Sozialgericht Hannover
Urt. v. 26.02.2008, Az.: S 14 RA 425/05

Verzinsung einer Rentennachzahlung

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
26.02.2008
Aktenzeichen
S 14 RA 425/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 37459
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2008:0226.S14RA425.05.0A

In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Hannover - 14. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2008
durch
die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht D., und
die ehrenamtlichen Richter E.,
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Verzinsung einer Rentennachzahlung.

2

Die am F. geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 31. Januar 2001 die Gewährung einer Altersrente rückwirkend zum 1. April 1995 und führte zur Begründung aus, sie sei seinerzeit nicht auf die Möglichkeit einer Antragsstellung hingewiesen worden. Der vollständige Leistungsantrag hat der Beklagten am 21. Februar 2001 vorgelegen.

3

Die Beklagte bewilligte zunächst vorläufig mit Bescheid vom 27. April 2001 und sodann endgültig mit Bescheid vom 10. September 2002 eine Regelaltersrente ab 1. Januar 1997. Den weitergehenden Rentenanspruch lehnte sie unter Berufung auf die Regelung des §44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab und erhob gleichzeitig die Einrede der Verjährung. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass angesichts des Verstoßes der Beklagten gegen die ihr obliegende Beratungspflicht eine Berufung auf die Vorschrift des §44 Abs. 4 SGB X und Erhebung der Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich sei und verwies auf die Ausführungen des Urteils des Bundessozialgerichts vom 6. März 2003 (Aktenzeichen B 4 RA 38/02). Daraufhin gestand die Beklagte der Klägerin die Ausübung eines Wahlrechtes hinsichtlich des Rentenbeginns zu. Die Klägerin übte dieses dahingehend aus, dass sie eine Altersrente bereits ab dem 1. April 1995 begehre. Daraufhin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Januar 2005 eine Regelaltersrente ab 1. April 1995. Die ausgewiesene Nachzahlung verzinste sie ab September 2001.

4

Am 14. Januar 2005 erhob die Klägerin hinsichtlich des Zinsbeginns Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2005 zurückwies.

5

Mit ihrer am 6. August 2005 vor dem Sozialgericht Hannover erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie weist darauf hin, dass sie bei ordnungsgemäßem Hinweis der Beklagten auf eine mögliche Antragsstellung ca. 3 bis 4 Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres einen Rentenantrag gestellt hätte. Durch die Verletzung der Hinweispflicht sei sie nun so zu stellen, als sei der Antrag rechtzeitig gestellt worden. Deshalb sei die ihr im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zugestandene Rentennachzahlung ab 1995 verzinsen.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 04. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. August 2005 abzuändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin zustehende Nachzahlung zu einem früheren Zeitpunkt als ab September 2001 zu verzinsen,

  3. 3.

    die Sprungrevision zuzulassen.

7

Die Beklagte beantragt,

  1. 1.

    die Klage abzuweisen,

  2. 2.

    die Sprungrevision zuzulassen.

8

Die Beklagte hält die getroffene Entscheidung für rechtmäßig. Sie ist der Ansicht, ein auf Verzinsung gerichteter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch werde durch die speziellere Vorschrift des §44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verdrängt. Danach komme eine Verzinsung, unabhängig von etwaigen Verschuldensgesichtspunkten, erst sechs Monate nach Eingang des vollständigen Rentenantrages in Betracht. Da dieser erst am 21. Februar 2001 vorgelegen habe, sei die ausgewiesene Verzinsung ab September 2001 nicht zu beanstanden.

9

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verzinsung ihrer Rentennachzahlung für die Zeit vor September 2001.

11

Gemäß §44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vom 100 zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt gemäß §44 Abs. 2 SGB I frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.

12

Ein Leistungsantrag ist vollständig, wenn er alle Tatsachen enthält, die der Antragsteller zur Bearbeitung seines Antrages angeben muss und kann (vgl. §60 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.§65 SGB I). Der vollständige Leistungsantrag der Klägerin hat bei der Beklagten ausweislich der Verwaltungsakte am 21. Februar 2001 vorgelegen. Die seitens der Beklagten vorgenommene Verzinsung ab September 2001 ist danach nicht zu beanstanden.

13

Die Klägerin kann einen früheren Beginn der Verzinsung auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Anspruchs erreichen.

14

Ungeachtet der noch immer nicht ganz geklärten dogmatischen Grundlage im einzelnen (vgl. hierzu Seewald in: Kasseler Kommentar vor §§38 bis 47 SGB I Rn. 30) ist von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Herstellungsanspruch bejaht worden, wenn durch eine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers bei dem Berechtigten ein rechtlicher Nachteil oder Schaden eintritt und die Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre, möglich ist (vgl. BSGE 60, 158, 164 [BSG 23.07.1986 - 1 RA 31/85] mit weiteren Nachweisen, BSGE 71, 17, 22 [BSG 12.06.1992 - 11 RAr 65/91] = SozR 3 - 4100 §103 Nr. 8; zu den Voraussetzungen des Herstellungsanspruches im einzelnen vgl. Seewald a.a.O. Rn. 33). Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch besteht u.a. dann, wenn der Versicherungsträger eine sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Nebenpflicht zur Auskunft, Belehrung und verständnisvollen Förderung des Verfahrens verletzt und, obwohl ein konkreter Anlass zu den genannten Dienstleistungen bestanden hat, diese nicht oder nur unzureichend erfüllt (vgl. BSGE 60, 79 ff [BSG 17.04.1986 - 7 RAr 81/84] mit weiteren Nachweisen).

15

Dass die Beklagte ihrer sich aus §115 Abs. 6 SGB VI ergebenden Hinweispflicht nicht nachgekommen ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Beklagte hat diesem Umstand durch Bewilligung der Altersrente rückwirkend zum 1. April 1995 auch bereits Rechnung getragen. Streitig ist allein, ob sich die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes auch auf eine rückwirkende Verzinsung erstreckt. Dabei ist zu beachten, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch grundsätzlich auf Naturalrestutition gerichtet ist. Damit kann idR nur die Erfüllung des infolge des Verwaltungsfehlers beeinträchtigten oder gefährdeten originären Hauptanspruchs verlangt werden (vgl. Kasseler Kommentar-Seewald, 55. Ergänzungslieferung 2007 vor §§38 ff. Rdnr. 44, 46). Die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes kann nur darin liegen, dass die Klägerin so zu stellen ist, als hätte sie den Rentenantrag rechtzeitig vor Vollendung ihres 65. Lebensjahres gestellt. Dann hätte die Beklagte ab 1. April 1995 Regelaltersrente gezahlt. Damit wären aber noch nicht die Voraussetzungen des §44 SGB I erfüllt gewesen, denn Grundlage für die Verzinsung ist der Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Dieser liegt vollständig erst seit Februar 2001 vor. Hieraus ergibt sich gemäß §44 Abs. 2 SGB I ein Zinsanspruch ab dem 1. September 2001. Für einen weitergehenden Zinsanspruch im Rahmen des Zinsanspruches bleibt kein Raum. Denn die Nachteile, die ein Versicherter dadurch erleidet, dass ein fälliger Anspruch nicht unverzüglich erfüllt wird, will das Gesetz ausschließlich durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach §44 SGB I ausgleichen. Ein auf Verzinsung gerichteter Herstellungsanspruch des Versicherten wird damit durch die lex speciales des §44 SGB I verdrängt (vgl. BSG Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 104/82 = HV-Info 1984 Nr. 7,BSG Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 55/83 = SozRecht 1200, §44 Nr. 11, BSG Urteil vom 8. September 1983, 5 b RJ 28/82 = SozRecht 1200, §44 Nr. 8). Für Schadensersatzansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen, gegebenenfalls im Wege des Amtshaftungsanspruches, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach §51 Sozialgerichtsgesetz nicht eröffnet.

16

Die Kammer hat die Revision zugelassen, denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage, ob sich die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes im Falle eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs infolge einer Verletzung der sich aus §115 Abs. 6 SGB VI ergebenen Hinweis- und Beratungspflicht auch auf einen Zinsanspruch erstreckt, ist höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.