Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 18.04.2006, Az.: 2 A 319/04

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
18.04.2006
Aktenzeichen
2 A 319/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:0418.2A319.04.0A

Amtlicher Leitsatz

Eine Umdeutung einer rechtswidrigen Rücknahmeentscheidung nach § 73 Abs. 2 AsylVfG in eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG kommt nicht in Betracht, wenn die Begründung des Bescheides widersprüchlich, missverständlich und formelhaft

Tatbestand:

1

Die Kläger sind irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und moslemischer Religionszugehörigkeit. Sie lebten vor ihrer Ausreise aus dem Irak zuletzt in H..

2

Am 16. Dezember 1994 (Kläger zu 1.) bzw. 3. August 1995 (Kläger zu 2. bis 4.) reisten die Kläger in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge. Mit Bescheiden vom 2. März bzw. 18. Dezember 1995 erkannte die Beklagte die Kläger als asylberechtigt an und stellte fest, dass in ihren Fällen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

3

Mit Verfügung vom 27. Mai 2004 hörte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Kläger zu einem beabsichtigten Widerruf der zuerkannten Rechtsstellungen an.

4

Mit Bescheid vom 25. August 2004 nahm die Beklagte die mit Bescheiden vom 2. März und 18. Dezember 1995 ausgesprochene Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Feststellung, dass im Fall der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen zurück und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen.

5

In dem Bescheid heißt es auszugsweise u.a.:

6

"Mit Verfügung vom 24. Mai 2004 wurde ein Rücknahmeverfahren eingeleitet. Im Anschreiben vom 27. Mai 2004 wurde den Ausländern die beabsichtigte Rücknahme mitgeteilt....(Seite 1 des Bescheides).

7

Zur Begründung der Einleitung des Rücknahmeverfahrens wurde ausgeführt, dass auf Grund der gravierenden Änderungen im Irak nach dem Einmarsch der Koalitionstruppen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte und § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr erfüllt sind (Seite 2 des Bescheides).

8

Die Anerkennung der Ausländer als Asylberechtigte und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, sind gemäß § 73 Abs. 2 AsylVfG zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erfolgt sind und die Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnten (Seite 2 des Bescheides).

9

Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc). Dies folgt aus den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Rücknahme eine "Verschärfung gegenüber den allgemeinen Rücknahmebestimmungen" darstelle und, obgleich sie auf die selbe Rechtsfolge gerichtet sei wie der Widerruf, hinsichtlich der zeitlichen Wirkung differenziere. Im Übrigen sind im konkreten Fall auch keine Gründe ersichtlich, die eine Wirkung nur für die Zukunft rechtfertigen könnten (Seite 3 des Bescheides).

10

Die Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG im Rahmen des Rücknahmeverfahrens ergibt sich aus der Rechtsanalogie zu....(Seite 6 des Bescheides)."

11

Die übrigen Begründungsausführungen beschäftigen sich inhaltlich mit der veränderten Situation im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein.

12

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 13. September 2004 Klage erhoben.

13

Sie sind der Ansicht, der Bescheid sei allein schon deshalb rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Rücknahme nicht vorlägen und eine Umdeutung in einen Widerrufsbescheid nicht möglich sei.

14

Inhaltlich tragen sie vor, der Kläger zu 1) werde nach wie vor von der PUK als Verräter gesucht.

15

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2004 aufzuheben,

16

hilfsweise,

17

die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in ihrem Fall Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.

18

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

19

Sie hält eine Umdeutung des Bescheides in einen Widerrufsbescheid für zulässig und tritt dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegen.

20

Die Kläger sind in der mündlichen Verhandlung informatorisch zu ihren Klagegründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Einlassungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

22

Die zulässige Klage ist begründet.

23

Der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2004 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

24

Die Tatbestandvoraussetzungen für die mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. August 2004 verfügte Rücknahme der Asylanerkennung und der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG liegen nicht vor.

25

Gemäß § 73 Abs. 2 AsylVfG ist die Anerkennung als Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge des Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist. Zu keiner Zeit haben die Kläger unrichtige Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen.

26

Eine Umdeutung des angefochtenen Bescheides nach § 47 Abs. 1 VwVfG in eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist nicht möglich.

27

Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind nicht sämtlich erfüllt.

28

Grundsätzlich ist die Umdeutung einer auch für die Vergangenheit ausgesprochenen Rücknahmeentscheidung nach § 73 Abs. 2 AsylVfG in eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG allerdings rechtmäßig und auch noch vom Gericht vorzunehmen (BVerwG, Urteile vom 24.11.1998 -9 C 53/97-, BVerwGE 108, 30; vom 23.11.1999 -9 C 16/99-, BVerwGE 110,111).

29

Voraussetzung für eine derartige Umdeutung ist jedoch, dass der Verwaltungsakt in den der rechtswidrige Bescheid umgedeutet werden soll, seinerseits so wie er erlassen wurde, rechtmäßig ist (Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 47 Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall.

30

Würde man den Tenor des angegriffenen Bescheides in eine Widerrufsentscheidung umdeuten, bliebe der Bescheid gleichwohl rechtswidrig. Denn seine Begründung ist nach wie vor widersprüchlich und nicht, wie von § 39 VwVfG verlangt, auf den konkreten Fall bezogen.

31

An mehreren, im Tatbestand im einzelnen zitierten Stellen, stellt die Begründung maßgeblich auf Rücknahmevorschriften ab. Zusammenhanglos stehen dem Ausführungen zu den Voraussetzungen eines Widerrufs der mit Bescheiden vom 2. März und 18. Dezember 1995 zuerkannten Rechtspositionen gegenüber. Für den objektiven Empfänger dieses Bescheides und unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass dessen Adressat der deutschen Amtssprache kaum mächtig ist und nicht über juristische Kenntnisse verfügt, ist nicht ersichtlich, was die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid denn nun wirklich gewollt hat. Es handelt sich auch nicht um ein einmaliges offenkundiges Versehen bei Bescheiderlass, sondern um durchgängige Fehlbegründungen. Ihre Häufung lässt nicht einmal den Schluss zu, dass der Bescheidverfasser sich lediglich in der Benutzung von Textbausteinen geirrt hat. Vielmehr führt die sich widersprechende Begründung dazu, dass für den objektiven Betrachter überhaupt nicht mehr erkennbar ist, was die Beklagte mit dem Bescheid vom 25. August 2004 gewollt hat; eine Rücknahme- oder eine Widerrufsentscheidung. Diese fehler- und formelhafte Begründung macht dem Adressaten eine sachgerechte Rechtsverteidigung gegen den Bescheid unmöglich und diesen damit rechtswidrig. Die in Erwägung gezogene Umdeutung scheidet damit aus.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 83 b AsylVfG.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.