Sozialgericht Aurich
Urt. v. 31.10.2002, Az.: S 6 RA 95/01

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
31.10.2002
Aktenzeichen
S 6 RA 95/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35554
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2002:1031.S6RA95.01.0A

In dem Rechtsstreit vertr. d. d. Betreuer

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte

gegen

die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstr. 2, 10709 Berlin ,

Beigeladene:

Deutsche Angestellten Krankenkasse,

vertr. d. d. Vorstand, Nagelsweg 27-35, 20097 Hamburg

hat das Sozialgericht Aurich - 6. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 2002 durch den Richter am Sozialgericht Spekker - Vorsitzender -sowie die ehrenamtlichen Richter Ute Bienhoff und Wilfried Heikens für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1. Die Bescheide vom 22.01.2001,17.04.2001 und 11.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2001 werden aufgehoben, soweit die geltend gemachte Überzahlung 8.734,76 DM übersteigt.

    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    3. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nacherhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Rückforderung eines Beitragszuschusses zur Pflegeversicherung.

2

Die 1935 geborene Klägerin bezog seit 1993 von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, die bis zum 31.12.1995 befristet war. Mit Bescheid vom 07.09.1995 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.10.1995 eine Altersrente. Dabei wurden Beitragsanteile der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und zur Pflege-Versicherung in Abzug gebracht.

3

Mit Schreiben vom 28.03.1996 teilte die beigeladene Krankenkasse, die von dem laufenden Rentenbezug keine Kenntnis hatte, der Beklagten mit, dass die Versicherungspflicht der Klägerin in der Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung zum 31.12.1995 ende und ab diesem Zeitpunkt keine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung mehr bestehe. Gleichzeitig ging bei der Beklagten eine Bescheinigung der Postbeamtenkrankenkasse ein, wonach die Klägerin bei ihr als mitversicherte Familienangehörige geführt werde und ein Pflegeversicherungsvertrag abgeschlossen worden sei. Daraufhin berechnete die Beklagte die Altersrente mit Bescheid vom 29.08.1996 u . a. aufgrund einer ab dem 01.01.1996 eingetretenen Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses neu. Beitragsan-teile zur KVdR und zur Pflegeversicherung wurden ab dem 01.01.1996 nicht mehr einbehalten, so dass der Klägerin eine entsprechende Nachzahlung gewährt wurde. Ferner wurde der Klägerin ab dem 01.01.1996 ein Beitragszuschuss zur privaten Pflegeversicherung gewährt.

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Nachdem die Klägerin aufgrund ihrer Ehescheidung im November 1998 ohne Krankenversicherungsschutz war, erklärte sich die beigeladene Krankenkasse ihr gegenüber mit Schreiben vom 27.12.2000 bereit, die Mitgliedschaft ab dem 01.01.1996 "wieder aufleben zu lassen". Eine entsprechende Meldung erfolgte an die Beklagte. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.01.2001 berechnete diese die Altersrente ab dem 01.10.1995 neu. Dabei wurde die Höhe der laufenden Zahlung ab dem 01.03.2001 dahingehend geändert, dass ein monatlicher Abzug der Beitragsanteile zur KVdR und zur Pflegeversicherung erfolgte. Ferner stellte die Beklagte für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 eine Überzahlung in Höhe von 10.746,92 DM fest. Die Beklagte wies darauf hin, dass es sich dabei um bisher von der Klägerin nicht geleistete Anteile an den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung handele, die krankenversicherungspflichtige Rentner aus der Rente zu tragen hätten. Gleichzeitig wurde die Klägerin hinsichtlich einer beabsichtigten Verrechnung der rückständigen Krankenversicherungsbeiträge angehört. Mit Bescheid vom 17.04.2001 wurde die Überzahlung für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 nochmals festgestellt und die Klägerin erneut hinsichtlich einer Verrechnung der rückständigen Beitragsanteile angehört. Mit einem weiteren Bescheid vom 11.05.2001 forderte die Beklagte ferner den für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 gezahlten |Zuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 576,- DM zurück. Gleichzeitig wurde der entsprechende Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab dem 01.01.1996 nach § 48 SGB X aufgehoben. In diesem Zusammenhang gab die Beklagte an, die Klägerin habe gewusst, dass jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses umgehend mitzuteilen sei, da diese Änderung ggf. Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Die gegen die Bescheide vom 22.01., 17.04. und 11.05.2001 erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2001 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Eigenanteile der Klägerin an den Beiträgen zur KVdR für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 in Höhe von 10.746,92 DM seien nach § 255 Abs. 1 SGB V nachzuerheben. In diesem Zusammenhang teilte die Beklagte mit, dass mit Ablauf des Monats, in dem der Widerspruchsbescheid zugestellt werde, monatlich 200,- DM von der laufenden Rentenzahlung einbehalten würden. Ferner sei der Beitragszuschuss für den genannten Zeitraum in Höhe von 576,- DM zu Unrecht gezahlt worden. Die Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides seien nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X erfüllt. Über die Bewilligung des Beitragszuschusses sei der Klägerin am 25.07.1994 ein Bescheid erteilt worden, der unmissverständlich Hinweise darüber enthalten habe, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Beitragszuschuss bestehe. Sie sei daher verpflichtet gewesen, diese Hinweise durchzulesen und zu beachten. Darüber hinaus habe sie sich mit dem Antrag auf Beitragszuschuss verpflichtet, den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unverzüglich anzuzeigen. Dieser Mitteilungspflicht sei sie ebenfalls nicht nachgekommen.

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Hiergegen richtet sich die am 24.07.2001 erhobene Klage. Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, sie sei nach ihren Einkommensverhältnissen nicht in der Lage, die festgestellte Überzahlung zu erstatten. Sie ist der Auffassung, dass die Nachforderung der Krankenversicherungsbeiträge rückwirkend ab Januar 1996 nicht gerechtfertigt sei, da sie in dem fraglichen Zeitraum keine Leistungen von der beigeladenen Krankenkasse erhalten habe, sondern vielmehr über ihren damaligen Ehemann privat versichert bzw. überhaupt nicht versichert gewesen sei.

6

Mit Schriftsatz vom 10.04.2002 hat die Beklagte die im Widerspruchsbescheid vom 29.06.2001 ausgesprochene Aufrechnung zurückgenommen. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und beantragt im Übrigen,

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die Bescheide vom 22.01.2001, 17.04.2001 und 11.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2001 aufzuheben, soweit eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 11.322,92 DM geltend gemacht wird.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsund Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

13

Die Bescheide vom 22.01. und 17.04.2001 sind rechtswidrig, soweit die Beklagte von den Rentenleistungen nicht in Abzug gebrachte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für das Jahr 1996 geltend macht (2.012,96 DM). Ferner hält der Bescheid vom 11.05.2001, mit dem Zuschuss zur Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 in Höhe von 576,- DM zurückgefordert wird, einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Die Beitragsanteile der Klägerin für die Zeit vom 01.01.1997 bis 28.02.2001 in Höhe von 8.734,76 DM werden dagegen zu Recht nachgefordert.

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Die Beklagte ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Einbehaltung von Krankenversicherungsbeiträgen wie auch die Verrechnung von in der Vergangenheit rechtswidrig nicht einbehaltenen rückständigen Krankenversicherungsbeiträgen sich grundsätzlich nach § 255 SGB V richtet. Die dortige Regelung begründet die Verpflichtung, Krankenversicherungsbeiträge einzubehalten, unmittelbar kraft Gesetzes gem. Abs. 1. Auch die Verrechnung rückständiger Krankenversicherungsbeiträge ist nach Abs. 2 der Vorschrift grundsätzlich ohne Rücksicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte und Ermessenserwägungen zwingend vorgeschrieben. Entsprechendes gilt für die Einbehaltung von Pflegeversicherungsbeiträgen. Für sie findet § 255 SGB V gem. § 60 Abs.1 Satz 2 SGB XI entsprechende Anwendung.

15

Die Beigeladene hat, nachdem sie von dem Rentenbezug der Klägerin über den 31.12.1995 hinaus Kenntnis erlangt hatte, zutreffend festgestellt, dass die Klägerin in dem streitbefangenen Zeitraum versicherungspflichtig in der KVdR nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V und damit auch versicherungspflichtig in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 SGB XI war. Die anderslautende Bescheinigung der Beigelade-nen vom 28.03.1996 ist ganz offensichtlich unter der falschen Annahme ausgestellt worden, dass die Klägerin ab dem 01.01.1996 nicht mehr im Rentenbezug stand. Unabhängig von dieser unzutreffenden Bewertung seitens der zuständigen Krankenkasse war die Klägerin über den 31.12.1995 hinaus durchgehend kraft Gesetzes pflichtversichert in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und damit beitragspflichtig nach § 249 a SGB V und § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in Höhe der Hälfte der nach der Rente zu bemessenen Beiträge. Die Beklagte hat danach zutreffend festgestellt, dass wegen des NichtAbzugs der Beitragsanteile der Klägerin für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 eine entsprechende Rentenüberzahlung eingetreten war.

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Allerdings sind die Beiträge für das Jahr 1996 verjährt. Ansprüche auf Beiträge verjähren nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die bis zum 31.12.1996 aus der Rente zu zahlenden Beiträge (2.012,16 DM) waren Ende 2000 verjährt und konnten damit mit dem Bescheid vom 22.01.2001 nicht mehr nachgefordert werden.

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Schließlich ist die Klägerin auch nicht zur Rückzahlung des geleisteten Beitragszuschusses zur Pflegeversicherung in Höhe von 576,- DM verpflichtet. Dieser Zuschuss ist der Klägerin entgegen den Ausführungen in dem Bescheid vom 11.05.2001 nicht mit Bescheid vom 25.07.1994 bewilligt worden. Mit jenem Bescheid wurde der Klägerin ein Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung ab dem 27.01.1994, also nicht für den streitbefangenen Zeitraum, bewilligt. Diese Bewilligung wurde im Übrigen mit Bescheid vom 16.03.1995 wieder rückgängig gemacht. Der hier streitbefangene Beitragszuschuss zur Pflegeversicherung nach § 106 a SGB VI kann der Klägerin erst nach dem 01.01.1996 bewilligt worden sein, nachdem die beigeladene Krankenkasse das Ende der Versicherungspflicht zu diesem Termin mitgeteilt und die Postbeamtenkrankenkasse den Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrags angezeigt hatte. Auch wenn der ent-sprechende Bewilligungsbescheid in den Akten der Beklagten nicht auffindbar ist, handelte es sich - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - um einen von Anfang an rechtswidrigen Bescheid, dessen Aufhebbarkeit sich nach § 45 SGB X richtet. Danach kommt eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit hier nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 in Betracht, nämlich dann, wenn der Bescheid auf Angaben beruht, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Be-Ziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, (Nr. 2) oder sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht nachgewiesen. Soweit die Beklagte ausgeführt hat, die Klägerin habe ihr Mitteilungspflicht verletzt, da sie den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nicht angezeigt habe, ist nicht ersichtlich, worauf dieser Vorwurf konkret gestützt wird. Mit Schreiben vom 25.07.1996 (Bl. 308 der Rentenakten) hatte die Klägerin auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass sie in der Postbeamtenkrankenkasse mitversichert sei. Diese Angabe entsprach angesichts der vorliegenden Bescheinigung der Postbeamtenkrankenkasse und der Mitteilung der Beigeladenen über das Ende der Versicherungspflicht zum 31.12.1995 den Tatsachen. Eine Korrektur ist seitens der Beigeladenen erst mit Schreiben vom 27.12.2000 vorgenommen worden und konnte daher von der Klägerin auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt werden. Schließlich kann auch nicht von einer positiven Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung des Beitragszuschusses ausgegangen werden. Denn nachdem die Klägerin tatsächlich einen privaten Pflegeversicherungsvertrag mit der Postbeamtenkrankenkasse abgeschlossen hatte und nach Mitteilung der Beigeladenen nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung war, konnte sie davon ausgehen, dass der entsprechende Beitragszuschuss zu Recht gezahlt wurde.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz.

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Rechtsmittelbelehrung