Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.07.2013, Az.: 3 A 4722/10

Beitragsfreies Kindergartenjahr; Jugendhilfeleistung; jugendhilferechtlicher Bedarf; Kostenerstattungsanspruch; Leistungsbeginn; Sozialleistung; Trennung der Eltern; Wechsel der Kindertagesstätte; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.07.2013
Aktenzeichen
3 A 4722/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64489
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Wechselt ein Kind infolge Trennung der Eltern und nachfolgendem Umzug in eine Kindertagesstätte im Bereich eines anderen Jugendhilfeträgers, beginnt damit nicht zwangsläufig eine neue Jugendhilfeleistung im Sinne der §§ 86 ff SGB VIII. Maßgebend ist insoweit vielmehr, ob dem Wechsel eine qualitative Veränderung des jugendhilferechtlichen Bedarfs zu Grunde lag.
2. Ist ein derartiger Wechsel in eine andere Kindertagesstätte nach den tatsächlichen Umständen als Beginn einer neuen Jugendhilfeleistung im zuständigkeitsrechtlichen Sinn anzusehen, ist bei deren Beginn für eine Anwendung des § 86 Abs. 5 SGB VIII kein Raum.
3. Eine Sozialleistung im Sinne des § 105 SGB X wird nur dann erbracht, wenn zwischen dem Kostenerstattung begehrenden Sozialleistungsträger und dem Hilfeempfänger bzw. -berechtigen ein darauf bezogenes sozialrechtliches Rechtsverhältnis begründet worden ist. Eine institutionelle Förderung des (freien) Trägers einer Kindertagesstätte durch den Jugendhilfeträger allein reicht dafür nicht aus.
4. Es spricht Überwiegendes dafür, die landesrechtlich geregelte Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres vor der Einschulung (hier in § 21 Abs. 1 Nds. KiTaG) als eine rein landesrechtliche (Sozial-)Leistung anzusehen mit der Folge, dass sich die Zuständigkeit für deren Gewährung allein aus Landesrecht ergibt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine Vollstreckung seitens des Beklagten mittels Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von behaupteten Aufwendungen für eine Jugendhilfeleistung zu Gunsten des Kindes E. F..

Die im Jahr 2004 geborene E. lebte zunächst mit ihren sorgeberechtigten Eltern in der Samtgemeinde G. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten und besuchte dort seit 2007 eine von der Samtgemeinde selbst betriebene Kindertagesstätte. Im Jahr 2009 trennten sich die Kindeseltern. Die Kindesmutter verzog mit dem Kind Anfang Juli 2009 nach H., der Kindesvater verblieb in G.. Beide Eltern blieben gemeinsam sorgeberechtigt.

Bis zum Ende des Kindergartenjahres 2008/09 besuchte E. auch nach dem Umzug nach H. zunächst weiterhin die Kindertagesstätte in G.. Anfang August 2009 wechselte sie für ihr letztes Kindergartenjahr vor der Einschulung in die Kindertagestätte des I. J. K. e.V. in H.. Diesen Kita-Platz hatte die Kindesmutter für das Kind in Eigeninitiative gesucht und mit dem Träger bereits im Mai 2009 die Aufnahme des Kindes vereinbart. Die Klägerin war daran nicht beteiligt.

Die Einrichtung I. J., die über insgesamt 18 Plätze verfügt, wurde in dem streitgegenständlichen Kindergartenjahr (2009/10) von der Klägerin finanziell gefördert. Zum Einen erhielt der Träger als institutionelle Förderung einen sogenannten „Sockelbetrag“, der nach den Angaben der Klägerin für das Jahr 2009 einen Betrag in Höhe von insgesamt 50.973,72 EUR und für das Jahr 2010 einen Betrag in Höhe von insgesamt 51.512,12 EUR ausmachte. Zum Anderen erstattete die Klägerin dem Träger die auf Grund der landesrechtlich geregelten Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres ausgefallenen Elternbeiträge. Das war auch für E. der Fall, für die der Einrichtungsträger ansonsten Elternbeiträge in Höhe von monatlich 244,- EUR erhoben hätte. Die Klägerin wiederum erhielt vom Land Niedersachsen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 Nds. KiTaG einen Pauschalbetrag von 160,- EUR monatlich pro Kind, für das sie die Beitragsfreiheit sicherstellte, erstattet.

Im Rahmen der Berechnung der institutionellen Förderung überprüfte die Klägerin nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung, ob sie für die in der Einrichtung betreuten Kinder jugendhilferechtlich zuständig war. Nach ihren Angaben leistete sie die Förderung nur für solche Kinder. Im Rahmen dieser Prüfung erhielt die Klägerin aus der von der Einrichtung vorgelegten Belegungsliste sowie dem von der Kindesmutter ausgefüllten, ihr von der Einrichtung vorgelegten „Erfassungsbogen zur Berechnung des elterlichen Kostenbeitrags“ Kenntnis von der Aufnahme E. s zum 01.08.2009. Mit Schreiben vom 01.09.2009 wandte sie sich daraufhin an den Beklagten mit dem Anliegen, dieser möge zuständigkeitshalber in die „Hilfegewährung nach § 22 SGB VIII“ eintreten. Der Beklagte sei gemäß § 86 Abs. 5 SGB VIII weiterhin örtlich zuständig, da die Eltern erst nach Hilfebeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründet  hätten. Weiterhin mache sie ab dem 01.08.2009 Kostenerstattung gemäß § 105 SGB X geltend.

Dieses Begehren lehnte der Beklagte umgehend ab. Mit dem Umzug des Kindes in den Bereich der Klägerin sei deren Zuständigkeit gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 Nds. KiTaG begründet worden. Diese Regelung gehe den Regelungen in § 86 SGB VIII vor. Mit weiterem Schreiben vom 02.10.2009 erwiderte die Klägerin: Sie bestreite nicht die ihr gegenüber dem Kind obliegende Verpflichtung aus § 12 Nds. KiTaG. Gleichwohl sei die Frage nach der jugendhilferechtlichen Zuständigkeit für Leistungen nach § 22 SGB VIII unmittelbar aus dem SGB VIII zu beantworten. Da der Beklagte bisher nicht in die laufende Hilfeleistung eingetreten sei, leiste sie derzeit vorläufig gemäß § 86d SGB VIII. Sie stütze ihren Kostenerstattungsanspruch deshalb nunmehr auf § 89c Abs. 1 SGB VIII.

Nachdem der Beklagte hierauf in der Sache zunächst nicht geantwortet hatte, erbat die Klägerin mit Schreiben vom 04.03.2010 und vom 17.05.2010 nochmals die Abgabe eines Kostenanerkenntnisses und kündigte anderenfalls Klageerhebung an. Hieran schloss sich weitere Korrespondenz an, ohne dass eine Einigung erzielt wurde.

Die Klägerin hat schließlich am 11.10.2010 Klage erhoben.

Sie macht geltend: Bei der Förderung von Kindern in einer Tageseinrichtung nach den §§ 22 ff SGB VIII - hier: § 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.) - handele es sich um die Gewährung einer Jugendhilfeleistung im Sinne von §§ 86 ff SGB VIII. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit sei deshalb nach diesen Vorschriften zu beurteilen und nicht nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nds. KiTaG. Es liege hinsichtlich des gesamten Kindergartenbesuchs des Kindes nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Urt. vom 29.01.2005, - 5 C 9.03 -) eine einheitliche Leistung vor. Der mit dem Umzug von Mutter und Kind nach H. verbundene Einrichtungswechsel habe insoweit nicht zu einer Zäsur geführt und bewirkt, dass damit eine neue Leistung begonnen habe. Deshalb sei gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII der Beklagte für die Gewährung der Leistung zuständig geblieben, denn die beiden Eltern hätten auch nach dem Umzug weiterhin gemeinsam die elterliche Sorge ausgeübt. Da der Beklagte nicht in die weitere Leistungsgewährung ab dem 01.08.2009 eingetreten sei, sondern diese explizit verweigert habe, habe sie vorläufig gemäß § 86 d SGB VIII die Leistung erbracht. Dafür sei nicht erforderlich gewesen, dass sie bezogen auf das Kind eine individuelle Zuweisungsentscheidung hinsichtlich des von ihm eingenommenen Platzes in der Einrichtung I. J. getroffen habe. Vielmehr sei nach der vom Nds. Oberverwaltungsgericht bestätigten Rechtsprechung der angerufenen Kammer (Urt. vom 01.07.2003, - 3 A 6335/00 -) als „Leistung“ in diesem Sinne auch die von ihr dem Träger der Einrichtung im streitigen Zeitraum gewährte institutionelle Förderung anzusehen. Das habe das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14.11.2002 (- 5 C 57.01 -) ebenso gesehen. In einem ähnlich gelagerten Fall habe zuletzt auch das VG Berlin mit Urteil vom 25.06.2013 (- VG 18 K 296.10 -) einer von ihr gegen das Land Berlin erhobenen Klage stattgegeben.

Der Höhe nach setze sich ihre Erstattungsforderung zum einen aus den anteiligen Kosten der in den Jahren 2009 und 2010 dem Einrichtungsträger gewährten Sockelbetragsförderung, die jeweils auf den von dem Kind eingenommenen Platz entfallen seien, sowie zum anderen aus der Erstattung der auf Grund der landesrechtlichen Beitragsfreiheit entfallenen Elternbeiträge zusammen. Die Klägerin gibt dazu an, als Sockelbetragsförderung für den von dem Kind belegten Platz an den Einrichtungsträger für die Monate August bis Dezember 2009 insgesamt einen Betrag in Höhe von monatlich 235,99 EUR und für die Monate Januar bis Juli 2010 einen Betrag in Höhe von monatlich 238,48 EUR aufgewendet zu haben. Dazu seien an den Einrichtungsträger Ausgleichszahlungen für die wegen der gesetzlichen Beitragsfreiheit ausgefallenen Elternbeiträge in Höhe von monatlich 244,- EUR geleistet worden, für die sie – die Klägerin – wiederum monatlich 160,- EUR vom Land erstattet bekommen habe, was von ihren Aufwendungen in Abzug zu bringen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie die im Zeitraum vom 01.08.2009 – 31.07.2010 von ihr für das Kind E. F. aufgewendeten Jugendhilfekosten in Höhe von insgesamt 3.857,31 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt unter Berufung auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 27.05.2010 (- 15 A 120/09 -) im Wesentlichen vor: Bei dem Besuch des I. J. es ab dem 01.08.2009 habe es sich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum jugendhilferechtlichen Leistungsbegriff nicht um die Fortsetzung einer bereits mit dem Eintritt in den Kindergarten in G. im Jahr 2007 begonnenen einheitlichen Jugendhilfeleistung gehandelt. Vielmehr habe mit dem Eintritt E. s in das I. J. in H. eine zuständigkeitsrechtlich neue Leistung begonnen. Die Trennung der Eltern und der anschließende Umzug von Mutter und Kind in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin hätten eine Zäsur dargestellt, die die Frage des jugendhilferechtlichen Hilfebedarfs des Kindes und seiner Deckung neu aufgeworfen habe. Aus diesem Grund sei auch § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII nicht einschlägig. Vielmehr sei bei dem erneuten Hilfebeginn am 01.08.2009 die Klägerin analog § 86 Abs. 1 SGB VIII unter Beachtung der Wertung des § 37 SGB I i. V. m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I und § 12 Nds. KiTaG örtlich zuständig gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beiderseitig vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten nach § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86d aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86a und 86b begründet wird. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach dieser Norm setzte mithin voraus, dass diese gemäß § 86d SGB VIII tätig geworden war. Das war aber nicht der Fall.

Nach § 86d SGB VIII ist, wenn die örtliche Zuständigkeit nicht feststeht oder der zuständige örtliche Träger nicht tätig wird, derjenige örtliche Träger vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche, der junge Volljährige oder bei Leistungen nach § 19 der Leistungsberechtigte vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält. Eine vorläufige Leistungszuständigkeit der Klägerin nach dieser Norm kommt unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht.

a) Gegen die Anwendbarkeit der Norm spricht zunächst die Argumentation der Klägerin selbst. Nach deren Rechtsauffassung handelte es sich nämlich bei dem Kita-Besuch des Kindes im gesamten Zeitraum von 2007 bis 2010 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Leistungsbegriff (u.a. Urt. vom 09.12.2010, - 5 C 17/09 -, juris) um eine einheitliche Leistung. Nach dieser Rechtsprechung (dort entschieden zu § 89a SGB VIII) bestimmt sich der kostenerstattungsrechtliche Leistungsbegriff nach dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts. Danach sind „alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie im Einzelfall nahtlos aneinander anschließen, also ohne beachtliche – vgl. § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB VIII - zeitliche Unterbrechung gewährt werden“ (BVerwG, ebenda). Dabei sind Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen in der Hilfeerbringung bis hin zu einer Änderung der Hilfeart unbeachtlich. In seiner Entscheidung vom 14.11.2002 (- 5 C 57/01 -, juris) hat das Bundesverwaltungsgericht auch eine Betreuung in Kindertagesstätten grundsätzlich als „fortsetzungsfähige“ Leistung angesehen (allerdings in einem Fall, in dem die Betreuung tatsächlich in ein- und derselben Einrichtung fortgesetzt wurde und sich nur – nach damaliger Auffassung – die örtliche Zuständigkeit in Folge einer Veränderung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Mutter geändert hatte).

Danach ist entgegen der Auffassung des Beklagten und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.05.2010 davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall über den gesamten Zeitraum ein einheitlicher jugendhilferechtlicher Hilfebedarf vorlag. Dieser bestand - und zwar ohne qualitative Veränderung während der gesamten Kindergartenzeit - in der ganztägigen Förderung in einer Kindertagesstätte gemäß § 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.). Die Auffassung des Beklagten, mit der Trennung der Eltern und dem Wegzug von Mutter und Kind nach H. habe sich die Frage nach dem Bedarf in qualitativer Hinsicht neu gestellt, ist demgegenüber nicht überzeugend. Dadurch hatte sich unmittelbar nämlich allein die Frage nach einem örtlichen Einrichtungswechsel gestellt. Dass der Bedarf im Übrigen aber gleich geblieben war, zeigt sich nicht nur daran, dass Betreuungsart (Kita) und -umfang (ganztägig) nach dem Einrichtungswechsel gleich blieben, sondern augenscheinlich auch daran, dass das Kind sogar noch nach dem Umzug zunächst für einige Tage weiterhin in der bisherigen Einrichtung in G. betreut worden war. Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts überzeugt im Übrigen nicht, wenn sie auf die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme eines Kita-Platzes und den Angebotscharakter der Kindertagesbetreuung abhebt. Denn mit Ausnahme einer Inobhutnahme gegen den Willen der Sorgeberechtigten sind alle Leistungen der Jugendhilfe in dem Sinne freiwillig, dass die Leistungsberechtigten und/oder Hilfeempfänger sie nicht in Anspruch nehmen müssen. Der Unterschied besteht vielmehr - nur insoweit ist dem Verwaltungsgericht Recht zu geben - im Wesentlichen darin, dass die Kindertagesbetreuung im Unterschied zu den übrigen Leistungen und Maßnahmen nach dem SGB VIII vielfach von den Eltern selbst ohne aktive Beteiligung bzw. Begleitung des Jugendamtes organisiert und realisiert wird und diesen in dem Zusammenhang die rechtliche Verantwortung des örtlichen Jugendhilfeträgers auch gar nicht bewusst ist. Bei der Beschaffung eines Kita - Betreuungsplatzes handelt es sich insoweit um einen typischerweise jugendamtsfernen bzw. -freien Vorgang. Das ändert aber nichts daran, dass die Belegung eines Kita-Platzes im Grundsatz in das rechtliche Regime des SGB VIII fällt und damit die dortigen zuständigkeitsrechtlichen und auch erstattungsrechtlichen Regelungen anwendbar sind.

Geht man danach aber mit der Klägerin davon aus, dass über die gesamte „Kita-Zeit“ des Kindes ein einheitlicher jugendhilferechtlicher Bedarf und, da dieser ohne Unterbrechung gedeckt worden war, auch eine einheitliche Jugendhilfeleistung vorlag, hatte sich das Kind gerade nicht, wie in § 86d SGB VIII vorausgesetzt, „vor Beginn der Leistung“ im Bereich der Klägerin aufgehalten. Denn als Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ ist dann konsequenterweise insoweit der Zeitpunkt vor dem erstmaligen Eintritt in eine Kindertagesstätte im Jahr 2007 anzusehen. Zu diesem Zeitpunkt wohnte das Kind noch gemeinsam mit seinen Eltern in G.. Diese rechtliche Konsequenz aus der Wertung, es liege in dem Kindertagesstättenbesuch über den gesamten Zeitraum unabhängig von dem Wechsel des Einrichtungsortes zuständigkeitsrechtlich insgesamt eine einheitliche Jugendhilfeleistung vor, hat das VG Berlin in seinem von der Klägerin vorgelegten Urteil vom 25.06.2013 nicht beachtet.

b) Ginge man demgegenüber mit dem Beklagten davon aus, dass für das Kind mit dem Besuch des I. J. es ab dem 01.08.2009 eine neue Leistung im zuständigkeitsrechtlichen Sinne begann, war die Klägerin für deren Erbringung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII örtlich zuständig, denn vor Beginn dieser neuen Leistung lebte das Kind bei gemeinsamen Sorgerecht und verschiedenem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern bei der Kindesmutter im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Dieser rechtlichen Bewertung stünde auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 86 Abs. 5 SGB VIII nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in seiner Entscheidung vom 09.12.2010 (- 5 C 17/09 -, juris) ausgeführt, die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 5 SGB VIII sei auch in den Fällen anwendbar, in denen die Eltern bereits vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und solche während des Leistungsbezuges beibehalten (Leitsatz 1). Jedoch ist diese Aussage im Leitsatz gegenüber den Ausführungen in den Entscheidungsgründen verkürzt wiedergegeben. Dort (juris, Rn. 22) ist nämlich weiter ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des §86 Abs. 5 SGB VIII (erst) ende mit der Einstellung der Leistung bzw. der Gewährung einer (zuständigkeitsrechtlich) neuen Leistung oder der erneuten Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Daraus ist zu schließen, dass bei Beendigung einer Leistung und der anschließenden Gewährung einer (zuständigkeitsrechtlich) neuen Leistung die Zuständigkeitsfrage nicht mehr nach § 86 Abs. 5 SGB VIII, sondern nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zu beantworten ist.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung aus § 105 SGB X.

Nach dieser Vorschrift ist in Fällen, in denen ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Eine Anwendung dieser Norm scheitert daran, dass die Klägerin „Sozialleistungen“ in diesem Sinne nicht erbracht hat.

a) Eine Sozialleistung im Sinne des § 105 SGB X wird nach Auffassung der Kammer nur dann „erbracht“, wenn zwischen dem Kostenerstattung begehrenden Sozialleistungsträger und dem Hilfeempfänger bzw. -berechtigten ein darauf bezogenes sozialrechtliches Rechtsverhältnis begründet worden ist. Der Bezug einer Sozialleistung ist nämlich regelmäßig davon abhängig, dass ein entsprechender Antrag gestellt oder zumindest der Hilfebedarf an den Leistungsträger „herangetragen“ wurde und dass dieser eine darauf bezogene Entscheidung getroffen hat. Bei gesetzlichen Leistungsverpflichtungen eines Jugendhilfeträgers, die u.a. darin bestehen, ausreichende Platzangebote vorzuhalten - wie im vorliegenden Fall aus §§, 2 Abs. 2 Nr. 3, 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.) - können Handlungen eines Jugendhilfeträgers erst dann als eine (Sozial-)Leis-tung im kostenerstattungsrechtlichen Sinne angesehen werden, wenn sie darauf zielen, gegenüber einem Hilfeempfänger bzw. - berechtigten diese Leistungsverpflichtung zu konkretisieren und zu individualisieren. Eine Leistung nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 3, 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.) in diesem Sinne erbringt ein Jugendhilfeträger deshalb nicht bereits dadurch, dass er den Träger einer Kindertagesstätte  allgemein institutionell fördert, denn die Förderung eines freien Trägers nach §§ 12, 74 SGB VIII ist keine Sozialleistung i.S.v. § 2 SGB VIII (vgl. Kunkel, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 2 Rn. 3). Vielmehr bedarf es dazu eines konkreten Tätigwerdens gegenüber dem Kind, indem der Leistungsträger (das Jugendamt) diesem einen Platz in dieser Kindertagesstätte konkret zu- oder zumindest auf Anfrage nachweist und/oder sich dem Kind bzw. dessen Eltern gegenüber auf die Inanspruchnahme eines bestimmten Platzes bezogen zu einer Kostenübernahme bereit erklärt (vgl. Hauck/Haines, SGB VIII, Lose-Bl. Kom., Stand 2004, § 2 Rn. 6 a. E.; Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 2 Rn. 12 und § 24 Rn. 25; Fft. Kom. SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 2 Rn. 2 und § 24 Rn. 12).

Auch den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.11.2002 (- 5 C 57/01 - und - 5 C 51/01 -, jeweils in juris) ist zu entnehmen, dass eine Leistung bzw. deren Fortsetzung im kostenerstattungsrechtlichen Sinne voraussetzt, dass der Sozialleistungsträger sich des Hilfefalls angenommen bzw. ihn „in seine Regelungszuständigkeit übernommen“ und gegenüber dem Hilfeempfänger eine „Entscheidung“ über die Fortsetzung der Leistung getroffen hat (- 5 C 51/01 - Rn. 17 in juris; - 5 C 57/01 - Rn. 33 in juris).

Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem von der Klägerin zitierten Urteil der Kammer vom 01.07.2003 (- 3 A 6335/00 -) und dem dazu ergangenen Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 07.02.2006 (- 4 LA 466/03 -). Denn in dem dort entschiedenen Fall sind die Kammer (vgl. UA, S. 6) und das OVG (vgl. BA, S. 5) in tatsächlicher Hinsicht gerade davon ausgegangen, dass die Klägerin - die dortige Beklagte - hinsichtlich des Besuchs einer Kindertageseinrichtung im konkreten Einzelfall eine „Entscheidung“ darüber getroffen hatte, dass das dort betroffene Kind den geförderten Platz in Anspruch nehmen konnte.

b) Eine solche Entscheidung zur Inanspruchnahme des Kita-Platzes hatte die Klägerin im vorliegenden Fall gegenüber dem bzw. zumindest bezogen auf das Kind E. aber gerade nicht getroffen. Deren Mutter hatte den Platz im I. J. vielmehr selbst gesucht und mit dem Einrichtungsträger einen entsprechenden Betreuungsvertrag abgeschlossen, ohne dass die Klägerin an diesem Vorgang in irgendeiner Weise beteiligt war.

c) Die von der Klägerin im Weiteren getroffene Entscheidung, den Einrichtungsträger auch in Bezug auf den von E. eingenommenen Platz institutionell zu fördern, erfolgte demgegenüber ausschließlich im Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Einrichtungsträger. Eine gegenüber dem Kind „erbrachte Sozialleistung“ im Sinne des § 105 SGB X lag darin schon deshalb nicht, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass von dieser Entscheidung die Aufnahme des Kindes in die Einrichtung sowie dessen Betreuung dort - und damit die tatsächliche Deckung des bestehenden jugendhilferechtlichen Bedarfs - abhängig war. Zudem hatten das Kind und dessen Mutter davon auch gar keine Kenntnis gehabt; jedenfalls hat die Klägerin sie darüber zu keinem Zeitpunkt in Kenntnis gesetzt.

d) Hinsichtlich der an den Einrichtungsträger zusätzlich geleisteten Erstattung für die auf Grund der landesrechtlich geregelten Beitragsfreiheit entfallenen Elternbeiträge ist bereits zweifelhaft, ob es sich insoweit überhaupt um eine Jugendhilfeleistung im Sinne des SGB VIII gehandelt hat, für die eine Leistungszuständigkeit des Beklagten aus den §§ 86 ff SGB VIII und daran anknüpfend ein Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X abzuleiten sein könnte. Der Anspruch auf Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres vor der Einschulung ist nämlich nicht in den §§ 22 ff SGB VIII sondern in § 21 Abs. 1 Nds. KiTaG geregelt. Zwar bestimmt § 26 Satz 1 SGB VIII, dass das Landesrecht Näheres über Inhalt und Umfang des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 1 SGB VIII bestimmen kann. Darunter fällt aber nicht zwingend die Frage einer partiellen Beitragsfreiheit, denn diese bezieht sich nicht auf die Verschaffung des Platzes und die inhaltliche Ausgestaltung der Inanspruchnahme (zeitlicher Umfang, Tageszeit), sondern betrifft lediglich die finanziellen Rahmenbedingungen. Das SGB VIII unterscheidet aber zwischen dem materiell-rechtlichen Verschaffungsanspruch (§§ 22 ff) auf der einen und der Frage der dafür entstehenden Kostenbelastung (§ 90) auf der anderen Seite.

Aus Sicht der Kammer spricht deshalb Überwiegendes dafür, die in § 21 Abs. 1 Nds. KiTaG geregelte Beitragsfreiheit als eine rein landesrechtliche (Sozial-)Leistung anzusehen mit der Folge, dass sich auch die Zuständigkeit für deren Gewährung ausschließlich aus Landesrecht ergeben kann. Davon ausgehend hatte die Klägerin insoweit gemäß § 21 Abs. 1 Satz 4 Nds. KiTaG in eigener Zuständigkeit gehandelt und nicht als unzuständiger Leistungsträger im Sinne von § 105 SGB X.

Aber selbst wenn man die landesrechtlich geregelte Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres als eine von § 26 SGB VIII umfasste Ausgestaltung des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 1 SGB VIII verstehen und auch insoweit von einer die Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 4 Nds. KiTaG gemäß Art. 31 GG verdrängenden Anwendbarkeit der §§ 86 ff SGB VIII ausgehen wollte, bestünde eine Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X nicht. Denn auch insoweit fehlt es zumindest an der Begründung eines Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Kind und damit an einer dem Kind gegenüber „erbrachten“ Sozialleistung. Ebenso wie bei der Sockelbetragsförderung erfolgte nämlich die Erstattung der ausfallenden Elternbeiträge unmittelbar und ausschließlich im Rechtsverhältnis der Klägerin zum Einrichtungsträger, der wiederum von vornherein von einer Erhebung der Elternbeiträge gegenüber der Kindesmutter abgesehen hatte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit  ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.