Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.1990, Az.: 8 A 5/88
Psychotherapeutische Aufgabe; Pädagogik; Psychotherapeut; Nebenberufliche selbständige Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.1990
- Aktenzeichen
- 8 A 5/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 13054
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1990:0126.8A5.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 08.12.1987 - AZ: 1 OS VG A 88/87
- nachfolgend
- BVerwG - 21.01.1993 - AZ: BVerwG 3 C 34.90
Tenor:
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 8. Dezember 1987 werden zurückgewiesen.
Die Parteien tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der beizutreibenden Beträge abzuwenden.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin hat nach einem Studium der Pädagogik an der Universität B. am 6. November 1979 die Prüfung als Dipl.-Pädagogin bestanden. Gegenstand des Studiums und der Prüfung war u.a. das Fach Psychologie. Seit Oktober 1982 ist die Klägerin im Psychologisch-Integrativen Lernzentrum PILZ e.V., ..., tätig, wo sie in Zusammenarbeit mit einem Kinder- und Jugendpsychiater auch psychotherapeutische Aufgaben wahrnimmt. Daneben hat sie an einer Reihe von Fortbildungsveranstaltungen auf dem Gebiet der Psychologie teilgenommen.
Mit Antrag vom 9. September 1985 begehrte die Klägerin, ihr eine Erlaubnis gemäß § 1 Heilpraktikergesetz für eine nebenberufliche selbständige Tätigkeit als Psychotherapeutin zu erteilen. Die Entscheidung sei unter Berücksichtigung der beigefügten Nachweise über ihre Aus- und Fortbildung nach Aktenlage zu treffen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Mai 1986 ab, da die Erlaubnis nur nach einer Kenntnisprüfung durch einen Gutachterausschuß erteilt werden könne. Auf den Widerspruch der Klägerin hob der Landkreis Osnabrück diesen Bescheid mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 1986 auf und leitete den Vorgang der Beklagten zur nochmaligen Entscheidung zu.
Am 15. April 1987 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, die begehrte Erlaubnis sei ihr bei Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Aktenlage zu erteilen. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten seien denen der Diplom-Psychologen gleichwertig, bei denen entsprechend verfahren werde.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihren Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung er Heilkunde als Psychotherapeutin ohne Bestallung als Arzt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, sie habe den Vorgang dem bei der Bezirksregierung Hannover gebildeten Gutachterausschuß zwecks Stellungnahme zugeleitet. Diese liege noch nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 8. Dezember 1987 verpflichtet, den Antrag auf Erteilung der Heilpraktikererlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es hat ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf die begehrte Erlaubnis, sofern nicht eine Überprüfung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ergebe, daß die Ausübung der Heilkunde durch sie eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Form und Umfang dieser Überprüfung seien nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an den Erfordernissen der beabsichtigten Tätigkeit als Psychotherapeutin auszurichten. Es erscheine nicht geboten, an die Überprüfung weitergehende Anforderungen zu stellen, als sie Psychotherapeuten mit einer Ausbildung als Diplom-Psychologe abverlangt würden. Die Klägerin habe während ihres Studiums und ihrer beruflichen Tätigkeit umfängliche psychologische Kenntnisse erworben. Dies rechtfertige eine Beschränkung der Überprüfung.
Gegen dieses am 8. Februar 1988 zugestellte Urteil richten sich die am 18. Februar 1988 eingegangene Berufung der Beklagten und die am 2. Juni 1989 eingegangene Anschlußberufung der Klägerin.
Die Beklagte trägt vor, die Klägerin müsse sich vor der Erteilung der Erlaubnis einer uneingeschränkten Prüfung ihrer Kenntnisse unterziehen. Sie müsse neben besonderen diagnostischen und therapeutischen Kenntnissen auf dem Gebiet der Psychologie auch hinreichende Kenntnisse der Anatomie, Physiotherapie, Pathologie und Arzneimittelkunde nachweisen. Soweit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Erleichterungen für Psychotherapeuten anerkannt seien, beziehe sich dies nur auf Diplom-Psychologen. Bei diesem Personenkreis könne aufgrund der umfassenden Vorbildung das erforderliche Wissen als nachgewiesen angesehen werden. Der Diplom-Psychologe sei weit eher als der Erziehungswissenschaftler befähigt, Erkrankungen in körperlicher und seelischer Hinsicht festzustellen und die Grenzen der eigenen Behandlungsmöglichkeiten zu erkennen. Dies rechtfertige den Verzicht auf eine nochmalige Kenntnisprüfung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 8. Dezember 1987 zu ändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 8. Dezember 1987 die Beklagte zu verpflichten, ihr die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde als Psychotherapeutin nach Aktenlage zu erteilen sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie verfüge aufgrund ihrer Ausbildung und Weiterbildung sowie ihrer beruflichen Tätigkeit über ein Wissen, das denen des Diplom-Psychologen vergleichbar sei. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme es nicht auf das formale Durchlaufen des Studiengangs für die Diplom-Psychologen, sondern auf die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten an. Die Studieninhalte ihres erziehungswissenschaftlichen Studiums seien weitgehend mit denen eines Psychologiestudiums identisch. Sie erfülle damit alle Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Erlaubnis nach Aktenlage. Für die beabsichtigte Tätigkeit als Psychotherapeutin reiche es, wenn sie in der Lage sei, die Symptome rein psychischer Erkrankungen von solchen eines körperlich-organischen Leidens oder einer Geisteskrankheit zu unterscheiden oder zumindest den Grenzbereich zu erkennen. Weitergehende Kenntnisse dürften ihr ebensowenig wie einem Diplom-Psychologen abverlangt werden.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A bis D) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin sind zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde erneut zu bescheiden.
Die Klage ist zulässig. Eine Entscheidung über den Antrag der Klägerin vom 9. September 1985 liegt nicht vor, da der Landkreis Osnabrück den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 1986 mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 1986 aufgehoben hat. Gemäß § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage ohne Vorverfahren (§ 68 VwGO) zulässig. Über den Antrag der Klägerin ist ohne zureichenden Grund sachlich nicht entschieden worden. Die Klägerin hat in der Antragsschrift vom 9. September 1985 eine Entscheidung nach Aktenlage ohne eine weitere Überprüfung ihrer allgemeinen heilkundlichen Kenntnisse und Fähigkeiten begehrt. In ihrem Schreiben vom 2. Januar 1986 hat sie sich zwar bereit erklärt, an einem Gespräch vor einem Gutachterausschuß teilzunehmen. Gegenstand dieses Gesprächs sollten jedoch lediglich ihr beruflicher Werdegang und ihre berufliche Qualifikation sein. Die Bereitschaft, ihre allgemeinen heilkundlichen Kenntnisse und Fähigkeiten überprüfen zu lassen, ergibt sich auch nicht aus den weiteren Eingaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren. Die Beklagte, die eine umfassende Kenntnisprüfung für unverzichtbar hält, hätte daher über den Antrag entscheiden müssen, ohne die Stellungnahme des Gutachterausschusses abzuwarten.
Die Passivlegitimation der Beklagten ergibt sich aus ihrer Stellung als selbständige Gemeinde gemäß § 12 NGO. Sie ist damit die zuständige untere Verwaltungsbehörde im Sinne des § 3 Abs. 1 der 1. DVO-HPG. Die Zuständigkeit wird nicht dadurch berührt, daß die Entscheidung im Benehmen mit dem Gesundheitsamt des Landkreises Osnabrück zu treffen ist (vgl. Erl. d. Bez.-Reg. Weser-Ems vom 30. 7. 1985 - 205.4 - 41022 N -).
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, daß die Sache nicht spruchreif ist. Die Beklagte ist daher gemäß § 113 Abs. 4 VwGO zur Neubescheidung zu verpflichten. Die Anschlußberufung, mit der die Klägerin die Klage sachdienlich zu einem Verpflichtungsbegehren erweitert (Kopp, VwGO, 8. Aufl., RdNr. 9, 21 zu § 91), ist zurückzuweisen.
Über die Erteilung der begehrten Erlaubnis ist gemäß § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz vom 17. Februar 1939 (RGBl I, S. 251), geändert durch Art. 53 des Gesetzes vom 2. Februar 1974 (BGBl I, S. 469) - HPG - zu entscheiden. Hiernach bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will. Die Erteilung der Erlaubnis steht gemäß § 2 Abs. 1 HPG im Ermessen der Gesundheitsbehörde. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung, die die Rechtsprechung von einer Ausnahmevorschrift zu einer Anspruchsnorm umgestaltet hat, ist vom Bundesverfassungsgericht zuletzt mit Beschluß vom 10. Mai 1988, DVBl 88, 949 bestätigt worden. Es handelt sich um eine subjektive Zulassungsschranke bei der freien Berufswahl, die das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG zum Schutz des besonders wichtigen Gemeinschaftsguts der Volksgesundheit zulässigerweise einschränkt.
Die Klägerin bedarf zu der angestrebten selbständigen Tätigkeit als Psychotherapeutin der Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HPG. Heilkunde ist nach der gesetzlichen Definition des § 1 Abs. 2 HPG jede berufs- oder gewerbsmäßige Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Das Gesetz macht dabei keinen Unterschied, ob es sich um körperliche oder seelische Erkrankungen handelt. Die Psychotherapie, die das Erkennen und Behandeln psychischer und körperlicher Erkrankungen durch systematische, z.B. suggestive, hypnotische und psychoanalytische Beeinflussung des Seelenlebens betrifft, ist hiernach Heilkunde (BVerwG, Urt. v. 10. 2. 1983, Buchholz 418.04 Nr. 12).
Die Erlaubnis wird gemäß § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HPG nicht erteilt, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, daß die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Diese verfahrensrechtliche Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet es als "problematisch", daß die Überprüfungspflicht generell vorgeschrieben ist, ohne in irgendeiner Weise zu differenzieren. Die Verordnungsbestimmung könne jedoch aufgrund ihrer weiten Fassung verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß bei der Überprüfung die Ausbildung zu berücksichtigen sei oder deren Nachweis ausreiche.
Die Klägerin muß es sich danach gefallen lassen, daß vor der Erteilung der Erlaubnis ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HPG überprüft werden. Entgegen der auf den Erlaß des Sozialministers vom 1. Juli 1987 (Gültigkeitsliste 170/75) gestützten Auffassung der Beklagten braucht sie dabei aber keine allgemeinen medizinischen Grundkenntnisse einschließlich der Bereiche Anatomie, Physiologie, Pathologie und Arzneimittelkunde nachzuweisen. Weder das HPG noch die 1. DVO-HPG schreiben vor, in welcher Form und in welchem Umfang die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers im Hinblick auf das Schutzgut der Volksgesundheit durchzuführen ist.
Ziel der Überprüfung muß die Feststellung sein, ob durch die Behandlung der Patienten unmittelbar oder durch ein nicht rechtzeitiges Erkennen der Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung die Gefahr ernster Gesundheitsschäden besteht (BVerwG, Urt. v. 10. 2. 1983, aaO). Im übrigen liegt die Ausgestaltung der Überprüfung im verfahrensrechtlichen Ermessen der zuständigen Behörde. Hat die Aufsichtsbehörde zum Zwecke der einheitlichen Verwaltungsübung Verwaltungsvorschriften erlassen, sind diese mit Rücksicht auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbindlich. Dies gilt jedoch nur, soweit sie nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere die Verfassung verstoßen. Der Erlaß des Sozialministers vom 1. Juli 1987, der in Abschnitt II eine Begrenzung des Prüfungsstoffs nur für Psychotherapeuten mit einer Vorbildung als Diplom-Psychologen vorsieht, schränkt das Grundrecht der freien Berufswahl für Antragsteller mit einer anderen Vorbildung unzulässig ein. Er vermag das Ermessen der Beklagten daher nicht zu binden.
Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Stufentheorie sind Einschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit nur unter strikter Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit zulässig. Bei subjektiven Zulassungsvoraussetzungen gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, daß diese zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen (BVerfGE 7, 377, Leitsatz 6 c - Apothekenurteil -). Dies schließt es ein, daß die gewählten Zulassungsschranken zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sind (BVerfGE 19, 337, 340) [BVerfG 14.12.1965 - 1 BvL 14/60]. Nur nach Maßgabe dieses Grundsatzes ist die Anwendung von § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HPG verfassungsgemäß. Eine Überprüfung, die ungeachtet der Ausbildung des Antragstellers und der beabsichtigten Tätigkeit unterschiedslos den Nachweis allgemeiner heilkundlicher Kenntnisse verlangt, geht über das Maß des Erforderlichen hinaus und verletzt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschl. v. 10. 5. 1988, DVBl 89, 949, 950; BVerfGE 19, 340 [BVerfG 14.12.1965 - 1 BvL 14/60] zur Sachkundeprüfung im Einzelhandel; BVerwG, Urt. v. 10. 2. 1983, aaO, S. 5, 7).
Der Erlaß vom 1. Juli 1987 erkennt in Anlehnung an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1983, aaO, für Diplom-Psychologen an, daß die Überprüfung sich entsprechend den Anforderungen der angestrebten psychotherapeutischen Tätigkeit darauf zu beschränken habe, ob der Antragsteller ausreichende Kenntnisse über die Abgrenzung heilkundlicher Tätigkeit, insbesondere im psychotherapeutischen Bereich, gegenüber der den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen besitzt, ob er ausreichende diagnostische Fähigkeiten in bezug auf das einschlägige Krankheitsbild hat und ob er die Befähigung besitzt, den Patienten entsprechend der Diagnose psychotherapeutisch zu behandeln. Er trägt damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für diesen Personenkreis in sachgerechter Weise Rechnung. Er berücksichtigt, daß die Psychotherapie einen besonderen therapeutischen Ansatzpunkt hat, der sie von anderen Behandlungsmethoden deutlich abgrenzt. Sind die bezeichneten Kenntisse und Fähigkeiten vorhanden, kann die Verwaltungsbehörde davon ausgehen, daß der angehende Psychotherapeut die Heilkunde auf seinem Gebiet ohne Gefahr für die Volksgesundheit wird ausüben können. Kenntnisse und Fähigkeiten, die außerhalb dieses besonderen Anwendungsbereiches der Heilkunde liegen, braucht er nicht zu besitzen.
Der Erlaß vom 1. Juli 1987 beseitigt wegen seines auf die Diplom-Psychologen beschränkten Anwendungsbereichs jedoch nicht unverhältnismäßige Belastungen, die sich für künftige Psychotherapeuten mit einer anderen Vorbildung aus einer Überprüfung ihrer allgemeinen heilkundlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ergeben. Er bezieht sich insoweit zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1983, aaO). Dieses Urteil befaßt sich zwar mit Diplom-Psychologen. Es erlaubt aber nicht den Schluß, daß inhaltliche Einschränkungen bei der Überprüfung gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG nur für Psychotherapeuten mit dieser Vorbildung geboten sind. Die dort entwickelten Grundsätze sind auch auf Antragsteller mit einer anderen Vorbildung anzuwenden, die ihre heilkundliche Tätigkeit in vergleichbarer Weise auf die Psychotherapie beschränken wollen. Mit der Überprüfung gemäß § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HPG soll festgestellt werden, ob durch die Ausübung der Heilkunde durch den Antragsteller im konkreten Einzelfall Gesundheitsgefahren tatsächlich zu befürchten sind. Die Vorbildung und die berufliche Praxis des Antragstellers können dabei eine wesentliche Rolle spielen. Je umfassender und intensiver die Vorkenntnisse auf dem Gebiet der Psychotherapie sind, desto eher kann es verantwortet werden, von einer mündlichen Überprüfung abzusehen und eine Entscheidung nach Aktenlage zu treffen.
Allein die Unterschiede der Vorbildung können deshalb keinen Anlaß für einen unterschiedlichen inhaltlichen Maßstab der Überprüfung bieten, wenn die Antragsteller sich gleichermaßen als Psychotherapeuten betätigen wollen. Die Einschränkung des sachlichen Gegenstands der Überprüfung ist nicht im Hinblick auf die Vorbildung des Antragstellers, sondern im Hinblick auf die inhaltliche Beschränkung der heilkundlichen Tätigkeit geboten. Die angehenden Psychotherapeuten werden - unabhängig von ihrer Vorbildung - unverhältnismäßig belastet, wenn sie Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen müssen, die ihre heilkundliche Tätigkeit nicht berühren. Um Gefahren für die Volksgesundheit auszuschließen, reicht es, wenn sie die für ihr Spezialgebiet erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Diese bleiben dieselben, auch wenn die Psychotherapeuten eine unterschiedliche Vorbildung haben.
Der Senat sieht sich in dieser Rechtsauffassung durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 1970, BVerwGE 35, 308, 316 [BVerwG 25.06.1970 - I C 53/66] bestätigt. Nach dieser Entscheidung dürfen einem Chiropraktiker, der seine heilkundliche Tätigkeit auf das Gebiet der Chiropraktik zu beschränken beabsichtigt, keine Kenntnisse und Fähigkeiten abverlangt werden, die seine künftige Tätigkeit nicht berühren. Aus dem von der Beklagten bezeichneten Beschluß des Bay. VGH vom 18. Februar 1988, NJW 88, 2967 folgt nichts Gegenteiliges. Die Klägerin des zugrundeliegenden Verfahrens hatte die Erteilung der Erlaubnis für eine psychotherapeutische Tätigkeit entsprechend der Übung im Bundesland Bayern für Diplom-Psychologen ohne Prüfung gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG begehrt. Der Bay. VGH hat dieses Begehren als unbegründet angesehen, weil die Ausbildung der Klägerin an einem privaten Lehrinstitut mit dem Studiengang des Diplom-Psychologen nicht vergleichbar sei. Er hat nicht entschieden, auf welche Gegenstände sich die noch ausstehende Prüfung zu erstrecken habe.
Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgebots kann nicht dazu führen, die Heilpraktikererlaubnis formal auf ein Spezialgebiet, hier die Psychotherapie, zu beschränken. Der einzelne Antragsteller muß deshalb die Gewähr bieten, daß er sich auch nach Erteilung einer formal unbeschränkten Erlaubnis ausschließlich als Psychotherapeut betätigen wird. Die Klägerin bietet diese Gewähr. Die Nachweise über ihre Aus- und Fortbildung lassen erkennen, daß sie sich im Rahmen ihres Studiums und während ihrer beruflichen Tätigkeit zielgerichtet und in erheblichem Umfang Kenntnisse auf dem Gebiet der Psychologie angeeignet hat. Seit mehreren Jahren nimmt sie in Zusammenarbeit mit einem Kinder- und Jugendpsychiater psychotherapeutische Aufgaben wahr. Der Umfang der beabsichtigten heilpraktischen Nebentätigkeit erscheint hiernach vorgezeichnet. Die Klägerin hat auch ausdrücklich versichert, sie werde ihre Tätigkeit auf das Gebiet der Psychotherapie beschränken.
Die Beklagte hat die begehrte Erlaubnis nach allem zu Unrecht verweigert, weil die Klägerin den Nachweis allgemeiner heilkundlicher Kenntnisse und Fähigkeiten nicht erbringen will. Ihre Berufung ist zurückzuweisen.
Hingegen kann die Beklagte nach derzeitigem Sachstand nicht verpflichtet werden, der Klägerin die Erlaubnis gemäß § 1 Abs. 1 HPG zu erteilen. Die Anschlußberufung der Klägerin ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
Die Klägerin, die die gesetzlichen Voraussetzungen im übrigen erfüllt, hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis, wenn die auf das erforderliche Maß beschränkte Überprüfung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ergibt, daß sie die Heilkunde auf dem Gebiet der Psychotherapie ohne Gefahren für die Volksgesundheit ausüben kann. Die Überprüfung gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG ist keine Fachprüfung, bei der nach allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist. Der Begriff der Volksgesundheit ist als unbestimmter Rechtsbegriff verwaltungsgerichtlich voll überprüfbar. Eine Gefahr für die Volksgesundheit ist dann zu bejahen, wenn befürchtet werden muß, daß durch die Behandlung des Patienten durch den Heilpraktiker unmittelbar oder durch ein nicht rechtzeitiges Erkennen der Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung ernsthafte Gesundheitsschäden eintreten können (BVerwG, Urt. v. 10.2.83, aaO). Die erforderlichen Feststellungen sind indes auf der Grundlage der Überprüfung durch das Gesundheitsamt zu treffen. Dieses hat auch zu prüfen, ob eine Gefahr für die Volksgesundheit bereits nach Aktenlage ausgeschlossen werden kann (vgl. Erl. v. 1. 7. 1987). Das Gesundheitsamt hat die Überprüfung gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG bisher nicht vorgenommen. Dieser Mangel kann im gerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden. Die dem Gesundheitsamt überantwortete Überprüfung kann nicht mit Hilfe eines vom Gericht bestellten Prüfers oder Sachverständigen ersetzt werden (BVerwG, Beschl. v. 4.9.89 - 3 B 53.89 -, n.v.). Die Sache ist daher nicht spruchreif.
Bei der Neubescheidung des Antrags wird das Gesundheitsamt im Rahmen der Überprüfung gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG zu entscheiden haben, ob der Klägerin in Anbetracht ihrer Vorbildung und beruflichen Praxis die Erlaubnis nach Aktenlage erteilt werden kann. Hierzu wird es einer Würdigung der Aus- und Fortbildungsnachweise unter Berücksichtigung der Anforderungen gemäß Ziffer II des Erlasses vom 1. Juli 1987 bedürfen. Es wird weiter festzustellen sein, welche praktischen psychotherapeutischen Aufgaben die Klägerin bei ihrer Tätigkeit im Psychologisch-Integrativen Lernzentrum Melle wahrgenommen hat. Können ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Psychotherapie nicht nach Aktenlage bejaht werden, wird in die Überprüfung ein mündliches Gespräch einzubeziehen sein, dessen Gegenstand allerdings entsprechend Ziffer 11.3 des Erlasses vom 1. Juli 1987 zu begrenzen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat läßt die Revision zu, weil es von grundsätzlicher Bedeutung ist, auf welche Gegenstände sich die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten gemäß § 2 Abs. 1 i der 1. DVO-HPG für angehende Psychotherapeuten erstrecken darf, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dubslaff, zugleich für Präsident des Oberverwaltungsgerichts Dr. Schinkel, der wegen Urlaubs nicht unterschreiben kann.
von Alten