Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 17.12.2007, Az.: L 5 B 1/07 BL

Entziehung eines gewährten Landesblindengeldes; Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Kosten nach einer Ermessensentscheidung; Prognose einer gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Änderung des Landesblindengesetzes; Verfahrensrechtliche Umsetzung einer Gesetzesänderung; Gesonderte Kostenentscheidung für ein Beschwerdeverfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.12.2007
Aktenzeichen
L 5 B 1/07 BL
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 47621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:1217.L5B1.07BL.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 10.10.2007 - AZ: S 17 BL 1/07 WA

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren in vollem Umfang.

Gründe

1

I.

Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts Aurich in dem Klageverfahren S 7 BL 23/05 / S 17 BL 1/07 WA (Beschluss vom 10. Oktober 2007).

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Mit der am 24. Juni 2005 erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen die Entziehung des ihm gewährten Landesblindengeldes zum 1. Januar 2005 infolge der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde (Landesblindengeldgesetz - LBlGG -) durch Artikel 13 des Haushaltbegleitgesetzes 2005 vom 17. Dezember 2004 (Nds GVBl S. 664). Nachdem aufgrund einer weiteren Änderung des LBlGG durch Artikel 15 des Haushaltbegleitgesetzes 2007 vom 15. Dezember 2006 (Nds GVBl S 597) dem Kläger mit Wirkung ab Januar 2007 erneut Landesblindengeld gewährt worden war, erklärte er seine Klage für erledigt (Schriftsatz vom 19. April 2007).

3

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2007 hat das SG Aurich dem Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung zur Hauptsache als offen anzusehen sei, weil bei einer Fortführung des Verfahrens schwierige verfassungsrechtliche Rechtsfragen zu beantworten gewesen wären.

4

Gegen den dem Beklagten am 25. Oktober 2007 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 1. November 2007 eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat. Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage hätte abgewiesen werden müssen. Ein anderes Sozialgericht habe bereits entschieden, dass die auf der Gesetzesänderung beruhende Entziehung von Landesblindengeld rechtmäßig sei (Urteil des SG Lüneburg vom 12. Juni 2007 - S 11 BL 6/05; Berufung anhängig beim erkennenden Senat unter dem Az: L 5 BL 2/07). Zudem liege ein wissenschaftliches Gutachten vor, wonach die streitbefangene Änderung des LBlGG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Somit habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung.

5

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtene Kostenentscheidung des SG erweist sich als rechtmäßig.

6

Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten richtet sich nach § 193 SGG, wobei nach allgemeiner Auffassung die Verteilung der Kosten nach billigem Ermessen zu erfolgen hat. In der Regel ist es billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt (vgl. insgesamt, auch zu den weiteren bei einer Kostenentscheidung zu berücksichtigenden Umständen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 193 Rdnr 12-13 d mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. November 2005 - L 13 B 5/05 SB -, Breithaupt 2006, 436). Maßgeblich ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung; weitere Ermittlungen sind nicht mehr anzustellen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr 13 d). Bei offenen Erfolgsaussichten sowie bei schwierigen Rechtsfragen ist nach allgemeiner Meinung eine Quotelung der Kosten zu je 1/2 geboten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr: 13; ebenso zu § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung: Sächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 1997 - 2 S 19/96, NVwZ-RR 1998, 464; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. August 2007 - 1 CS 07.1819).

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Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Klage gegen die zum 1. Januar 2005 erfolgte Entziehung des Landesblindengeldes erfolglos geblieben ist und die - unabhängig vom anhängigen Klageverfahren vorgenommene - erneute Leistungsbewilligung ausschließlich auf der zum 1. Januar 2007 in Kraft getretenen erneuten Gesetzesänderung beruhte. Entscheidend für die Kostenentscheidung nach § 193 SGG ist jedoch nicht der tatsächliche Ausgang des Verfahrens, sondern die mutmaßliche gerichtliche Entscheidung bei einer hypothetisch unterstellten Fortführung des Verfahrens.

8

Die Prognose einer gerichtlichen Entscheidung ist naturgemäß von vornherein mit Unwägbarkeiten behaftet (u.a. wegen der fehlenden Kenntnis des weiteren Vortrags der Beteiligten, der fehlenden Kenntnis des Ergebnisses einer eventuellen Sachverhaltsermittlung und der Möglichkeit des zwischenzeitlichen Ergehens einschlägiger obergerichtlicher Rechtsprechung). Noch schwieriger ist eine Prognose, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um die juristische Bewertung einer sozialpolitisch heftig umstrittenen Gesetzesänderung geht, gegen die u.a. verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden sind. In solchen Fallkonstellationen kommt neben der rein juristischen Prüfung gerade auch dem Ausfüllen von Wertungsspielräumen durch die konkret zur Entscheidung berufenen Berufs- und ehrenamtlichen Richter eine besondere Bedeutung zu. Im Einzelfall können sich somit bereits allein aus der unterschiedlichen Besetzung des Spruchkörpers (Kostenentscheidung: ausschließlich Berufsrichter; Hauptsacheentscheidung: i.d.R. Berufs- und ehrenamtliche Richter) Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ergeben. Auch wenn der erkennende Senat im Einstweiligen Rechtsschutz (d.h. bei nur summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage allein durch die Berufsrichter) die durch Art. 13 Haushaltsbegleitgesetz 2005 erfolgte Änderung des LBlGG bereits als verfassungsrechtlich zulässig angesehen hat (Beschluss vom 16. Oktober 2006 - L 5 BL 1/06 ER), dient die isolierte Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG - wie auch ein ER-Verfahren - nicht der Beantwortung von im Hauptsacheverfahren aufgeworfenen, dort infolge der zwischenzeitlichen Erledigung jedoch mittlerweile nicht mehr entscheidungserheblichen schwierigen Rechtsfragen. Vielmehr ist bei der nach billigem Ermessen vorzunehmenden Kostenentscheidung aus prozessökonomischen Gründen nur eine überschlägige Überprüfung des Streitstoffs vorzunehmen; schwierige Rechtsfragen sind nicht mehr zu klären (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. August 2007, a.a.O.; Kopp/Schenke, VwGO, § 161 Rdnr 15). Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der mittlerweile erledigten Klage darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass bei den niedersächsischen Sozialgerichten derzeit noch 169 Parallel-Verfahren erstinstanzlich anhängig sind und bislang nur eine einzige erstinstanzliche und noch überhaupt keine zweitinstanzliche Hauptsacheentscheidung ergangen ist. Auch dürfte die Tatsache, dass das Land Niedersachsen das verfassungsrechtliche Gutachten des F. (G. Universität H.) eingeholt hat, nicht für eine bereits erfolgte Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen, sondern vielmehr für eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens sprechen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass in dem mittlerweile erledigten Hauptsacheverfahren neben den verfassungsrechtlichen Fragen auch die verfahrensrechtliche Umsetzung der Gesetzesänderung zu prüfen gewesen wäre, d.h. insbes. die Einhaltung der Voraussetzungen des § 48 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X).

9

Nach alledem hat das SG wegen der dem Hauptsacheverfahren zugrunde liegenden schwierigen Rechtsfragen zu Recht eine Kostenquotelung zu 1/2 vorgenommen.

10

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 193 SGG. Eine gesonderte Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ist erforderlich, weil das Beschwerdeverfahren im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit i.S.d § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) darstellt, für die eine Gebühr nach Nr. 3501 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG anfällt (Beschluss des erkennenden Senats vom 27. März 2007 - L 5 B 3/06 VG -; ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005 - L 2 B 40/04, AnwBl 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 - L 6 B 221/06 SB; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 176 Rn. 5).

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar ( § 177 SGG).