Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.04.2006, Az.: 4 A 209/03
Abwasseranlage; Gefahr; Gewässer; Grundwasser; Handlungspflicht; Rohrleitung; Schmutzwasserleitung; vorläufige Anordnung; Wasserschutzgebiet
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 25.04.2006
- Aktenzeichen
- 4 A 209/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53295
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 137 Abs 2 S 2 WasG ND
- § 153 Abs 1 WasG ND
- § 169 Abs 1 WasG ND
- § 48 WasG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Rechte der Eigentümer von Grundstücken in einem geplanten Wasserschutzgebiet werden unterlaufen, wenn ihnen bereits vor Erlass einer Schutzverordnung Handlungspflichten auferlegt werden, die für eine Schutzgebietsverordnung üblich sind, ohne dass eine Gefahr für den mit der Festsetzung des Schutzgebiets beabsichtigten Zweck konkret dargelegt wird.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine von dem Beklagten angeordnete Dichtigkeitsprüfung von Schmutzwasserleitungen.
Der Kläger ist zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer des Grundstücks „D. .. “ in E., Ortsteil Q.. Das Grundstück befindet sich im Einzugsbereich der Tiefbrunnen Q. und R.. Für diesen Bereich ist die Festsetzung eines Wasserschutzgebietes der Schutzzone III beantragt, aber bislang nicht verordnet worden.
Mit Bescheid vom 14.6.2000 erteilte der Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau die Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück. Unter Ziffer 7 enthielt der Bescheid folgende Auflage:
„ ... Die Grundleitungen bis zum öffentlichen Schmutzwasserkanal sind aus PE-HD-Rohren oder einem gleichwertigen Material spiegelverschweißt oder mit verschweißten Muffen herzustellen.
Vor Inbetriebnahme und wiederkehrend in 10-Jahres-Abständen ist das Rohrleitungssystem einschließlich der Schächte zum Nachweis der Dichtigkeit Druckprüfungen zu unterziehen. ... Alternativ zu den wiederkehrenden Druckprüfungen kann die Rohrleitung zur Überprüfung der Dichtigkeit mit einer Kamera befahren werden. Entsprechende Vorrichtungen zur Durchführung der Dichtigkeitsprüfung sind vorzusehen bzw. einzubauen. Die Berichte der Dichtigkeitsprüfungen sind dem Umweltschutzamt des (Beklagten) als Untere Wasserbehörde unaufgefordert vorzulegen (§ 153 NWG).“
Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.
Im August 2002 forderte der Beklagte den Kläger auf, Berichte über die Dichtigkeitsprüfung vorzulegen. Der Kläger übersandte dem Beklagten daraufhin zwei von der Stadt E. am 19. und 20.6.2000 ausgestellte Abnahmebescheinigungen für die Grundstücksentwässerungsanlage. Auf Nachfrage teilte ein Mitarbeiter der Stadt E. mit, dass KG-Rohre eingebaut worden seien.
Die Abnahmebescheinigungen der Stadt E. erkannte der Beklagte als Nachweis der ersten Dichtigkeitsprüfung an. Im Übrigen ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 19.2.2003 an, die Grundleitungen der Entsorgungsleitungen für Abwasser bis zum Anschluss an den öffentlichen Abwasserkanal „zunächst im Abstand von 5 Jahren durch Kamerabefahrung auf ihre Dichtigkeit überprüfen zu lassen“. Die nächste Überprüfung werde im September 2007 fällig. Die Anordnung sei erforderlich, um eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers im Wassergewinnungsgebiet zu verhindern. Die Maßnahme ergebe sich aus den einschlägigen Bestimmungen der technischen Regelwerke.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger u.a. an, dass eine wirksame Ausweisung als Wasserschutzgebiet noch nicht erfolgt sei. In der geplanten Schutzzone befinde sich zudem die gesamte Ortslage Q. mit Dunglagerstätten, Friedhof und 45 Jahre alten Schmutzwasserleitungen.
Mit Bescheid vom 7.10.2003 wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch des Klägers (in vollem Umfang) zurück. Das Grundstück des Klägers liege im Wassereinzugsbereich von zwei Tiefbrunnen. Das geplante Wasserschutzgebiet sehe die Schutzzone II vor. In entsprechender Anwendung des Arbeitsblattes der Abwassertechnischen Vereinigung e.V. sei zum Schutz des Grundwassers in Wassergewinnungsgebieten alle 5 Jahre eine Prüfung auf Wasserdichtigkeit vorzusehen. Im Hinblick auf die höherwertigen PE-HD-Rohre sei dieser Prüfabstand in der Nebenbestimmung zur Baugenehmigung auf 10 Jahre erhöht worden. Da der Kläger jedoch KG-Rohre eingebaut habe, bei denen zu Anfang mit einer erhöhten Schadenshäufigkeit durch Setzungen des Bauwerks zu rechnen sei, sei ein Prüfabstand von zunächst 5 Jahren angeordnet worden. Falls sich bei der Überprüfung keine Beanstandungen ergäben, könne zu dem 10-jährigen Prüfabstand zurückgekehrt werden. Die Überprüfung sei dem Kläger auch zumutbar. Da der Kläger die Baugenehmigung nicht beachtet habe, könne ein gleichwertiger Schutz des Grundwassers nur durch eine erhöhte Überwachung sichergestellt werden.
Am 31.10.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Zudem hält er die verwendeten KG-Rohre für wenigstens gleichwertig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19.2.2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 7.10.2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt die im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Argumente.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die auf die §§ 169 Abs. 1, 137 Abs. 2 Satz 2, 153 Abs. 1 des Nds. Wassergesetzes (NWG) gestützte Anordnung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Streitgegenstand sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung gegenüber der Auflage in der Baugenehmigung zusätzlich angeordnete Dichtigkeitsprüfungen mittels Kamerabefahrung im Abstand von fünf Jahren, beginnend im September 2007. Die in der Baugenehmigung enthaltene Verpflichtung zur Dichtigkeitsprüfung in 10-Jahres-Abständen, die bestandskräftig geworden ist, wird vom vorliegenden Rechtsstreit nicht berührt.
Gemäß § 169 Abs. 1 NWG obliegt es dem Beklagten als untere Wasserbehörde, das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und das NWG sowie die aufgrund dieser Gesetze erlassenen Verordnungen zu vollziehen und Gefahren für Gewässer abzuwehren. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben trifft er nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Anordnungen einschließlich der Maßnahmen nach dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr.
Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 gelten für die Errichtung und für den Betrieb von Abwasseranlagen die allgemein anerkannten Regeln der Technik. Zu den Abwasseranlagen gehören auch Rohrleitungen (Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Stand: April 2005, § 153 Anm. 3). Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind vor allem in technischen Regelwerken niedergelegt, zu denen u.a. die Arbeitsblätter der Abwassertechnischen Vereinigung zählen (Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O.). Nach deren Arbeitsblatt A 142 „Abwasserkanäle und -leitungen in Wassergewinnungsgebieten“ vom Oktober 1992 (im Folgenden: A 142) gelten für den Bau und den Betrieb von Entwässerungsanlagen in Wassergewinnungsgebieten besondere Anforderungen. Zu den Wassergewinnungsgebieten zählen grundsätzlich die festgesetzten Wasserschutzgebiete. Ist eine Festsetzung - wie hier - noch nicht erfolgt, sollen die in dem Arbeitsblatt enthaltenen Richtlinien sinngemäß angewandt werden (Ziffer 1 Abs. 2 A 142). Dieser Empfehlung folgend hat der Beklagte einen 5-jährigen Prüfabstand angeordnet, der dem im Regelwerk genannten Inspektionsintervall in der Schutzzone III (Ziffer 5.2 A 142) entspricht. Die Ausführungen der Widerspruchsbehörde beruhen auf der unzutreffenden Annahme, dass ein Wasserschutzgebiet der Schutzzone II geplant sei.
Als Wertungen eines privatrechtlichen Vereins verfügen die Arbeitsblätter des ATV weder über Rechtsnormqualität noch über einen faktischen Ausschließlichkeitsanspruch, sondern bedürfen der Überprüfung ihrer Anwendbarkeit im konkreten Einzelfall (Czychowski/Reinhardt, WHG, 8. Auflage 2003, § 18 b Rn. 5 m.w.N.), die der Beklagte im Rahmen des ihm nach § 169 Abs. 1 NWG eingeräumten Ermessens vorzunehmen hat. Derartige Erwägungen sind jedoch weder von dem Beklagten noch von der Widerspruchsbehörde angestellt worden. In die Ermessenserwägungen hätte dabei eingestellt werden müssen, dass ein Wasserschutzgebiet noch nicht festgesetzt wurde. Die vorbehaltlose Anwendung der Bestimmungen des Arbeitsblattes auf lediglich geplante Wasserschutzgebiete lässt die besonderen Regelungen über die Festsetzung von Wasserschutzgebieten außer Acht und ist unzulässig.
Nach § 48 NWG können, soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, Wasserschutzgebiete nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens durch Verordnung festgesetzt werden, die nach § 49 NWG auch die erforderlichen Schutzbestimmungen trifft. Die Schutzbestimmungen können u.a. den Eigentümern von Grundstücken, die in dem Schutzgebiet liegen, bestimmte Handlungspflichten auferlegen (§ 49 Abs. 2 Nr. 2 NWG). Vor Erlass einer Schutzgebietsverordnung können vorläufige Anordnungen in Form einer Verordnung oder einer (Allgemein-)Verfügung - längstens für 4 Jahre - erlassen werden (§ 50 NWG). Die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Anordnung setzt voraus, dass das Wohl der Allgemeinheit die Festsetzung eines Schutzgebietes erfordert und ohne die Anordnung der mit der Festsetzung des Schutzgebietes beabsichtigte Zweck gefährdet ist (Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O., § 50 Anm. 2).
Die von dem Beklagten verfügte Anordnung nimmt in der Sache die Festsetzung des Wasserschutzgebietes vorweg. Die Rechte der Eigentümer von Grundstücken im geplanten Schutzgebiet, die im Verfahren nach § 48 NWG gewahrt werden sollen, werden unterlaufen, wenn ihnen bereits vor Erlass einer Schutzverordnung Handlungspflichten auferlegt werden, die für eine Schutzgebietsverordnung üblich sind, ohne dass eine Gefahr für die Trinkwassergewinnung konkret dargelegt wird. Weder finden sich in dem Bescheid Ausführungen zur Notwendigkeit der Festsetzung eines Schutzgebietes noch solche zu einer konkreten Gefährdung (i.S.d. § 2 Nr. 1a Nds. SOG) des Grundwassers durch die Abwasseranlage des Klägers, die es erforderlich macht, bereits vor Erlass einer Schutzgebietsverordnung einzuschreiten. Da KG-Rohre regelmäßig für die Grundstücksentwässerung verwendet werden, dürfte es sich eher um die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts handeln. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung insoweit auch selbst ausgeführt, dass das Bestehen und ggf. das Ausmaß einer Gefährdung des Grundwassers mit Hilfe der Kamerabefahrungen erst ermittelt werden soll. Diese Gefahrermittlung obliegt nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechts jedoch dem Beklagten (§ 24 Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 1 u. 2 VwVfG).
§ 137 Abs. 2 Satz 2 NWG bietet ebenfalls keine hinreichende Rechtsgrundlage für ein Einschreiten nach § 169 Abs. 1 NWG. Danach dürfen Flüssigkeiten durch Rohrleitungen nur so befördert werden, dass eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften nicht zu besorgen ist. Ob diese Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck auf Abwasserleitungen anwendbar ist, ist streitig (vgl. zum wortgleichen § 26 WHG: Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 26 Rn. 33). Jedenfalls reicht der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht weiter als derjenige des § 153 NWG. Eine nach den allgemeinen Regeln der Technik i.S.d. § 153 NWG betriebene Anlage, bei der keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Schadens bestehen, stellt keine Gefährdung des Grundwassers dar.
Da der Beklagte unterliegt, hat er gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, bestehen nicht.