Sozialgericht Hannover
Urt. v. 20.06.2008, Az.: S 22 U 178/04
Rechtmäßigkeit der Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall i.S.d. gesetzlichen Unfallversicherung; Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem Ablauf des Unfallhergangs
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 20.06.2008
- Aktenzeichen
- S 22 U 178/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 36481
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2008:0620.S22U178.04.0A
Rechtsgrundlage
- § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Ereignisses vom 1. November 2000 als Arbeitsunfall.
Der im Jahre 1949 geborene und als Hausmeister tätige Kläger trug am 1. November 2000, gegen 23:00 Uhr eine ca. 50 kg schwere Bohnermaschine in den Keller, als er auf der Treppe stolperte. Nachdem der Kläger nach Hause gegangen war und sich zu Bett gelegt hatte, verspürte er stechende Kopf- und Nackenschmerzen. Der herbeigerufene Notarzt stellte die Diagnose einer Subarachnoidalblutung. Der Kläger befand sich in der Zeit vom 2. November bis 24. November 2000 in stationäre Behandlung in der Neurologischen Klinik des Krankenhauses H. (Bericht vom 24. November 2000). Eine Rehabilitationsbehandlung führte der Kläger in der Zeit vom 19. April 2001 bis 10. Mai 2001 in der I. durch.
Nach Eingang der Unfallanzeige des Landkreises J. vom 5. November 2000 zog der Beklagte medizinische Unterlagen von den den Kläger behandelnden Ärzten bei und legte diese Unterlagen seinem Beratungsarzt Dr. K., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie vor. In seiner Stellungnahme vom 2. Oktober 2003 kam Dr. K. zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass eine relevante äußere Gewalteinwirkung nicht zu erkennen sei. Der Behandlungsbericht über die stationäre Behandlung des Klägers in der Neurologischen Klinik des L. lasse äußere Verletzungszeichen nicht erfahren. Auch die Befundberichte der zeitnah zum Ereignis durchgeführten MRT- und CT-Untersuchungen ließen äußere Gewalteinwirkungen nicht erkennen. Weder stattgehabte knöcherne Verletzungen noch Weichteilverletzungen im Kopfbereich seien nachweisbar. Nach Auffassung des Dr. K. sei eine spontane Zerreißung der anlagebedingt geschädigten Gefäßwand ursächlich für die erlittene Subarachnoidalblutung. Diese Blutung stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 2003 lehnte der Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da ein Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) nicht vorgelegen habe. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen lägen keine Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor. Bei einer Subarachnoidalblutung handele es sich um eine plötzlich im Schädel auftretende Blutung, die in der Regel auf eine anlagebedingte Gefäßmissbildung zurückzuführen sei. Dieses Krankheitsbild sei durch das plötzliche Inerscheinungstreten ohne äußere Einwirkung gekennzeichnet. Es sei daher davon auszugehen, dass es zu einer spontanen Zerreißung der anlagenbedingt geschädigten Gefäßwand gekommen sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2004 als unbegründet zurück.
Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Hannover am 21. Mai 2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, bei dem am 1. November 2000 erlittenen Ereignis handele es sich um einen Arbeitsunfall.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2004 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 1. November 2000 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handelte.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe ihrer Bescheide sowie auf die während des Gerichtsverfahrens vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. M. vom 21. September 2005, 30. März 2006 und 3. Mai 2007.
Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Auf dessen Sachverständigengutachten vom 19. Juli 2005 nebst ergänzender Stellungnahmen vom 12. Dezember 2005 und 1. August 2006 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Ereignis vom 1. November 2000 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handelte.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist ein Unfall ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSGE 63, 273, 274 [BSG 28.06.1988 - 2 RU 60/87] = SozR 2200 § 548 Nr. 92 Seite 257; BSG SozR 3-2200, § 548 Nr. 19), dass die Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).
Der Kläger stand bei der für seine Erkrankung verantwortlich gemachten Handlung, dem Tragen der Bohnermaschine, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, da er diese Verrichtung im Rahmen seiner Tätigkeit als Hausmeister ausübte.
Um einen Versicherungsfall feststellen zu können, muss das Gericht die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse zur vollen Überzeugung, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als zutreffend betrachten. Dies setzt eine so hohe Wahrscheinlichkeit voraus, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überblickender Mensch noch Zweifel hat (BSGE 80, 83; 6, 144; 7, 144; 32, 203, 207; 45, 286). Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich des Unfallereignisses und seine für die Beurteilung der Schadensursächlichkeit bedeutsamen Einzelheiten. Es bedarf insoweit des Vollbeweises, bei dem der Versicherte die materielle Beweislast trägt.
Unter Zugrundelegung dieses Beweismaßstabes hat der Kläger ein Unfallgeschehen, dass mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre zu einem Gesundheitsschaden führte, nicht im Vollbeweis nachgewiesen. So liegen unterschiedliche Sachverhaltsschilderungen vor. Während in der Unfallanzeige vom 5. Dezember 2000 noch ausgeführt ist, dass der Kläger eine Bohnermaschine in den Keller bringen wollte, auf der Treppe stolperte, drei Stufen hinunterfiel, dabei mit dem Nacken auf den Sims schlug und sich eine geplatzte Vene im Halswirbelbereich zugezogen habe, ist dem Entlassungsbericht der Neurologischen Klinik des Krankenhauses H. vom 24. November 2000 nur ein schweres Heben, allerdings nicht von einer, sondern von zwei Bohnermaschinen zu entnehmen. Der Reha-Entlassungsbericht vom 6. August 2001 hält wiederum fest, dass der Kläger eine Bohnermaschine in den Keller bringen wollte, dabei nur leicht stolperte und sodann Stiche im Nacken verspürte. Bei diesen unterschiedlichen Sachverhaltsschilderungen konnte sich die Kammer nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem Ablauf des Unfallgeschehens überzeugen. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers annimmt, dass die in den Arztbriefen wiedergegebenen Hergangsschilderungen durch Ungenauigkeiten der behandelnden Ärzten entstanden sind und die Erstangaben aufgrund der zeitlichen Nähe zum Unfallgeschehen in der Regel realitätsgerechter sind, so kann die Kammer jedenfalls den Angaben in der Unfallanzeigen vom 5. Dezember 2000 nicht folgen. Denn eine geplatzte Vene im Halswirbelbereich ist den Feststellungen des Entlassungsberichtes der Neurologischen Klinik des Krankenhauses H. vom 24. November 2000 nicht zu entnehmen. Darüber hinaus finden sich in dem Arztbericht auch keine Hämatome, Hautabschürfungen, Prellungen oder ähnliches. Davon ist aber auszugehen, wenn der Kläger mit dem Nacken auf einen Sims schlug.
Die verbleibende Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Unfallhergangsschilderungen ist das Verbringen zumindest einer Bohnermaschine mit einem Gewicht von ca. 50 kg durch den Kläger in den Keller. Diese Verrichtung allein ist aber auch nach dem Ergebnis des Sachverständigen Dr. N. nicht geeignet, die bei dem Kläger eingetretene Subarachnoidalblutung zu verursachen (ergänzende Stellungnahme des Dr. N. vom 12. Dezember 2005). So führt Dr. N. in Übereinstimmung mit dem Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. aus, dass das Tragen einer Bohnermaschine allein, auch wenn diese eine Treppe herunter getragen würde, nicht zu einer solchen Belastung führen könne, dass hierdurch ein intrakranieller Druckanstieg nennenswerten Ausmaßes abgelaufen sein könne. Insofern ist das Unfallereignis nur eine sogenannte Gelegenheitsursache für die bei dem Kläger eingetretene Subarachnoidalblutung und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechtes aus. Dass der Sachverständige Dr. N. weiter ausführt, im vorliegenden Falle sei es beim Herabsteigen einer Kellertreppe mit gleichzeitigem Halten einer Bohnermaschine zu einem erheblichen Schertrauma durch Abstützbewegungen gekommen, vermochte die Kammer nicht zu überzeugen. Denn ein derartiges Unfallereignis ist nicht im Vollbeweis nachgewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
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