Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.05.2018, Az.: L 8 AY 7/17

Rechtmäßigkeit einer Leistungseinschränkung nach dem AsylbLG; Weitgehend ungeklärte Verfassungsmäßigkeit der Leistungseinschränkungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.05.2018
Aktenzeichen
L 8 AY 7/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 24113
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 31.01.2017 - AZ: S 19 AY 15/16

Redaktioneller Leitsatz

Die Verfassungsmäßigkeit der Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG bzw. § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG sind in Rechtsprechung und Literatur weitgehend ungeklärt.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 31. Januar 2017 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 22. März 2016 und die für die Monate April bis Juli 2016 durch Auszahlung der Leistungen erfolgten Bewilligungen nach dem AsylbLG, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2016, werden geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 ungekürzte Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG zu gewähren und unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen auszuzahlen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben 1993 geboren und ivorischer Staatsangehöriger. Er wurde erstmals in Italien als Antragsteller auf Internationalen Schutz erkennungsdienstlich erfasst (EURODAC). Nach seiner Einreise nach Deutschland am 23. April 2015 stellte er einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 28. Mai 2015 unter Anordnung der Abschiebung als unzulässig abgelehnt wurde.

Eilverfahren und Klage gegen diese Entscheidung hatten keinen Erfolg (Verwaltungsgericht - VG - Stade, Beschluss vom 7. Juli 2015 - 1 B 1019/16 - und Urteil vom 7. April 2016 - 1 A 1018/16 -). Während des Asylverfahrens war der Kläger der im Kreisgebiet des Beklagten liegenden Stadt Cuxhaven zugewiesen, deren Ausländerbehörde ihm seit dem erfolgslosen Ausgang des gerichtlichen Eilverfahrens im Juli 2015 mit einem Lichtbild versehene Bescheinigungen über die bevorstehende Überstellung nach Italien ausstellte, u.a. unter dem 16. Dezember 2015 mit einer (mehrfach verlängerten) Gültigkeit bis zum 25. Januar 2016. In diesem Zusammenhang teilte die Ausländerbehörde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers - jeweils nach Klärung dessen Reisefähigkeit (Operation nach Leistenbruch) - am 4. November und erneut am 16. Dezember 2015 mit, dass der Kläger im Weiteren vom Landeskriminalamt ohne Ankündigung des konkreten Termins nach Italien überstellt werde. Einen Hinweis auf die Pflicht zur freiwilligen Ausreise allgemein oder konkret bis zu einem bestimmten Datum enthielten die Schreiben nicht. Die Überstellung des Klägers nach Italien fand am 11. Januar 2016 auf dem Luftweg statt.

Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet meldete sich der Kläger am 13. Januar 2016 bei der Landeshauptstadt Hannover als Asylsuchender und stellte am 22. Januar 2016 beim BAMF einen Asylfolgeantrag, der aber wegen des noch beim VG Stade anhängigen Klageverfahrens (- 1 A 1018/16 -) nicht zur Entscheidung angenommen wurde; eine Prüfung des BAMF, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, fand auf diesen Antrag nicht statt.

Am 25. Januar 2016 stellte die Ausländerbehörde der Stadt Cuxhaven dem Kläger wieder eine mit einem Lichtbild versehene Bescheinigung aus, nach der er "bis zu einer erneuten Vorgabe des BAMF zur Überstellung nach Italien" seinen Wohnsitz in der Stadt Cuxhaven zu nehmen habe und sein Aufenthalt auf das Kreisgebiet des Beklagten beschränkt sei. Nach der Verlängerung der Gültigkeit dieser Bescheinigung wurde dem Kläger am 20. Mai 2016 (nahtlos) eine inhaltlich entsprechende und mehrmals - zuletzt bis zum 25. Juli 2016 - verlängerte Bescheinigung ausgestellt. Auf einen weiteren Asylfolgeantrag vom 19. Juli 2016 erhielt der Kläger für die Zeit ab dem 21. Juli 2016 eine Duldung.

Leistungen nach § 3 AsylbLG bezog der Kläger vom Beklagten bis Januar 2016 ohne schriftliche Bewilligungsentscheidung. Nachdem der Beklagte für Februar 2016 - ebenfalls ohne Bescheid - gekürzte Leistungen gewährt hatte, bewilligte er dem Kläger durch Bescheid vom 22. März 2016 gemäß § 1a AsylbLG eingeschränkte Grundleistungen "für den Monat" März 2016 in Höhe von 256,90 EUR, wobei auf die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft Beträge von 96,00 EUR (Unterkunft) und 18,33 EUR (Heizung) entfielen (Gesamt: 114,33 EUR), die vom Beklagten direkt an den Unterkunftsbetreiber bzw. den Stromversorger entrichtet wurden. Zur Bestreitung seines Lebensunterhalts wurde dem Kläger - auch in den Folgemonaten (bis Juli 2016) - ein Betrag von 117,57 EUR monatlich ausgezahlt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. März 2016, mit dem er u.a. eine unterlassene Anhörung rügte, wurde nach Erläuterung der Hintergründe der Kürzung und Einräumung einer Stellungnahmefrist bis zum 8. Juni 2016 durch Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2016 in der Sache zurückgewiesen. Mit Ausstellung der Duldung am 21. Juli 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger wieder (ungekürzte) Leistungen nach § 3 AsylbLG (Bescheid vom 22. Juli 2016).

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 22. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2016 hat der Kläger am 12. August 2016 beim Sozialgericht (SG) Stade Klage u.a. mit der Begründung erhoben, die behördliche Entscheidung sei wegen einer unterlassenen Anhörung und einer unterbliebenen Befristung verfahrensfehlerhaft ergangen und verstoße materiell gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Das SG hat die Klage unter Zulassung der Berufung durch Urteil vom 31. Januar 2017 (dem Kläger zugestellt am 6. Februar 2017) abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass die Leistungseinschränkung nach Maßgabe des § 1a Abs. 2 AsylbLG rechtmäßig und als verhaltensbedingte Leistungskürzung mit der Verfassung vereinbar sei.

Hiergegen richtet sich die unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vom Kläger am 3. März 2017 eingelegte Berufung.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 31. Januar 2017 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 22. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2016 zu ändern und

2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 ungekürzte Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG zu bewilligen und unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefter Leistungsakten) und der Stadt Cuxhaven (12 Hefter Ausländerakten) verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere allein wegen der das LSG bindenden Zulassung durch das SG statthaft (§§ 143, 144 Abs. 3 SGG). Sie ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger hat für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 einen Anspruch auf ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG.

1. Gegenstand der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG, mit dem Ziel, höhere ("ungekürzte") Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG zu erhalten (zur Zulässigkeit eines Grundurteils in diesen Fällen BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R - juris Rn. 10), ist der Bescheid des Beklagten vom 22. März 2016 sowie die für die Monate April bis Juli 2016 erfolgten Bewilligungen nach dem AsylbLG durch (bloße) Auszahlung der Leistungen jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2016 (§ 95 SGG). Streitbefangen ist damit die Leistungsgewährung für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016. Der Ausgangsbescheid regelt zwar nur befristet die Leistungsgewährung "für den Monat" März 2016. Nach der Rechtsprechung des BSG werden aber ausdrückliche bzw. konkludente Bewilligungsentscheidungen, die Folgezeiträume betreffen, jedenfalls für die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides - in analoger Anwendung des § 86 SGG - Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R - juris Rn. 10), hier also auch die durch Auszahlung der Leistung in den Monaten April bis Juli 2016 konkludent erfolgten Bewilligungen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 11). Der streitige Zeitraum ist nach dem Klageantrag im Berufungsverfahren in sachgerechter Weise bis zum 20. Juli 2016 begrenzt worden, weil der Kläger ab dem 21. Juli 2016 wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hat (Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2016).

2. Die angefochtene Bewilligung ist formell rechtmäßig.

Der Beklagte ist für die Entscheidung über die Leistungen nach dem AsylbLG für den der im Kreisgebiet des Beklagten gelegenen Stadt Cuxhaven zugewiesenen Kläger (Zuweisungsbescheid der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen - Standort Braunschweig - vom 29. April 2015) sachlich und örtlich zuständig (§§ 10a Abs. 1 Satz 1, 10 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 des Nds. Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Aufnahmegesetz)). Der Beklagte trifft hier sowohl die Ausgangs- als auch die Widerspruchsentscheidung, weil er die Stadt Cuxhaven nicht zur Durchführung der ihm obliegenden Aufgaben nach dem AsylbLG herangezogen hat (vgl. § 1 der Satzung über die Heranziehung der Gemeinden und Samtgemeinden des Landkreises Cuxhaven sowie der Stadt Langen zur Durchführung der Aufgaben nach dem AsylbLG vom 8. Dezember 2004, Amtsblatt für den Landkreis Cuxhaven Nr. 48/2004, S. 424, vom 30. Dezember 2004).

Es kann offenbleiben, ob der Beklagte es verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, den Kläger rechtzeitig - also vor Erlass des Bescheides vom 22. März 2016 - zu der Leistungseinschränkung anzuhören (§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG). Ein solcher Fehler wäre durch die mit einer Stellungnahmefrist bis zum 8. Juni 2016 ausdrücklich nachgeholte Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt. Ob es im Rahmen von Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 1, 2 oder 4 AsylbLG (im Einzelnen dazu gleich) in materieller Hinsicht einer - über eine bloße Anhörung i.S. des § 28 Abs. 1 VwVfG hinausgehenden - Belehrung über die jeweiligen Voraussetzungen der Einschränkungstatbestände bedarf, kann ebenfalls dahinstehen, weil die vom Beklagten für die Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 verfügte Leistungseinschränkung bereits aus anderen Gründen rechtswidrig ist (ebenfalls offen gelassen im Falle einer Leistungseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG alter Fassung bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG in der seit 24. Oktober 2015 geltenden Fassung, BGBl. I 2015, S. 1722, BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R - juris Rn. 19).

3. In der Sache hat der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf die von ihm der Höhe nach geltend gemachten Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG (hier und im Weiteren in der ab 24. Oktober 2015 geltenden Fassung vom 20. Oktober 2015, BGBl. I 1722).

a) Der Kläger ist in der Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 als vollziehbar Ausreisepflichtiger dem Grunde nach leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gewesen. Er ist nach seiner Überstellung nach Italien am 11. Januar 2016 ohne den nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für eine Einreise (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und weiteren Aufenthalt (§ 50 Abs. 1 AufenthG) erforderlichen Titel am 12. oder 13. Januar 2016 unerlaubt nach Deutschland eingereist und daher vollziehbar ausreisepflichtig gewesen (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Ob der Kläger aufgrund der (vergeblichen) Stellung eines Asylfolgeantrags beim BAMF am 22. Januar 2016, der wegen des noch anhängigen Asylrechtsstreits (VG Stade - 1 A 1018/15 -) nicht zur Entscheidung entgegengenommen worden ist, (auch) leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG gewesen ist, kann an dieser Stelle dahinstehen.

b) Der Anspruch des Klägers auf laufende lebensunterhaltssichernde Leistungen bemisst sich in der streitgegenständlichen Zeit nach § 3 Abs. 2 AsylbLG (zum Leistungsumfang im Einzelnen später). Der Kläger begehrt nach dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag keine höheren Leistungen. Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (hier in der ab 1. März 2015 geltenden Fassung vom 10. Dezember 2014, BGBl. I 2187) haben ihm im streitigen Zeitraum auch nicht zugestanden, weil ein solcher Anspruch u.a. einen fünfzehnmonatigen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt und der Kläger diese Frist nicht erfüllt. Er ist am 23. April 2015 erstmals in das Bundesgebiet eingereist, so dass eine Leistungsberechtigung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG frühestens mit Ablauf des 23. Juli 2016 in Betracht kommt. Ob die Überstellung des Klägers nach Italien am 11. Januar 2016 eine wesentliche Unterbrechung seines Aufenthalts in Deutschland i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG darstellt, kann insoweit dahinstehen.

c) Der Leistungsanspruch ist nicht nach Maßgabe des § 1a AsylbLG eingeschränkt. Die hier einzig in Betracht kommenden Einschränkungstatbestände nach § 1a Abs. 2, 4 und 1 AsylbLG (jeweils in der ab 24. Oktober 2015 geltenden Fassung vom 20. Oktober 2015, BGBl. I 1722; § 1a Abs. 4 AsylbLG in der bis zum 5. August 2016 geltenden Fassung, im Weiteren bezeichnet als a.F.) haben nicht vorgelegen.

aa) Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden.

Der Kläger ist aufgrund der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet am 12. oder 13. Januar 2016 vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 50, 58 AufenthG) und damit leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gewesen (s. auch oben). Ob der Kläger wegen der (vergeblichen) Stellung des Asylfolgeantrags am 22. Januar 2016 bereits leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG gewesen ist mit der Folge, dass eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG (aber auch nach § 1a Abs. 4 AsylbLG und § 1a Abs. 1 AsylbLG) wegen des begrenzten persönlichen Anwendungsbereichs von vorneherein nicht in Betracht kommt (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2016 - L 8 AY 51/16 B ER - juris Rn. 14), kann dahinstehen, weil bereits der für eine Einschränkung erforderliche Ausreisetermin i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG nicht festgestanden hat.

Welche Anforderungen an einen in diesem Sinne feststehenden Ausreisetermin zu stellen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur (noch) weitgehend ungeklärt. Nach dem Wortlaut der Norm und dem sprachlichen Verständnis des Begriffes Termin ist unter dem Ausreisetermin i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG dasjenige Datum zu verstehen, zu dem die Ausreise des vollziehbar Ausreisepflichtigen erfolgen soll (so zu Recht Hohm in GK-AsylbLG, Stand: Januar 2018, § 1a Rn. 204), wobei unter den Begriff der Ausreise nicht nur die freiwillige, sondern auch diejenige unter Zwang (Abschiebung) fällt (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2016 - L 8 AY 51/16 B ER - juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 - 1 C 19/08 - juris Rn. 12; so auch Hohm, a.a.O., Rn. 205). Der Ausreisetermin bestimmt sich nach den Vorschriften über die Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 50 ff. AufenthG (so ausdrücklich Siefert in Siefert, AsylbLG, 1. Aufl. 2018, § 1a Rn. 26) und damit in der Regel nach dem Ablauf der im asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren festgesetzten Ausreisefrist (vgl. auch die Gesetzesmaterialien, in denen der Ablauf der Ausreisefrist mit dem Ausreisedatum gleichgesetzt wird, BT-Drs. 18/6185, S. 44 zu Nummer 2 Buchstabe b; Siefert, a.a.O., Rn. 26; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII, Stand August 2017, § 1a AsylbLG Rn. 20; Wahrendorf in AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 1a Rn. 55), ohne dass ein (späterer) konkreter Abschiebetermin maßgeblich ist (Hohm, a.a.O., Rn. 206, 207 m.w.N.). Je nach ausländerrechtlicher Situation legt den Ausreisetermin damit das BAMF oder die zuständige Ausländerbehörde fest, etwa das BAMF nach erfolglosem Asylverfahren durch die Festsetzung einer Ausreisefrist von sieben bis 30 Tagen nach Zustellung der Abschiebungsandrohung (vgl. §§ 36 Abs. 1, 37 Abs. 2, 38 Abs. 1 AsylG) oder unabhängig vom Asylverfahren die Ausländerbehörde mit einer entsprechenden Ausreisefrist nach § 59 Abs. 1 AufenthG. Die durch eine unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet begründete sofortige Ausreisepflicht (§§ 50, 58 AufenthG) allein genügt - ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise - zur Bestimmung eines (insoweit taggleichen) Ausreisetermins i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG nicht (vgl. auch Herbst, a.a.O.; missverständlich BT-Drs. 18/6185, S. 44 zu Nummer 2 Buchstabe b: "Absatz 2 bestimmt, dass vollziehbar Ausreisepflichtige, die nicht ausgereist sind, obwohl sie unverzüglich zur Ausreise verpflichtet waren ").

Nach diesen Maßgaben hat für den Kläger in der Zeit vom 1. März bis 20. Juli 2016 kein Ausreistermin i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG festgestanden. Zur Bestimmung des Ausreisetermins ist allein auf den Aufenthalt des Klägers ab der erneuten Einreise in das Bundesgebiet am 12. oder 13. Januar 2016 abzustellen. Eine womöglich während seines ersten Aufenthalts in Deutschland (vom 23. April 2015 bis zum 11. Januar 2016) abgelaufene Ausreisefrist bzw. ein verstrichener Ausreisetermin i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG ist wegen der Abschiebung des Klägers am 11. Januar 2016 nicht mehr maßgeblich.

Nach seiner erneuten Einreise nach Deutschland hat sich der Kläger zunächst in Hannover gemeldet und ist anschließend wieder in die Stadt Cuxhaven zurückgekehrt. Wegen der beabsichtigten Stellung eines Asylfolgeantrags hat die zuständige Ausländerbehörde dem Kläger am 25. Januar und 20. Mai 2016 - wohl als Identitätsnachweis bestimmte - Bescheinigungen ausgestellt, nach denen bis zu einer erneuten Vorgabe des BAMF zur Überstellung nach Italien der weitere Aufenthalt des Klägers auf das Kreisgebiet des Beklagten beschränkt und der Wohnsitz weiterhin in der Stadt Cuxhaven zu nehmen sei. Diese Bescheinigungen wurden über den gesamten streitigen Zeitraum mehrfach verlängert (zuletzt bis zum 25. Juli 2016). Die Ausländerbehörde hat dem Kläger keine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt, sondern ihn nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylrechtsstreits (Urteil des VG Stade vom 7. April 2016 - 1 A 1018/15 -) lediglich aufgefordert, beim BAMF den angekündigten Asylfolgeantrag zu stellen (Schreiben vom 28. April und 16. Juni 2016). Unter diesen Umständen, insbesondere unter Berücksichtigung der verfügten Wohnsitzauflage, ist in der streitigen Zeit kein Ausreisetermin i.S. des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG bestimmbar.

bb) Die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG a.F. (seit 6. August 2016 im Wortlaut unverändert: § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG, BGBl. I 2016, 1939) haben ebenfalls nicht vorgelegen. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, nur Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG. Die Anwendbarkeit der Norm setzt also voraus, dass der Leistungsberechtigte von einem Relokationsbeschluss der Europäischen Union betroffen ist (Senatsbeschluss vom 17. August 2017 - L 8 AY 17/17 B ER - juris Rn. 10; so auch Siefert, in Siefert, AsylbLG, 1. Aufl. 2018, § 1a Rn. 40), was bei dem Kläger nicht der Fall ist. Für sein Asylverfahren ist - nach Aktenlage - Italien nach dem sog. Dublin-III-Verfahren zuständig (gewesen), weil er dort erstmals registriert worden ist. Dieser Sachverhalt einer abweichenden Zuständigkeit aufgrund der Dublin III-VO (EU) 604/2013 ist allerdings nicht vom Wortlaut des § 1a Abs. 4 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG in der aktuellen Fassung erfasst (Senatsbeschluss vom 17. August 2017 - L 8 AY 17/17 B ER - juris Rn. 10; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2016 - L 15 AY 23/16 B ER, L 15 AY 26/16 B ER PKH - juris Rn. 9 und vom 28. April 2016 - L 15 AY 15/16 B ER, L 15 AY 16/16 B ER PKH - juris Rn. 20; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG, 2. Überarbeitung Rn. 96.1; Siefert in Siefert, AsylbLG, 1. Aufl. 2018, § 1a Rn. 41).

cc) Schließlich haben die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht vorgelegen. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG (...), die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Voraussetzung ist insoweit, dass der Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG der einzige Einreisegrund ist oder aber bei verschiedenen Einreisemotiven das prägende ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 22/87 - juris Rn. 12 zu der nahezu wortgleichen Regelung des § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG; vgl. auch BSG, Urteil vom 18. November 2014 - B 8 SO 9/13 R - juris Rn. 25).

Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger allein wegen des Bezugs von Leistungen nach dem AsylbLG erneut nach Deutschland eingereist bzw. dies das prägende Einreisemotiv gewesen ist. Auch der Beklagte hat im Verwaltungsverfahren in dieser Hinsicht keine weiteren Ermittlungen vorgenommen und dem Kläger diese Absicht im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auch nicht unterstellt. Das Hauptmotiv des Klägers für die erneute Einreise beruht offensichtlich auf der guten Wirtschaftslage in Deutschland und der - im Vergleich zu einem Aufenthalt in Italien - günstigeren Perspektive, eine Ausbildung absolvieren oder eine Beschäftigung ausüben zu können. Die Erwartung, den eigenen Lebensunterhalt zukünftig mit eigenen Mitteln (aus Erwerbstätigkeit) sicherzustellen, wird etwa belegt durch die Teilnahme des Klägers an einer Qualifizierung (Werkstattbereich Holz) in der Jugendwerkstatt Cuxhaven, getragen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V., Kreisverband F., für die Zeit ab 20. Juli 2015, also sehr bald nach der ersten Einreise nach Deutschland am 23. April 2015.

4. Die dem in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebrachten Kläger (noch) zu erbringenden Leistungen ergeben sich aus § 3 Abs. 2 AsylbLG (Unterbringung außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung) und erstrecken sich auf den Geldbetrag für den notwendigen Bedarf einer alleinstehenden Person nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3 Abs. 4 AsylbLG für die Zeit ab 1. Januar 2016 vom 26. Oktober 2015 (BGBl. I 1793) in monatlicher Höhe von 219,00 EUR und auf denjenigen zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs nach § 3 Abs. 2 Satz 5 AsylbLG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 8 Nr. 1 AsylbLG. Für die Zeit vom 1. bis 16. März 2016 beträgt dieser Geldbetrag nach der o.g. Bekanntmachung 145,00 EUR je Monat und nach der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 8 Nr. 1 AsylbLG vom 11. März 2016 (BGBl. I 390) 135,00 EUR. Der Beklagte hat die Differenz der bereits erbrachten und der dem Kläger aufgrund dieses Grundurteils noch zustehenden Geldleistungen zu ermitteln und auszuzahlen. Leistungen für Unterkunft, Heizung oder Hausrat nach § 3 Abs. 2 Satz 4 AsylbLG, die dem Kläger während der streitigen Zeit bedarfsdeckend als Sachleistungen erbracht worden sind, sind von dieser Entscheidung nicht betroffen.

Da der Kläger den mit der Klage verfolgten Anspruch der Höhe nach auf die gesetzlich nach § 3 Abs. 2 AsylbLG bestimmten Leistungen (i.S. eines Grundurteils nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) beschränkt hat, hat es keiner Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob die Höhe der Grundleistungen - jedenfalls für die Zeit ab Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG mit Wirkung zum 17. März 2016 - verfassungsgemäß bemessen worden sind (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 2. November 2017 - L 8 AY 22/17 B - unveröffentlicht; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Juli 2017 - L 20 AY 4/17 B - juris Rn. 28; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG, Rn. 47 ff., 60.1 ff.; krit. auch Oppermann, jurisPR-SozR 16/2016 Anm. 1 und Siefert, jM 2016, 329, 331).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Voraussetzungen von Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG und § 1a Abs. 4 AsylbLG a.F. (bzw. § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG in der aktuellen Fassung) und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Normen sind in Rechtsprechung und Literatur (noch) weitgehend ungeklärt bzw. unbeantwortet. Das Urteil des BSG vom 12. Mai 2017 (- B 7 AY 1/16 R -) betrifft in diesem Zusammenhang allein die bis zum 23. Oktober 2015 geltende Fassung des § 1a Nr. 2 AsylbLG (nun § 1a Abs. 3 AsylbLG) und (auch) eine andere Rechtsfolge als die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG in der ab dem 24. Oktober 2015 geltenden Fassung vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I 1722). Eine Revisionsentscheidung kann (auch) im vorliegenden Fall der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung dienen.