Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.09.2017, Az.: 3 A 433/17

unrichtige Sachbehandlung; Verschulden

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
12.09.2017
Aktenzeichen
3 A 433/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53633
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1. Aufgrund der Klagerücknahme war gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO das Verfahren einzustellen und die Kostentragungspflicht des Klägers (vgl. § 155 Abs. 2 VwGO) auszusprechen.

Der Streitwert ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 8.4 des Streitwertkatalogs, Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Auflage 2015, Anh. zu § 164 Rn. 14).

2. Das Gericht hat gem. § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens von der Erhebung von Gerichtskosten abgesehen, weil der zurückgenommene Klageantrag auf unverschuldeter Unkenntnis des Klägers von rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen beruhte.

Der Kläger hat am 14. Juli 2017 gegenüber der Rechtsantragsstelle neben dem ablehnenden Asylbescheid nebst dazugehörigem, an den Beklagten gerichteten Anschreiben - unter anderem - auch ein Schreiben des Beklagten vorgelegt, mit dem der Kläger zur Beschaffung und Vorlage eines Identitätspapieres aufgefordert wird. Eine ausreichende Verständigung zwischen dem Kläger und der Urkundsbeamtin war ausweislich des Protokolls nicht möglich. Daraufhin wurden ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Ablehnung des Asylantrages und ein weiteres Verfahren gegen den Beklagten wegen der Aufforderung zur Beschaffung eines Identitätspapieres eingetragen.

a) Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 10. August 2017 darum gebeten hat, von einer Auferlegung der Kosten abzusehen und mit weiterem Schriftsatz vom 28. August 2017 beantragt hat, ihn von Gerichtskosten aufgrund unrichtiger Sachbehandlung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG) freizustellen, vermag das Gericht bereits keine unrichtige Sachbehandlung zu erkennen.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache (durch das Gericht) nicht entstanden wären, nicht erhoben (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Auflage 2015, § 155 Rn. 24). Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinne, die vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt sein kann, liegt allerdings nur bei offenkundiger Fehlerhaftigkeit vor (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Auflage 2015, § 155 Rn. 25 m.w.N.). Eine Nichterhebung kommt danach nur in Betracht, wenn ein offensichtlicher und schwerer Verfahrensfehler (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 46. Auflage 2016, § 21 GKG, Rn. 8, 10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.01.2017 - 2 WF 299/16 -, juris Rn. 21 m.w.N.) festgestellt wird oder in offensichtlich eindeutiger Weise materielles Recht verkannt wurde (BeckOK, Kostenrecht, GKG § 21, Rn. 3 m.w.N.; Binz, GKG - FamGKG - JVEG, Kommentar, 3. Auflage 2014, § 21 GKG, Rn. 5 m.w.N.). Vorliegend stellt die Auslegung des Verhaltens des Klägers gegenüber der Rechtsantragsstelle am 14. Juli 2017, dass er Rechtsschutz gegen die von ihm vorgelegten Schreiben begehrt, keine unrichtige, sondern vielmehr eine richtige Sachbehandlung dar. Gegenüber der Rechtsantragsstelle hat der Kläger auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass er nur gegen bestimmte von ihm vorgelegte Schriftstücke Rechtsschutz begehrt. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Gerichtssprache deutsch ist, § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG. Eine andere Deutung der Vorlage des Schreibens des Beklagten durch den Kläger, mit dem er zu einem konkreten Tun aufgefordert wird, drängt sich nicht auf und auch er selbst hat keine andere Erklärung für sein Verhalten gegeben. Die Praxis des Gerichts, bei Personen, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, von ihnen vorgelegte Schreiben im Wege der Auslegung gegebenenfalls und im Zweifel als Gegenstand eines Klagebegehrens anzusehen, führt etwa gerade auch in Asylverfahren zu einer Verbesserung des Rechtsschutzes. Die Auslegung als Klagebegehren wird dabei nicht - wie es der Kläger im Schriftsatz vom 28. August 2017 wohl für sinnvoll erachtet - davon abhängig gemacht, ob ein vorgelegtes Schreiben eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Zum einen ist eine solche nicht immer, wie etwa auch bei einem ablehnenden Asylbescheid, mit dem Bescheid verbunden bzw. wird nicht immer mit vorgelegt. Zum anderen ist auch nicht auszuschließen, dass die Behörde es (versehentlich) unterlässt, einem Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen. Da der Bescheid über die Ablehnung des Asylantrages des Klägers bereits vom 16. Februar 2017 ist und mithin eine verfristete Klageerhebung in Betracht kommt, hätte das Verhalten des Klägers im vorliegenden Fall auch dahin gedeutet werden können, dass er sich ausschließlich gegen das Schreiben des Beklagten wenden will. Auch der Bezeichnung der Streitgegenstände der beiden angelegten Verfahren kommt für die Frage einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil allein die Bezeichnung eines Streitgegenstandes im Rahmen der Aktenführung für die Entscheidung, ob ein oder zwei Verfahren angelegt werden, keinen maßgeblichen Einfluss hat.

b) Die gegen den Beklagten gerichtete Klage beruhte jedoch auf unverschuldeter Unkenntnis des Klägers von rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG. Unverschuldet ist, was auch bei zumutbaren Bemühungen nicht hätte vermieden werden können, wobei die Anforderungen an das Bemühen nicht überspannt werden dürfen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 46. Auflage 2016, § 21 GKG, Rn. 49). Dem Kläger ist nicht vorwerfbar im Sinne eines Verschuldens, dass er zusammen mit dem ablehnenden Asylbescheid auch ein weiteres Schreiben des Beklagten vorgelegt hat und deshalb sein Klagebegehren auch gegen dieses Schreiben gerichtet ausgelegt worden war. Den Verwaltungsvorgängen ist zu entnehmen, dass der Kläger den ablehnenden Asylbescheid vom 16. Februar 2017 zunächst nicht erhalten hatte. Auf der Postzustellungsurkunde findet sich insoweit der Vermerk, dass der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei. Angesichts der vom Kläger gegenüber der Rechtsantragsstelle vorgelegten Schriftstücke geht das Gericht davon aus, dass der Kläger von der Ablehnung seines Asylantrages erst aufgrund der Übersendung des Asylbescheides durch den Beklagten erfahren hat, im Zusammenhang mit dem Schreiben zur Aufforderung der Beschaffung von Identitätspapieren. Dann ist es auch nachvollziehbar, dass der mit dem deutschen Verwaltungs- und Justizsystem nicht vertraute Kläger alle erhaltenen Unterlagen gegenüber dem Gericht vorgelegt hat, da diese aus seiner Sicht zusammengehörig waren. Insoweit besteht für den Kläger auch ein - auf den ersten Blick nicht erkennbarer - zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ablehnenden Asylbescheid vom 16. Februar 2017 und dem Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2017. Der Kläger musste nach alledem auch nicht damit rechnen, dass das Gericht aufgrund des Schreibens des Beklagten über das eigentliche Klagebegehren des Klägers hinaus, ein weiteres Klageverfahren gegen den Beklagten anlegt.

Unter Berücksichtigung und nach Abwägung insbesondere all dieser Umstände ist es aus der Sicht des Gerichts nach pflichtgemäßer Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens angezeigt, vorliegend von der Kostenerhebung abzusehen.