Staatsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 02.05.2024, Az.: StGH 4/23

Kommunalverfassungsbeschwerde gegen § 182 Abs. 5 NKomVG wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung; Kommunale Selbstverwaltungsgarantie durch haushaltsrechtliche Rahmenregelungen; Schutzzweck und Anforderungen des Anhörungsrechts aus Art. 57 Abs. 6 NV; Bestimmung der angemessenen Dauer für eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
02.05.2024
Aktenzeichen
StGH 4/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 14476
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine zulässige kommunale Verfassungsbeschwerde setzt die Beschwerdebefugnis der Antragsteller voraus. Beschwerdeführer müssen substantiiert aufzeigen, durch die angegriffene Rechtsnorm in ihrem verfassungsmäßig geschützten Recht aus Art. 57 f. NV unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen zu sein. Substantiiert werden muss deshalb die Verbindung zwischen dem abstrakten Norminhalt und der konkreten Beeinträchtigung des eigenen Rechtsstatus.

  2. 2.

    Haushaltsrechtliche Regelungen, die den Rechtsrahmen für die Aufgabenerfüllung der Gemeinden und Gemeindeverbände setzen, bewirken wegen der notwendig gesetzlichen Ausgestaltung des Haushaltsrechts und der allgemeinen Haushaltsgrundsätze grundsätzlich keinen Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Die Schwelle zum Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung wird erst überschritten, wenn gesetzliche Vorschriften zum kommunalen Haushaltsrecht über das Setzen eines Rechtsrahmens hinausgehen und zu einer Beschränkung der kommunalen Haushalts- und Finanzhoheit führen.3. Art. 57 Abs. 6 NV ist Ausdruck des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und dient dazu, die Rechte und Interessen der Gemeinden und Landkreise bzw. der beteiligten Verbände bei der Normsetzung zu berücksichtigen. Eine unter Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV zustande gekommene Norm, die Gemeinden oder Landkreise unmittelbar berührt, kann formell verfassungswidrig sein.4. Eine abstrakte Bestimmung der angemessenen Dauer für eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände ist nicht möglich. Eine Grenze ist dann überschritten, wenn die Pflicht zur Anhörung nach Art. 57 Abs. 6 NV durch die Parlamentsmehrheit ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet wird.

  1. Zu 1:

    st. Rspr., vgl. NdsStGH, Urt. v. 11.6.2007 - StGH 1/05 -, Nds. StGHE 4, 152 (160), juris Rn. 55 f.; Urt. v. 7.3.2008 - StGH 2/05 -, Nds. StGHE 4, 202 (212 f.), juris Rn. 44 ff.; LVerfG SH, Urt. v. 27.1.2017 - LVerfG 5/15 -, juris Rn. 71 f.; LVerfG MV, Urt. vom 30.11.2023 - LVerfG 5/22 -, Rn. 56; zur Parallelregelung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG vgl. BVerfG, Urt. v. 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 -, BVerfGE 137, 108 (136), juris Rn. 62 ff.).

  2. Zu 2:

    Es fehlt an einem Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung durch § 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 8 NKomVG; die Vorschrift bewirkt keine "Pflicht zur kommunalen Verschuldung".

  3. Zu 3:

    Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und deren verfahrensrechtliche Sicherung in Art. 57 Abs. 6 NV wären unvollständig, wenn aus einem Verstoß gegen die Anhörungspflicht nicht die Nichtigkeit der gesetzlichen Norm folgen könnte (vgl. NdsStGH, Urt. v. 29.4.2013 - StGH 2/12 -, Nds. StGHE 5, 137, juris Rn. 54; Urt. v. 16.5.2001 - StGH 6/99 u.a.-, Nds. StGHE 4, 31, juris Rn. 105 f.; vgl. auch NdsStGH, Urt. v. 2.5.2024 - StGH 1/23 -).

  4. Zu 4:

    Es bedarf der Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls sowohl hinsichtlich des konkreten Gesetzesentwurfs (Umfang, Komplexität, Dringlichkeit, Entscheidungsreife) als auch hinsichtlich der weiteren die Arbeitsabläufe des Parlaments bestimmenden Faktoren. Es ist grundsätzlich der Parlamentsmehrheit vorbehalten, Prioritäten und Abläufe bei der Bearbeitung von Angelegenheiten zu bestimmen. Wie eilbedürftig eine Angelegenheit ist, bestimmen die Abgeordneten zunächst selber; sie verfügen insoweit über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzungsspielraum.

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Landkreises Diepholz, vertreten durch den Landrat,
Niedersachsenstraße 2, 49356 Diepholz,
2. des Landkreises Emsland, vertreten durch den Landrat,
Ordeniederung 1, 49716 Meppen,
3. des Landkreises Friesland, vertreten durch den Landrat,
Lindenallee 1, 26441 Jever,
4. des Landkreises Nienburg/Weser, vertreten durch den Landrat,
Kreishaus am Schlossplatz, 31582 Nienburg (Weser),
5. des Landkreises Northeim, vertreten durch die Landrätin,
Medenheimer Straße 6-8, 37154 Northeim,
6. des Landkreises Uelzen, vertreten durch den Landrat,
Albrecht-Thaer-Straße 101, 29525 Uelzen,
7. des Landkreises Vechta, vertreten durch den Landrat,
Ravensberger Str. 20, 49377 Vechta,
8. des Landkreises Wolfenbüttel, vertreten durch die Landrätin,
Bahnhofstraße 1, 38300 Wolfenbüttel,
- Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigter zu 1-8:
Prof. Dr. Thomas Mann, Im Torfveen 19, 46147 Oberhausen
gegen § 182 Abs. 5 NKomVG, eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes und des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes vom 22. September 2022 (Nds. GVBl. S. 588),
hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2024 unter Mitwirkung
des Präsidenten Mestwerdt
sowie der Richterinnen und Richter van Hove,
Kaiser,
Butzer,
Veen,
Huss,
Bornemann,
Otte,
Berghaus
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Die Beschwerdeführer, acht niedersächsische Landkreise, wenden sich mit einer Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 54 Nr. 5 NV, § 8 Nr. 10, § 36 NStGHG gegen § 182 Abs. 5 NKomVG, eingefügt durch das "Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes und des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes" vom 22. September 2022 (Nds. GVBl. S. 588). Sie rügen neben einem Anhörungsfehler im Gesetzgebungsverfahren eine Verletzung ihres Rechts auf Selbstverwaltung. Die Verfassungsbeschwerde knüpft an dasselbe Geschehen an wie das parallel vom Niedersächsischen Landkreistag geführte Organstreitverfahren (NdsStGH, Urt. v. 2.5.2024 - StGH 1/23 -).

I.

1. Am 22. August 2022 gab der Niedersächsische Städtetag eine Presseinformation (Nr. 22 / 2022) heraus, in der er dafür warb, zur Bewältigung der finanziellen Folgen des Ukraine-Krieges im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 576), damals i.d.F. vom 23. März 2022 (Nds. GVBl. S. 191), Erleichterungen für die kommunale Haushaltswirtschaft zu schaffen. Konkret wurde vorgeschlagen, die durch Art. 10 des Gesetzes zur Änderung niedersächsischer Rechtsvorschriften aus Anlass der COVID-19-Pandemie vom 15. Juli 2020 (Nds. GVBl. 2020 S. 244) in § 182 Abs. 4 NKomVG, damals i.d.F. des Änderungsgesetzes v. 23. März 2022 (Nds. GVBl. S. 191), geschaffenen Erleichterungen für die kommunale Haushaltswirtschaft im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite auf die Folgen des Ukraine-Krieges auszuweiten. § 182 Abs. 4 NKomVG ermöglicht u.a. eine gesonderte Ausweisung von Fehlbeträgen (§ 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG), eine erweiterte Verschuldungsoption über den Wert des Vermögens der Kommune hinaus (§ 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NKomVG) und die Möglichkeit, auf die Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes zu verzichten (§ 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NKomVG). Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 182 Abs. 4 NKomVG auf die Folgen des Ukraine-Krieges sollten aus Sicht des Niedersächsischen Städtetages finanzielle Mehrbelastungen der Kommunen "durch die Flüchtlingsunterbringung, durch gestiegene Energiekosten, durch erhöhte Aufwendungen für Betriebsstoffe sowie durch massiv steigende Baupreise in allen Sektoren", unter Umständen auch Mehrbelastungen durch lokale Härtefallfonds oder Rettungsmaßnahmen zu Gunsten kommunaler Stadtwerke, abgefedert und Steuer- und Beitragserhöhungen für die Bürgerinnen und Bürger vermieden werden.

2. Die Niedersächsische Landesregierung griff diesen Vorschlag des Niedersächsischen Städtetages auf und beschloss in ihrer Sitzung am 30. August 2022 einen im Niedersächsischen Innenministerium kurzfristig erarbeiteten Entwurf, wonach die haushaltsrechtlichen Regelungen in § 182 Abs. 4 NKomVG gemäß eines neu einzufügenden Absatzes 5 auch für die Bewältigung der finanziellen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zur Anwendung kommen sollten. Um noch den letzten Plenarabschnitt vor der Landtagswahl am 9. Oktober 2022 erreichen zu können, wurde dieser Entwurf am Donnerstag, dem 1. September 2022, durch einen Abgeordneten der SPD-Fraktion unmittelbar in die 149. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport des Niedersächsischen Landtages eingebracht (Vorlage 1 zu LT-Drs. 18/11618 v. 23.8.2022). Der Entwurf wurde dabei mit der in diesem Ausschuss ohnehin anstehenden Beratung eines Änderungsvorschlags zu dem hier nicht streitgegenständlichen § 121 Abs. 4 des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes (NPersVG) verbunden. Der Abgeordnete gab an, dass es das Ziel der Koalitionsfraktionen sei, die Beratung zu dem nunmehr inhaltlich erweiterten Entwurf des "Gesetz(es) zur Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes und des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes" in der für den 8. September 2022 geplanten Sitzung des Ausschusses abzuschließen.

3. Mit Blick auf Art. 57 Abs. 6 der Niedersächsischen Verfassung (NV) beschloss der Ausschuss für Inneres und Sport, die drei kommunalen Spitzenverbände (Niedersächsischer Städte- und Gemeindebund, Niedersächsischer Städtetag, Niedersächsischer Landkreistag) um eine kurzfristige Stellungnahme zu dem Änderungsvorschlag zu bitten. Diese Bitte wurde unmittelbar nach Ende der Ausschusssitzung noch am Donnerstag, dem 1. September 2022, um 20:10 Uhr durch die Landtagsverwaltung per E-Mail an die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens versandt. Der E-Mail war neben dem Schreiben mit der Bitte um schriftliche Stellungnahme der Änderungsvorschlag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU nebst kurzer Begründung und die Ankündigung beigefügt, dass der Entwurf bereits am kommenden Donnerstag, dem 8. September 2022, abschließend im Ausschuss für Inneres und Sport beraten werden solle, um für die Beschlussfassung des Landtages noch das September-Plenum erreichen zu können. Einer Stellungnahme per E-Mail werde möglichst zeitnah, spätestens aber bis zum Dienstag, dem 6. September 2022, um 16:00 Uhr entgegengesehen. Konkret bestand der Antwortzeitraum damit nach dem Vortrag der Antragsteller aus drei Werktagen (Freitag, Montag, Dienstag) und zwei Wochenendtagen.

4. Die drei kommunalen Spitzenverbände reagierten auf diese E-Mail der Landtagsverwaltung vom 1. September 2022 an den letzten beiden Tagen der gesetzten Frist.

a) Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund nahm Stellung mit E-Mail-Schreiben vom Montag, dem 5. September 2022 (Vorlage 2 zu LT-Drs. 18/11618). Angesichts der Kürze der gesetzten Frist habe keine Positionierung der Mitglieder eingeholt werden können. Bei der geplanten Änderung handele es sich bloß um eine "Symptombekämpfung", mit der eine Verschiebung finanzieller Belastungen in die Zukunft erfolge. Geboten sei vielmehr eine krisenfeste finanzielle Ausstattung der kommunalen Körperschaften.

b) Der Niedersächsische Städtetag gab am letzten Tag der gesetzten Frist mit E-Mail-Schreiben seine Stellungnahme ab (Vorlage 3 zu LT-Drs. 18/11618). Die Änderung des § 182 NKomVG werde begrüßt; sie sei mit Blick auf die Folgen der Energiekrise und der wirtschaftlichen Verwerfungen im Zuge des Ukraine-Krieges zwingend erforderlich. Die Gefahr ungebremster Verschuldung bestehe nicht. Schon im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie seien die Kommunen mit der Ausnahmeregelung zurückhaltend umgegangen. Auch in Nordrhein-Westfalen würden vergleichbare, zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie eingeführte Regelungen des kommunalen Haushaltsrechts nunmehr auch hinsichtlich der Folgen des Ukraine-Kriegs angewandt.

c) Ebenfalls am Dienstag, dem 6. September 2022, wandte sich das geschäftsführende Präsidialmitglied des Niedersächsischen Landkreistages mit einem E-Mail-Schreiben an die Landtagsverwaltung (Vorlage 4 zu LT-Drs. 18/11618). In Bezug auf die Änderung des § 182 NKomVG sei die Beteiligung seiner Mitglieder erforderlich, die in der Kürze der Zeit nicht darstellbar sei. Der Ausschuss werde gebeten, im Lichte der Regelung in Art. 57 Abs. 6 NV eine Anhörungsfrist von wenigstens vier Wochen einzuräumen. Bislang sei der Vorschlag des Präsidiums des Niedersächsischen Städtetages vom 22. August 2022 mit dem Niedersächsischen Landkreistag nicht erörtert worden. Zum Zeitpunkt dieses E-Mail-Schreibens hatte das Geschäftsführende Präsidialmitglied den verbandsinternen Willensbildungsprozess bereits eingeleitet und in einem Mitglieder-Rundschreiben, über das im Rundblick - Politikjournal für Niedersachsen (Nr. 145 vom 6. September 2022, S. 1 f.) berichtet worden war, eine das Gesetzesvorhaben ablehnende politische Ersteinschätzung abgegeben.

5. Die noch am Dienstag, dem 6. September 2022, ergangene Einladung zur 150. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport am 8. September 2022 sah unter Tagesordnungspunkt 3 zunächst die Fortsetzung und den Abschluss der Beratungen zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen SPD und CDU über die Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes, nicht aber die Beratung über die Vorlage zur Änderung des § 182 NKomVG vor. Am Folgetag wies die Landtagsverwaltung mit E-Mail vom 7. September 2022 um 14:45 Uhr die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens unter Bezugnahme auf den Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Sport darauf hin, dass in der Ausschusssitzung die Möglichkeit einer mündlichen Stellungnahme per Videokonferenzzuschaltung eröffnet werde. Hierauf bezugnehmend antwortete der Niedersächsische Landkreistag erneut durch sein Geschäftsführendes Präsidialmitglied mit E-Mail vom 7. September 2022 um 16:41 Uhr. Er bedanke sich für die "überraschend und äußert kurzfristig eröffnete Möglichkeit, zu dem genannten Gesetzentwurf auch mündlich vortragen zu können". Eine Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport, die ausweislich der Einladung am 8. September 2022 um 10:15 Uhr beginnen sollte, sei ihm "aus terminlichen Gründen" nicht möglich. Zudem sei eine Meinungsbildung zu der komplexen Fragestellung innerhalb des Verbandes "in der eingeräumten Frist über das letzte Wochenende" nicht möglich gewesen.

6. In der 150. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport am 8. September 2022 hörten die Mitglieder zunächst Vertreter des Niedersächsischen Städtetages und des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes an. Der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages wies dabei in seiner Stellungnahme auf die bereits erfolgte Stützung mehrerer Stadtwerke durch ihre kommunalen Anteilseigner mit hohen Millionenbeträgen hin. Die vorgeschlagene Änderung des § 182 NKomVG sei für die Kommunen im Vergleich zu einer finanziell deutlich besseren Ausstattung nur die "zweitbeste Lösung", aber gegenwärtig die einzige Möglichkeit, um die Haushaltswirtschaft der Kommunen zu entlasten. Es sei wichtig, zeitnah zu beschließen. Der Vertreter des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes führte aus, die vorgeschlagene Regelung sei "eigentlich nur Symptombekämpfung", sie sei "ein buchhalterischer Trick, um auflaufende Belastungen in die Zukunft zu verschieben". Insofern sei die geplante Gesetzesänderung "wirklich nur die zweitbeste Lösung", aber insbesondere hinsichtlich der Erleichterung administrativer Prozesse hilfreich.

7. Der Ausschuss für Inneres und Sport empfahl dem Niedersächsischen Landtag in LT-Drs. 18/11735 bei einer Enthaltung, den Gesetzentwurf anzunehmen. Auch der mitberatende Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen (§ 24 Abs. 2 GO-LT) stimmte bei einer Stimmenthaltung zu.

8. Nachdem die Landtagsverwaltung im Auftrag des Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Sport mitgeteilt hatte, dass die für den 15. September 2022 vorgesehene 151. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport entfalle und der Ältestenrat die Tagesordnung für den 58. Tagungsabschnitt der 18. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages vom 21. bis 23. September 2022 aufgestellt hatte, wandte sich das Geschäftsführende Präsidialmitglied des Niedersächsischen Landkreistages mit Schreiben vom 14. September 2022 erneut an die Präsidentin des Landtages sowie nachrichtlich an die Fraktionsvorsitzenden und den Niedersächsischen Ministerpräsidenten. Er bat darum, die in der nächsten Plenarwoche vorgesehene Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes ohne die vorgeschlagene Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes zu beschließen, da hierzu bislang keine ordnungsgemäße Anhörung i.S.v. Art. 57 Abs. 6 NV stattgefunden habe. In ihrem Antwortschreiben vom 20. September 2022 teilte die Landtagspräsidentin mit, dass sie auf den weiteren Beratungsverlauf nicht im erbetenen Sinne Einfluss nehmen könne.

9. Der Gesetzentwurf samt Änderungsvorschlag wurde im Rahmen der 142. Sitzung des Landtages am 21. September 2022 behandelt und in der Schlussabstimmung mehrheitlich angenommen (LT-PlPr. 18/142 v. 21.9.2022, S. 13356 ff.). Der zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretene § 182 Abs. 5 NKomVG lautet wie folgt (Nds. GVBl. Nr. 33/2022 v. 30.9.2022, S. 588): "Zur Bewältigung der Folgen des Krieges in der Ukraine für die kommunale Haushaltswirtschaft ist Absatz 4 bis zum 30. Juni 2024 entsprechend anzuwenden."

II.

Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, § 182 Abs. 5 NKomVG sei in formell verfassungswidriger Weise zustande gekommen. Es liege ein Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV vor, da der Niedersächsische Landkreistag als einer von drei kommunalen Spitzenverbänden im Gesetzgebungsverfahren nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Dieser Verstoß sei im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde (Art. 54 Nr. 5 NV) rügefähig. § 182 Abs. 5 NKomVG sei auch materiell verfassungswidrig, da mit dieser Regelung in die Finanz- und Haushaltshoheit der Beschwerdeführer als Teilelement ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 57, Art. 58 NV i.V.m. Art. 28 Abs. 2 GG eingegriffen werde und dieser Eingriff verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Der Gesetzgeber habe den Gemeinden und Gemeindeverbänden nicht die notwendigen finanziellen Mittel zur Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs bereitgestellt, sondern ihnen durch eine punktuelle Änderung des Haushaltsrechts pauschal eine Verschuldungspflicht auferlegt, indem er ihnen mit einer "Soll-Regelung" aufgegeben habe, die entstehenden Fehlbeträge in einem Zeitraum von 30 Jahren zu decken. Dies schränke die Beschwerdeführer in der ihnen durch § 111 Abs. 2 NKomVG i.V.m. § 15 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich (NFAG) vom 14. September 2007 (Nds. GVBl. S. 466) i.d.F. des Gesetzes vom 30. November 2022 (Nds. GVBl. S. 732) gesetzlich zugewiesenen Befugnis ein, einen durch die Folgen des Krieges in der Ukraine tatsächlich gestiegenen Finanzbedarf zeitnah durch eine bedarfsgerechte Festsetzung der Kreisumlage zu decken. Zudem sei das zentrale Tatbestandsmerkmal "Folgen des Krieges in der Ukraine" in § 182 Abs. 5 NKomVG zu unbestimmt, denn die Norm verdeutliche auch in ihrem systematischen Zusammenhang nicht, was konkret als (finanzielle, sonstige, unmittelbare, mittelbare) Kriegsfolge einzuordnen sei. Die Befristung der Normgeltung bis zum 30. Juni 2024 führe zu Vollzugsschwierigkeiten, da dieser Zeitpunkt inmitten eines Haushaltsjahres liege. Daraus folgten Unklarheiten u.a. hinsichtlich der Buchung von Fehlbeträgen (§ 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG), der Erstellung von Haushaltssicherungskonzepten (§ 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NKomVG) und hinsichtlich der tatbestandlichen Anwendbarkeit der Überschuldungsregelung (§ 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NKomVG.

Die Beschwerdeführer beantragen,

festzustellen, dass § 182 Abs. 5 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 576), eingefügt durch das "Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes und des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes" vom 22. September 2022 (Nds. GVBl. S. 588), nichtig ist.

III.

Der Niedersächsischen Landesregierung und dem Niedersächsischen Landtag ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

1. Der Niedersächsische Landtag vertritt die Auffassung, § 182 Abs. 5 NKomVG sei formell verfassungsgemäß. Der Landtag sei seiner Anhörungsverpflichtung gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden aus Art. 57 Abs. 6 NV nachgekommen, indem er diesen vor der Verabschiedung des Gesetzes Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Selbst wenn man von einem Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV ausgehen wolle, begründe dies keine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Beschwerdeführer, da die Anhörungspflicht nur gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden, nicht aber gegenüber den beschwerdeführenden Landkreisen bestehe. Nach dem in den Verfassungsberatungen geäußerten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers liege nicht in jedem Verstoß gegen die Anhörungspflicht aus Art. 57 Abs. 6 NV zugleich eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts jeder Kommune, die durch die Regelung berührt werde. Hinsichtlich der Behauptung der Beschwerdeführer, § 182 Abs. 5 NKomVG sei auch materiell verfassungswidrig, hat der Landtag im Hinblick auf seine Ausführungen in dem unter dem Aktenzeichen StGH 1/23 parallel geführten Organstreitverfahren (vgl. LT-Drs. 19/1308 neu, S. 11-17) von weiteren Äußerungen abgesehen.

2. Die Niedersächsische Landesregierung hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

B.

Der als kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art 54 Nr. 5 NV, §§ 8 Nr. 10, 36 NStGHG gestellte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit von § 182 Abs. 5 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 576), eingefügt durch das "Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes und des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes" vom 22. September 2022 (Nds. GVBl. S. 588), ist unzulässig.

I.

Der Antrag ist statthaft. Nach Art. 54 Nr. 5 NV und § 8 Nr. 10 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - entscheidet der Staatsgerichtshof über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden oder Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung durch ein Landesgesetz.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdeführer haben die für eine zulässige kommunale Verfassungsbeschwerde erforderliche Beschwerdebefugnis nicht dargelegt.

1. Im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde müssen Beschwerdeführer substantiiert einen Sachverhalt darlegen, auf Grund dessen eine Verletzung ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung möglich erscheint (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 NStGHG). Dafür müssen sie konkret aufzeigen, durch die angegriffene Rechtsnorm in ihrem verfassungsmäßig geschützten Recht aus Art. 57 f. NV unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen zu sein (vgl. NdsStGH, Urt. v. 11.6.2007 - StGH 1/05 -, Nds. StGHE 4, 152 (160), juris Rn. 55 f.; Urt. v. 7.3.2008 - StGH 2/05 -, Nds. StGHE 4, 202 (212 f.), juris Rn. 44 ff.; LVerfG SH, Urt. v. 27.1.2017 - LVerfG 5/15 -, juris Rn. 71 f.; LVerfG MV, Urt. vom 30. 11. 2023 - LVerfG 5/22 -, Rn. 56; zur Parallelregelung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG vgl. BVerfG, Urt. v. 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 -, BVerfGE 137, 108 (136), juris Rn. 62 ff.). Dieses Erfordernis grenzt die Kommunalverfassungsbeschwerde zur abstrakten Normenkontrolle ab (LVerfG SH, Urt. v. 27.1.2017 - LVerfG 5/15 -, juris Rn. 79). Substantiiert werden muss deshalb die Verbindung zwischen dem abstrakten Norminhalt und der konkreten Beeinträchtigung des eigenen Rechtsstatus (LVerfG SH, Urt. v. 27.1.2017 - LVerfG 5/15 -, juris Rn. 80; LVerfG LSA, Beschl. v. 21.1.2015 - LVG 77/10 -, juris Rn. 46).

2. Daran fehlt es. Die Beschwerdeführer legen zwar dar, dass § 182 Abs. 5 NKomVG unmittelbar ihren Rechtskreis berührt, ohne dass es eines weiteren Exekutivaktes bedarf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 2 BvR 397/82 u.a.-, BVerfGE 70, 35 (50 f.), juris Rn. 47). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Norm selbst und gegenwärtig in das Recht der Beschwerdeführer auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 57, 58 NV, Art. 28 Abs. 2 GG eingreift, werden jedoch nicht dargelegt.

a) Nach Art. 57 Abs. 1 NV verwalten Gemeinden und Landkreise und sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung. Das hierin und zugleich in Art. 58 NV und Art. 28 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende kommunale Selbstverwaltungsrecht findet einen besonderen Niederschlag in der kommunalen Haushalts- und Finanzhoheit (Art. 57 Abs. 4, Art. 58 NV i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG). Grundprinzip dieser von verschiedenen Einzelausprägungen ausgefüllten Gemeindehoheit ist die Garantie einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens (NdsStGH, Beschl. v. 15.8.1995 - StGH 2/93 u.a. -, Nds. StGHE 3, 136 (156), juris Rn. 84; Urt. v. 7.3.2008 - StGH 2/05 -, Nds. StGHE 4, 202 (215), juris Rn. 53; BVerfG, Beschl. v. 7.7.2020 - 2 BvR 696/12 -, BVerfGE 155, 310 (332), juris Rn. 54). Die Haushalts- und Finanzhoheit umfasst dabei in Bezug auf Landkreise auch das Recht zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Kreisumlage i.S.v. § 111 Abs. 2 NKomVG i.V.m. § 15 NFAG (Nds. StGH, Urt. v. 25.11.1997 - StGH 14/95 u.a. -, Nds. StGHE 3, 299 (320), juris Rn. 117; Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Rn. 288, Stand: Mai 2023; Waechter, in: Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 2. Aufl. 2021, Art. 57 Rn. 80).

b) Haushaltsrechtliche Regelungen, die den Rechtsrahmen für die Aufgabenerfüllung der Gemeinden und Gemeindeverbände setzen, bewirken wegen der notwendig gesetzlichen Ausgestaltung des Haushaltsrechts und der allgemeinen Haushaltsgrundsätze grundsätzlich keinen Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht (vgl. Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Rn. 223, Stand: Mai 2023; Waechter, in: Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 2. Aufl. 2021, Art. 57 Rn. 77). Die Haushalts- und Finanzhoheit entfaltet sich grundsätzlich in dem Rahmen, den sie durch die gesetzliche Ordnung des Haushaltswesens erhalten hat. Deshalb ist es grundsätzlich unbedenklich, wenn das Haushaltsrecht zur zweckmäßigen Steuerung der kommunalen Haushaltswirtschaft verändert wird (Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Rn. 224, Stand: Mai 2023, m.w.N.). Die Schwelle zum Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung wird erst überschritten, wenn gesetzliche Vorschriften zum kommunalen Haushaltsrecht über das Setzen eines Rechtsrahmens hinausgehen und zu einer Beschränkung der kommunalen Haushalts- und Finanzhoheit führen. Einen solchen Eingriff haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt.

c) Die angegriffene Vorschrift des § 182 Abs. 5 NKomVG regelt befristet bis zum 30. Juni 2024 die entsprechende Anwendung der haushaltsrechtlichen Vorgaben des § 182 Abs. 4 NKomVG zur Bewältigung der Folgen des Krieges in der Ukraine für die kommunale Haushaltswirtschaft. Verpflichtend muss die Kommune Fehlbeträge des ordentlichen und außerordentlichen Ergebnisses aus dem betreffenden Haushaltsjahr oder den betreffenden Haushaltsjahren und dem Folgejahr in ihrer Bilanz auf der Passivseite gesondert ausweisen (§ 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG). Fehlbeträge nach dieser Vorschrift sollen in einem Zeitraum von bis zu 30 Jahren gedeckt werden (§ 182 Abs. 4 Satz 2 NKomVG). Die übrigen Regelungen des § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2-8 NKomVG enthalten fakultative Erleichterungen für die kommunale Haushaltswirtschaft.

d) Die Beschwerdeführer machen geltend, der Landesgesetzgeber habe bei der Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs zwischen Land und Kommune mit § 182 Abs. 5 NKomVG den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten und damit das kommunale Selbstverwaltungsrecht in verfassungsrechtlich nicht zulässiger Weise verletzt. Anstatt eine nachvollziehbare Einschätzung des Finanzbedarfs der Kommunen zur Bewältigung der Folgen des Krieges in der Ukraine vorzunehmen und anschließend Mittel zur Bewältigung der Aufgabe zur Verfügung zu stellen, habe er durch punktuelle Änderung des Haushaltsrechts den Kommunen für die Erfüllung dieser Aufgabe pauschal eine Verschuldungspflicht auferlegt (§ 182 Abs. 5 i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG). Mit diesem allgemeinen Vortrag, der sich nicht zu einer konkreten Betroffenheit der Haushalte der Beschwerdeführer verhält, kann die Möglichkeit eines Eingriffs in das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführer durch § 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 8 NKomVG nicht dargelegt werden.

aa) Soweit § 182 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2-8 NKomVG abweichend von den ansonsten anzuwendenden Grundsätzen der Haushaltswirtschaft Kommunen und Gemeindeverbänden haushaltsrechtliche Erleichterungen verschafft und Rechte oder Handlungsoptionen zuweist, die sie ergreifen können, aber nicht müssen, wird ihr haushaltsrechtlicher Spielraum gegenüber den Vorgaben der §§ 110 ff. NKomVG lediglich erweitert. Eine Beschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in der Ausprägung der gemeindlichen Haushalts- und Finanzhoheit wird von den Beschwerdeführern insoweit auch nicht geltend gemacht. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen haben, dass von ihnen Haushaltssicherungskonzepte nicht aufgestellt worden seien, haben sie von einer Option Gebrauch gemacht; die Schaffung einer Option begründet indes keinen Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht, sondern erweitert im Gegenteil die Gestaltungsmöglichkeiten der kommunalen Haushaltswirtschaft.

bb) Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, der Landesgesetzgeber habe ihnen durch § 182 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG eine "Pflicht zur kommunalen Verschuldung" auferlegt, anstelle die für die Beseitigung der Folgen des Ukrainekriegs erforderlichen Mittel bereitzustellen, wird die für eine zulässige kommunale Verfassungsbeschwerde erforderliche Verletzung in ihrem Selbstverwaltungsrecht nicht substantiiert dargelegt. Zwar "muss" die Kommune nach dem Wortlaut von § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NKomVG Fehlbeträge des ordentlichen und außerordentlichen Ergebnisses aus dem betreffenden Haushaltsjahr oder den betreffenden Haushaltsjahren und dem Folgejahr in ihrer Bilanz auf der Passivseite "gesondert ausweisen". Diese "Verpflichtung" stellt aber lediglich sicher, die Fehlbeträge zu identifizieren, für die abweichend von den allgemeinen Haushaltsgrundsätzen (§ 110 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 NKomVG) erst in einem Zeitraum von bis zu 30 Jahren eine Deckung im Jahresabschluss herbeigeführt werden muss. Es handelt sich mithin um eine formalrechtliche Bestimmung, die eine bestimmte Art der Buchführung vorschreibt. Als solche geht sie über die nicht als Eingriff anzusehende gesetzliche Rahmensetzung nicht hinaus; damit verbunden ist insbesondere kein Zwang zu einer zeitlich gestreckten Deckung und einer damit verbundenen langfristigen Verschuldung. Ob Gemeinden oder Gemeindeverbände von dieser haushalterischen Erleichterung Gebrauch machen, bleibt, wie das Vorgehen der Beschwerdeführer zeigt, ihrer Entscheidung vorbehalten; alle Beschwerdeführer haben, wie sie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, auf die Anwendung der Norm verzichtet.

cc) Soweit die Beschwerdeführer allgemein auf eine "haushaltsrechtlich rechtswidrige Liquiditätsverschuldung der kommunalen Gebietskörperschaften in Niedersachsen von 1,9 Mrd. €", einen "negativen Finanzierungssaldo von 270 Mio €" aller Kommunen in Niedersachsen 2020, einen "dauerhaften Eingriff in die kommunale Finanzausstattung in Höhe von 142 Mio € durch den Doppelhaushalt 2022/2023" bzw. auf die insgesamt durch alle Landkreise zum Defizitausgleich ihrer Krankenhäuser bereitgestellten 205 Mio € verweisen, wird auch mit diesem Vortrag eine konkrete Beschwer nicht dargelegt. Notwendig wäre insoweit die Darlegung, dass sie infolge verfassungswidriger Ausgestaltung des Finanzausgleichs über keine hinreichende Mindestfinanzausstattung (mehr) verfügen und in ihrer Fähigkeit zur Erledigung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten beeinträchtigt sind (LVerfG SH, Urt. v. 27.1.2017 - LVerfG 5/15 -, juris Rn. 102 ff, 107; LVerfG MV, Urt. v. 30.11.2023 - LVerfG 5/22 -, juris Rn. 56 ff). Die Beschwerdeführer haben hierzu nichts vorgetragen.

dd) Die Beschwerdeführer legen auch nicht ausreichend dar, dass ein durch die "Folgen des Krieges in der Ukraine" entstandener oder noch entstehender Finanzbedarf nicht durch eine zeitnah und bedarfsgerecht geplante Anpassung der Kreisumlage wegen der durch § 182 Abs. 5 NKomVG eröffneten Möglichkeit der Deckung von Fehlbeträgen in einem Zeitraum von bis zu 30 Jahren abgedeckt werden konnte. Ob kreisangehörige Gemeinden einem Begehren der Beschwerdeführer auf Erhöhung der Kreisumlage entgegnen können, dass dafür keine Notwendigkeit besteht, weil die Landkreise nach § 182 Abs. 5 NKomVG i.V.m. § 182 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 NKomVG die Möglichkeit haben, die durch "Folgen des Krieges in der Ukraine" entstandenen Fehlbeträge bis zu 30 Jahren bilanziell zu strecken, ist spekulativ. Konkrete Beispiele dafür, dass die Erhöhung einer Kreisumlage unterbleiben musste, weil die Beschwerdeführer auf die Möglichkeit der Streckung von Fehlbeträgen verwiesen wurden, werden nicht substantiiert dargelegt. Auch aus rechtlicher Sicht ist nicht davon auszugehen, dass die Gemeinden mit dem vorstehenden Einwand Erfolg haben können. Im Verhältnis von Kreis und kreisangehöriger Gemeinde gelten der Grundsatz des Gleichrangs des Finanzbedarfs der kommunalen Gebietskörperschaften und das daraus folgende Rücksichtnahmegebot (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.1.2013 - 8 C 1.12 -, BVerwGE 145, 378; juris Rn. 13 ff.; Urt. v. 29.11.2022 - 8 C 13.21 -, BVerwGE 177, 170, juris Rn. 29 f.; ebenso Waechter, in: Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 2. Aufl. 2021, Art. 57 Rn. 84). Daher können die Landkreise in einer Auseinandersetzung über die Höhe einer Kreisumlage ihrerseits darauf verweisen, dass auch die Kommunen von der Möglichkeit der Streckung des Ausgleichs ukrainebedingter Fehlbeträge Gebrauch machen, ihrerseits also die Verpflichtungen aus einer eventuell höheren Kreisumlage ebenfalls 30 Jahre bilanziell strecken können. Eine im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung "neutrale" Vorschrift kann die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung nicht begründen; mit einem abstrakten Verweis auf eine für beide Seiten gleichermaßen eröffnete Option wird die notwendige Beschwerdebefugnis nicht dargelegt.

ee) Schließlich ergibt sich die erforderliche Beschwerdebefugnis nicht aus dem Vortrag der Beschwerdeführer, § 182 Abs. 5 NKomVG sei formell verfassungswidrig, weil die kommunalen Spitzenverbände und insbesondere der Niedersächsische Landkreistag im Gesetzgebungsverfahren zu § 182 Abs. 5 NKomVG nicht ausreichend i.S.v. Art 57 Abs. 6 NV gehört worden seien.

(1) Art. 57 Abs. 6 NV ist Ausdruck des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und dient dazu, die Rechte und Interessen der Gemeinden und Landkreise bzw. der beteiligten Verbände bei der Normsetzung zu berücksichtigen (NdsStGH, Urt. v. 9.3.2021 - StGH 3/20 -, LVerfGE 32, 309, juris Rn. 62; Urt. v. 16.5.2001 - StGH 6/99 u.a. -, Nds. StGHE 4, 31, juris Rn. 106; vgl. ausführlich Urt. v. 4.3.2024 - StGH 1/23). Die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände ist zwingend vorgeschrieben (NdsStGH, Urt, v. 9.3.2021 - StGH 3/20 -, LVerfGE 32, 309, juris Rn. 62); der Staatsgerichtshof hat, worauf die Beschwerde zutreffend verweist, bereits zum Ausdruck gebracht, dass eine unter Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV zustande gekommene Norm, die Gemeinden oder die Landkreise unmittelbar berührt, formell verfassungswidrig sein kann (NdsStGH, Urt. v. 29.4.2013 - StGH 2/12 -, Nds. StGHE 5, 137, juris Rn. 54; Urt. v. 16.5.2001 - StGH 6/99 u.a.-, Nds. StGHE 4, 31, juris Rn. 105 f.; vgl. auch NdsStGH, Urt. v. 2.5.2024 - StGH 1/23 -). Dies gebietet der Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, deren verfahrensrechtliche Sicherung in Art. 57 Abs. 6 NV unvollständig wäre, wenn aus einem Verstoß gegen die Anhörungspflicht nicht die Nichtigkeit der gesetzlichen Norm folgen könnte.

(2) Welche Anforderungen Art. 57 Abs. 6 NV im Einzelnen stellt, ist in der Niedersächsischen Verfassung nicht ausdrücklich geregelt, insbesondere ist eine abstrakte Bestimmung der angemessenen Dauer für eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände nicht möglich. Es bedarf der Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls sowohl hinsichtlich des konkreten Gesetzesentwurfs (Umfang, Komplexität, Dringlichkeit, Entscheidungsreife) als auch der weiteren die Arbeitsabläufe des Parlaments bestimmender Faktoren (vgl. zu den Anforderungen an die Gesetzesberatung im Parlament BVerfG, Urt. v. 24.1.2023 - 2 BvF 2/18 -, BVerfGE 152, 35 [BVerfG 17.09.2019 - 2 BvE 2/18], juris Rn. 91 ff.; Beschl. v. 5.7.2023 - 2 BvE 4/23 -, NJW 2023, 2561, juris Rn. 89). Es ist der Parlamentsmehrheit vorbehalten, Prioritäten und Abläufe bei der Bearbeitung von Angelegenheiten zu bestimmen. Wie eilbedürftig eine Angelegenheit ist, bestimmen die Abgeordneten zunächst selber; sie verfügen insoweit über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzungsspielraum. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, welche Entscheidungen noch im Rahmen einer Legislaturperiode getroffen werden sollen. Die Abgeordneten sind für die Zeitspanne der Legislaturperiode gewählt und müssen in der Lage sein, grundsätzlich auch in der letzten Sitzung des Landtages in einer Legislaturperiode noch eilbedürftige Entscheidungen treffen zu können. Eine Grenze ist dann überschritten, wenn die Pflicht zur Anhörung nach Art. 57 Abs. 6 NV durch die Parlamentsmehrheit ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet wird. Das kommt beispielsweise in Betracht, wenn ein Gesetz als eilbedürftig behandelt wird, obwohl dafür weder in sachlicher noch in - wie hier mit dem Hinweis auf das nahende Ende der Legislaturperiode grundsätzlich gegeben - verfahrensbezogener Hinsicht nachvollziehbare Gründe benannt werden können.

(3) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass es sich bei Art. 57 Abs. 6 NV um eine Vorschrift des formellen Verfassungsrechts handelt, deren Sinn und Zweck in der materiellen Sicherung des Rechts auf Selbstverwaltung liegt. Die verfassungsrechtlich vorgesehene Verfahrensbeteiligung erfüllt demzufolge keinen Selbstzweck; sie hat, wie das Gesetzgebungsverfahren insgesamt, eine dienende Funktion gegenüber dem Verfahrensziel. Gemeinden und Gemeindeverbänden, in deren Selbstverwaltungsrecht eingegriffen wird, bietet die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände als Sachverwalter daher Schutz im Hinblick auf die bestmögliche Verwirklichung dieser materiellen Position. In diesen Fällen kann auch eine fehlerhafte oder ganz fehlende Beteiligung gerügt werden. Erfolgt eine Beteiligung hingegen - wie hier - zu einem Gesetz, das nicht mit einem Eingriff in das Recht auf Selbstverwaltung verbunden ist, treten die kommunalen Spitzenverbände nicht im engeren Sinne als Sachwalter der Selbstverwaltungsgarantie, sondern als Sachverständige auf; sie sind dem objektiv-rechtlichen Ziel einer breiteren Beurteilungsgrundlage und damit einer besseren Entscheidungsfindung des Landtags verpflichtet. In dieser hier vorliegenden Situation begründet ein möglicher Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV keine isoliert wehrfähige Rechtsposition der Gemeinden und Gemeindeverbände, sodass die Beschwerdebefugnis nicht unter Hinweis auf diese Vorschrift begründet werden kann. Anhaltspunkte für ein von der Regel abweichendes gegenteiliges Normverständnis liegen nicht vor (vgl. zur Wehrfähigkeit verfahrensrechtlicher Positionen allgemein BVerwG, Urt. v. 29.4.1993 - 7 A 2.92 - BVerwGE 92, 258, juris Rn. 22; Beschl. v. 25.3.2011 - 7 B 86.10 -, juris Rn. 9).

(4) Ob § 182 Abs. 5 NKomVG in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist, weil die nach Art. 57 Abs. 6 NV gebotene Anhörung der kommunalen Spitzenverbände und insbesondere diejenige des für die Interessenvertretung der Beschwerdeführer im Gesetzgebungsverfahren zuständigen Niedersächsischen Landkreistages möglicherweise nicht oder nicht in hinreichendem Umfang stattgefunden hat, kann danach entweder im Rahmen einer zulässigen abstrakten oder konkreten Normenkontrolle nach Art. 54 Nr. 3 und 4 NV oder - bei Vorliegen eines Eingriffs in das Recht auf Selbstverwaltung - im Rahmen einer zulässigen kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 57 Nr. 5 NV gerügt und geprüft werden (vgl. NdsStGH, Urt. v. 16.5.2001 - StGH 6/99 u.a.-, Nds. StGHE 4, 31 (47), juris Rn. 105 f.; Urt. v. 4.6.2010 - StGH 1/08 -, Nds. StGHE 5, 1 (15 f.), juris Rn. 59 ff.; Urt. v. 29.4.2013 - StGH 2/12 -, Nds. StGHE 5, 137 (149), juris Rn. 53 f.). Die Geltendmachung der formellen oder materiellen Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm ersetzt aber nicht die Sachurteilsvoraussetzung der Darlegung der Beschwerdebefugnis im Hinblick auf die unmittelbare, eigene und gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführer.

ff) Aus denselben Erwägungen folgt die Beschwerdebefugnis für sich genommen nicht aus der geltend gemachten materiellen Unwirksamkeit von § 182 Abs. 5 NKomVG wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz materieller Bestimmtheit, weil die Norm nicht näher bestimmt, welche Aufwendungen für die Haushaltswirtschaft konkret als Folge des Krieges in der Ukraine einzuordnen sein sollen. Hierbei handelt es sich zwar um eine im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde rügefähige Grenze der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis in Bezug auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht (vgl. NdsStGH, Urt. v. 29.4.2013 - StGH 2/12 -, Nds. StGHE 5, 137 (161), juris Rn. 100 ff.; Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Rn. 276, Stand: Mai 2023). Auch die materielle Prüfung dieser Rüge setzt im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde als Sachurteilsvoraussetzung die Darlegung der Beschwerdebefugnis, konkret eines Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht, voraus. Daran fehlt es.

C.

Das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist gemäß § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei. Auslagen werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.

Mestwerdt
van Hove
Kaiser
Butzer
Veen
Huss
Bornemann
Otte
Berghaus