Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.01.2002, Az.: 2 B 2325/01

einstweilige Anordnung; energiesparend; Heizkosten; Heizkostenbedarf; Heizkostennachzahlung; Heizung; Hilfe zum Lebensunterhalt; Nachtspeicheröfen; Nachzahlung; Pauschalwert; sozialhilferechtliche Notlage; Stromkostennachzahlung; unangemessene Heizkosten; verschwiegene Einkünfte

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.01.2002
Aktenzeichen
2 B 2325/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42867
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Übernahme einer Heizkostennachzahlung aus Sozialhilfemitteln kommt regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn die monatlichen Aufwendungen eines Hilfeempfängers für Heizkosten (ausschließlich Warmwasserzubereitung) je Quadratmeter zu beheizender Wohnfläche den Betrag von 1,66 DM übersteigen.

Tenor:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

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I. Der Antrag,

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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin weitere Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 437,13 DM für eine Stromkostennachzahlung zu bewilligen,

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ist zulässig, jedoch unbegründet.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck dieses Verfahrens eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird - in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für den entsprechenden Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) sowie weiterhin glaubhaft macht, er befinde sich in einer existentiellen Notlage und sei deswegen - mit gerichtlicher Hilfe - auf die sofortige Befriedigung des Anspruchs dringend angewiesen (sog. Anordnungsgrund).

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Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht. Die Kammer ist bereits von der Sozialhilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht überzeugt. Dies beruht allerdings nicht darauf, dass die von der Antragstellerin angegebenen Einkünfte ihren sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigen würden; vielmehr hat die Kammer starke Zweifel daran, ob die Antragstellerin gegenüber dem Sozialamt der namens und im Auftrag des Antragsgegners handelnden Stadt B. ihre Einkünfte vollständig angegeben hat, denn ihr verbleiben nach Aktenlage bei Abzug diverser Fixkosten seit Monaten kalendertäglich nur etwas mehr als 3 Euro für sämtliche aus dem Regelsatz zu bestreitende Aufwendungen.

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Ausweislich der Verwaltungsvorgänge hatte die Antragstellerin z.B. im Monat Oktober 2001 (neuere Daten liegen dem Gericht nicht vor) folgende Fixkosten:

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Kaltmiete 500,00 DM

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Betriebskosten 150,00 DM

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Stromvorauszahlungen 217,00 DM

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Krankenkassenbeitrag 255,00 DM

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Pflegeversicherungsbeitrag 34,68 DM

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Darlehensrückzahlung an Antragsgegner 75,00 DM

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1.231,68 DM

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Diesen Ausgaben standen Sozialleistungen (einschließlich Mietzuschuss) in Höhe von insgesamt 1.414,68 DM gegenüber, so dass für die Antragstellerin ein verfügbarer Einkommensüberhang in Höhe von 183,00 DM, kalendertäglich (bei 30 Tagen/Monat) also nur 6,10 DM - entspricht 3,12 Euro - verblieb.

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Für die Kammer ist es schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass die Antragstellerin - selbst bei größter Sparsamkeit - davon sämtliche Ausgaben, die aus dem Regelsatz zu bestreiten sind, über Monate hinweg hat begleichen können. Folglich spricht viel dafür, dass die Antragstellerin über - verschwiegene - weitere Einkünfte verfügt; eine sozialhilferechtliche Notlage ist hiernach nicht glaubhaft gemacht.

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Ein Anordnungsanspruch ist darüber hinaus - dies trägt die Entscheidung selbständig - auch deshalb nicht gegeben, weil die Antragstellerin keinen Anspruch auf Übernahme der Stromkostennachzahlung aus Sozialhilfemitteln hat, denn ihre Aufwendungen für Strom waren im streitbefangenen Abrechnungszeitraum unangemessen hoch.

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Rechtsgrundlage für die Übernahme von Nachzahlungsbeträgen für gelieferte Energie zu Heizungszwecken sind §§ 12 Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 2 BSHG i.V.m. § 3 Abs. 2, 1 der Regelsatzverordnung (RSVO). Hiernach umfasst der notwendige Lebensunterhalt eines Sozialhilfeempfängers unter anderem die Kosten für Heizung, die grds. gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 BSHG als laufende Leistungen zum Lebensunterhalt gewährt werden und zwar nach § 3 Abs. 1 S. 1 Abs. 2 RSVO in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass eine Heizkostennachzahlung an sich eine "einmalige" Zahlung darstelle. Denn man muss die Heizkosten, die ein Mieter zunächst monatlich als Pauschale zahlt, und den nach der Heizperiode gegebenenfalls zu entrichtenden Nachzahlungsbetrag als eine Einheit betrachten. Ist der Nachzahlungsbetrag somit seinem Wesen nach nichts anderes als ein später zur Zahlung fällig werdender Teil der monatlichen Heizkosten, kann auch seine Übernahme durch den Sozialhilfeträger sinnvollerweise nur den laufenden Leistungen nach § 21 Abs. 1 BSHG zugeordnet werden (vgl. VGH München, Beschluss vom 12.12.1980 - 673 XII 78 -, FEVS 31, Seite 353 ff). Unterfällt hiernach auch die Heizkostennachzahlung den Regelungen in § 3 RSVO, so ist sie vom Sozialhilfeträger in (voller) Höhe der tatsächlichen Aufwendungen grundsätzlich zu übernehmen. Übersteigen die Aufwendungen für Heizung allerdings den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, so sind sie entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 2 RSVO nur so lange als Bedarf anzuerkennen, als es dem Hilfesuchenden nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, diese Aufwendungen zu senken.

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In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze gilt Folgendes:

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Die Aufwendungen der Antragstellerin für Strom, den sie zum Heizen in der Zeit vom 19.09.2000 bis zum 15.09.2001 für den Betrieb der in ihrer Wohnung aufgestellten Nachtspeicheröfen verwendet hat, überstiegen das angemessene Maß erheblich und sind deshalb nicht aus Sozialhilfemitteln vom Antragsgegner zu tragen.

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Die exakte Höhe der für die Beheizung ihrer Wohnung aufgewandten Stromkosten ist allerdings nicht mehr im Nachhinein festzustellen. Da die Antragstellerin einen sog. Doppeltarifzähler verwendet, kann nach dem Verbrauch des bezogenen Stroms nicht mehr festgestellt werden, für welche Geräte er verwendet wurde. Es lässt sich nur noch eine Differenzierung zwischen Tag- und Nachtstrom vornehmen, aber nicht aufklären, welcher Anteil der Stromkosten auf (aus den Regelsätzen zu deckenden) sog. Haushaltsstrom zurückzuführen ist. Da die Antragstellerin mit Nachtspeicheröfen heizt und nichts vorgetragen hat, was darauf hindeuten würde, dass sie außer der Heizung (und dem Kühlschrank) nachts noch weitere verbrauchsintensive Elektrogeräte betrieben hat, geht die Kammer davon aus, das der gesamte von ihr bezogene Nachtstrom zum Heizen benötigt wurde. Im Abrechnungszeitraum vom 19.09.2000 bis zum 15.09.2001, der hier allein streitbefangen ist, verbrauchte die Antragstellerin 12.937 KWh Nachtstrom, was 1.653,89 DM Kosten verursachte. Teilt man diesen Betrag auf 12 Monate auf (dies ist allein sachgerecht, da Stromkostenabschläge jeden Monat vom Versorger erhoben und auch Sozialhilfeleistungen für Heizung jeden Monat in gleichbleibender Höhe gezahlt wurden) und legt man ferner eine von der Antragstellerin zu beheizende Wohnfläche in Höhe von 48 m² zugrunde, errechnet sich ein monatlicher Heizkostenverbrauch je qm Wohnfläche in Höhe von 2,87 DM (entspricht 1,47 ¤). Dieser Wert ist zur Überzeugung der Kammer zu hoch, folglich sind die Aufwendungen der Antragstellerin für Heizkosten unangemessen hoch gewesen. Das Gericht hält vielmehr - zumindest bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage - den von der Stadt B. und dem Antragsgegner als angemessen angesehenen Heizkostenwert von 1,66 DM pro m² für ausreichend zur angemessenen Beheizung einer Wohnung. Dieser Wert entspricht im Übrigen in etwa den Richtwerten der anderen Sozialhilfeträger im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Göttingen (zwischen 1,60 DM und 1,90 DM) und stellt eine praktikable Grundlage für eine am Gleichheitssatz ausgerichtete Verteilung der Sozialhilfemittel dar. Welche Heizkosten im Einzelfall angemessen sind, lässt sich naturgemäß nicht für alle Wohnungen in gleicher Weise bestimmen, weil eine Vielzahl von Wirkungszusammenhängen und wärmetechnischen Faktoren den Wärmeenergiebedarf bestimmen (wie z.B. Geschosshöhe, Wohnfläche, Zahl der Heiztage, Zustand der Heizanlage, Wärmeverlust durch mangelhafte Isolierung der Wohnung, Heizwert des eingesetzten Heizmaterials und Zustand und Pflege der Heizanlage). Ungeachtet dessen sieht die Kammer gleichwohl den vom Antragsgegner angenommenen Pauschalwert als realitätsnah zur Errechnung der angemessenen Heizkosten an, weil er sich am durchschnittlichen Verbrauch einer Vielzahl von Haushalten orientiert und nach den Erfahrungen der Kammer aus anderen sozialhilferechtlichen Streitigkeiten in nahezu allen Fällen ausreicht, die Heizkosten abzudecken.

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Im übrigen bedeutet die Annahme eines Pauschalwertes nicht, das der Sozialhilfeträger nicht verpflichtet und berechtigt wäre, in begründeten Ausnahmefällen abweichende Regelungen zu treffen. Die Antragstellerin hat indessen nicht glaubhaft gemacht, dass ihr größerer Bedarf an Heizkosten (hier ca. 57 % mehr) auch gerechtfertigt war. Insoweit trägt sie allein vor, aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen einen höheren Wärmebedarf als andere zu haben, und verweist auf ein ärztliches Attest des Dr. med. A. S. S. aus B. vom 24.10.2001. Dr. S. attestiert hier der Antragstellerin chronische rezidivierende Lendenwirbelbeschwerden mit Schmerzausstrahlung in beide Beine und in das Nierenbecken und kommt zu dem Schluss, dass ungünstige Temperaturbedingungen wie z.B. Zugluft oder niedrige Raumtemperaturen die Beschwerden verschlimmern würden. Er habe die Antragstellerin angewiesen, sich möglichst warm zu halten und für eine optimale Raumtemperatur von 22 bis 23° C in ihren Wohnräumen zu sorgen, da dadurch die Erkrankung positiv beeinflusst werde.

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Dieses ärztliche Attest ist jedoch nicht geeignet, einen höheren Heizkostenbedarf der Antragstellerin für den Zeitraum September 2000 bis September 2001 zu belegen. Zum einen ist dem Attest vom 24.10.2001 nicht zu entnehmen, dass die gesundheitliche Lage der Antragstellerin bereits im streitbefangenen Nachzahlungszeitraum in gleicher Weise bestand. Zum anderen kann aus dem Umstand, dass sich die Antragstellerin nach medizinischem Anraten nur in Räumen, die auf 22 bis 23° C geheizt wurden, aufhalten soll, nicht die zwingende Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine solche Raumtemperatur nicht mit der von der Stadt B. gewährten Heizkostenbeihilfe in Höhe von 80,- DM pro Monat hätte erreicht werden können. Daher braucht die Kammer im Eilverfahren nicht weiter der Frage nachzugehen, ob der Einwand der Amtsärztin des Antragsgegners, es reiche aus, wenn die Antragstellerin Zugluft vermeide und sich wärmer anziehe, gerechtfertigt ist.

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Dass die Wohnung der Antragstellerin nicht mit einer energiesparenden Heizanlage, sondern mit Nachtspeicheröfen beheizt wird, was angesichts der derzeitigen Strompreise unwirtschaftlicher ist als die Beheizung einer Wohnung mit Gas oder Öl, vermag ebenfalls nichts daran zu ändern, dass die von der Antragstellerin aufgewandten Heizkosten unangemessen hoch sind. Die Antragstellerin ist nämlich nicht zwingend auf ihre (im Übrigen für eine Sozialhilfeempfängerin auch viel zu teure) Wohnung angewiesen. Dass im Bereich der Kernstadt von B. keine anderen Wohnungen für sie in Frage kämen oder zu finden seien, wertet die Kammer als eine durch nichts belegte Schutzbehauptung. Die Stadt B. hat die Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 06.11.2000 darauf hingewiesen, dass ihre Energieaufwendungen den angemessenen Umfang übersteigen würden, und sie aufgefordert, den Verbrauch von Energie unverzüglich zu senken. Dieser Aufforderung ist die Antragstellerin nur in ungenügendem Umfang nachgekommen. Denn ihr ist es lediglich gelungen, 642 KW Stunden, also nicht einmal 5 % Nachtstrom gegenüber dem Vorjahr einzusparen. Vor dem Hintergrund, dass ihre Heizkosten jedoch ca. 57 % über dem Durchschnittswert liegen, sind diese Einsparergebnisse völlig unzureichend.

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II. Nach den vorstehenden Ausführungen hat das Rechtschutzgesuch der Antragstellerin keinerlei Erfolgsaussichten, deshalb ist ihr die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO).

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III. Als im Prozess Unterlegene hat die Antragstellerin gemäß §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.