Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.1990, Az.: 1 L 6/89

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.1990
Aktenzeichen
1 L 6/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 22153
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:0126.1L6.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 22.06.1987 - AZ: 2 VG A 82/86

Fundstellen

  • BRS 1990, 532-534 (Volltext mit amtl. LS)
  • BauR 1991, 199-200 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

  1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgericht Braunschweig - 2. Kammer - vom 22. Juni 1987 wird zurückgewiesen.

  2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Kostenforderung abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes sowie gegen die Verrechnung dieses Zwangsgeldes gegen ein Grundsteuerguthaben des Klägers bei der Beklagten.

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Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Niedersachsen-Haus bebauten Grundstücks Am ... im Ortsteil ... der Beklagten. Nachdem er ohne bauaufsichtliche Genehmigung Sanierungsarbeiten an dem Gebäude durchgeführt hatte, forderte die Beklagte ihn durch Bescheid vom 28. November 1984 erstmals auf, die erforderlichen Bauvorlagen bis zum 15. Januar 1985 einzureichen. Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, gab ihm die Beklagte durch Bescheid vom 22. April 1985 erneut auf, die erforderlichen unterlagen einzureichen, und zwar bis zum 15. Juni 1985, und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld von 500,- DM an. Mit Bescheid vom 13. September 1984 forderte die Beklagte den Kläger nochmals auf, bis zum 5. Juni 1985 die vollständigen Unterlagen einzureichen, da der Kläger bis dahin nur die statischen Berechnungen vorgelegt hatte. In diesem Bescheid setzte die Beklagte das mit Verfügung vom 22. April 1985 angedrohte Zwangsgeld von 500,- DM fest und drohte für den Fall des Nichtbefolgens der Aufforderung ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 750,- DM an. Alle drei vorgenannten Bescheide wurden bestandskräftig. Darauf setzte die Beklagte durch den hier streitigen Bescheid vom 6. Februar 1986 das Zwangsgeld von 750,- DM fest, setzte zur Vorlage der noch fehlenden Ansichtszeichnungen eine neue Frist (14 Tage nach Bestandskraft des Bescheides vom 6.2.1986) und drohte für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist ein weiteres Zwangsgeld von 1 000,- DM an. In dem Bescheid wies die Beklagte zugleich darauf hin, daß ein Widerspruch gegen die Festsetzung des Zwangsgeldes die Wirksamkeit des Bescheides nicht hemme und daß das Zwangsgeld von 750,- DM innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheides gezahlt werden müsse.

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Gegen den Bescheid vom 6. Februar 1986 legte der Kläger mit Schreiben vom 19. Februar 1986 am 21. Februar 1986 Widerspruch ein, den er im wesentlichen damit begründete, Beamte der Beklagten hätten bei einer Ortsbesichtigung geäußert, daß keine weiteren Unterlagen erforderlich seien. Mit Schreiben vom 19. März 1986 teilte die Beklagte darauf dem Kläger mit, sie sehe keine Möglichkeit, dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. Februar 1986 stattzugeben und habe den Widerspruch inzwischen an die Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorgelegt. Weiterhin heißt es in diesem Schreiben u.a. weiter: "Die Frist für die Einreichung der Ansichtszeichnungen bleibt solange ausgesetzt. Dem entgegen hat der Widerspruch in bezug auf die Zwangsgeldfestsetzung keine aufschiebende Wirkung und entbindet sie damit nicht von der Zahlungspflicht." Durch Bescheid vom 4. April 1986 wies dann die Widerspruchsbehörde den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Durch Schreiben vom gleichen Tage teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie das noch nicht gezahlte Zwangsgeld von 750,- DM in dieser Höhe gegen ein Guthaben verrechne, das der Kläger wegen der Zahlung von Grundsteuern bei ihr habe. Der Kläger widersprach dieser "Verrechnung" und machte dabei geltend, daß es sich hierbei um eine unzulässige Beitreibung des Zwangsgeldes handele. Außerdem hat der Kläger am 2. Mai 1986 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Er hat während des erstinstanzlichen Verfahrens die noch fehlenden Zeichnungen bei der Beklagten vorgelegt.

4

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 1986 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 4. April 1986 aufzuheben,

5

hilfsweise,

6

festzustellen, daß die Beitreibung des Zwangsgeldes durch "Aufrechnung" vom 4. April 1986 unzulässig war.

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Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid als unbegründet abgewiesen, da die Zwangsgeldfestsetzung rechtlich nicht zu beanstanden sei und auch gegen die von der Beklagten erklärte Aufrechnung keine rechtlichen Bedenken durchgreifen könnten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Gerichtsbescheid Bezug genommen. Der Kläger hat gegen den ihm am 23. Juni 1987 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. Juli 1987 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor:

9

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Beklagte nicht befugt gewesen, das Zwangsgeld durch Aufrechnung "beizutreiben". Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 4. April 1986 sei er nicht verpflichtet gewesen, Vorlagen vorzulegen. Denn die Beklagte habe ihm vorher mit Schreiben vom 19. März 1986 mitgeteilt, die Frist für die Einreichung der noch fehlenden Ansichtszeichnungen bleibe bis zur Entscheidung über den Widerspruch ausgesetzt. Diese Mitteilung habe er nur so verstehen können, daß er vorerst keine weiteren Unterlagen habe einreichen müssen. Zumindestens sei das Schreiben der Beklagten widersprüchlich gewesen, was nicht zu seinen Lasten gehen könne. Die Beklagte habe demgemäß das Zwangsgeld nicht beitreiben dürfen, da im Zeitpunkt der Beitreibung durch Aufrechnung kein Handlungsgebot gegen ihn gerichtet gewesen sei. Auf ein derartiges Handlungsgebot könne sich die Beklagte auch gegenwärtig nicht mehr stützen, da er nunmehr unstreitig schon alle erforderlichen Bauvorlagen eingereicht habe. Die Aufrechnung sei auch deshalb unzulässig, weil es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehle. Die Stadt sei zwar Schuldnerin des Grundsteuerguthabens, aber nicht Gläubigerin des Zwangsgeldes. Dieses stehe dem Land zu.

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Der Kläger beantragt,

den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und seiner Klage stattzugeben.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung verweist sie auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Gerichtsbescheides. Ergänzend trägt sie vor, sie sei auch Gläubigerin des Zwangsgeldes. Dieses stehe ihr allein zu, weil sie allein als untere Bauaufsichtsbehörde tätig geworden sei.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsunterlagen der Beklagten.

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II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 1986, durch den die Beklagte das vorher angedrohte Zwangsgeld von 750,- DM festgesetzt und ein weiteres in Höhe von 1 000,- DM angedroht hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden; Entsprechendes gilt für den Widerspruchsbescheid vom 4. April 1986, der den Erstbescheid bestätigt (1). Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist ebenfalls unbegründet (2).

15

1. Die Beklagte war nach § 89 Abs. 4 Satz 1 NBauO i.V.m. den §§ 42 Abs. 1, 43, 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 und 5 NSOG berechtigt, das Zwangsgeld von 750,- DM festzusetzen und ein weiteres in Höhe von 1 000,- DM anzudrohen; denn der Kläger hatte entgegen dem unanfechtbaren Bescheid vom 22. April 1985 die in diesem Bescheid geforderten Bauvorlagen bis zu der ihm eingeräumten Frist des 15. Januar 1986 noch nicht vollständig eingereicht. Zur weiteren Begründung verweist der Senat insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des angefochtenen Gerichtsbescheides (Art. 2 § 6 EntlG).

16

2. Der Kläger kann auch mit seinem Hilfsantrag nicht durchdringen.

17

Dieser Hilfsantrag ist zulässig. Das berechtigte Interesse für die hilfsweise begehrte Feststellung (vgl. § 43 VwGO) liegt vor. Es folgt daraus, daß der Kläger - ohne weitere Leistungsklage - mit der vollständigen Auszahlung seines von der Beklagten teilweise verrechneten Grundsteuerguthabens rechnen kann, wenn der Senat die Aufrechnung der Beklagten entsprechend dem Antrag des Klägers für unzulässig erklärt. Der Kläger hat nicht die Möglichkeit, diese Aufrechnungserklärung mit der Anfechtungsklage (§ 42 VwGO) anzugreifen. Denn bei der Aufrechnungserklärung der Beklagten handelt es sich um eine "sonstige" öffentlich-rechtliche Willenserklärung, nicht um einen Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.1982 - 3 C 6.82 -, BVerwGE 66, 218 ff. [BVerwG 27.10.1982 - BVerwG 3 C 6.82] ).

18

Der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 4. April 1986 gegenüber dem Kläger wirksam die Aufrechnung gegen die Guthabensforderung des Klägers erklärt.

19

Für die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Aufrechnung gelten die Vorschriften der §§ 387 ff. BGB entsprechend (BVerwG, Urt. v. 27.10.1982, a.a.O.). Als eine Willenserklärung, die auf einer gleichgeordneten rechtlichen Ebene ergeht, stellt sie keinen zwangsweisen hoheitlichen Vollzug des Zwangsgeldfestsetzungsbescheides dar und ist somit nicht nach den hierfür geltenden rechtlichen Regelungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.1982, a.a.O.). Die für eine wirksame Aufrechnung entsprechend den §§ 387 ff. BGB erforderlichen Voraussetzungen (Gleichartigkeit der Forderungen, Fälligkeit der Forderung aus dem Zwangsgeldfestsetzungsbescheid, Erfüllbarkeit der Gegenforderung, Gegenseitigkeit der Forderungen) waren in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung gegeben. Die Forderung der Beklagten auf Zahlung des Zwangsgeldes war fällig. Der Widerspruch des Klägers gegen den Zwangsgeldfestsetzungsbescheid hatte gemäß § 42 Abs. 4 NSOG keine aufschiebende Wirkung; im übrigen hätte eine aufschiebende Wirkung des eingelegten Rechtbehelfs die Beklagte allein an der Vollziehung des Festsetzungsbescheides gehindert, nicht jedoch an einer Aufrechnungserklärung (vgl. hierzu im einzelnen BVerwG, Urt. v. 27.10.1982, a.a.O. S. 221 ff.). Die Fälligkeit der Zwangsgeldforderung war nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 19. März 1986 entfallen. Dies wäre der Fall gewesen, wenn die Beklagte den Kläger durch dieses Schreiben vorübergehend von der in der Grundverfügung vom 22. April 1985 festgelegten Verpflichtung zur Einreichung der vollständigen Bauvorlagen entbunden hätte. Aufgrund seines Charakters als Beugemittel war es allein Zweck des Zwangsgeldes, auf die Erfüllung der in der Grundverfügung festgelegten Vorlageverpflichtung hinzuwirken, nicht aber Ungehorsam zu ahnden (vgl. zu dieser Rechtsnatur des Zwangsgeldes den Senatsbeschluß vom 30.8.1989 - 1 O 25/89 -). Aus diesem auf die Grundverfügung bezogenen Beugecharakter des Zwangsgeldes folgt, daß die Bauaufsichtsbehörde gehindert war, das Zwangsgeld gegen den Kläger geltend zu machen, wenn er, sei es auch nur vorübergehend, nicht verpflichtet war, entsprechend der Grundverfügung die streitigen Bauvorlagen einzureichen. Das Schreiben der Beklagten vom 19. März 1986 läßt sich bei verständiger Würdigung aber eindeutig nicht dahin auslegen, daß der Kläger hierdurch bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens von seiner Pflicht zur Einreichung der Ansichtszeichnungen entbunden werden sollte, mit der Folge, daß die Fälligkeit des festgesetzten Zwangsgeldes - jedenfalls vorübergehend - entfiel. Vielmehr brachte die Beklagte, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, mit dem Satz "Die Frist für die Einreichung der Ansichtszeichnungen bleibt solange ausgesetzt" eindeutig nur zum Ausdruck, daß der Kläger bei weiterer Untätigkeit vorerst nicht Gefahr lief, das in dem Bescheid vom 6. Februar 1986 angedrohte weitere Zwangsgeld von 1 000,- DM zu verwirken. Denn mit dem Hinweis auf die ausgesetzte Frist nimmt das Schreiben erkennbar Bezug auf die in dem Bescheid vom 6. Februar 1986 genannte, zur Vermeidung des angedrohten Zwangsgeldes eingeräumte Frist. Diese Auslegung wird bestätigt durch den weiteren Text des Schreibens vom 19. März 1986. Die Beklagte betont hierin, daß der Kläger trotz des gegen die Zwangsgeldfestsetzung erhobenen Widerspruchs verpflichtet sei, das festgesetzte Zwangsgeld zu zahlen. Auch dieses ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Beklagte unverändert auf der sich aus der Grundverfügung ergebenden Vorlagepflicht des Klägers bestehen und ihm nur hinsichtlich des erst angedrohten Zwangsgeldes entgegenkommen wollte.

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Die Forderung des Klägers aus dem Grundsteuerguthaben gegen die Beklagte war, wie es § 387 BGB weiter voraussetzt, erfüllbar. Auch die nach dieser Bestimmung gebotene Gegenseitigkeit der beiden Forderungen war gegeben. Die Beklagte war nicht nur Schuldnerin der Guthabensforderung des Klägers, sondern umgekehrt auch Gläubigerin des gegen den Kläger gerichteten Anspruchs auf Zahlung des Zwangsgeldes. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, Gläubiger der zur Durchsetzung bauaufsichtlicher Verfügungen festgesetzten Zwangsgelder könne nur das Land sein, nicht aber die Körperschaft, deren Bauaufsichtsbehörde das Zwangsgeld erlassen habe. Mach § 65 Abs. 2 NBauO handelte die Beklagte im Zusammenhang mit der Festsetzung des Zwangsgeldes als untere Bauaufsichtsbehörde im übertragenen Wirkungskreis. Für eine derartige Tätigkeit bestimmt § 5 Abs. 4 Satz 2 NGO, daß den Gemeinden die mit der Wahrnehmung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises verbundenen Einnahmen zufließen; hierzu sind auch die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Bauaufsichtsbehörde festgesetzten Zwangsgelder zu zählen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

22

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe der §§ 132, 137 VwGO vorliegt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1 250,- DM festgesetzt.

Dr. Pietsch
Dr. Bock
Wilcke