Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.07.2013, Az.: 6 A 2781/13

Außerkrafttreten; Prüfungsordnung; Prüfungsordnung, Aufhebung: Prüfungsanspruch; Übergangsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.07.2013
Aktenzeichen
6 A 2781/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Außerkrafttreten der Verordnung über die Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter im Land Niedersachsen am 31. Dezember 2012 hat nicht zur Folge, dass die erst nach dem Ablauf dieses Datums getroffenen Prüfungsentscheidungen in den (noch) anhängigen Prüfungsverfahren rechtswidrig wären.

Tatbestand:

Der Kläger studiert an der D. Universität E. mit dem Ziel der Ersten Staatsprüfung im Studiengang Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen mit dem Schwerpunkt Haupt- und Realschulen und den Unterrichtsfächern Deutsch und X. sowie dem Wahlpflichtfach Y..

Am xx.xx.xxxx nahm der Kläger an der Aufsichtsarbeit für die schriftliche Prüfung in dem von ihm gewählten Teilbereich Literaturwissenschaft im Fach Deutsch teil. ….

Die Aufsichtsarbeit des Klägers wurde von der Prüferin F. am 20. November 2012 mit der Note „mangelhaft (5)“ bewertet. Dieser Bewertung schloss sich die Zweitprüferin Dr. G. am 27. November 2012 an.

Am xx.xx.xxxx fand die mündliche Prüfung des Klägers im Fach Deutsch statt. Deren Ergebnis wurde mit der Note „mangelhaft (4,5)“ ermittelt, nachdem die Prüferin Prof. Dr. H. die Prüfungsleistung mit der Note „5“ und der Prüfer Dr. I. mit der Note „4“ bewertet hatten. Daraufhin gab der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22. Januar 2013 das Nichtbestehen der Prüfung im Prüfungsfach Deutsch am 9. Januar 2013 bekannt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 28. Januar 2013 Widerspruch, den er damit begründete, dass ihm unmittelbar nach der mündlichen Prüfung am 9. Januar 2013 das Bestehen der Prüfung mit „ausreichend“ mitgeteilt worden sei. Im Übrigen verwies er auf seinen Widerspruch vom 16. Dezember 2012 gegen die Bewertung der Klausur im Fach Deutsch.

….

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen der Prüfer mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2013 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 12. April 2013 Klage erhoben.

Zur Klagebegründung macht der Kläger weiterhin geltend, die Bewertung seiner schriftlichen Leistung im Fach Deutsch sei fehlerhaft, weil ….

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2013 und dessen Widerspruchsbescheid vom 22. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen über das Ergebnis der Prüfung des Klägers im Prüfungsfach Deutsch erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Beklagte auf die im Vorverfahren eingeholten schriftlichen Stellungnahmen der Prüfer Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungs- und Prüfungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A bis C) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Sowohl die Entscheidung des Beklagten vom 22. Januar 2013, wonach der Kläger die Prüfung im Prüfungsfach Deutsch nicht bestanden hat, als auch dessen Widerspruchsbescheid vom 22. März 2013 sind rechtmäßig und können aus diesem Grund gerichtlich nicht aufgehoben werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zwar fehlt es für den Erlass der Prüfungsentscheidung an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. Dies führt aber ausnahmsweise und nur auf den vorliegenden Prüfungsrechtsstreit des Klägers bezogene nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide.

Die erst nach dem Ablauf des 31. Dezember 2012 getroffene Entscheidung des Beklagten lässt sich nicht auf die Verordnung über die Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter im Land Niedersachsen - PVO-Lehr I - vom 15. April 1998 (Nds. GVBl. S. 399; zuletzt geändert durch VO vom 26.01.2006, Nds. GVBl. S. 33) stützen. Die Verordnungsermächtigung des § 202 des Niedersächsischen Beamtengesetzes in der Fassung vom 11. Dezember 1985 (Nds. GVBl. S. 493 - NBG a.F. -), die die oberste Landesbehörde zum Erlass der PVO-Lehr I ermächtigte, ist mit Art. 23 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des niedersächsischen Beamtenrechts (vom 25.03.2009, Nds. GVBl. S. 72) mit Ablauf des 31. März 2009 außer Kraft getreten. Die auf diese Ermächtigung gestützte PVO-Lehr I selbst ist sodann nach Ablauf der in § 122 Satz 1 Niedersächsisches Beamtengesetz - NBG - normierten Übergangsfrist am 31. Dezember 2012 ersatzlos außer Kraft getreten.

Damit ist in Bezug auf die Erste Staatsprüfung des Klägers ein regelungsloser Zustand eingetreten, der sich nicht mit dem Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbaren lässt. Trifft der Beklagte im Rahmen der Ersten Staatsprüfung eine Prüfungsentscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung, so gestaltet er damit zugleich unmittelbar eine Zugangsvoraussetzung für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst einer Laufbahn der Laufbahngruppe 2 der Fachrichtung Bildung und damit eine Voraussetzung für den Erwerb der Lehrbefähigung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen (§ 14 der Nds. Verordnung über die Laufbahn der Laufbahngruppe 2 der Fachrichtung Bildung - NLVO-Bildung-). Angesichts dieser Bedeutung der Entscheidungen im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für die vom Grundrecht der Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 erfasste Ausübung des Lehrerberufs - auch in anderen Ämtern und Tätigkeiten als denen einer Lehrkraft im Sinne von § 50 Abs. 1 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) - müsste die Ermächtigung für solche Prüfungsentscheidungen ausdrücklich in einem Gesetz im materiellen Sinne enthalten sein. Regelungen, die wie die staatliche Prüfungsordnungen den Zugang zu einem Beruf von dem Bestehen einer Prüfung und damit von dem Ausgang des wertenden Urteils von Prüfern abhängig machen, begründen subjektive Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Beruf im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht zur Einschränkung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Stufentheorie (Urteil vom 11.6.1958 - 1 BvR 596/56 -,BVerfGE 7, 377, 401 ff.). Sie greifen damit unmittelbar in das Grundrecht des Betroffenen, in seiner Berufswahl frei zu sein, ein. Ein solcher Eingriff ist nach Art. 12 Abs. 1 GG formell nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig, wobei die Einzelheiten staatlicher Prüfungen regelmäßig den als Rechtsverordnungen erlassenen Prüfungsordnungen überlassen bleiben.

Dass diese von Art. 12 Abs. 1 GG verlangten gesetzlichen Regelungen seit dem 1. Januar 2013 fehlen, hat aber ausnahmsweise nicht zur Folge, dass auch die Prüfungsentscheidung des Beklagten vom 22. Januar 2013 wegen des Fehlens einer Rechtsgrundlage ersatzlos aufzuheben wäre. Ebenso wenig hat der Kläger mit dem Wegfall des geschriebenen Prüfungsrechts seinen Anspruch auf Fortsetzung und Abschluss der Ersten Staatsprüfung verloren. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, die verfassungsrechtlichen Grundsätze auf den Prüfungsanspruch des Klägers anzuwenden, die sich aus den Grundrechten aus den Art. 12 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG ableiten und das Recht berufsbezogener Prüfungen entscheidend prägen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 31.03.2011 - 2 LA 343/10 - (Juris) gerade zur gerichtlichen Ausfüllung eines Normierungsdefizits bei der Ausbildung und Prüfung für die Laufbahnen der Lehrämter folgendes ausgeführt:

„Ungeachtet dessen berücksichtigt der Kläger bei seiner Argumentation nicht hinreichend, dass selbst für den Fall, dass der Gesetzgeber seiner Obliegenheit nicht nachkommt, die wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Grundrechtsausübung und hier speziell im Bereich des Sanktionsprogramms bei Täuschungsversuchen in einer berufsqualifizierenden Prüfung selbst zu treffen, sodass eine verordnungsrechtliche Bestimmung im Bereich des Prüfungsrechts wegen Fehlens der erforderlichen parlamentarischen Ermächtigung in einem formellen Gesetz mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist, es den Gerichten obliegt, bis zum Vorliegen der erforderlichen parlamentarischen Leitentscheidung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes vom vorhandenen Normenmaterial ausgehend Maßstäbe zu entwickeln, die einerseits dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers Rechnung tragen, andererseits an der Grundentscheidung zugunsten der Berufsfreiheit orientiert eine verfassungskonforme Anwendung der Sanktionen bei Täuschungsversuchen im Rahmen einer Prüfung sicherstellen (vgl. hierzu ausführlich Hessischer VGH, Urt. v. 27.9.1995 - 1 UE 3026/94 -, juris Langtext Rdnr. 25 m. w. N.; VG Meiningen, Urt. v. 3.5.2010 - 1 K 611/07 Me -, ThürVBl. 2011, 16 = juris Langtext Rdnr. 22). Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht Einiges dafür, unabhängig von der Gültigkeit einer untergesetzlichen Norm einen schweren Fall eines Täuschungsversuchs mit dem Nichtbestehen der Teilprüfung und infolgedessen mit dem Nichtbestehen der gesamten Wiederholungsprüfung zu sanktionieren (in diesem Sinn etwa Hessischer VGH, Urt. v. 27.9.1995 - 1 UE 3026/94 -, juris Langtext Rdnr. 26 ff.), zumal der niedersächsische Verordnungsgeber den Fall eines Täuschungsversuchs sowohl in § 17 Abs. 1 PVO-Lehr II als auch in § 17 Abs. 1 APVO-Lehr in inhaltlich gleicher Weise sanktioniert.“

In Anwendung dieser Grundsätze, denen das Verwaltungsgericht folgt, besteht angesichts der bereits eingeleiteten Staatsprüfung des Klägers nur die von dem Grundrecht der Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG geforderte Möglichkeit, die Erste Staatsprüfung in entsprechender Anwendung der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Vorschriften der PVO-Lehr I zu Ende zu führen, denn nur diese Prüfung kann dem Kläger die Zulassung zum Vorbereitungsdienst und damit den Erwerb der Laufbahnbefähigung nach § 122 Satz 2 NBG sowie die berufliche Qualifikation als Lehrer für Grund-, Haupt- und Realschulen eröffnen. Die (ehemaligen) Regelungen der PVO-Lehr I über das Prüfungsverfahren und die Bestehensgrenzen in den Unterrichtsfächern stehen weiterhin mit Art. 12 Abs. 1 GG und den Grundsätzen des Rechts der berufsbezogenen Prüfungen im Einklang. Sie tragen einerseits dem auf Art. 3 Abs. 1 GG beruhende Grundsatz der Chancengleichheit Rechnung (BVerfGE 52, 380 [388] [BVerfG 13.11.1979 - 1 BvR 1022/78]; BVerfG, NJW 1993 S. 917 [BVerfG 21.12.1992 - 1 BvR 1295/90]) und ermöglichen es andererseits den Prüflingen, das Ergebnis einer Prüfung rechtlich effektiv überprüfen zu lassen und hierzu wirksam Einwände gegen die Prüfungsentscheidung zu erheben (BVerfGE 84, 34 [47 ff.]).

In entsprechender Anwendung der Regelungen der PVO-Lehr I ist der Prüfungsbescheid des Beklagten vom 22. Januar 2013 rechtlich nicht zu beanstanden.