränkungen durch die Arbeitsleistung zu Regelarbeitszeiten am Tage in einem Maße eingeschränkt gewesen, die die Möglichkeiten privater Lebensgestaltung nahezu ausgeschlossen haben. Die Beschäftigten konnten sich nicht an einem privaten Ort aufhalten um von dort aus ihre Arbeit aufzunehmen, sondern mussten die Zeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen. Die Tatsache, dass sie in der Regel nicht während der gesamten Dauer der Bereitschaftszeit zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen sind, ändert nichts an der Tatsache, dass sie in dieser Zeit den Ort ihres Aufenthalts nicht frei bestimmen konnten, da diese Möglichkeit durch die Anwesenheitsverpflichtung ausgeschlossen gewesen ist.
Diese grundsätzliche Verpflichtung, sich während der Bereitschaftszeiten am Arbeitsort aufzuhalten, wird durch den monatlich gezahlten Lohn mit abgegolten, sodass die Zuschläge nicht auf der Grundlage des für den Bereitschaftsdienst gezahlten Entgelts, sondern gemäß der gesetzlichen Definition des Grundlohns in § 3b Abs. 2 EStG vom regulären Monatslohn zu berechnen sind.
(4) Die vom Beklagten zur Begründung seiner Auffassung angeführte Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 1. Dezember 2021 (Az.: 01.12.2021, S 2343.1.1-3/11St36, FM-NR202100033 -juris-) kann keine andere Sichtweise begründen. Die in der Verfügung zum Ausdruck kommende Ansicht, wonach die Zeit des Bereitschaftsdienstes auf der Grundlage der erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistungen gewertet und der Grundlohn entsprechend reduziert werden müsse, wird vom Senat nicht geteilt, weil es eben nicht auf die Intensität der während der Anwesenheit eines Arbeitnehmers am Arbeitsplatz geleisteten Arbeit ankommt, sondern nur darauf, ob der Arbeitnehmer sich am Arbeitsplatz aufzuhalten hat oder nicht.
(5) Soweit der Beklagte schließlich noch auf die Lohnsteuer-Richtlinie R 3b "Bereitschaftsdienste" verweist, ist diesem Argument entgegenzuhalten, dass in den Richtlinien keine Aussage zu der nach Auffassung des Senats maßgebenden Unterscheidung hinsichtlich des Orts getroffen wird, an dem der Bereitschaftsdienst abzuleisten ist. Vielmehr werden unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 27. August 2002 sämtliche Formen von Bereitschaftsdiensten unter diese Entscheidung subsumiert, ohne die sich aus den unterschiedlichen Formen ergebenden unterschiedlich starken Einschränkungen hinsichtlich der privaten Lebensgestaltung der Arbeitnehmer zu berücksichtigen.
cc) Die Zuschläge sind unstreitig neben dem Grundlohn geleistet worden und auf der Grundlage der Berechnung des Monatslohns übersteigen diese die in § 3b Abs. 1 EStG genannten Prozentsätze nicht.
II. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da die Frage, ob Maßstab für die Steuerbefreiung das für den bei Anwesenheit am Arbeitsplatz geleisteten Bereitschaftsdienst gezahlte Entgelt oder der sonst maßgebende Grundlohn ist, durch den Bundesfinanzhofs noch nicht geklärt ist.