Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.07.2013, Az.: 3 B 4548/13

Aufnahmealter; Gleichbehandlung; Kindergarten; Kindergartenplatz; Kindertagesstätte; Nachmittagsplatz; Platzvergabe; Vormittagsplatz; Zuweisungsentscheidung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.07.2013
Aktenzeichen
3 B 4548/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64363
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, bei der Vergabe von Plätzen in einer Kindertagesstätte Kinder, die bei Beginn des jeweiligen Kindergartenjahres das jeweilige gesetzliche Aufnahmealter bereits erreicht haben (werden), mit solchen Kindern gleichzubehandeln, die dieses Alter erst im Laufe des Kindergartenjahres erreichen werden.

2. Es ist unzulässig, Plätze in (regulären) Kindergartengruppen für Kinder freizuhalten, die erst im Laufe des Kindergartenjahres altersmäßig einen Anspruch auf einen solchen Platz erwerben werden, und diese Plätze tatsächlich zunächst nicht zu besetzen, wenn Kinder, die altersmäßig bereits anspruchsberechtigt sind, Anspruch auf einen solchen Platz erheben.

3. Mit einer Kapazitätsplanung und einem Platzverteilungssystem, die von vornherein darauf angelegt sind, bereits entstandene Ansprüche mit Blick auf voraussichtlich entstehende zukünftige Ansprüche bezüglicher ihrer inhaltlichen Ausgestaltung zu relativieren - hier: Zuweisung eins Nachmittags- anstelle des begehrten Vormittagsplatzes - , wird die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 3 Satz 2 Nds. KiTaG unzulässigerweise in eine allgemeine, gleichrangig anwendbare Zuteilungsnorm umfunktioniert.

4. Es bleibt offen, ob die Regelungen in § 12 Abs. 3 Nds. KiTaG gemäß Art. 31 GG wegen unzulässiger zeitlicher Beschränkung des Anspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII unwirksam sind.

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die Beigeladene die Antragstellerin zu Beginn des Kindergartenjahres 2013/14 in eine Vormittags- oder Ganztagsgruppe der Kindertagesstätte E. aufnimmt und in dem beantragten zeitlichen Umfang vormittags betreut.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt 80 vom Hundert und die Antragstellerin trägt 20 vom Hundert der Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die im Juni 2008 geborene Antragstellerin besucht seit dem Sommer 2010 die Kindertagesstätte E., die die Beigeladene selbst betreibt. Nach dem Satzungsrecht der Beigeladenen (Aufnahmesatzung, § 3) erfolgt(e) die Aufnahme jeweils für ein Kindergartenjahr. Ab ihrer ersten Aufnahme wurde die Antragstellerin in der Einrichtung bisher - ihren jeweiligen Aufnahmeanträgen entsprechend - vormittags in der „Hasengruppe“ betreut. Diese Gruppe war ursprünglich als altersgemischte Gruppe für ein- bis sechsjährige Kinder eingerichtet. Zu Beginn des nun auslaufenden Kindergartenjahres wandelte die Beigeladene diese Gruppe in eine Integrationsgruppe mit regulär 16 Plätzen für drei- bis sechsjährige Kinder um. Daneben gibt es in der Einrichtung aktuell noch zwei weitere Gruppen (Fischgruppe und Katzengruppe), in denen drei- bis sechsjährige Kinder vormittags bzw. bis ganztags, und zusätzlich eine Gruppe (Seesterngruppe), in der solche Kinder nachmittags (ab 13.00 Uhr) betreut werden. Außerdem ist eine „Krippengruppe“ für ein- bis dreijährige Kinder vorhanden. Diese Gruppenstruktur wird die Beigeladene auch für das kommende Kindergartenjahr beibehalten.

Auch für das Kindergartenjahr 2013/14 meldeten die Eltern der Antragstellerin diese im Rahmen der von der Beigeladenen im Januar 2013 veranstalten „Anmeldewoche“ für eine Betreuung am Vormittag an. Dabei gaben sie u.a. an, dass die Kindesmutter wegen der häuslichen Betreuung der jüngsten Tochter in Elternzeit sein werde. In einem ergänzenden Schreiben vom 11.04.2013 legten die Eltern zudem Gründe dar, die aus ihrer Sicht den weiteren Verbleib der Antragstellerin in ihrer bisherigen Gruppe notwendig machten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen.

Mit Bescheid vom 10.05.2013 teilte die Beigeladene den Eltern der Antragstellerin namens und im Auftrag des Antragsgegners mit, diese werde für das Kindergartenjahr 2013/14 in die Kindertagesstätte E. aufgenommen und solle in der Seestern-Gruppe nachmittags von 13.00 h - 17.00 h betreut werden.

Aus den von der Beigeladenen im Laufe des Verfahrens vorgelegten Aufnahmeunterlagen für alle Gruppen der Einrichtung ergibt sich, dass u.a. aus der derzeit vorhandenen Krippengruppe fünf Kinder im Laufe des kommenden Kindergartenjahres in die vorhandenen Vormittags- bzw. Ganztagesgruppen der Einrichtung wechseln sollen, die zu Beginn des Kindergartenjahres am 01.08.2013 ihr 3. Lebensjahr noch nicht vollendet haben werden. Die entsprechenden Plätze in den vorhandenen Gruppen sollen nach den Vorstellungen der Beigeladenen solange unbesetzt bleiben, bis diese Kinder ihr 3. Lebensjahr vollendet haben werden. Jeweils unmittelbar danach sollen diese Kinder wechseln und damit ihre Plätze in der Krippengruppe räumen. Der letzte dieser Wechsel ist für April 2014 vorgesehen.

Nach dem Satzungsrecht der Beigeladenen scheiden Kinder, die bis zum 31.03. eines Jahres ihr 3. Lebensjahr vollenden, zwingend unmittelbar danach aus einer von ihnen bisher besuchten Krippengruppe aus. Kinder, die erst danach im laufenden Kindergartenjahr ihr 3. Lebensjahr vollenden, können, müssen aber nicht zu diesem Zeitpunkt die Krippengruppe verlassen.

Die Antragstellerin hat am 05.06.2013 - ursprünglich gegen die Beigeladene - Klage erhoben (3 A 4545/13) und zugleich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie macht geltend, sie habe einen Anspruch auf weitere Betreuung in einer Vormittagsgruppe - vorrangig der Hasengruppe - der Kindertagesstätte E.. Nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf eine Betreuung am Vormittag. Sowohl nach den Regelungen des Nds. KiTaG als auch nach dem Satzungsrecht der Beigeladenen stelle die Zuweisung eines Nachmittagsplatzes eine nur in engen Grenzen zulässige Ausnahme dar. Dabei sei insbesondere die besondere soziale Situation des Kindes zu berücksichtigen. Dem werde die getroffene Zuweisungsentscheidung nicht gerecht, die allein auf den Umfang der Berufstätigkeit der Kindeseltern abgestellt habe. Bei ihr lägen aber, wie bereits vorgerichtlich der Beigeladenen gegenüber geltend gemacht, individuelle soziale Belange vor, die eine weitere Betreuung am Vormittag erforderlich machten. Der Antragsgegner und die Beigeladene könnten sich auch nicht auf fehlende Kapazitäten berufen. So werde die rechtlich zulässige Kapazitätsgrenze von 18 Plätzen für die von ihr bisher besuchte Integrationsgruppe von der Beigeladenen nicht ausgeschöpft. Außerdem müsse sich der Antragsgegner ggf. zunächst darum bemühen, dass für eine der anderen Gruppen von der zuständigen Aufsichtsbehörde eine zeitlich begrenzte Ausnahme für eine die rechtlich festgelegte Kapazitätsgrenze überschreitende Belegung erteilt werde.

Das Gericht hat das Passivrubrum im Klage - und Eilverfahren von Amts wegen mit Rücksicht auf die von der Antragstellerin verfolgten Rechtsschutzziele auf den Antragsgegner umgestellt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für das Kindergartenjahr 2013/14 einen Betreuungsplatz am Vormittag - vorrangig in der „Hasengruppe“ - in der Kindertagesstätte E. der Beigeladenen zur Verfügung zu stellen bzw. zuzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verteidigt die angegriffene Zuweisung der Antragstellerin auf einen Nachmittagsplatz. Mit dieser Zuweisung werde der Rechtsanspruch der Antragstellerin aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) erfüllt. Die Beigeladene habe unter Rückgriff auf die von ihr satzungsrechtlich geregelten Auswahlkriterien eine (ermessens-)fehlerfreie Auswahlentscheidung getroffen. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beigeladene auch die erst im Laufe des Kindergartenjahres noch entstehenden Ansprüche von Kindern auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes am Vormittag bereits zum 01.08.2013 in ihrer Verteilungsentscheidung mit berücksichtigt habe. Nur so könne effektiv sichergestellt werden, dass deren Ansprüche im Zeitpunkt ihrer Entstehung bedarfsgerecht erfüllt werden könnten. Wollte man diese Kinder im Laufe des Kindergartenjahres, wenn sie jeweils ihr drittes Lebensjahr vollendet hätten, auf einen Einrichtungswechsel oder den Wechsel in die Betreuungsform der Kindertagespflege verweisen, würde sie das stärker belasten als die jetzt von der Beigeladenen vorgenommene Platzverteilung, mit der immerhin sichergestellt worden sei, dass jedes Kind einen Betreuungsplatz in der Einrichtung erhalte. Es sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, die Antragstellerin nachträglich noch auf einen Vormittagsplatz rücken zu lassen, weil sie nach den von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen erst an 10. Stelle für ein Nachrücken auf einen Vormittagsplatz zu berücksichtigen wäre. Damit würde die Zuweisung eines Vormittagsplatzes an die Antragstellerin die vor ihr als Nachrücker in Frage kommenden Kinder in ihren Rechten verletzen. Eine befristete Ausweitung der Gruppengrößen komme nicht in Betracht. Diese seien nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben von der Beigeladenen festgelegt worden, wobei diese wiederum auch und insbesondere bzgl. der Hasengruppe unter pädagogischen Gesichtspunkten bestimmt worden seien. Eine Ausweitung hätte unmittelbare negative Auswirkungen auf die pädagogische Qualität des Betreuungsangebotes. Der Antragstellerin sei schließlich auch unter Berücksichtigung ihrer individuellen sozialen Situation ein Wechsel in die Nachmittagsgruppe zuzumuten. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass außer ihr noch zehn weitere Kinder aus den Vormittagsgruppen ebenfalls in die Nachmittagsgruppe wechselten, die voraussichtlich im kommenden Jahr in die Grundschule kommen würden. Damit werde der Antragstellerin ermöglicht, bereits jetzt soziale Kontakte zu diesen Kindern aufzubauen und mit in die Grundschule zu übernehmen.

Die Beigeladene hat im Eilverfahren keinen Antrag gestellt. Sie verteidigt ebenfalls die von ihr getroffene Zuweisungsentscheidung und trägt ergänzend zu der vom Antragsgegner vorgebrachten Argumentation vor:

Der Regelfall des § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) sei die Bereitstellung eines Ganztagesplatzes. Insgesamt würden in ihrem Bereich 15 Kinder im Laufe des kommenden Kindergartenjahres ihr 3. Lebensjahr vollenden und hätten ab dem Zeitpunkt die Zuweisung eines entsprechenden Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII n.F. in der Einrichtung in E. beansprucht. Von diesen 15 Kindern seien 5 Kinder nicht berufstätiger Eltern der Nachmittagsgruppe zugewiesen worden. Bei den restlichen 10 Kindern hätten die Eltern eine Berufstätigkeit am Vormittag nachgewiesen. Neun dieser Kinder hätten einen Bedarf an einer verlängerten Betreuung inklusive Mittagsessen. Darunter sein ein Kind, das im Laufe des August 2013 sein 3. Lebensjahr vollende und auf Grund einer anerkannten Behinderung zwingend der Hasengruppe habe zugewiesen werden müssen. Lediglich eines der Kinder habe einen Bedarf an einer Halbtagsbetreuung und sei auf Grund einer Berufstätigkeit der sorgeberechtigten Mutter einer Vormittagsgruppe zugewiesen worden.

Sie habe diese Kinder bei der Verteilung der zum 01.08.2013 belegbaren Plätze deshalb bereits mit berücksichtigt, weil sie nur so der gesetzlichen Verpflichtung aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.), für diese Kinder ein bedarfsgerechtes Angebot ab Vollendung des 3. Lebensjahres zur Verfügung zu stellen, nachkommen könne. Zusätzliche Plätze könne sie für diese Kinder im laufenden Kindergartenjahr nicht schaffen, zumal die baulichen und räumlichen Kapazitäten der Einrichtung in E. ausgeschöpft seien.

Dem geltend gemachten Anspruch auf einen Betreuungsplatz am Vormittag stehe zudem entgegen, dass die Antragstellerin einen solchen Platz unter Anwendung der von ihr in der Aufnahmesatzung geregelten Zuteilungskriterien auch dann nicht hätte erhalten können, wenn die erst im Laufe des Kindergartenjahres 3 Jahre alt werdenden Kinder bei der Zuteilung der Plätze unberücksichtigt geblieben wären. Denn die Klägerin stehe in der Rangfolge der einen Vormittagsplatz begehrenden Kinder erst an 12. Stelle.

Einer Ausweitung der Stärke der vorhandenen Gruppen stünden zwingende pädagogische Erwägungen entgegen. Das gelte insbesondere auch für die Hasengruppe, der aktuell 17 Kinder zugewiesen seien. Damit sei angesichts der konkret vorgesehenen Gruppenzusammensetzung die (integrations-)pädagogisch verantwortbare Belegungskapazität dieser Gruppe ausgeschöpft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten sowie des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der gemeinsamen Gerichtsakte des Klage- und des Eilverfahren sowie auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

1.

Der ursprünglich gegen die Beigeladene als Passivpartei gerichtete Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz war unter Berücksichtigung des mit dem Antrag erkennbar verfolgten Rechtsschutzziels dahingehend von Amts wegen umzustellen, dass er gegen den im Rubrum aufgeführten Antragsgegner gerichtet ist. Die Antragstellerin stützt ihr Rechtschutzbegehren nämlich nicht auf § 30 NKomVG sondern auf § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) i. V. m. § 12 Nds. KiTaG. In der Rechtsprechung der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts ist geklärt, dass dieser Anspruch auch dann gegen den örtlich zuständigen Jugendhilfeträger gerichtet ist, wenn dieser - wie im vorliegenden Fall - mit der Wohnsitzgemeinde der Antragstellerin eine Vereinbarung nach § 13 Abs. 1 Nds. AG KJHG über die Wahrnehmung der Aufgaben im Bereich der Kindertagesbetreuung geschlossen hat (grdl.: Nds. OVG, Beschl. vom 27.11.1996, 4 M 4787/96, juris). Zudem hat die Beigeladene den im Hauptsacheverfahren angegriffenen Zuteilungsbescheid vom 10.05.2013 ausdrücklich im Namen und Auftrag des Antragsgegners erlassen. Der Antragsgegner hat sich auch auf die ihm mit der Rubrumsumstellung zugewiesene prozessuale Rolle eingelassen.

2.

Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat in der Sache in dem im Tenor beschriebenen Umfang Erfolg.

a)

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Rechtsschutzsuchenden abzuwenden. Dazu muss der Antragsteller darlegen und gegebenenfalls glaubhaft machen, dass ihm der in der Hauptsache verfolgte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und die Sache eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). In Fällen wie dem vorliegenden, in denen im Eilverfahren die Hauptsache vorweggenommen wird, weil eine Entscheidung im Klageverfahren zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes wegen der zeitlichen Umstände voraussichtlich zu spät käme, ist erforderlich, dass dem Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung unzumutbare Nachteile drohten. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

aa)

Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner bezogen auf das Kindergartenjahr 2013/14 einen Anspruch auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes am Vormittag in der von der Beigeladenen betriebenen Einrichtung in E.. Die mit Bescheid vom 10.05.2013 erfolgte Zuweisung des von ihr nicht beantragten Betreuungsplatzes in dieser Einrichtung am Nachmittag ist rechtswidrig, da sie den gesetzlichen Anspruch der Antragstellerin auf Förderung in einer Tageseinrichtung aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) i. V. m. § 12 Nds. KiTaG nicht erfüllt.

(1)

Der Antragstellerin steht bereits zum jetzigen Zeitpunkt gegen den Antragsgegner ein Anspruch auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) zu, denn sie ist bereits etwas mehr als fünf Jahre alt und damit vom zeitlichen Anwendungsbereich dieser Norm erfasst.

Dieser Anspruch ist im Grundsatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) i. V. m. § 12 Abs. 3 Nds. KiTaG darauf gerichtet, (zumindest) einen Betreuungsplatz am Vormittag zu erhalten. Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Nds. KiTaG kann ein Kind nur dann auf einen Betreuungsplatz am Nachmittag verwiesen werden, wenn ein ausreichendes Angebot an Plätzen zur Vormittagsbetreuung nicht zur Verfügung steht.

Es kann offen bleiben, ob diese landesrechtlichen Regelungen hinsichtlich der daraus folgenden Beschränkung des bundesrechtlichen Betreuungsanspruchs auf einen Halbtagsbetreuungsplatz mit Blick auf Art. 31 GG verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen. Im vorliegenden Fall kommt es darauf nicht an, denn die Antragstellerin macht hier nur einen Anspruch auf einen Halbtagsbetreuungsplatz geltend.

(2)

Der Verschaffungsanspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) richtet sich zwar grundsätzlich auch unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechtes aus § 5 SGB VIII nicht unmittelbar auf die Bereitstellung eines konkreten Platzes in einer bestimmten Einrichtung. In der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts ist aber anerkannt, dass sich der Verschaffungsanspruch mit Rücksicht auf das Wunsch- und Wahlrecht aus § 5 SGB VIII auf einen bestimmten Platz in einer bestimmten Einrichtung verdichten kann, wenn dieser Platz bedarfsgerecht und belegbar ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 22.12.2008, 4 ME 326/08, juris).

Das ist vorliegend in Bezug auf einen Betreuungsplatz am Vormittag der Fall. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen ist ab dem 01.08.2013 ein belegbarer Platz in einer Vormittagsgruppe der Einrichtung in E. vorhanden, der der Antragstellerin zugewiesen werden kann. Die Aufnahmekapazitäten sind zumindest in Bezug auf die „Fischgruppe“ der Einrichtung nicht erschöpft.

(a)

Zunächst ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass auf der Grundlage der von der Beigeladenen im Namen des Antragsgegners getroffenen Zuweisungsentscheidungen für das kommende Kindergartenjahr zum 01.08.2013 nicht alle verfügbaren Plätze in der „Fischgruppe“ tatsächlich belegt sein werden. Vielmehr werden in dieser Gruppe ab dem 01.08.2013 Plätze zunächst tatsächlich frei bleiben, weil die Beigeladene diese Plätze Kindern - bereits jetzt - zugewiesen hat, die erst im Laufe des kommenden Kindergartenjahres ihr 3. Lebensjahr vollenden werden und nach den Planungen der Beigeladenen jeweils erst danach im laufenden Kindergartenjahr in die Gruppe aufgenommen werden sollen.

(b)

Nach Ansicht der Kammer ist dieses „Freihalten“ von Plätzen für Kinder, die erst im laufenden Kindergartenjahr ihr 3. Lebensjahr vollenden werden, gegenüber einem Kind, das - wie die Antragstellerin - bereits zu Beginn des streitigen Kindergartenjahres das 3. Lebensjahr vollendet hat, rechtswidrig.

(aa)

Das von der Beigeladenen angewandte Verteilungssystem führt dazu, dass gegenwärtige Ansprüche mit (voraussichtlich) zukünftig erst entstehenden Ansprüchen gleichbehandelt werden. Denn damit wird ein Kind, dessen Anspruch auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) bereits entstanden ist bzw. im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zuteilungsentscheidung ihm gegenüber entstanden sein wird, mit Kindern gleichbehandelt, die in diesem Zeitpunkt den Anspruch, über den auch ihnen gegenüber bereits entschieden wird, noch gar nicht haben. Zwar haben die erst im Laufe des zukünftigen Kindergartenjahres ihr 3. Lebensjahr vollendenden Kinder bereits ab dem 01.08.2013 einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII (n.F.). Dieser Anspruch ist inhaltlich jedoch nicht deckungsgleich mit dem Anspruch der über 3-jährigen Kinder auf Förderung aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.). Das ergibt sich sowohl aus der systematischen Trennung der Ansprüche in zwei eigenständigen Absätzen der Norm als auch aus dem Zusatz „frühkindliche“ in deren Absatz 2. Diese Unterscheidung ist zudem im Satzungsrecht der Beigeladenen (Aufnahmesatzung in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 13.12.2012) und in der Organisationsstruktur der Einrichtung (eigenständige Krippengruppe ausschließlich für ein- bis dreijährige Kinder) nachgebildet.

(bb)

Diese Gleichbehandlung steht nicht im Einklang mit Art. 3 GG. Namentlich lässt sich dafür - entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen - nicht anführen, dass nur so die im laufenden Kindergartenjahr entstehenden Verschaffungsansprüche aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.) erfüllt werden könnten.

Das ist zunächst schon deshalb nicht richtig, weil diese zukünftig entstehenden Verschaffungsansprüche nicht zwingend auf Bereitstellung eines Platzes gerade in der Einrichtung in E. zielen. Weder der Antragsgegner noch die Beigeladene haben konkret dargelegt, dass den betroffenen Kindern kein Betreuungsplatz in einer anderen Einrichtung bedarfsdeckend zur Verfügung gestellt werden könnte. Dabei wäre zudem zu berücksichtigen, dass es dafür nicht auf die gegenwärtige Situation ankäme sondern darauf, wie sich die Verteilung ohne Berücksichtigung der noch unter dreijährigen Kinder bereits zum 01.08.2013 gestalten würde.

Aus Sicht der Kammer ist es zudem nicht zulässig, die Vorhalteverpflichtung aus § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII (n.F.) dadurch zu „minimieren“, dass bei den Platzzuteilungen gegenwärtige und zukünftig entstehende Ansprüche „in einen Topf geworfen“ werden. Vielmehr sind zunächst die gegenwärtigen Ansprüche nach Maßgabe der jeweils aktuell vorhandenen tatsächlichen Kapazitäten zu bedienen und hat der rechtlich nach außen verantwortliche Jugendhilfeträger zusätzlich für ausreichende Kapazitäten zur Befriedigung von zukünftig entstehenden Ansprüchen zu sorgen. Das folgt letztlich bereits aus der Ausgestaltung des Anspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII (n.F.). Dieser entsteht unmittelbar mit der Vollendung des 3. Lebensjahres und ist dann sofort - ggf. auch in einem laufenden Kindergartenjahr - zu erfüllen. Daraus ergibt sich die grundsätzliche gesetzliche Verpflichtung für den örtlichen Jugendhilfeträger, die Kapazitätsplanung so vorzunehmen, dass er in der Lage ist, jederzeit einen entsprechenden Anspruch in dem Moment - bedarfsgerecht - zu erfüllen, in dem er entsteht. Eine Kapazitätsplanung und ein Verteilungssystem, die - wie im vorliegenden Fall - von vornherein darauf angelegt sind, bereits entstandene Ansprüche mit Blick auf voraussichtlich entstehende zukünftige Ansprüche bezüglich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung zu relativieren, wird dieser gesetzlichen Verpflichtung nicht gerecht. Damit wird vielmehr die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 3 Satz 2 Nds.KiTaG entgegen ihrem Normzweck zu einer allgemeinen, gleichrangig anwendbaren Zuteilungsnorm umfunktioniert.

(c)

Die Aufnahmekapazitäten in einer Vormittagsgruppe der Einrichtung zum 01.08.2013 sind auch nicht aus sonstigen Rechtsgründen als erschöpft anzusehen.

(aa)

Zwar hat die Beigeladene den begünstigten jüngeren Kindern gegenüber positive Zuteilungsentscheidungen für die Vormittagsplätze getroffen, die von der Antragstellerin nicht mit Rechtsmitteln angegriffen worden sind. Jedoch war die Antragstellerin mangels konkreter Kenntnis von diesen positiven Zuteilungsentscheidungen bzw. mangels Bekanntgabe ihr gegenüber bisher tatsächlich und rechtlich gar nicht in der Lage, diese anzufechten. Zudem geht die Kammer davon aus, dass diese Zuteilungsentscheidungen den davon begünstigten Kindern einen Anspruch auf einen der fraglichen Plätze erst mit Wirkung für die Zukunft, nämlich ab der jeweiligen Vollendung des 3. Lebensjahres zusprechen, sie diese Plätze also auch rechtlich nicht bereits ab dem 01.08.2013 „blockieren“.

(bb)

Unabhängig davon ist die Antragstellerin aber auch aus rechtlicher Sicht zur Wahrung ihres eigenen Anspruchs auf Zuweisung eines Vormittagsplatzes nicht gehalten, die den anderen Kindern erteilten positiven Zuweisungsentscheidungen anzufechten. Denn zum einen steht zum 01.08.2013 gar nicht mit Sicherheit fest, dass von diesen positiven Zuteilungsentscheidungen gegenüber denjenigen Kindern, die einen entsprechenden Rechtsanspruch noch gar nicht haben, zukünftig auch tatsächlich Gebrauch gemacht werden wird.

Zum Anderen ist es weder rechtlich noch tatsächlich ausgeschlossen, dass die Beigeladene aus diesen positiven Zuteilungsentscheidungen abgeleitete Platzbelegungsansprüche der anderen Kinder auch dann wird erfüllen können, wenn sie die Antragstellerin zum 01.08.2013 in eine Vormittagsgruppe aufnimmt. So kommt im vorliegenden Fall mit Blick darauf, dass das jüngste Kind, für das die Beigeladene einen Betreuungsplatz in der Fischgruppe mit einer positiven Zuteilungsentscheidung „freigehalten“ hat, erst im Laufe des April 2014 in diese Gruppe aufgenommen werden soll, insbesondere in Betracht, dass die Beigeladene eine befristete Überbelegung dieser Gruppe ab jenem Zeitpunkt hinnimmt und dafür eine entsprechende Ausnahmegenehmigung der Aufsichtsbehörde einholt, um dem nachrückenden Kind gegenüber ihre rechtliche Verpflichtung aus der Zuteilungsentscheidung zu erfüllen und ihm damit ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot zu bieten (vgl. dazu: Nds. OVG, Beschl. vom 24.01.2003, 4 ME 596/02, juris). Dass das aus organisatorischen oder pädagogischen Gründen auch für den überschaubaren Zeitrahmen von rund 3 - 4 Monaten nicht hinnehmbar wäre, hat die Beigeladene nicht substantiiert dargelegt.

bb)

Der Anspruch der Antragstellerin auf Zuweisung eines Vormittagsplatzes scheitert schließlich auch nicht daran, dass sie nach der Darstellung des Antragsgegners und der Beigeladenen auch bei einer Verteilung der zum 01.08.2013 zu besetzenden Vormittagsplätze allein unter den Kindern, die zu dem Zeitpunkt bereits ihr 3. Lebensjahr vollendet haben werden, nicht berücksichtigt worden wäre. Es mag sein, dass bei einer solchen Verteilung der Antragstellerin eine Kapazitätserschöpfung hätte entgegen gehalten werden können. Darauf kommt es aus Sicht der Kammer aber im jetzigen Zeitpunkt nicht an. Denn die übrigen, mit der Antragstellerin altersmäßig vergleichbaren Kinder, denen ebenfalls entgegen der von ihnen gestellten Anträge ein Nachmittagsplatz zugewiesen worden ist, stehen rechtlich mit der Antragstellerin in Bezug auf einen Vormittagsplatz zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Konkurrenz. Sie haben nämlich die ihnen gegenüber ergangene Zuweisung eines Nachmittagsplatzes bestandskräftig werden lassen.

b)

Allerdings hat die Antragstellerin keinen Anspruch darauf, unter Zuweisung eines Vormittagsplatzes auch erneut ihrer bisherigen Gruppe - der Hasengruppe - zugeteilt zu werden. Bei dieser Gruppe handelt es sich um eine Integrationsgruppe. Es bestehen aus Sicht der Kammer keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die Beigeladene mittels einer „Umsetzung“ von Kindern, die nicht integrativ betreut werden müssen, dort Platz für die unmittelbar bevorstehende Aufnahme eines solchen Kindes geschaffen hat.

Es ist bereits zweifelhaft, ob eine solche „Umsetzung“ - bei im Übrigen gleichbleibenden Betreuungsbedingungen hinsichtlich Einrichtung, Tageszeit und Betreuungsumfang - überhaupt einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann. Jedenfalls aber besteht für solche „Umsetzungen“ auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen spezifischen pädagogischen Implikationen ein weites Organisationsermessen der Einrichtung, das allenfalls einer nur sehr eingeschränkten Kontrolle des Gerichts - letztlich in Bezug auf Grundrechtsverletzungen - unterliegen kann, und bei dem im Hinblick auf die pädagogischen Fragen von einer Einschätzungsprärogative der Einrichtung auszugehen ist. Unter Berücksichtigung dessen ist nicht ersichtlich, dass eine „Umsetzung“ der Antragstellerin in eine andere Vormittagsgruppe - namentlich die Fischgruppe - rechtswidrig wäre. Dass damit für die Antragstellerin Veränderungen einhergehen, mit deren Bewältigung sie möglicherweise gewisse Schwierigkeiten haben wird, hat sie hinzunehmen. Es gehört zu den typischen Entwicklungsaufgaben von Kindern in diesem Alter, solche Veränderungsprozesse zu erleben und zu bewältigen. Dafür, dass dieses der Antragstellerin auch unter pädagogischer Begleitung der Betreuungskräfte nicht gelingen könnte, gibt es keine ausreichenden Belege. Solches ergibt sich namentlich nicht aus dem vorgelegten kinderärztlichen Attest vom 08.04.2013, zumal dieses schon nicht auf eigenen Wahrnehmungen der Ärztin sondern auf Schilderungen der Kindesmutter über Verhaltensweisen der Antragstellerin im Sommer 2012 beruht.

Weiterhin unterliegt es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass die Beigeladene eine Aufstockung der Hasengruppe um noch einen weiteren Betreuungsplatz auf die dann rechtlich maximal zulässige Gruppengröße ablehnt. Vielmehr hält die Kammer die dafür von der Beigeladenen mit Blick auf die konkret vorgesehene Zusammensetzung der Gruppe im kommenden Kindergartenjahr vorgebrachten Gründe für tragfähig. Unter Berücksichtigung der besonderen pädagogischen Ausrichtung einer solchen Gruppe, sind die Argumente, mit denen das Nds. Oberverwaltungsgericht mit Blick auf „normale“ Gruppen im Einzelfall sogar eine Überschreitung der rechtlich festgelegten Gruppengröße für geboten gehalten hat (Nds. OVG, Beschl. vom 24.01.2003, 4 ME 596/02, a.a.O.) auf diese Gruppe nicht übertragbar.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3, 188 VwGO. Dabei gewichtet die Kammer das Anliegen der Antragstellerin, nach wie vor vormittags in der Einrichtung betreut zu werden, im Verhältnis zu dem Rechtsschutzbegehren insgesamt mit einem Anteil von 80%. Da die Beigeladene im Eilverfahren keinen Antrag gestellt hat, können ihr Kosten nicht auferlegt werden. Deshalb entspricht es aber zugleich der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.