Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.05.2018, Az.: L 7 AL 6/17
Abfindungsähnliche Entschädigung; Durchhalteprämie; Anwesenheitsprämie; Insolvenzgeld; Arbeitsentgelt
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 29.05.2018
- Aktenzeichen
- L 7 AL 6/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74535
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 24.11.2016 - AZ: S 38 AL 158/14
Rechtsgrundlagen
- § 165 Abs 1 SGB 3
- § 166 Abs 1 Nr 1 SGB 3
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die vom Arbeitgeber mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters für die letzte Woche des vorfinanzierten dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraums ausgelobte "Durchhalteprämie" von 1.000,-- Euro ist kein insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 24. November 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 44.121,09 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht Insolvenzgeldansprüche. Zwischen den Beteiligten streitig ist die Frage, ob eine im Insolvenzgeldzeitraum erfolgte „Durchhalteprämie“ in Höhe von 1.000,00 € brutto pro Mitarbeiter zum insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gehört.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der E. GmbH, F. (Arbeitgeber), die als Software Dienstleister für Marketing und Kommunikationstechnologie im Pharmabereich tätig war. Zahlungsschwierigkeiten führten in der zweiten Jahreshälfte 2013 zu Entlassungen fast der Hälfte ihrer Mitarbeiter; ab November 2013 wurden die Gehälter nicht mehr gezahlt. Am 13. Dezember 2013 stellte der Arbeitgeber einen Insolvenzantrag. Das Amtsgericht (AG) F. bestellte daraufhin den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und eröffnete ab 1. Februar 2014 das Insolvenzverfahren mit dem Kläger als Insolvenzverwalter (Az.: G.). Die Beklagte stimmte auf Antrag des Klägers gemäß § 170 Abs. 4 SGB III der Vorfinanzierung rückständiger Arbeitsentgelte durch das Bankhaus H., I., zunächst für November 2013 (Bescheid vom 18. Dezember 2013) und später für Dezember 2013 und Januar 2014 (Bescheid 2. Januar 2014) zu.
Am 9. Januar 2014 fand eine Betriebsversammlung statt, bei der der Kläger den anwesenden Arbeitnehmern eröffnete, dass eine Fortführung des Betriebes in der bisherigen Form über den voraussichtlichen Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Februar 2014 hinaus nicht in Betracht komme und der Betrieb insoweit zum 31. Januar 2014 stillgelegt werden müsse. Möglich sei lediglich die Fortführung der Unternehmenssparten „Medicalmarketing“ und „Hosting“ durch eine neue Gesellschaft aus dem Kreis des bisherigen Managements mit voraussichtlich 25 Arbeitnehmern sowie durch eine neue Firma J. GmbH mit 3 Arbeitnehmern, aber nur unter der Voraussetzung einer Begründung von neuen Arbeitsverhältnissen. Die zwei neuen Investoren seien unter keinen Umständen bereit, die Folgen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hinzunehmen. Zwingende Voraussetzung für den Verkauf sei deshalb, dass alle Arbeitnehmer einen Widerspruch gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a Abs. 6 BGB erheben. Der Kläger forderte mit gesondertem Schreiben alle Arbeitsnehmer zu diesem Schritt auf, damit einige Arbeitsplätze gerettet werden könnten. Lediglich 4 Mitarbeiter haben keinen Widerspruch erhoben, darunter zwei sich in Mutterschutz/Elternzeit befindlichen Mitarbeiterinnen sowie die Personalleiterin, die Kündigungsschutzklage gegen den Betriebsübernehmer geführt hat.
Am 23. Januar 2014 lobten die Geschäftsführer der K. GmbH mit Zustimmung des Klägers als vorläufigen Insolvenzverwalters eine Prämie in Höhe von 1.000,00 € brutto pro Mitarbeiter aus. Laut Präambel sollte die Prämienzusage im Sinne einer Durchhalteprämie der Sicherstellung der geplanten Geschäftsfortführung dienen, die den Abschluss unterschiedlicher Projekte noch im Januar 2014 und dazu die Anwesenheit der Mitarbeiter an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen erforderte, sowie zur Wahrung bestehender Sanierungsaussichten. Von den Mitarbeitern wurde im Gegenzug für die letzten fünf Arbeitstage verlangt, dass sie ohne krankheitsbedingtes oder sonstiges Fernbleiben von der Arbeit eine Arbeitsleistung erbringen. Die Prämie wurde mit der Zahlung des Gehaltes für den Monat Januar 2014 fällig und an 82 Mitarbeiter ausgezahlt.
Am 14. März 2014 beantragte das Bankhaus L. bei der Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld für Dritte bezüglich der ausgezahlten Arbeitsentgelte in Höhe von insgesamt 490.328,82 €. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 6. Juni 2014 das Insolvenzgeld auf 446.207,73 € fest ohne Berücksichtigung der im Januar 2014 ausgelobten Durchhalteprämien. Der Widerspruch des Bankhauses wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2014 als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin kaufte der Kläger am 29. Oktober 2014 von der vorfinanzierenden Bank die offene Insolvenzgeldforderung in Höhe von 44.121,09 € sowie die dazugehörigen nicht auf die Beklagte übergegangenen Lohnforderungen. Ferner hat er am 24. November 2014 im eigenen Namen beim Sozialgericht (SG) Stade Klage gegen die von der Beklagten an das Bankhaus gerichteten Bescheide erhoben.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Durchhalteprämie sei ein zulässiger Bestandteil des Arbeitsentgeltes und zur Motivation der Mitarbeiter erforderlich gewesen, weil sonst der Geschäftsbetrieb nicht hätte fortgeführt werden können. Demgegenüber hat die Beklagte darauf verwiesen, dass die Arbeitnehmer ohnehin zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen seien. Bei Auslobung der Prämien durch den Arbeitgeber sei bekannt gewesen, dass dieser die Prämie nicht selbst zahlen würde, sondern diese zur Lasten der Beklagten gehe.
Das SG hat Rechtsanwalt M. als Zeugen vernommen, der in der Insolvenzpraxis dieses Verfahren für den Kläger betreut hat. Mit Urteil vom 24. November 2016 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt, dem Kläger weitere 44.121,09 € als Insolvenzgeld nebst Zinsen zu zahlen. In den Gründen hat es ausgeführt, dass mit der Prämienzahlung ein nachvollziehbar betrieblicher Zweck verfolgt worden sei. Die Prämie habe nicht den Zweck gehabt, auf Kosten der Beklagten die Insolvenzgeldansprüche der Arbeitnehmer zu erhöhen. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, insbesondere der fehlenden Projektsteuerung und der Unruhe im Unternehmen, nachdem klar gewesen sei, dass lediglich ein kleiner Teil der Mitarbeiter in die sich abzeichnende neue Unternehmung übernommen werden könne, erscheine für das Gericht die unternehmerische Entscheidung zur Zusage der Prämie als sinnvoll. Die Prämie habe auch den verfolgten Zweck erfüllt, weil ein Teil des Unternehmens weitergeführt worden sei. Die Frage, ob und inwieweit dies auch ohne die Prämie zu erreichen gewesen wäre, lasse sich im Nachhinein nicht mehr beantworten. Es sei für das Gericht auch nachvollziehbar, warum die Prämie allen Mitarbeitern zugesagt worden sei, denn es sei nicht klar gewesen, welche konkreten Mitarbeiter noch benötigt und später übernommen werden sollten. Eine zielgerichtete Prämienzusage an einzelne Mitarbeiter sei in dieser Situation kaum durchführbar gewesen. Die Prämienzusage sei deshalb nicht sittenwidrig.
Gegen das am 22. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Januar 2017 Berufung eingelegt. Sie rügt, dass die Sonderprämie nicht von ihrer Zustimmung im Bescheid vom 2. Januar 2014 zur Vorfinanzierung der offenen Arbeitsentgelte umfasst werde. Denn diese sei erst am 24. Januar 2014, also nach der Zustimmung vereinbart worden. Eine solche wäre auch nicht erteilt worden, weil nach § 170 Abs. 4 SGB III Voraussetzung für eine Zustimmung zur Vorfinanzierung der erhebliche Erhalt von Arbeitsplätzen sei, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe. Vielmehr sei ein Betriebsübergang unter Fortbestand der alten Arbeitsverhältnisse absichtlich vermieden worden. Ferner habe das SG zu Unrecht darauf abgestellt, dass eine Schädigungsabsicht nicht erkennbar gewesen sei. Denn für die Frage der Sittenwidrigkeit komme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht auf eine Schädigungsabsicht oder auf ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit an. Wenn schon das Vorverschieben eines an sich bestehenden Anspruchs auf eine Sonderzahlung als sittenwidrig erachtet werde, weil dies allein zu Lasten der Umlageverpflichteten gehe, müsse das erst Recht für die Begründung einer ganz neuen Zahlungsverpflichtung gelten. Jedenfalls sei die Durchhalteprämie kein zu berücksichtigendes Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 Abs. 2 SGB III. Das SG habe seine Entscheidung lediglich auf Bewertungen des Zeugen gestützt, nicht aber auf nachvollziehbare Tatsachen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei nur schwer vorstellbar, dass innerhalb des kurzen Zeitraums noch große Veränderungen beziehungsweise signifikante Arbeitserfolge erzielt werden könnten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 24. November 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger erwidert, dass Anwesenheitsprämien eindeutig zum insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgelt gehörten. Das Erstgericht habe zu Recht keine Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung feststellen können. Auf die Frage, ob unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten die Prämie Erfolg haben könnte, komme es nicht an, weil dies nichts an der Insolvenzgeldfähigkeit der Prämien ändern könnte. Die unternehmerische Entscheidung finde einzig dort ihre Grenzen, wo sie sittenwidrig sei.
Der Senat hat mit Verfügung vom 21. April 2017 zahlreiche Fragen an den Kläger gerichtet, unter anderem, welche Arbeitnehmer am 23. Januar 2014 arbeitsunfähig krank gewesen seien beziehungsweise von dem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hätten und welche davon mit der gezahlten Prämie zu einer Weiterarbeit für die restlichen fünf Arbeitstage motiviert werden konnten, insbesondere ob sie in diesem Fall wieder arbeitsfähig geschrieben worden seien und ferner, bei welchen genauen Projekten diese Arbeitnehmer bis zum 31. Januar 2014 eingesetzt worden seien, welche Tätigkeiten im Einzelnen diese dort verrichtet beziehungsweise welche Projekte diese in den fünf Arbeitstagen vollendeten haben, die andere Arbeitnehmer nicht verrichten konnten oder wollten. Der Kläger hat mitgeteilt, dass die Personalbuchhandlung der Insolvenzschuldnerin auf die Betriebsübernehmerin übergegangen sei und er keine Kenntnis über einzelne Krankheitstage habe. Die spätestens ab Anfang Januar 2014 eingetretene Ressourcenknappheit an geeigneten Mitarbeitern für bestimmte Projekte sei mehrmals Gegenstand von Telefonaten und Gesprächen zwischen der Insolvenzpraxis und der Personalleiterin aber vor allem der späteren Übernehmerin gewesen. Der Kläger hat unter Vorlage von drei E-Mails drei Projekte genannt, an denen gearbeitet worden sei. Durch die Vorlage von drei weiteren E-Mails (Fa. N. GmbH, Fa.O. GmbH, Klinikum P.) werde die Nervosität der Auftraggeber dargelegt. Der Kläger hat ferner zwei E-Mails beispielhaft für Nachfragen von Mitarbeitern bezüglich der Prämienzusage vorgelegt. Ihm sei lediglich bekannt, dass die Mitarbeiter Q. und R. ihren Urlaub abgesagt und S. die Arbeitsunfähigkeit abgebrochen hätten, um mit ihrer Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Es gebe allerdings nur wenige verschriftlichte Vorgänge. Festzustellen sei allerdings, dass das Unternehmen die Tätigkeit in den jeweiligen Projekten umfänglich bis zum Ende des Insolvenzantragsverfahrens fortsetzen und insoweit eine Übertragung eines Teilbetriebes unter Übernahme der nichtgekündigten Aufträge erfolgen konnte.
Wegen des vollständigen Sachverhalts und des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Gegenstand des Verfahrens waren ferner die Insolvenzakten des AG F. (Az.: 11 IN 142/13).
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Die Beklagte hat mit den angegriffenen Bescheiden die insolvenzgeldfähigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt der Arbeitnehmer der Firma E. GmbH vollständig an die vorfinanzierende Bank befriedigt.
1.
Gemäß § 165 Abs. 1 SGB III haben Arbeitsnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Soweit die Arbeitnehmer vor Antragstellung auf Insolvenzgeld ihre Ansprüche auf Arbeitsentgelt einem Dritten übertragen haben, steht der Anspruch auf Insolvenzgeld dem Dritten zu (§ 170 Abs. 1 SGB III). Die Insolvenzgeldversicherung dient in erster Linie dem Schutz von Arbeitnehmern, die durch ihre Vorleistungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber einem erheblichen Risiko ausgesetzt sind, wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers kein Arbeitsentgelt zu erhalten. Zweck des Insolvenzgelds ist es daher, dem Arbeitnehmer, der in einer Regel nicht in der Lage ist, für seine Arbeitsleistung vorab eine Sicherheit zu fordern, zumindest für einen begrenzten Zeitraum vor Lohnausfällen zu schützen. Der Arbeitnehmer wird dadurch vor einer objektiven Verletzung der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers geschützt (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – B 11/10 AL 8/98 R – SozR 3-3100 § 186b Nr. 1). Geschütztes Arbeitsentgelt sind alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Begriff des Arbeitsentgelts ist umfassend zu verstehen und erfasst alle Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis, die als Gegenwert für geleistete Arbeit oder für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft des Arbeitnehmers angesehen werden können (ausführlich: Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB III-Kommentar, Stand: Februar 2016, § 165 Rdz.98 ff). Keinen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen aber Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschuldet werden (§ 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).
2.
Ausgehend von dem Insolvenzereignis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E. GmbH am 1. Februar 2014 durch das AG F. (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III) umfasst der Insolvenzgeldzeitraum die Zeit vom 1. November 2013 bis zum 31. Januar 2014. Die zweimonatige Antragsfrist nach dem Insolvenzgeldereignis (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III) ist durch die Antragstellung des Bankhauses H. AG vom 14. März 2014 gewahrt. Die Zustimmung zur Vorfinanzierung der Insolvenzgeldansprüche durch Übertragung der Arbeitsentgelte gemäß § 170 Abs. 4 SGB III setzt lediglich eine positive Prognoseentscheidung über den voraussichtlichen Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsstellen voraus, begrenzt aber ihre Wirkung nicht ausschließlich auf bis dahin voraussehbar fällig werdende Arbeitsentgeltansprüche. Der diesbezügliche Einwand der Beklagten geht fehl. Die Beklagte hat jedoch im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die vom Arbeitgeber mit Zustimmung des Klägers ausgelobte Durchhalteprämie kein ausgleichspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne der Insolvenzgeldversicherung darstellt.
3.
Der Senat ist nach Auswertung aller vorliegenden Unterlagen überzeugt, dass die streitige Durchhalteprämie keine zusätzliche Entlohnung für die letzten fünf Arbeitstage im Januar 2014 (unten zu 4.) darstellt, sondern eine pauschale Entschädigung für die Stilllegung des Betriebes zum 31. Januar 2014 und die damit zusammenhängenden Verluste für den Bestandschutz sowie die nicht über das Insolvenzgeld ausgeglichenen Ansprüche (unten zu 5.).
4.
Die Prämie ist keine Anwesenheitsprämie.
a)
Die Anwesenheitsprämie kommt als einmalige Jahreszahlung vor, wobei unter bestimmten, nicht diskriminierenden Umständen von dem Höchstbetrag Abzüge pro Fehltag erfolgen können. Eine weitere Erscheinungsform in der Arbeitswelt ist die laufend gezahlte Anwesenheitsprämie. In diesen Fällen wird die Anwesenheitsprämie als Aufschlag zur laufenden Vergütung gewährt, etwa als Zulage pro Anwesenheitsstunden oder monatliche Zulage bei einem vom Arbeitgeber festgesetzten Mindestanwesenheitszeit (ausführlich: Link in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage 2017, S.855 ff).
b)
Die streitige Durchhalteprämie gehört zu den laufenden Anwesenheitsprämien, weil der Arbeitgeber nach seinen Angaben die Anwesenheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz an den letzten fünf Arbeitstagen im Januar 2014 zusätzlich honorieren wollte. Eine laufende Anwesenheitsprämie ist aber sowohl während der sechswöchigen Entgeltfortzahlung als auch während der Mutterschaftsfristen und insbesondere als Urlaubsentgelt anteilig weiterzuzahlen. Da der Arbeitgeber aber mit dieser Zahlung eine Wiederaufnahme der Tätigkeit trotz Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise Urlaubs bewirken wollte, kann es sich arbeitsrechtlich nicht um eine Anwesenheitsprämie handeln.
c)
Wollte der Arbeitgeber mit Zustimmung des Klägers eine Anwesenheitsprämie zusagen, hätte er den Arbeitnehmern für jeden der restlichen fünf Arbeitstage einen bestimmten Betrag in Aussicht gestellt. Diese hätte er dann auch an diejenigen Arbeitnehmer auszahlen können, die nachweislich an diesen Tagen gearbeitet haben. Der Senat teilt die Auffassung des SG nicht, dass eine arbeitnehmerbezogene und zielgerichtete Prämienzusage nicht durchführbar gewesen sei. Vielmehr wäre hierfür nur die Führung von schlichten Anwesenheitslisten geboten und ausreichend gewesen.
d)
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Durchhalteprämie ausgelobt wurde, um bestimmte Projekte bis Ende Januar 2014 fertigzustellen.
aa)
Soweit das SG die abweichende Würdigung auf die Zeugenaussage von Rechtsanwalt M. gestützt hat, bleibt zunächst hervorzuheben, dass sich seine Schilderung auf die ersten Tage im Betrieb nach dem Insolvenzantrag im Dezember 2013 bezog, nicht aber auf die betriebliche Situation in letzten fünf Arbeitstagen im Januar 2014. So hat er berichtet, dass bei der ersten Betriebsversammlung nach dem Insolvenzantrag im Dezember 2013 eine große Nervosität im Unternehmen herrschte, weil schon seit November 2013 keine Gehälter ausgezahlt worden waren. Es gab einzelne Mitarbeiter, die angekündigt hatten, von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen, während andere im Home-Office gearbeitet haben und insoweit arbeitsrechtlich schwer kontrollierbar. Nach Aussage der damaligen Personalabteilung sei auch ein erhöhter Krankenstand zu verzeichnen gewesen. Es sei deshalb in dieser frühen Phase wichtig gewesen, dass möglichst schnell die Insolvenzgeldzahlung aufgenommen werden könnte (gemeint ist wohl die Vorfinanzierung des Arbeitsentgelts). Nachdem sich die Situation entspannt habe und kurz vor Weihnachten die Aufnahme des Bestandes erfolgt sei, seien Sanierungsperspektiven für eine mögliche Teilfortführung des Unternehmens entwickelt worden.
bb)
Der Zeuge M. konnte in der mündlichen Verhandlung am 24. November 2016 die Fragen des SG nicht beantworten, warum die Prämie erst am 23. Januar 2014 und zwar für alle Arbeitnehmer ausgelobt worden sei, obwohl nur bestimmte Projekte unbedingt gepflegt werden mussten. Er konnte ferner keine Angaben darüber machen, in welchem Umfang die Krankenstände durch die Prämien positiv beeinflusst wurden. Auch der Kläger hat die entsprechenden Fragen des Senates nicht beantworten können, welche der abwesenden Arbeitnehmer für welches Projekt durch die Prämie motiviert werden sollten. Die vorgelegten drei E-Mails von drei Mitarbeitern sind wenig ergiebig. Der Senior-Web-Developer S. hat nicht seine Arbeitsunfähigkeit unterbrochen, um zur Arbeit zu erscheinen, sondern machte sich nur Sorgen darüber, dass er, der die ganze Zeit durchgearbeitet habe, eine Kürzung der Prämie hinnehmen müsse, weil er ausnahmsweise am 23. Januar 2014 krankheitsbedingt zu Hause geblieben sei. Aus der E-Mail vom Senior-Projektmanager T. geht nicht hervor, dass sie trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit erscheinen würde. Lediglich der Mitarbeiter Q. teilte mit E-Mail vom Freitag, 24. Januar 2014 mit, dass er Urlaub und zu spät von der Prämie erfahren habe und wissen wolle, ob die Prämie auch gezahlt werde, wenn er seinen Urlaub abbreche und für die restlichen zwei Arbeitstage erscheinen werde. Wie sich dann sein Arbeitsverhalten entwickelt hat, ist nicht dokumentiert. Auffallend ist vielmehr die Aussage der Personalleiterin T. in ihrer Mail vom 23. Januar 2014 an die Insolvenzpraxis, dass maximal zwei bis drei Personen durch die zusätzliche Prämie motiviert werden könnten. Gleichwohl ist die Prämie ausweislich der vorgelegten Liste undifferenziert an alle Arbeitnehmer ausgezahlt worden, die für den Monat Januar 2014 Arbeitsentgeltansprüche hatten.
cc)
Der Kläger hat die Frage des Senates nicht beantwortet, bei welchen genauen Projekten die sonst abwesenden Arbeitnehmer, die durch die Prämie zur Weiterarbeit motiviert worden seien, eingesetzt wurden, welche Tätigkeiten diese im Einzelnen dort verrichtet haben und insbesondere aus welchen Gründen andere Arbeitnehmer, insbesondere jene, die übernommen werden sollten, diese nicht verrichten konnten oder wollten. Die Begründung des SG in diesem Zusammenhang, es sei nachvollziehbar, dass die Prämie allen Mitarbeitern zugesagt worden sei, denn es sei nicht klar gewesen, welche konkreten Mitarbeiter noch benötigt würden und später übernommen werden sollten, ist in sich unschlüssig. Denn spätestens am 23. Januar 2014 musste der Arbeitgeber wissen, welche Projekte unbedingt noch in den restlichen fünf Arbeitstagen zu Ende gebracht werden mussten und welche Arbeitnehmer mit welcher Qualifikation dafür benötigt werden. Der Kläger hat auf Nachfrage des Senates drei Projekte genannt und als Beleg Auszüge aus einer E-Mail-Konversation mit drei Kunden vorgelegt. Den vorgelegten E-Mail-Dateien der drei Kunden ist aber in erster Linie gemeinsam nicht die Sorge um die bis Ende Januar 2014 zu fertigenden Aufträge, sondern wie es mit der Betreuung ihrer Daten ab 1. Februar 2014 weitergehen soll. So fordert das Klinikum P., dessen Website und Domäne bei dem Insolvenzschuldner „gehostet“ wurden, eine Zusicherung, dass die Domäne über den 31. Januar 2014 hinaus weiterbetrieben werde und wenn nicht, dass dem Klinikum für einen Umzug der Domäne die Autorisierungscodes übermittelt werden müssten. Dieselbe Sorge geht aus der E-Mail vom 22. Januar 2014 des Head of Portfoliomanagement der Firma U., V. sowie der Firma W. vom 22. Januar 2014 hervor. Daraufhin hat die Insolvenzpraxis den potentiellen Kunden des Betriebsübernehmers zugesichert, dass eine vollständige Migration der Kundendaten von der Datenbank der Gemeinschuldnerin veranlasst und diese Daten bis zum 31. März 2014 in einem Rechenzentrum unter der Verantwortung des Klägers als Insolvenzverwalters „gehostet“ werden würden.
dd)
Dass ein belastbarer Zusammenhang zwischen der zugesagten Prämie und den Projekten, die in den letzten fünf Arbeitstagen im Januar 2014 fertiggestellt werden mussten, bestehen soll, ist nach dem vorliegenden Aktenmaterial nicht einmal ansatzweise erkennbar. Es gibt keinen plausiblen Grund, diese Prämie pauschal und undifferenziert an alle Arbeitnehmer auszuzahlen. Welche Aufträge fertiggestellt werden sollten und wurden, ist unbekannt. Dass die zugesagte Prämie das behauptete Ziel nicht erreichen konnte, zeigt sich schließlich darin, dass nach Angaben des Zeugen Kampfenkel 70.000,00 € an Aufträgen nicht realisiert werden konnten, wobei im Vergleich dazu im Laufe des Insolvenzantragsverfahrens Massezuflüsse in einer Gesamthöhe von „nur“ 309.300,00 € erzielt wurden.
5.
Die streitige Prämie ist nach Würdigung des Senates als eine abfindungsähnliche Leistung anzusehen. Arbeitsentgeltansprüche, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen, begründen gemäß § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III keinen Anspruch auf Insolvenzgeld (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 – B 11 AL 12/08 R –).
a)
Betrachtet man die betriebliche Situation in der zweiten Hälfte des Monats Januar 2014, dann wird man unschwer feststellen, dass die größte Sorge im Hinblick auf das Sanierungskonzept nicht das Erzielen von bestimmten Aufträgen bis Ende Januar 2014 war, sondern dass der Kläger für die Betriebsübernehmer eine Rechtslage schaffen musste, in der die arbeitsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB nicht eintreten. Wären sämtliche Projekte bis Ende Januar 2014 fertiggestellt worden, hätten die Arbeitnehmer aber in der Mehrzahl auf ihre Rechte gegen die Betriebsübernehmer bestanden, wäre die Durchhalteprämie mit dem vom Kläger behaupteten Ziel völlig sinnlos gewesen. Der Kläger hat die Nervosität und die Unsicherheit der Arbeitnehmer geschildert, insbesondere nach der Betriebsversammlung am 9. Januar 2014. Ab diesem Zeitpunkt stand für circa drei Viertel der Beschäftigten fest, dass sie am 31. Januar 2014 ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Bis auf die wenigen, die voraussichtlich von der neuen Firma weiterbeschäftigt würden, konnte keiner der übrigen Arbeitnehmer ein Interesse daran haben, dem Betriebsübergang zu widersprechen und somit auf mögliche Ansprüche ohne Gegenleistung gegen den Betriebsübernehmer zu verzichten.
b)
In diesem betrieblichen Kontext und in dieser besonderen Krisensituation kommt der an alle Arbeitnehmer in gleicher Höhe gezahlte Prämie der Charakter einer Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu. Durch diese konkrete Ausgestaltung der Prämie wird zunächst der Eindruck erzeugt, dass alle Arbeitnehmer gleichermaßen vom Schicksal der Betriebsstilllegung betroffen sind. Soweit einige Betriebsangehörigen noch nicht widersprochen hatten, konnten sie eventuell kurzfristig noch dazu motiviert werden. Es muss nicht übersehen werden, dass nicht nur der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse verloren ging, sondern dass bei einigen Arbeitnehmern auch geleistete Überstunden beziehungsweise Urlaubsansprüche noch offen waren, die durch den Widerspruch endgültig verloren waren.
c)
Exemplarisch für den fehlenden Zusammenhang zwischen einer tatsächlichen Arbeitsleistung in den letzten fünf Arbeitstagen im Januar 2014 und der Prämie, die einen anderen Zweck verfolgt haben muss, kann die Situation der Personalleiterin T. herangezogen werden. Sie hat in einer Mail vom 23. Januar 2014 an die Insolvenzpraxis mitgeteilt, dass sie nicht übernommen werde und auf einen Ausgleich von 400 Überstunden sowie auf 9 Tage Resturlaub verzichten müsse, nicht aber auf den seit langem genehmigten Urlaub für die letzten Arbeitstage im Januar 2014 verzichten wolle, weil sie aus persönlichen Gründen zu Hause bleiben müsse. Ausweislich der vorgelegten Ausstellung hat Frau X. trotzdem die Prämie von 1.000,00 € erhalten. Auch für die restlichen Arbeitnehmer kann nicht festgestellt werden, dass die gezahlte Prämie von 1.000,00 € durch ihre Mitwirkung zur Fertigstellung bestimmter Projekte in den letzten fünf Arbeitstagen im Januar 2014 verdient worden ist. Vielmehr stellt sich diese Prämie objektiv so dar, das diese in erster Linie den Verlust des Arbeitsplatzes durch den erfolgten Widerspruch zum Betriebsübergang abmildern will.
d)
Diese Auslegung findet schließlich ihre Bestätigung in der Äußerung des Klägers in der Betriebsversammlung am 9. Januar 2014. Auf die Frage aus dem Plenum, was mit den offenen Urlaubsansprüchen geschehe, antwortete der Kläger, dass die Urlaubsansprüche aktuell erfasst würden und er eine Lösung zeitnah präsentieren werde. In der Sitzung des Gläubigerausschusses am 20. Januar 2014 begründet er dann die Prämie mit folgenden Worten: „Wegen Urlaubs und Überstunden zudem erste Auslösungserscheinungen trotz Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes“. Mangels tatsächlicher Feststellungen, dass die Prämienzahlung dazu dienen sollte, bestimmte Aufträge in den letzten fünf Arbeitstagen des Insolvenzgeldzeitraums zu retten, kommt für den Senat unter Würdigung der gesamten Umstände nur die naheliegende Zweckbestimmung der Prämie als plausibel in Betracht, dass sie keine konkrete Arbeitsleistung im Insolvenzgeldzeitraum honorieren sollte, sondern eine kleine, für alle Arbeitnehmer gleich hohe Entschädigung für die Wertlosigkeit des Arbeitsverhältnisses zu der E. GmbH ab 1. Februar 2014 darstellt. Für denjenigen Arbeitnehmer, der auf gewährten Urlaub verzichtet haben soll, hat sich im Hinblick auf die Vergütung für die letzten fünf Arbeitstage im Januar 2014 nichts geändert (Arbeitsentgelt statt Urlaubsentgelt). Was sich zu seinem Nachteil jedoch geändert hat, sind 5 Urlaubstage, deren Abgeltung nicht mehr realisiert werden konnte.
6.
Es kann offenbleiben, ob diese Prämienzusage gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB), eine Überlegung, die im Hinblick auf BSG, Urteil vom 18. März 2004 – B 11 AL 57/03 R -, SozR 4-4300 § 183 Nr. 3 bei einer nicht vom Arbeitgeber zu tragenden Prämie von 200 € täglich für die letzten fünf Arbeitstage des Arbeitsverhältnisses nicht völlig abwegig wäre.
7.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Da der Kläger unterliegt, muss er die Kosten in beiden Instanzen tragen.
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § § 52, 63 Gerichtskostengesetz.