Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.12.2007, Az.: L 7 AS 133/07

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
11.12.2007
Aktenzeichen
L 7 AS 133/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61352
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:1211.L7AS133.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 06.02.2007 - AZ: S 45 AS 1646/06

In dem Rechtsstreit

...

hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2007 in Celle

durch die Richter Valgolio - Vorsitzender -, Bender und Lauer

sowie die ehrenamtlichen Richter D. und E.

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 06. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

  2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

  3. Die Revision wird nicht zugelassen.

TATBESTAND

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von höheren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Streitig ist die Einhaltung der Klagefrist.

2

Die Beklagte wies durch Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006 den Widerspruch des Klägers gegen den Bewilligungsbescheid vom 18. Juli 2006 zurück, soweit durch Änderungsbescheid vom 6. September 2006 nicht abgeholfen wurde. Ausweislich des Posteingangsstempels der Prozessbevollmächtigten des Klägers ging der Widerspruchsbescheid am 27. September 2006 bei diesen ein. Neben dem Posteingangsstempel vom 27. September 2006 wurde handschriftlich vermerkt: "EB: 29.09.06".

3

Die am 30. Oktober 2006 eingegangene Klage hat das Sozialgericht Hannover durch Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2007 als verfristet abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 2. März 2007.

4

Der Kläger trägt vor, der Sozialrichter sei irrtümlich davon ausgegangen, dass es darauf ankomme, wann der Eingangsstempel auf einem Schriftstück ausgebracht werde. Dies spiele jedoch nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 7. Juni 1990 - III ZR 216/89 - keine Rolle. Es komme nicht darauf an, wann der betreffende Rechtsanwalt das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen habe, sondern ausschließlich auf die Vollziehung des Empfangsbekenntnisses. Das Empfangsbekenntnis trage das Datum 29. September 2006. Erst an diesem Tage sei dieses vollzogen worden. Die Klagefrist sei mit Eingang vom 30. Oktober 2006 gewahrt worden, weil der 29. Oktober 2006 ein Sonntag sei.

5

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 6. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2006 nebst Änderungsbescheid vom 6. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2006 höhere Leistungen zu gewähren.

6

Die Beklagte beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

7

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

8

Wegen des vollständigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

9

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend durch Prozessurteil entschieden. Der Kläger kann wegen eines Büroverschuldens seiner Prozessbevollmächtigten keine inhaltliche Überprüfung seines Begehrens verlangen.

10

Die Klagefrist beträgt gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Gemäß § 87 Abs. 2 SGG beginnt die Frist für den Fall der Durchführung eines Vorverfahrens mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. September 2006 ist am 27. September 2006 (Mittwoch) bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen. Dies geht aus dem angebrachten Posteingangsstempel der Prozessbevollmächtigten des Klägers eindeutig hervor. Die Klagefrist beginnt folglich am 28. September 2006 und läuft am 27. Oktober 2006 ab (§ 64 Abs. 1 und 2 SGG). Die erst am 30. Oktober 2006 beim Sozialgericht Hannover eingegangene Klage ist verfristet und als unzulässig abzuweisen.

11

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers auf dem Empfangsbekenntnis als Eingangsdatum den 29. September 2006 (Freitag) eingetragen haben. Die Auffassung des Klägers, dass es für den Fristbeginn nicht auf den Eingang des Widerspruchsbescheides, vielmehr auf die Vollziehung des Empfangsbekenntnisses ankomme, ist in dieser allgemeinen Form unzutreffend und wird durch die von ihm angeführte Rechtsprechung nicht gestützt. Denn das auf dem Empfangsbekenntnis eingetragene spätere Datum ist nach Überzeugung des Senates (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nachweislich falsch. Der Widerspruchbescheid der Beklagten ist nicht am 29. September 2006, wie auf dem Empfangsbekenntnis vermerkt, sondern am 27. September 2006 bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen und von diesen auch empfangen worden. Das ist das allein maßgebliche Ereignis für den Beginn der Rechtsmittelfrist.

12

Ein datiertes und unterschriebenes Empfangsbekenntnis stellt eine öffentliche Urkunde i.S. des § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) dar und ist grundsätzlich geeignet, den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass die dort eingetragenen Umstände den Tatsachen entsprechen. Die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses kann jedoch erschüttert werden, wenn auch für ein anderes Empfangsdatum der volle Gegenbeweis zu führen ist; die bloße Wahrscheinlichkeit oder gar nur die Möglichkeit der Fehldatierung genügt nicht (BSG, SozR 3-1500 § 164 Nr. 13; BSG, SozR 4-1500 § 164 Nr. 2, BVerfG 27. März 2001, NJW 2001, 1563; BGH vom 28. September 1994 - XII ZR 250/93, FamRZ 1995, 799 und vom 24. April 2001, NJW 2001, 2722 [BGH 24.04.2001 - VI ZR 258/00]). So verhält es sich hier.

13

Die Prozessbevollmächtigten haben den Gegenbeweis für die vermutete Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses vom 29. September 2006 selbst erbracht, indem sie mit der Klagschrift den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. September 2006 eingereicht haben, der einen abgezeichneten Posteingangsstempel des Büros der Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2006 ausweist. Dieser tatsächliche und durch die Abzeichnung bestätigte Zugang ist daher maßgebend und nicht ein auf dem Empfangsbekenntnis ohne nachvollziehbaren Grund eingetragenes späteres Datum. Der Kläger hat nicht nachvollziehbar dargelegt und unter Beweis gestellt, dass es seinen Prozessbevollmächtigten aus organisatorischen oder sonstigen Gründen nicht möglich gewesen war, das Empfangsbekenntnis am Tag des Eingangs in deren Praxisräumen, dem 27. September 2006, zu unterschreiben und somit den Widerspruchsbescheid als förmlich zugestellt anzusehen. Daran ändert auch nicht - wie offenbar in diesem Fall - die einige Tage später von einem der Prozessbevollmächtigten gefasste Willensentscheidung, nach außen auf dem Empfangsbekenntnis ein späteres (falsches) Datum als Zustellungsdatum einzutragen. Insoweit ist die vom Kläger angegebene Rechtsprechung, die eine Widerlegung des auf dem Empfangsbekenntnis bescheinigten Datums durch ein behauptetes, späteres Datum der tatsächlichen Zustellung betreffen, nicht auf diese Fallkonstellation übertragbar.

14

Wenn der Kläger aus der Entscheidung des BGH vom 7. Juni 1990 ( NJW 1999, 2125, Ziff. II 3c) wörtlich zitiert, dass es dem Zustellungsempfänger obliege, die Erklärung abzugeben, das zugestellte Schriftstück an einem bestimmten Datum empfangen zu haben, was rechtlich zutreffend ist und vom erkennenden Senat zugrunde gelegt wird, verschweigt er den weiteren hier entscheidenden Halbsatz aus der BGH-Entscheidung, der wie folgt lautet: "sofern nicht nachgewiesen wird, dass das Empfangsbekenntnis eine unrichtige Datumsangabe enthält". Vorliegend ist das auf dem Empfangsbekenntnis eingetragene Datum falsch, weil nach Überzeugung des Senats der Widerspruchsbescheid in Wahrheit am 27. September 2006 eingegangen und empfangen worden ist. Weder aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen noch aus den einschlägigen verfahrensrechtlichen Fristenregelungen ist zu entnehmen, dass es dem Zustellungsempfänger freistünde, abweichend vom tatsächlichen Datum des Eingangs willkürlich auf dem Empfangsbekenntnis ein späteres Datum einzutragen, um dadurch die Rechtsmittelfrist verlängern zu können. Eine solche Begünstigung von Rechtsanwälten im Vergleich zu Zustellungen an Naturalparteien wäre auch durch nichts zu rechtfertigen.

15

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) sind weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 SGG.

17

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Valgolio
Bender
Lauer