Verwaltungsgericht Hannover
v. 20.03.2003, Az.: 7 A 113/03
Alleinerziehender; Elektrogroßgeräte; maßgeblicher Zeitpunkt; Mehrbedarf; Möbel; Verpflichtungsschein
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 113/03
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2003, 47964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs 1 BSHG
- § 23 Abs 2 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei langfristigen Bedarfsgegenständen ist maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage auch im Sozialhilferecht der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung
Tenor:
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt, ihm für beantragte Einmalbeihilfe statt Verpflichtungsscheine Beihilfe in Geld zu gewähren sowie die Bewilligung einer weiteren einmaligen Leistung zur Erstattung von Fahrtkosten und die Gewährung eines „halben“ Mehrbedarfs für Alleinerziehende.
Der Kläger, der im übrigen alleinstehend ist, hat eine 1993 geborene Tochter, die zur Hälfte beim Kläger lebt, zur anderen Hälfte bei ihrer Mutter.
Mit Schreiben vom 22.10.1999 beantragte der Kläger die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt sowie
die Gewährung eines „halben“ Mehrbedarfsbetrages, weil er seine Tochter zur Hälfte allein erziehe
die Bewilligung einmaliger Leistungen zur Anschaffung u.a. von
einer Waschmaschine mit höherer Drehzahl
einen Kleiderschrank
einen Kinderzimmerschrank
vier Stühlen
einen Esstisch für die Küche
einen Kühlschrank mit Gefrierfach
je eine Wohn- und Schlafzimmerlampe.
Mit Bescheid vom 25.11.1999 bewilligte die Stadt Hildesheim, die namens und im Auftrag des Beklagten den Sozialhilfefall des Klägers regelt, ihm ab 01.10.1999 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, jedoch ohne den begehrten „halben“ Mehrbedarfsbetrag für Alleinerziehende.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 06.12.1999 Widerspruch.
Mit Bescheid vom 17.12.1999 gewährte die Stadt Hildesheim dem Kläger eine Beihilfe in Bar in Höhe von 70 DM zur Anschaffung von Hausrat. Hinsichtlich der beantragten Elektrogeräte und Möbel stellte die Stadt Verpflichtungsscheine für 2 Lampen zu 25 DM, einen Kühlschrank sowie für 2 Kleiderschränke und einen Küchentisch für das Unternehmen „ Labora “ aus.
Gegen die Ausstellung von Verpflichtungsscheinen nur für die das Unternehmen Labora gem. Bescheid vom 17.12.1999 erhob der Kläger am 04.01.2000 Widerspruch.
Am 21.12.1999 beantragte der Kläger die Übernahme der Fahrtkosten zur Wahrnehmung eines Gerichtstermins am 13.01.2000 in Darmstadt.
Mit Bescheid vom 21.12.1999 lehnte die Stadt Hildesheim diesen Antrag ab, weil derartige Reisekosten bereits aus dem Regelsatz zu bestreiten seien.
Ebenfalls am 21.12.1999 beantragte der Kläger, ihm einmalige Leistungen zur Anschaffung einer Druckerpatrone und für eine Druckfolie für sein Faxgerät zu bewilligen. Auch dieser Antrag wurde mit einem weiteren Bescheid vom 21.12.1999 abgelehnt.
Gegen beide Bescheide vom 21.12.2000 erhob der Kläger am 04.01.2000 Widerspruch.
Mit Bescheid vom 27.12.1999 bewilligte die Stadt dem Kläger dann eine Beihilfe für 2 Küchenstühle in Form eines Verpflichtungsscheines. Eine Beihilfe für zwei weitere Stühle lehnte sie ab, weil zwei Stühle ausreichend seien.
Auch hiergegen legte der Kläger am 04.01.2000 Widerspruch mit der Begründung ein, er verfüge über keine Wohnzimmerstühle. Für Besucher benötige er deshalb zwei weitere Stühle.
Mit Bescheid vom 10.02.2000 bewilligte schließlich die Stadt dem Kläger eine Beihilfe in Form von Verpflichtungsscheinen zur Anschaffung einer Waschmaschine.
Gegen die Beihilfe in Form von Verpflichtungsscheinen für die Firma Labora erhob der Kläger ebenfalls am 15.02.2000 Widerspruch.
Eine Entscheidung über die Widersprüche findet sich nicht in den Akten.
Der Kläger hat am 15.05.2000 Klage erhoben.
Er trägt vor: Er sei Alleinerziehende, denn seine Tochter wohne zur Hälfte bei ihm. Er brauche nach wie vor einen vierten Stuhl. Da er nunmehr wieder Arbeit habe, komme hinsichtlich der einmaligen Leistungen ohnehin nur noch eine Geldleistung in Betracht.
Der Kläger beantragt wörtlich,
den Beklagten zu verurteilen, den Sozialhilfebescheid vom 25.11.1999 dahingehend zu ändern, ihm den halben Regelsatz und den Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende zu gewähren;
den Beklagten zu verurteilen, ihm vier Küchenstühle zu bewilligen und die Beihilfe dafür auf sein Konto zu überweisen;
den Beklagten zu verurteilen, ihm die Fahrtkosten für einen Gerichtstermin in Darmstadt sowie die Kosten für den Kauf einer Druckerpatrone und einer Faxandruckrolle in Höhe von 100 DM zu erstatten;
ihm die bewilligte Beihilfe für die Beschaffung von zwei Kleiderschränken, einem Küchentisch, zwei Zimmerlampen und einem Kühlschrank in Form von Geld zu gewähren
ihm die bewilligte Beihilfe zur Anschaffung einer Waschmaschine in Form von Geld zu gewähren
Mit Schriftsatz vom 27.12.2000 erklärte der Kläger, den Antrag hinsichtlich der Druckerfolie ziehe er zurück.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit er den Kläger nicht klaglos gestellt hat.
Er erklärt, eine weitere einmalige Beihilfe für einen dritten Küchenstuhl zu gewähren, allerdings ebenfalls nur in Form eines Verpflichtungsscheines. Im Übrigen tritt er der Klage entgegen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 19.07.2000 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung,
§ 101 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung ergeht weiterhin durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Soweit der Kläger seine Klage hinsichtlich der Druckerfolie zurückgenommen hat, war das Verfahren gem. § 92 VwGO einzustellen.
Die als Untätigkeitsklage im Übrigen gemäß § 75 VwGO zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten Sozialhilfeleistungen.
Insbesondere besteht kein Anspruch auf Gewährung eines „halben Mehrbetrag bzw. Mehrbedarf wegen Alleinerziehung“.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 08.07.1997 – 4 L 3222/97 – (FEVS 48, 24 ff.) unter Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung u.a. ausgeführt:
„In seinem Beschluss vom 22. Juli 1988 (- 4 OVG B 227/88 -, FEVS Bd. 38 S. 209) hat der Senat im wesentlichen ausgeführt: In den Fällen, in denen die Familie unvollständig ist und nur ein Elternteil für die Pflege und Erziehung der Kinder sorgt, sei der Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2 BSHG nur in eng begrenzten Ausnahmefällen nicht zu gewähren. Ein "alleinerziehender" Hilfeempfänger sorge nur dann nicht allein für die Pflege und Erziehung, wenn ihn eine andere Person so nachhaltig bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstütze, wie es sonst der andere Elternteil zu tun pflege. In seinen Beschlüssen vom 4. Januar 1994 (4 M 4730/93; V.n.b.) und 24. Oktober 1996 (4 M 4786/96; V.n.b.) hat der Senat ergänzend ausgeführt: "Alleinerziehend" i.S. des § 23 Abs. 2 BSHG sei auch die / der Hilfesuchende, deren / dessen Partner/in sich so wenig an der Pflege und Erziehung der Kinder beteilige, dass ihr / ihm diese Aufgaben praktisch alleine oblägen (vgl. BSHG-LPK, 4. Aufl. 1994, Anm. 18 zu § 23).
Daraus ergibt sich umgekehrt, dass dann, wenn beide (hier auch sorgeberechtigten) Elternteile die Betreuung der Kinder abwechselnd tageweise übernehmen, die Voraussetzung des "Alleinerziehens" nicht vorliegt. Zu betrachten ist nicht etwa jeder Tag einzeln, sondern die Zeit in ihrem Ablauf. Bei keinem der beiden Elternteile kann davon die Rede sein, dass ihm die Aufgabe, die Kinder zu betreuen und zu erziehen, praktisch allein obläge. Vielmehr wird jeder Elternteil durch die von dem anderen übernommenen Zeiten der Betreuung und Erziehung in erheblichem Umfang entlastet und kann sich an den "freien" Tagen allein eigenen Interessen und Verpflichtungen widmen. Die bei einem Alleinerziehenden dauernd bestehenden und zum Teil Mehrkosten verursachenden Einschränkungen in der Lebensführung, die durch die Gewährung des Mehrbedarfszuschlags ausgeglichen werden sollen, bestehen so nicht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich eine solche Lebenssituation nicht von der "vollständiger Familien" unterscheidet, in denen ein Elternteil etwa aus beruflichen Gründen mehrere Tage in der Woche oder die ganze Woche mit Ausnahme des Wochenendes abwesend ist. Mit dem von dem Kläger genannten Fall der Entlastung eines allein Sorgeberechtigten während der Zeiten, in denen der andere Elternteil das Besuchsrecht ausübt, ist diese Situation nicht vergleichbar. Denn zum einen wird der allein Sorgeberechtigte während der Zeit, in der sich das Kind bei dem anderen Elternteil aufhält, nicht von seiner Sorgepflicht entlastet. Zum anderen findet die Ausübung des Besuchsrechts in aller Regel an Wochenenden statt, während derer der sorgeberechtigte Elternteil anderen Verpflichtungen auch nicht (z.B. Behördengänge, Arztbesuche) oder nur eingeschränkt (z.B. Einkäufe) nachgehen kann.“
Dieser zutreffenden Rechtsprechung folgt auch das erkennende Gericht.
Soweit der Kläger die Erstattung von Fahrtkosten zu einer Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Darmstadt geltend macht, hat der Kläger keinen entsprechenden Bedarf dargelegt. So hat er trotz Anfrage des Gerichts weder mitgeteilt, ob er anwaltlich vertreten war (und seine Anwesenheit damit womöglich gar nicht erforderlich war) und ob er nicht den Prozess gewonnen hat (so dass er vom Gegner Kostenersatz fordern könnte).
Soweit es um die begehrten einmaligen Leistungen geht, ist – abweichend von der in sozialhilferechtlichen Sachen üblichen Verfahrensweise – ausnahmsweise auf den heutigen Zeitpunkt abzustellen. Denn bei Gegenständen, die – anders als die Hilfe zum Lebensunterhalt oder Einmalbeihilfe für Bekleidung – einen langfristigen Bedarf decken sollen, würde es den Grundsätzen des Sozialhilferechts widersprechen, wenn diese Gegenstände jemanden noch bewilligt und übergeben werden, wenn dafür im Zeitpunkt der Entscheidung gar kein Bedürfnis mehr besteht. Der typische Grund, weshalb auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt wird, nämlich weil der Träger der Sozialhilfe die Leistung immer nur für einen bestimmten, kurzen Zeitraum bewilligt, liegt in diesem Fall nicht vor (so auch VGH Mannheim, Urt. v. 05.1989 – 6 S 1242/88 -, FEVS 39, 247, unter Bezugnahme auf ein früheres Urteil vom 15.10.1986 – 6 S 2550/85 -).
Der Kläger ist heute jedoch wieder berufstätig und bezieht keine Sozialhilfe mehr. Daher besteht zum jetzigen Zeitpunkt auch kein Bedürfnis mehr, ihm die beantragten Gegenstände aus Sozialhilfemitteln zu bezahlen.
Im Übrigen wurde eine Beihilfe für eine Druckerpatrone zu Recht abgelehnt. Druckerpatronen gehören nicht zum Bedarf im rahmen des notwendigen Lebensunterhalts.
Soweit der Beklagte dem Kläger für Kleiderschränke, den Küchentisch, für drei Stühle, den Kühlschrank und die Waschmaschine sowie der Lampen keine Barleistungen, sondern nur Verpflichtungsscheine für das Unternehmen Labora bewilligt hat, ist diese Verfahrensweise ebenfalls nicht zu beanstanden.
Bei Möbeln und größeren Elektrogeräten ist nach der Rechtsprechung des Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, der das erkennende Gericht folgt, ein Verweis auf Möbellager oder Verpflichtungsscheine erst einmal grundsätzlich zulässig. Hinsichtlich des Unternehmens Labora hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausdrücklich entschieden, dass die Verweisung eines Hilfeempfänger an diese Einrichtung der Sachleistung durch den Sozialhilfeträger gleichsteht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.10.1995 – 4 M 5809/95 -). Da ein derartiger Verweis ständige Verwaltungspraxis der Stadt Hildesheim ist, bedurfte es auch keine neuen Ermessensentscheidung hinsichtlich des Klägers mehr, weil Gründe, hier ausnahmsweise anders zu verfahren, nicht ersichtlich waren und sind. Grundsätzlich ist es auch zumutbar, mehrmals bei Labora vorzusprechen, wenn keine geeigneten Gegenstände vorrätig sind. Im Übrigen stellt der Umstand, dass die dort erhältlichen Möbel und Geräte nicht dem Geschmack des Hilfeempfängers entsprechen, keinen Grund dar, diese abzulehnen. Auch viele Menschen mit niedrigem Einkommen müssen sich beim Kauf von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen mit geschmacklich nicht immer befriedigenden Stücken begnügen. Es kommt nur darauf an, dass die Gegenstände die ihnen zugedachte Funktion erfüllen, zumal Sozialhilfe ihrem Wesen nach nur für einen vorübergehenden Zeitraum gedacht ist (vgl. Gerichtsbescheid des VG Hannover vom 08.12.1995 – 3 A 1145/95.Hi).
Hinsichtlich des streitigen vierten Stuhls hat der Kläger nicht hinreichend einen Bedarf dargelegt. So ist nicht ersichtlich, weshalb nicht andere Sitzgelegenheiten, etwa im Wohnzimmer, von etwaigen Besuchern mitgenutzt werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.