Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.03.2003, Az.: 7 A 2284/01

Arztbesuch; Pflegeaufwand; Pflegegeld; Spaziergang

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.03.2003
Aktenzeichen
7 A 2284/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47911
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Gewährung eines um 400 DM höheren Pflegegeldes im Zeitraum vom 17.06.1997 bis 31.09.1999. Ihm wurde in dieser Zeit lediglich ein Pflegegeld in Höhe von nur 400 DM gewährt. Vor dem 17.06.1997 hatte er aufgrund einer Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes in Lüneburg ein Pflegegeld in Höhe von 800 DM erhalten, ab September 1999 wird ihm aufgrund eingetretener gesundheitlicher Verschlechterungen ebenfalls ein Pflegegeld von 800 DM bzw. nunmehr der entsprechende Betrag in Euro gewährt.

2

Der Kläger, der nicht kranken- und pflegeversichert ist, erhält von der Beklagten Hilfe in besonderen Lebenslagen. Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 11.06.1996 beträgt sein Grad der Behinderung wegen Verlustes des linken Beines im Oberschenkel, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, koronarer Herzkrankheit, Herzmuskelschwäche und Erblindung des linken Auges 100 Prozent.

3

Im Zeitraum vom 11.10.1997 bis 21.10.1997, vom 09.01.1998 bis 13.01.1998 und vom 22.07.1999 bis 02.08.1999 (nach den Verwaltungsvorgängen der Stadt Hannover) wurde der Kläger stationär in einem Krankenhaus betreut.

4

Nach eigenen Angaben war der Kläger im hier streitigen Zeitraum an folgenden Tagen in ärztlicher Behandlung, wobei er jeweils von seiner Ehefrau begleitet wurde:

5

Termine beim Augenarzt Dr. W. S.: 25.08.1997, 25.11.1997, 26.11.1997, 01.12.1997, 15.12.1997, 24.02.1998.

6

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen 80 Minuten gebraucht, die Behandlung dauerte zwischen 2 und 2? Stunden.

7

Termine beim Orthopäden F.-M. P.: 17.05.1999, 1907.1999 und 06.09.1999.

8

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen 20 Minuten gebraucht, die Behandlung dauerte zwischen 1? und 2 Stunden.

9

Termine bei der nephrologischen Praxis Dr. R. pp.: 29.06.1998, 09.07.1998, 22.07.1998, 12.08.1998, 09.09.1998, 27.01.199, 05.02.1999.

10

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen zwischen 120 und 150 Minuten gebraucht, die Behandlung dauerte etwa 1 bis 2 Stunden, lediglich am 27.01.99 und 05.02.99 verkürzte sich infolge einer Kfz-Nutzung der Zu- und Abgang auf 50 bis 60 Minuten.

11

Termine beim Facharzt für Innere Medizin Dr. v. R. bzw. dessen Vorgänger: 09.10.1997, 30.10.1997, 13.11.1997, 12.12.1997, 07.01.1998, 15.01.1998, 09.03.1998, 01.04.199, 17.06.1999, 17.07.1999, 30.11.1999, 11.12.1999, 29.12.1998, 11.01.1999, 12.02.1999, 17.05.1999.

12

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen 60 Minuten gebraucht, die Behandlung dauerte 2 Stunden.

13

Daneben nennt der Kläger zusätzlich sogen. „unmittelbare bzw. mittelbare Arzt-Patienten-Kontakte“ am 06.04., 08.05., 21.09., 26.10. und 15.12.1998 sowie am 01.02. und 16.04.1999.

14

Termine in der kardiologischen Praxis Dr. L.: 11.10.1997, 22.01.1998, 23.01.1998, 31.01.1998, 09.02.1998, 08.09.1998, 22.09.1998, 23.09.1998, 28.09.1998, 18.01.1999, 19.01.1999, 25.01.1999, 22..04.1999.

15

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen zwischen 80 bis 100 Minuten gebraucht, die Behandlung dauerte von 1 Stunde (Behandlungsgespräche) bis 3 und 3? Stunden (Untersuchungen).

16

Termin beim Kardiologen Dr. S.: 25.06.1997.

17

Für Hin- und Rückfahrt hat der Kläger dabei nach eigenen Angaben jeweils zusammen etwas mehr als eine Stunde gebraucht, die Behandlung dauerte von 2? bis 3 Stunden.

18

Nach einer amtsärztlichen Stellungnahme vom 25.11.1997 bestand ein Pflegebedarf von maximal 90 Minuten täglich.

19

Nach einem im Verfahren 3 A 291/97 des Verwaltungsgerichts Hannover erstellten Gutachten der Gutachterin S. T. vom 28.11.1998 bestand beim Kläger ein Pflegerbedarf von 70 Minuten pro Tag für Körperpflege und Mobilität sowie von mehr als 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Gutachterin führte u.a. aus, dass außerhalb der Wohnung der Kläger grundsätzlich zur Fortbewegung den Rollstuhl nutzen würde.

20

Während das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Urteil vom 18.05.1999 – 3 A 291/97 noch lediglich einen Anspruch nach § 69a Abs. 1 BSHG in der damals geltenden Fassung sah, stellte in seinem zusprechenden Urteil vom 11.05.2000 – 4 L 161/00 –das Oberverwaltungsgericht Lüneburg darauf ab, dass zusätzlich zu dem bereits zuvor festgestellten zeitlichen Pflegeaufwand nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 25.11.1996 und dem Gutachten der Gutachterin T. ein weiterer Pflegebedarf bestand und zwar

21

wegen der damaligen Wohnsituation im streitigen Zeitraum von mindestens 20 Minuten täglich

22

wegen des zeitlichen Aufwandes bei der Begleitung zu Arztbesuchen von mindestens 60 Minuten täglich und

23

wegen medizinisch notwendiger Spaziergänge von mindestens 40 Minuten täglich.

24

Durch den Umzug des Klägers zum 16.06.1997 fiel der zusätzliche Zeitaufwand wegen der besonderen Wohnsituation weg.

25

Mit Bescheid vom 29.05.2000 gewährte die Landeshauptstadt Hannover dem Kläger daraufhin Pflegegeld nach § 69a Abs. 2 BSHG in Höhe von 800 DM nur bis zum 16.06.1997 (Datum des Umzugs).

26

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger durch seine jetzigen Prozessbevollmächtigten Anfang Juni 2000 Widerspruch ein, soweit die Gewährung von Pflegegeld befristet worden war. In seinem Schreiben räumte er zwar ein, dass durch den Umzug in eine andere Wohnung der Zeitaufwand im Hinblick auf das Treppensteigen und den Rollstuhltransport entfallen sei, jedoch der Aufwand im Tagesdurchschnitt nach wie vor mindestens drei Stunden betrage, bei überwiegen des pflegerischen Aufwandes gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand.

27

Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens erfolgten eine erneute amtsärztliche Begutachtung. In der Stellungnahme vom 09.10.2000 führte der Amtsarzt aus, dass der Kläger sich seit einem Jahr ausschließlich mit dem Rollstuhl bewege. Er stufte den Kläger nunmehr in die Pflegestufe 2 ein. Außerdem machte der Amtsarzt Ausführungen zur Häufigkeit von Arztbesuchen.

28

Mit Bescheid vom 17.11.2000 wurde dem Kläger schließlich für den Zeitraum vom 17.06.1997 bis 31.08.1999 Pflegegeld in Höhe von 400 DM (Pflegestufe 1) und ab dem 01.09.1999 Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von 800 DM gewährt. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, soweit die Gewährung eines höheren Pflegegeldes für den Zeitraum vor dem 01.09.1999 abgelehnt worden sei.

29

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2001, zugestellt am 15.05.2001, wies die seinerzeit noch als örtlicher Träger der Sozialhilfe zuständige Landeshauptstadt Hannover den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17.11.2000 zurück.

30

Der Kläger hat am 07.06.2001 Klage erhoben.

31

Er trägt vor: Durch das Entfallen der „Hilfe beim Treppensteigen“ infolge des Umzugs (Zeitaufwand mind. 20 Minuten täglich) sei die Grenze von 3 Stunden täglich für den notwendigen Betreuungsbedarf noch nicht unterschritten worden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg habe ausdrücklich festgestellt, dass er mehr als drei Stunden täglich der Pflege bedurft habe, wobei bedarfserhöhend die Begleitung und Betreuung bei Arztbesuchen zu berücksichtigten sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes seien dabei auch die Wartezeiten in der Praxis jedenfalls dann in dem Pflegebedarf einzurechnen, wenn die Pflegeperson in dieser Zeit keiner anderen sinnvollen Tätigkeit nachgehen kann. Auch seine Begleitung bei seinen medizinisch indizierten Spaziergängen sei konkret als pflegerischer Bedarf zu berücksichtigen, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls entschieden habe. Er, der Kläger, habe nie gesagt, dass er sich außerhalb der Wohnung nur mit dem Rollstuhl bewege. Lediglich aufgrund einer im Juli 1999 erfolgten Operation am Bein sei es ihm bis Oktober 1999 nicht möglich gewesen, die ärztlich verordneten Spaziergänge durchzuführen.

32

Im Verlauf des Rechtsstreites hatte der Kläger ein Attest seines Arztes Dr. M. von R. vom 04.04.2000 vorgelegt, worin dieser ausführte, längere Spaziergänge (täglich über 40 Minuten) seien medizinisch indiziert. Daneben legte der Kläger ein weiteres Attest des Dr. M. von R. vom 24.08.2001 und vom 15.10.2002, auf die wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird. Zur Frage des Zusammenhangs zwischen Behinderung und Spaziergängen verweist der Kläger auf eine ärztliche Stellungnahme des Dr. M. von R. vom 09.08.2002, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.

33

Der Kläger beantragt,

34

die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 17.06.1997 bis 31.08.1999 Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung eines Pflegegeldes von 800,00 DM (Umfang der Pflegestufe II) zu gewähren, sowie den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 17.11.2000 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 09.05.2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

35

Die Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Sie erwidert: Die ärztlich verordneten Spaziergänge seien keine Maßnahme zur Vermeidung eines erhöhten Pflegeaufwandes. Es gehe dabei lediglich um eine begleitende Maßnahme im Rahmen der Therapie der Diabeteserkrankung. Insoweit handele es sich um Leistungen der Behandlungspflege. Außerdem legt die Beklagte amtsärztliche Stellungnahmen insbesondere hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit von Spaziergängen vom 24.02.2000, 23.05.2002 und vom 13.09.2002 vor, auf die Bezug genommen wird.

38

Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

39

Weiterhin haben sich alle Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

40

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

41

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.

42

Daneben ergeht ebenfalls im Einverständnis der Beteiligten die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

43

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erhöhung des Pflegegeldes im hier strittigen Zeitraum.

44

Anspruchsgrundlage für das begehrte Pflegegeld von 800 DM monatlich kann nur § 69a Abs. 2 BSHG in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung sein. Danach erhalten Schwerpflegebedürftige, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, ein Pflegegeld in Höhe von 800 DM monatlich. Voraussetzung ist weiter, dass die Hilfestellungen im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden bei einem eindeutigen Übergewicht des pflegerischen gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand erfordern. Zwar hat der Gesetzgeber diese zeitliche Dimension nicht in die Vorschrift des § 69a Abs. 2 BSHG in der hier anzuwendenden Fassung mit aufgenommen. Nach § 68 Abs. 6 BSHG finden jedoch für die nähere Bestimmung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit und zur Abgrenzung der Pflegegelder nach § 69a BSHG die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen nach § 17 SGB IX entsprechende Anwendung.

45

§ 69a Abs. 6 BSHG soll verhindern, dass sich die Leistungen der Pflegeversicherung einerseits und die aus Sozialhilfemitteln finanzierte Pflege andererseits auseinanderentwickeln, wobei „entsprechende Anwendung“ bedeutet, dass die strukturellen Unterschiede natürlich zu beachten sind. Nur insoweit lässt das Gesetz dann auch Ausnahmen von den in Bezug genommenen Pflegerichtlinien zu. Darauf wird weiter unten hinsichtlich der Frage der Berücksichtigung von Spaziergängen noch weiter eingegangen.

46

Nach diesen eben genannten Pflegebedürftigkeits-Richtlinien vom 07.11.1994 (NDV 1995, 34 ff.) muss der wöchentliche Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger, Nachbar oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für alle für die Versorgung des Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit erforderlichen Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und pflegeunterstützenden Maßnahmen benötigt, im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben muss. Damit ist ein zeitlicher Mindestaufwand verbindlich definiert, ohne den – zumindest im Regelfall – Schwerpflegebedürftigkeit im Sinne des § 69a Abs. 2 BSHG nicht vorliegt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 29.04.1998 – 4 L 5876/96 -, FEVS 49, 175).

47

Der Kläger ist, gemessen an diesen Maßstäben, im hier maßgeblichen Zeitraum nicht schwerpflegebedürftig gewesen.

48

Die Gutachterin S. T. ist in ihrem im Verfahren 3 A 291/97 erbrachten Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der notwendige Hilfebedarf des Klägers bei 70 Minuten im Bereich der Körperpflege und der Mobilität und bei 60 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung lag. Dieses Gutachten dürfte auch für den hier maßgeblichen Zeitraum gelten. Danach erreicht der Kläger weder die Zeitgrenze von 3 Stunden (180 Minuten) täglich noch ergibt sich ein eindeutiges Übergewicht des pflegerischen Aufwandes.

49

Allerdings ist das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12.04.2000 – 4 L 161/00 - zu dem Schluss gekommen, dass beim Kläger doch die zeitlichen Vorgaben der Schwerpflegebedürftigkeit erreicht werden, weil es weitere Hilfen in den Bedarf eingerechnet hat.

50

Der zusätzliche, vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingestellte Bedarf für eine Hilfestellung beim Treppensteigen, den das Oberverwaltungsgericht mit mindestens 20 Minuten täglich ansetzte, ist durch den Umzug des Klägers in eine behindertengerechtere Wohnung indes im hier streitigen Zeitraum entfallen.

51

Die vom Kläger angeführten Spaziergänge mit Begleitung können nicht beim Pflegeaufwand berücksichtigt werden.

52

Wie der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg im bereits zitierten Urteil vom 12.04.2000 selbst ausdrücklich bestätigt, sind grundsätzlich beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern. Weiterer Hilfebedarf etwa bei Spaziergängen bleibt danach unberücksichtigt (vgl. auch Nr. 3.4.2 der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien, abgedruckt in NDV 1995, 34 ff.). In der erwähnten Entscheidung hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht jedoch von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme gemacht, wenn diese weitere Bewegungen wegen der jeweiligen Behinderung medizinisch geboten ist. Das erkennende Gericht legt die dargestellte Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auch seiner Entscheidung zu Grunde. Gleichwohl ist hier jedoch kein zeitlicher Pflegeaufwand für die Begleitung bei „Spaziergängen“ des Klägers anzusetzen, selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass die im Gutachten T. wiedergegebene Aussage des Klägers, er bewege sich außerhalb der Wohnung nur mit einem Rollstuhl, auf einem Missverständnis beruhte.

53

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht macht die Ausnahme vom Grundsatz, das generell keine Spaziergänge berücksichtigt werden können, zum Einen davon abhängig, dass die weitere Bewegung des Behinderten durch Pflegepersonen gerade wegen der jeweiligen Behinderung geboten ist.

54

Nach dem eigenen Vortrag des Klägers war seine Begleitung aber wegen einer anderen Behinderung als die, zu deren Linderung die vorgetragenen Spaziergänge beitragen sollten, notwendig gewesen. Ausweislich des vom Kläger vorgelegten Attestes vom 04.04.2000 sollen die umstrittenen Spaziergänge wegen der Diabetes mellitus des Klägers erforderlich gewesen sein. Die Diabetes mellitus wurde zwar laut Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 11.06.1996 auch als Behinderung genannt. Der Pflegeaufwand „Begleitung und Unterstützung des Klägers“ während dieser Spaziergänge beruht jedoch auf einer anderen Behinderung des Klägers, nämlich seiner Behinderungen am Stütz- und Bewegungsapparat. Wege der Einschränkung des Bewegungsapparates sind die Spaziergänge aber wiederum schon nach eigenem Vortrag des Klägers nicht notwendig.

55

Zum Zweiten setzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht für eine Ausnahme voraus, dass diese Spaziergänge wegen der Behinderung medizinisch geboten sein müssen. Nach Überzeugung des Gerichts ist beim Kläger auch diese Voraussetzung nicht erfüllt. Die vorgetragenen Spaziergänge können nicht im Mindestumfang von 40 Minuten täglich in den Pflegeaufwand eingestellt werden, weil nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 13.09.2002 – an dem das Gericht keinen Zweifel hegt - Spaziergänge von 40 minütiger Dauer im hier streitigen Zeitraum bereits schon nicht medizinisch notwendig waren. Der Amtsarzt kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass therapeutisch sinnvolle Spaziergänge nur im Form eines Gehtrainings denkbar gewesen wäre, gerade aber ein derartiges Gehtraining dem Kläger im hier streitigen Zeitraum gar nicht möglich war.

56

Zwar beruft sich der Kläger auf entsprechende ärztliche Bescheinigungen und Atteste seines Arztes Dr. M. von R.. Diese Atteste – insbesondere auch jene im Beschwerdeverfahren vorgelegte neue Stellungnahme vom 15.10.2002 – können nach Überzeugung des Gerichts die nachvollziehbare amtsärztliche Stellungnahme nicht entkräften. Im Übrigen kommt den amtsärztlichen Gutachten gegenüber privatärztlichen Bescheinigungen – wie auch das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung meint (vgl. nur Beschl. v. 17.11.1998 – 1 DB 14/98 -) - der größere Beweiswert zu. Der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in der genannten Entscheidung zutreffend ausgeführt:

57

„Im Vergleich zu einem Privatarzt, der bestrebt sein wird, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, kann ein Amtsarzt von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und auch unabhängig seine Beurteilung abgeben. Der Amtsarzt ist verpflichtet, seine Feststellungen nur unter ärztlichen Gesichtspunkten, wahrheitsgemäß und unparteiisch zu treffen. Diese Neutralität und Unabhängigkeit verleiht neben dem speziellen Sachverstand der Beurteilung durch den Amtsarzt ein höheres Gewicht.“

58

Dem ist nichts hinzuzufügen.

59

Der Arzt Dr. von R. geht davon aus, dass Spaziergänge an sich im Normalfall fast immer der Gesundheit förderlich sind. Dies wird auch vom Gericht nicht in Abrede gestellt. Nach dem eindeutigen Ergebnis der amtsärztlichen Begutachtung waren diese Spaziergänge beim Kläger aber eben nicht medizinisch notwendig. Angesichts der überzeugenden und eindeutigen Aussage des Amtsarzt ist für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens – wie vom Kläger im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 29.08.2001 angeregt – kein Raum. Ebenso wenig kommt es auf die Frage an, ob, und in welchem Umfang dem Kläger im hier streitigen Zeitraum überhaupt noch derartige Spaziergänge möglich waren. Selbst wenn sie ihm möglich waren, waren sie doch nicht medizinisch notwendig.

60

Weitere Ausnahmen mit dem Ziel zuzulassen, dass auch die Begleitung bei „normalen, medizinisch nicht notwendigen“ Spaziergängen entgegen den o.a. Richtlinien in den Pflegeaufwand eingestellt werden – wie möglicherweise im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19.02.2003 (4 PA 487/02) angedacht – sind nach Ansicht des Gerichts nicht mit § 68 Abs. 6 BSHG zu vereinbaren. Denn derartige Ausnahmen widersprechen eindeutig dem Ziel dieser Vorschrift, unterschiedliche Regelungen nach dem SGB XI und dem BSHG in der Fragen der Pflegebedürftigkeit möglichst zu vermeiden. Ein irgendwie rechtfertigender Grund für eine weitere Ausnahme ist nicht ersichtlich.

61

Im Übrigen waren in den Zeiten, in denen der Kläger stationär im Krankenhaus behandelt wurde, weder Besuche in Arztpraxen notwendig noch konnte der Kläger die vorgetragenen Spaziergänge absolvieren. In den Zeiten vom 11.10.1997 bis 21.10.1997, vom 09.01.1998 bis 13.01.1998 und vom 22.07.1999 bis 02.08.1999 scheiden diese Aktivitäten von vornherein aus. Wie der Kläger selbst vorträgt, waren ihm auch nach Entlassung aus der stationären Behandlung im August 1999 bis Oktober 1999 keine Spaziergänge möglich, sondern er konnte nur seinen Rollstuhl nutzen. Damit entfallen die Spaziergänge jedenfalls ebenfalls für die restliche Zeit im August 1999 nach Entlassung aus dem Krankenhaus.

62

Weiterhin ist der Zeitaufwand im Rahmen der Arztbesuche nicht zu berücksichtigen.

63

Zwar ist das Gericht – in Übereinstimmung mit dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht– der Ansicht, dass der zeitliche Aufwand für Arztbesuche bei der Bemessung des Pflegebedarfs grundsätzlich mit einzustellen ist. Das gilt nicht nur für die Hilfen beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, sondern auch für die erforderlichen Hilfeleistungen außerhalb des Hauses. Das Bundessozialgericht (dem sich insoweit bereits der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg angeschlossen hat), hat wiederholt entschieden, dass die Ausklammerung notwendiger Wartezeiten der Pflegeperson bei außerhäuslichen Verrichtungen rechtswidrig ist, wenn die Pflegeperson während dieser Zeit keine anderen sinnvollen Tätigkeit, die auch ohne die Wartezeit zu erledigen wäre, nachgehen kann (BSG, Urt. v. 29.04.1999, B 3 P 7/98 R, m.w.N., zit. n. Juris). Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. Verrichtungen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, zählen nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand (BSG; a.a.O.).

64

Zwar ist festzustellen, dass zu bestimmten Zeiten eine Häufung von Arztbesuchen aufgetreten sind, zu anderen Zeiten jedoch entsprechend weniger Arzttermine anfielen. Im Durchschnitt sind die vom Kläger vorgetragenen Arztbesuche im hier zu entscheidenden Zeitraum nicht regelmäßig einmal die Woche angefallen, so dass sie insgesamt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, der das Gericht folgt, aus der Betrachtung ausscheiden müssen.

65

Das Gericht meint in diesem Zusammenhang nach wie vor, der Rechtsprechung des Bundessozialgericht hinsichtlich der Frage der Begleitung von Arztbesuchen im vollen Umfange folgen zu können. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hatte dies zwar in seinem Beschluss vom 19.02.2003 (4 PA 487/02) - offenbar mit dem Ziel einer großzügigeren Regelung - hinterfragt. Wegen der Gleichartigkeit der Sachverhalte können die vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien (Notwendigkeit der Begleitung, notwendiger zeitlicher Umfang der Begleitung, Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Anlasses) nach Auffassung des Gerichts indes ohne weiteres auf die Pflege nach dem BSHG übertragen werden. Dies hat auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem, den Beteiligten bekannten Urteil vom 12.04.2000 – 4 L 161/00 – bereits ausdrücklich im Übrigen so ebenfalls entschieden.

66

Nach alledem kann im hier streitigen Zeitraum eine Schwerstpflegebedürftigkeit des Klägers nicht festgestellt werden.

67

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.