Sozialgericht Aurich
Urt. v. 24.10.2002, Az.: S 8 KR 108/00
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 24.10.2002
- Aktenzeichen
- S 8 KR 108/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35552
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2002:1024.S8KR108.00.0A
In dem Rechtsstreit
...
gegen
Krankenkasse, vertreten durch den Vorstand,
hat das Sozialgericht Aurich - 8. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2002 durch den Richter am Sozialgericht Spekker - Vorsitzender - sowie die ehrenamtlichen Richter Ewert Cramer und Ingo Liebrecht
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau die Kostenerstattung für Behandlungen in der "g ...-Klinik für komplementäre Medizin" in W .
Die 1952 geborene und am 25.10.2000 verstorbene Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten versichert. Sie litt an einem metastasierenden Mamma-Karzinom, das im Juni 1996 radikal operiert und anschließend chemotherapeutisch behandelt wurde. Im Dezember 1998 wurden Skelett-Metastasen nachgewiesen. Trotz erneuter Chemotherapie konnte eine Tumorprogression nicht aufgehalten werden. Im März 2000 wurde eine Lebermetastasierung festgestellt. Am 04.05.2000 stellte sich die Ehefrau des Klägers zu einem Beratungsgespräch in der "g ...-Klinik" W (Privatklinik) vor. Diese empfahl eine "Thermochemotherapie im Procedere der sKMT" (systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie). Es handele sich dabei "um rein schulmedizinische Maßnahmen", die in den letzten Jahren eine erhebliche Verbreitung (weltweit über 15.000 Behandlungen) und eine umfangreiche wissenschaftliche Bearbeitung erfahren hätten, jedoch (noch) nicht automatisch Bestandteil kassenärztlicher Leistungen seien. Auch erste Studien seien dazu initiiert worden. Die jüngste dazu werde von der deutschen Krebshilfe am Virchowklinikum der Charite in Berlin durchgeführt. Angesichts der gewaltigen Tumormarkerentwicklung und der unaufhaltbaren Tumorprogression sollte der Patientin diese Therapieoption im Sinne eines individuellen Heilversuchs ermöglicht werden (Arztbrief des Dr. H. W vom 10.05.2000).
Den Antrag auf Kostenübernahme lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.05.2000 ab. Dieser Entscheidung lag ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Medizinisches Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 16.05.2000 zugrunde. Darin heißt es, eine medizinische Indikation zur Anwendung der sKMT bestehe eindeutig nicht. Veröffentlichungen, die statistisch nicht abgesichert seien, ließen annehmen, dass eine gewisse Wirkungswahrscheinlichkeit bei der Behandlung von Krebserkrankungen gegeben sein könnte. Das Risiko für die Patienten bei dieser Behandlung sei beträchtlich. Eine Letalität von 1 % werde angegeben. Die Wirksamkeit des Verfahrens sei nicht gesichert. Das pharmakokinetische Verhalten der angewendeten Arzneimittel unter den extremen Temperaturbedingungen könne nicht vorhergesagt werden. Auf jeden Fall handele es sich um eine Anwendung dieser nebenwirkungsreichen Pharmaka außerhalb der Zulassung. Das Votum einer Ethikkommission für diese unkontrollierte Versuchsreihe an lebenden Menschen liege nicht vor.
Den unter Vorlage einer Stellungnahme des Dr. W vom 07.06.2000 und Behandlungsberichten der "g ...-Klinik" vom 01. und 31.08.2000 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 19.10.2000 als unbegründet zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass sie nicht verpflichtet sei, die Kosten für Behandlungen in einer Privatklinik ohne Vertrag zu übernehmen. Im Übrigen stelle die sKMT um eine alternative Behandlungsmethode dar, deren Wirksamkeit wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen sei, die aber zu Schädigungen führen könne. Es handele sich um eine Therapie im experimentellen Stadium.
Hiergegen richtet sich die am 24.11.2000 erhobene Klage. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die sKMT habe sich zwischenzeitlich durchgesetzt und werde in diversen, hauptsächlich universitären Kliniken angewandt. Demgemäß würden die Kosten für eine solche Behandlung von verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Auch habe die sKMT in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden.
Der Kläger beantragt unter Vorlage diverser Rechnungen der "g ...-Klinik" über Behandlungen seiner Ehefrau in der Zeit vom 04.05. bis 24.10.2000,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn als Erben der verstorbenen Versicherten C G unter Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2000 12.527,34 EURO nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Bescheides am 25.10.2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu. Die gesetzlich Krankenversicherten erhalten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (sog. Sachleistungsprinzip, § 2 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V). Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es gesetzlich vorgesehen ist. Einem Versicherten steht danach grundsätzlich keine Kostenerstattung zu, wenn er einen Arzt oder einen anderen Heilbehandler außerhalb der vertragsärztlichen Verpflichtungen in Anspruch nimmt, denn eine Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten mit nachfolgender Kostenerstattung ist dem System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung fremd (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 11.10.1994, 1 RK 26/92).
Als Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich der Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft. Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- und Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind.
Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V sind hier nicht erfüllt. Die Behandlung mit einer Ganzkörperhyperthermie in Form der sKMT gehört nicht zu den von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.01.2000, Az. L 4 KR 2771/99). Das Gericht hält insoweit nach erneuter Überprüfung an seinem den Beteiligten bekannten rechtskräftigen Urteil vom 23.06.2000 (Az.: S 8 KR 78/98) zur sKMT fest. Danach ergibt sich der Leistungsausschluss aus § 135 SGB V iVm den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien). § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V schreibt vor, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Als Teil der Regelungen des Vierten Kapitels des SGB V über die "Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern" steht § 135 SGB V nicht unmittelbar mit den Leistungsansprüchen der Versicherten in Zusammenhang. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 16.09.1997 (Az.: 1 RK 28/95, SozR 3-2500, §135 Nr. 4; NJW1999, 1805-1811) ausgeführt hat, wird durch § 135 SGB V ebenso wie durch andere kassenarztrechtliche Vorschriften, die bestimmte Arten von Behandlungen aus der vertragsärztlichen Versorgung ausschließen oder ihre Anwendung an besondere Bedingungen knüpfen, zugleich der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen festlegt. Darf der Arzt eine Behandlungsmethode nicht als Kassenleistung abrechnen, weil sie nach den BUB-Richtlinien ausgeschlossen oder nicht empfohlen ist, gehört sie auch nicht zur "Behandlung" im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V, die der Versicherte als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung beanspruchen kann.
Bei der sKMT handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V. Neu ist eine Methode, die noch nicht zu den medizinischen Maßnahmen gehört, deren Qualität aufgrund der tatsächlichen Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung bereits feststeht und die als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten sind (vgl. BSG, aaO.).
Zur medizinischen Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der sKMT hat sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse bislang nicht geäußert, d. h. es liegt weder eine Empfehlung noch eine Ablehnung vor. Ein Antrag auf Anerkennung der Ganzkörperhyperthermie war zum Zeitpunkt der hier streitigen Behandlung noch nicht gestellt; dies ist erst im Oktober 2001 erfolgt.
Bei dieser Sachlage ist unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsprechung des BSG eine Kostenerstattung für die sKMT ausgeschlossen. § 135 Abs. 1 SGB V ist als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt konzipiert, das Gesetz schließt also eine Erbringung zu Lasten der Krankenkasse nicht nur bei ablehnenden Entscheidungen des Bundesausschusses aus, sondern auch für den Fall des Fehlens eine solchen Entscheidung. Voraussetzung für eine Kostenerstattung ist demnach, dass eine positive Empfehlung durch den Bundesausschuss vorliegt.
Das BSG hat in der angegebenen Entscheidung ferner klargestellt, dass dem Versicherten, der sich eine vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse nicht empfohlene Behandlung auf eigene Rechnung beschafft, im Kostenerstattungsverfahren der Einwand abgeschnitten ist, die Methode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen oder lasse einen Behandlungserfolg zumindest als möglich erscheinen.
Nur ausnahmsweise kann nach der genannten Rechtsprechung ein Kostenerstattungsanspruch dennoch anzuerkennen sein, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein solcher Systemmangel kann darin bestehen, dass die Einleitung oder die Durchführung des Anerkennungsverfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wird und deshalb eine für die Behandlung benötigte neue Therapie nicht eingesetzt werden kann. Nur in den Fällen, in denen die Qualität einer neuen Behandlungsmethode infolge eines solchen Systemmangels ausnahmsweise vom Gericht anstelle des vom Gesetzgeber berufenen Bundesausschusses beurteilt werden muss, ist nach der Rechtsprechung des BSG zu prüfen, ob sich die Methode in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat, d. h. in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt wird.
Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Klagebegründung kommt es indes vorliegend nicht an, da sich bereits ein Systemmangel im oben genannten Sinne nicht feststellen lässt. Eine sachwidrige Verzögerung des Anerkennungsverfahrens durch den Bundesausschuss scheidet von vornherein aus, da zum Zeitpunkt der hier streitigen Behandlung ein Antrag auf Anerkennung der sKMT noch gar nicht vorlag. Ein Systemmangel könnte danach hier nur darin liegen, dass ein Verfahren vor dem Bundesausschuss von Seiten der antragsberechtigten Körperschaften und Verbänden willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen nicht in Gang gesetzt worden ist. Auch hierfür sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Vielmehr konnte ein Antrag auf Anerkennung der Methode seinerzeit noch nicht gestellt werden, da die Studien zur Evaluierung der Hyperthermiebehandlung noch nicht abgeschlossen waren. Es lief ausweislich der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Schreiben der "g ...-Klinik" vom 20.04 , 10.05 und 07.06.2000 noch eine von der Deutschen Krebshilfe finanzierte Studie am Universitätsklinikum Virchow. In einer bei Antragstellung vorgelegten Patienteninformation der Von Ardenne Klinik für systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie heißt es im Übrigen ausdrücklich, die sKMT gehöre noch nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen.
Falls andere Krankenkassen im Einzelfall gleichwohl Kosten für die sKMT erstattet haben sollten, kann der Kläger aus einer solchen nach der Rechtslage an sich nicht zulässigen Leistungsgewährung für sich keine Rechte herleiten.
Soweit die hier streitigen Behandlungen ausweislich der vorgelegten Rechnungen teilweise auch stationär erbracht worden sind, ergibt sich keine andere rechtliche Beurteilung. Zwar würde § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dann nicht eingreifen, weil er auf die vertragsärztliche Versorgung beschränkt ist und demnach stationäre Behandlungen mit neuen Methoden nicht von der Leistungspflicht ausschließt. Der Versorgungsstandard des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V gilt jedoch für alle Leistungsbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung und wird auch im stationären Bereich durch den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse definiert (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2002, Az. B 1 KR 16/00 R). Gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der sKMT, zumal bei einer so weit fortgeschrittenen Krebserkrankung wie im vorliegenden Fall, lagen zum Zeitpunkt der streitigen Behandlung angesichts der noch nicht abgeschlossenen Studie beim Virchowklinikum in Berlin gerade noch nicht vor.
Schließlich muss der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auch daran scheitern, dass die Behandlung nicht durch zugelassene Leistungserbringer erbracht worden ist. Da hier vorwiegend ambulante Behandlungen streitig sind, ist § 76 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V einschlägig. Nach dieser Vorschrift können die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den ermächtigten Ärzten, ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2, den nach § 72 a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Für stationäre Behandlungen gilt § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankenhausbehandlung auf zugelassene Krankenhäuser (§108 SGB V) beschränkt ist. Die Beklagte ist daher auch aus diesem Grund nicht verpflichtet, die Kosten für privatärztliche ambulante Behandlungen bzw. stationäre Behandlungen in einer Privatklinik zu erstatten. Soweit in der Klagebegründung auf Hochschulkliniken hingewiesen wird, in denen die Hyperthermiebehandlung - offenbar im Rahmen von Studien und damit fremdfinanziert -angewandt werde, handelt es sich dabei um nach § 108 Nr. 1 SGB V zugelassene Krankenhäuser.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.