Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.09.2017, Az.: 3 A 156/17
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.09.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 156/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54167
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs 3 AsylVfG
- § 26 Abs 5 AsylVfG
- § 26 Abs 6 AsylVfG
- § 3 Abs 1 AsylVfG
- § 3 Abs 4 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, der minderjährigen Tochter eines Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt (im Sinne des § 26 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) gleichzustellen.
Tatbestand:
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2014 zusammen mit seiner am E. 2001 geborenen Tochter F. in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte - wie auch seine Tochter - am 17. September 2014 einen Asylantrag.
Das Bundesamt lehnte mit am 10. Juni 2016 zur Post gegebenen Bescheid vom 7. Juni 2016 die Anträge des Klägers und seiner Tochter auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), forderte sie unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Ziff. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6).
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger - wie auch seine Tochter - am 23. Juni 2016 Klage erhoben.
Auf die Klage der Tochter des Klägers hin hat das Verwaltungsgericht Lüneburg (Az. 3 A 93/16) am 4. April 2017 die Beklagte verpflichtet, der Tochter des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Diese Entscheidung ist rechtskräftig seit dem 12. Mai 2017.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 2016, zugestellt am 13. Juni 2016, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes in der Person des Klägers festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten (hinsichtlich der Beklagten aufgrund der allgemeinen Prozesserklärung vom 27.06.2017) gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet. Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Sach- und Rechtslage. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 3, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG, so dass die Beklagte insoweit wie tenoriert zu verpflichten war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Aufgrund des Anspruchs des Klägers war darüber hinaus auch die Ablehnung der Zuerkennung subsidiären Schutzes, die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist sowie die Bestimmung der Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gem. § 26 Abs. 3, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn 1. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar ist, 2. die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling verfolgt wird, 3. sie vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, 4. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und 5. sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Bundesrepublik Deutschland wurde durch rechtskräftiges Urteil vom 4. April 2017, Az. 3 A 93/16 dazu verpflichtet, der damals 16-jährigen Tochter des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dies ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt gleichzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28 zu § 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG i.d.F.v. 02.09.2008; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 6; so auch bereits VG Lüneburg, Gerichtsbescheid v. 07.04.2017 - 3 A 96/16 -, juris Rn. 13; und wohl auch Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. v. 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, juris Rn. 33; VG Regensburg, Urt. v. 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, juris Rn. 50; VG München, Urt. v. 22.04.2016 - M 16 K 14.30987 -, juris Rn. 40). Eine verzögerte Erfüllung der durch ein rechtskräftiges Urteil festgelegten Verpflichtung kann nicht zu Lasten des Familienangehörigen gehen (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 6). Hierdurch wird auch der Sinn und Zweck der vom Gesetz geforderten Unanfechtbarkeit nicht beeinträchtigt, Statusdifferenzen innerhalb der Familie zu vermeiden, die sonst durch unterschiedliche Entscheidungen der Instanzen hinsichtlich des Stammberechtigten auftreten könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28). Die Tochter des Klägers, F., ist unter 18 Jahre alt und damit minderjährig (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB). Die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchst. j) der Richtlinie 2011/95/EU, mithin die Vater / Tochter Eigenschaft hat bereits in Afghanistan, wo die Tochter des Klägers verfolgt wird, bestanden. Der Kläger ist im Jahr 2014 und damit vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seiner Tochter im Jahr 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat zeitgleich mit ihr einen Asylantrag gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme (§ 73 AsylG) der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Tochter des Klägers vorliegen könnten oder diese erloschen wäre (§ 72 AsylG) oder dass der Kläger nicht mehr - zusammen mit seiner Ehefrau - die Personensorge für seine Tochter inne hätte, sind weder von der Beklagten vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
Auch sind keine Hinweise für das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 26 Abs. 4 und Abs. 6 AsylG gegeben. Allein, dass der Kläger eine drohende Zwangsverheiratung seiner Tochter in Afghanistan nicht verhindern kann (vgl. die Urteilsgründe im Verfahren 3 A 93/16, juris), führt nicht dazu, dass der Tochter des Klägers durch ihn selbst eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.