Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.05.2018, Az.: L 11 AL 67/16 NZB
Eintritt einer Sperrzeit aufgrund eines Meldeversäumnisse; Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit; Belehrung über den Beginn einer Sperrzeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 08.05.2018
- Aktenzeichen
- L 11 AL 67/16 NZB
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 24109
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 29.08.2016 - AZ: S 9 AL 139/14
Rechtsgrundlagen
- § 144 Abs. 2 SGG
- § 31 SGB II
- § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB III
Fundstelle
- info also 2018, 209-210
Redaktioneller Leitsatz
1. Bei einer Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II muss nicht nur über die Dauer der zu erwartenden Leistungseinschränkung sondern auch über deren Beginn belehrt werden.
2. Dies gilt gleichermaßen für eine Belehrung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III über den Beginn einer Sperrzeit.
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. August 2016 (S 9 AL 139/14) wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Die Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. August 2016.
In der Sache streiten die Beteiligten um den Eintritt einer Sperrzeit aufgrund eines Meldeversäumnisses für den Zeitraum vom 19. Juni bis 25. Juni 2014 im Rahmen von Arbeitslosengeldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III).
Der am E. 1975 geborene Kläger meldete sich bei der Beklagten mit Wirkung zum 1. Februar 2013 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab dem 6. Februar 2013 fortlaufend Alg zunächst in Höhe von 44,06 EUR täglich. Durch Bescheid vom 17. Juni 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger zuletzt Leistungen für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 21. Juli 2014 in Höhe von 44,17 EUR täglich.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 hatte die Beklagte den Kläger zu einem Meldetermin am 18. Juni 2014 eingeladen. Gegenstand des Gesprächs sollten die Bewerbungsaktivitäten des Klägers sein. Das Schreiben war mit folgender Rechtsfolgenbelehrung versehen:
"Wenn Sie ohne wichtigen Grund dieser Aufforderung nicht nachkommen, tritt eine Sperrzeit ein (Sperrzeit bei Meldeversäumnis; § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB III). Die Sperrzeit dauert eine Woche. Während der Dauer der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Leistungen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenbeihilfe, Teilarbeitslosengeld), das heißt, dass Leistungen nicht gezahlt werden. Ihre Anspruchsdauer mindert sich um die Tage der Sperrzeit.
Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben wird und wann eine Sperrzeit eintritt, enthält das "Merkblatt für Arbeitslose, Ihre Rechte - Ihre Pflichten".
Erfüllen Sie die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit, so kann diese, wenn Sie außerdem Arbeitslosengeld II erhalten, zu dessen Minderung gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch führen."
Der Kläger erschien zu dem Termin am 18. Juni 2014 nicht. Die Beklagte zahlte ihm hierauf für Juni 2014 zunächst einen um eine Woche gekürzten Betrag aus. Sodann hob sie durch Bescheid vom 2. Juli 2014 die erfolgte Bewilligung von Alg für den streitbefangenen Zeitraum nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und § 330 Abs. 3 SGB III auf, da aufgrund des Meldeversäumnisses eine Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III eingetreten sei (vgl. auch Änderungsbescheid vom 4. Juli 2014).
Der Kläger erhob am 4. Juli 2014 Widerspruch. Er habe den Termin des Gesprächs versehentlich falsch im Kalender eingetragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe gegen seine Pflichten aus § 309 SGB III verstoßen. Dies rechtfertige den Eintritt einer Sperrzeit. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III habe nicht vorgelegen. Der fehlerhafte Eintrag des Termins im Kalender beruhe auf einem Verschulden des Klägers. Dieser sei im Übrigen hinreichend über die Rechtsfolgen eines etwaigen Fernbleibens belehrt worden.
Der Kläger hat am 28. Juli 2014 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er habe den Meldetermin nicht schuldhaft versäumt. Daher sei die Beklagte nicht zur Kürzung des Alg berechtigt gewesen. Er wisse nicht, wie er seinen Lebensunterhalt sicherstellen solle und könne bestehende Unterhaltsverpflichtungen nicht erfüllen.
Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Beschluss vom 6. August 2014 abgelehnt (Aktenzeichen S 9 AL 138/14 ER).
Durch Urteil vom 29. August 2016 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 2. und 4. Juli 2014 teilweise aufgehoben. Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit hätten nicht vorgelegen, da der Kläger nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen eines Meldeversäumnisses belehrt worden sei. Es sei nicht ausreichend, dem Betroffenen lediglich ein Merkblatt an die Hand zu geben (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 60/07 R). Die im vorliegenden Fall erfolgte Belehrung über die Rechtsfolgen sei unvollständig und unkonkret erfolgt, da der Kläger nur über die Dauer einer möglichen Sperrzeit aber nicht über deren Beginn informiert worden sei.
Gegen das ihr am 9. September 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Oktober 2016 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da die verwendete Rechtsfolgenbelehrung bundesweit zum Einsatz komme. Die hier zugrundeliegende Rechtsfrage betreffe daher eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten. Entgegen der Auffassung des SG sei die Belehrung vollständig, richtig und verständlich. Das genaue Datum der etwaigen Sperrzeit könne aufgrund weiterer leistungsrechtlicher Voraussetzungen nicht im Voraus konkret benannt werden. Die verwendete Rechtsfolgenbelehrung stehe im Einklang mit Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 1. Juni 2006 - B 7a AL 26/05 R). Das vom SG zitierte Urteil des BSG sei dagegen nicht auf den hiesigen Sachverhalt übertragbar. Ferner sei das SG in seinem Beschluss vom 6. August 2014 im Verfahren S 9 AL 138/14 ER noch von einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung ausgegangen. Der Kläger beruft sich auf das erstinstanzliche Urteil. Er empfinde die Entscheidung der Beklagten als Unrecht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Verfahrens S 9 AL 138/14 ER sowie die durch den Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind Grundlage der Entscheidungsfindung geworden.
II.
Die Beschwerde der Beklagten ist statthaft, da zwischen den Beteiligten eine Minderung des dem Kläger bewilligten Alg in Höhe von 309,19 EUR im Streit steht (vgl. §§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 145 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist in den in § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG genannten Fällen zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG),
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedürftig und fähig ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie bisher nicht geklärt ist und ihre Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Verfahren Bedeutung besitzt. Ist die Rechtsfrage dagegen bereits höchstrichterlich entschieden worden, ist sie nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. BSG, Beschluss vom 25. August 2011 - B 8 SO 1/11 B; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn 8 mit umfangreichen weiteren Nachweisen).
Eine derartige Rechtsfrage liegt hier nicht vor. Zu den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit bzw. einer Sanktion im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) existiert umfangreiche Rechtsprechung des BSG. Dieses hat für die Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II ausdrücklich entschieden, dass nicht nur über die Dauer der zu erwartenden Leistungseinschränkung sondern auch über deren Beginn zu belehren ist (vgl. Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R; so auch Berlit in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 31 Rn 78). Zwar hat das BSG in dieser Entscheidung darauf verwiesen, dass der Warnfunktion einer Rechtsfolgenbelehrung im Bereich des SGB II eine noch größere Bedeutung zukomme als im Bereich der Arbeitsförderung (vgl. BSG a.a.O.). Aus dieser Feststellung ergibt sich jedoch kein Grund zu der Annahme, dass im Rahmen der Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB III - anders als bei der Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II - keine konkrete Belehrung über den Beginn der Sperrzeit erforderlich sein könnte. Schließlich stützt sich der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 18. Februar 2010 (a.a.O.) hinsichtlich der Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II ausdrücklich auf die zum Arbeitsförderungsrecht (d.h. zur Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 SGB III) entwickelten Grundsätze (vgl. BSG a.a.O., Rn 20). Insoweit ist ebenfalls zu beachten, dass eine Sperrzeit im Rahmen des Bezugs von Alg auch einen Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II zur Folge hat (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II). Somit ist ein Bezieher von Alg, der nicht über verwertbares Vermögen bzw. anderweitige Einkünfte verfügt, durch die Verhängung einer Sperrzeit ebenso in seinem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09) betroffen wie ein Leistungsempfänger nach dem SGB II im Falle des Eintritts einer Sanktion. Daher besteht kein Anlass, hinsichtlich der Belehrung über den Beginn einer Sperrzeit an eine Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III geringere Anforderungen zu stellen. Die durch die Beklagte aufgeworfene Frage ist somit nicht klärungsbedürftig.
Dass der pauschale Hinweis auf ein Merkblatt mit abstrakt generellem Inhalt (hier: Merkblatt für Arbeitslose - Ihre Rechte - Ihre Pflichten, Stand: März 2014) allgemein und damit auch hinsichtlich der Belehrung über den Beginn der Sperrzeit nicht ausreicht, ist ebenfalls durch ständige Rechtsprechung geklärt (vgl. nur BSG, Urteile vom 10. Dezember 1981 - 7 RAr 24/81 und vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 60/07 R). Zudem enthält das o.g. Merkblatt, auf das die Beklagte in der Rechtsfolgenbelehrung der Meldeaufforderung vom 12. Mai 2014 verwiesen hat, überhaupt keine hinreichenden Ausführungen zum Beginn einer Sperrzeit bei einem Meldeversäumnis. Höchstrichterlich geklärt ist ebenfalls, wie eine konkrete Belehrung zum Beginn der Sperrzeit bei einem Meldeversäumnis lauten kann (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 11 AL 30/10 R, Rn 16).
Die Tatsache, dass das SG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes noch von einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung ausgegangen ist, bedingt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass im Verfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in der Regel nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage zu erfolgen hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn 16c m.w.N.).
Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen. Das SG hat sich - wie bereits dargelegt - an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Das Vorliegen von Verfahrensfehlern ist nicht zu prüfen, da konkrete Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind (vgl. zum Erfordernis der ausdrücklichen Geltendmachung und Darlegung eines konkreten Verfahrensmangels im Rahmen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG: BSG, Urteil vom 21. März 1978 - 7/12/7 RAr 41/76, SozR 1500 § 150 Nr 11; Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 40/84, SozSich 1985, 346; Leitherer, a.a.O., § 144 Rn 36).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).