Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
v. 13.08.2019, Az.: L 13/15 SF 26/18 EK AL

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.08.2019
Aktenzeichen
L 13/15 SF 26/18 EK AL
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2019, 29062
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
- 13.08.2019

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Dauer des vor dem Sozialgericht Aurich geführten Verfahrens mit dem Aktenzeichen S 21 AL 31/14 unangemessen war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 3.900 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen einer von ihm angenommenen überlangen Dauer eines vor dem Sozialgericht (SG) Aurich geführten Klageverfahrens.

Dem zum Az. S 21 AL 31/14 geführten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein Rechtsanwalt, stellte bei der Agentur für Arbeit F. in eigener Sache einen Antrag auf Arbeitslosengeld, welcher mit Bescheid vom 18. Dezember 2013 abgelehnt wurde. Auf den Widerspruch des Klägers, welcher im Einzelnen begründet worden war, nahm die Bundesagentur für Arbeit den angefochtenen Ablehnungsbescheid mit Bescheid vom 6. Februar 2014 zurück und kündigte eine neue Entscheidung an. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte sie dem Kläger sodann antragsgemäß Arbeitslosengeld. Die geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahren (Anwaltsgebühren von 380,80 EUR für die Selbstvertretung) wurden dem Kläger nachfolgend erstattet. Gegen den Rücknahmebescheid vom 6. Februar 2014 legte der Kläger im Hinblick die vermeintlich fehlende Begründung Widerspruch ein, welchen die Bundesagentur für Arbeit mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2014 zurückwies.

Gegen die negative Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides erhob der Kläger am 7. Mai 2014 Klage. Nach Eingang der Klageerwiderung noch im selben Monat ließ des SG Aurich das Verfahren zunächst unbearbeitet. Mit Verfügung vom 8. März 2018 kündigte es den Erlass eines Gerichtsbescheides an und gab den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen vier Wochen. Mit Datum vom 29. Oktober 2018 erging schließlich ein klageabweisender Gerichtsbescheid, welcher dem Kläger am 3. November 2018 zugestellt wurde. Rechtsmittel legte der Kläger nicht ein.

Der Kläger, welcher im Ausgangsverfahren am 9. Februar 2015 und 27. April 2016 Verzögerungsrügen erhoben hatte, hat am 28. November 2018 Entschädigungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, dass der Ausgangsrechtsstreit bereits nach Eingang der Klageerwiderung entscheidungsreif gewesen ist. Es sei ausschließlich über Rechtsfragen gestritten worden, welche nicht überdurchschnittlich schwierig gewesen seien. Gleichwohl habe das Verfahren 54 Monate gedauert, wovon 39 Monate entschädigungspflichtig seien, so dass sich eine Entschädigung in Höhe von 3.900 EUR errechne. Er - der Kläger - sei durch die Verfahrensdauer auch persönlich belastet gewesen, da es sich um seinen ersten Fall als Rechtsanwalt gehandelt habe. Als Berufsanfänger habe er unter Erfolgsdruck gestanden und seine wirtschaftliche Lage sei extrem angespannt gewesen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beklagten zu verurteilen, ihm 3.900 EUR zuzüglich Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung war das Ausgangsverfahren für den Kläger von untergeordneter Bedeutung, da es ausschließlich die Kostenerstattung für ein Widerspruchsverfahren zum Gegenstand gehabt habe. Zudem habe sich der Kläger als Rechtsanwalt selbst vertreten. Die für rechtliche Laien konzipierte Vermutung einer auszugleichenden Belastung durch die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens gelte für Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege, welche beruflich mit der Führung von gerichtlichen Verfahren befasst seien, nicht. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die berufliche Existenz des Klägers von der Begleichung der im Ausgangsverfahren geltend gemachten Forderung in Höhe von lediglich 380,80 EUR abhängig gewesen sei.

Der Senat hat die Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens S 21 AL 31/14 beigezogen und die Beteiligten mit Verfügung des Berichterstatters vom 13. Juni 2019 zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Entschädigungsklage gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid. Diese Entscheidungsform ist trotz der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landessozialgerichts (LSG) für Entschädigungsklagen nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zulässig, da § 201 Abs. 2 GVG für derartige Klagen die entsprechende Anwendung der jeweiligen prozessrechtlichen Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug anordnet (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 8/14 B - juris Rn. 8). Die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher gehört worden sind.

Die zulässige, insbesondere innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG erhobene Entschädigungsklage ist lediglich im Sinne einer Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer begründet.

Nach § 198 Abs. 1 GVG, welcher gemäß § 202 S. 2 SGG für das sozialgerichtliche Verfahren entsprechend gilt, wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren, welches lediglich eine einfach zu beantwortende Rechtsfrage zum Gegenstand hatte, hat mit einer Dauer von insgesamt vier Jahren und sieben Monaten auch unter Berücksichtigung der den Sozialgerichten nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris Rn. 32 m. w. N.). regelmäßig zukommenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten unangemessen lang gedauert. In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, dass die Klage - wie noch auszuführen sein wird - von vornherein erkennbar aussichtlos war. Der von den Gerichten bei ihrer Verfahrensgestaltung zu beachtende Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verbietet es, im Nachhinein das Ergebnis des Verfahrens so zu behandeln, als hätte es von Anfang an festgestanden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R - juris Rn. 31). Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, ist der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auch bei substanzlosen Klagen verletzt. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen von Anfang an unbegründet war, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und ggf. gemäß § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1 GVG lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 - juris Rn. 16; so im Ergebnis auch Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - juris Rn. 62 ff.). So liegt der Fall auch hier, so dass die genaue Festlegung der Verzögerungsmonate (vgl. zu den Prüfungsschritten insoweit BSG a. a. O. juris Rn. 26 ff.), welche nur für die Höhe des Entschädigungsanspruchs relevant wäre, entbehrlich ist.

Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist vorliegend nicht widerlegt, insbesondere nicht durch den Umstand, dass der Kläger als Rechtsanwalt berufsmäßig mit der Führung von gerichtlichen Verfahren befasst ist. Denn vorliegend handelte es sich nicht um die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit und auch nicht um die Verfolgung von Gebührenansprüchen für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, vielmehr war der Kläger in eigener Sache tätig. In einem solchen Fall kann einem Rechtsanwalt ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer nicht mit dem Argument verwehrt werden, eine psychische Belastung durch die Ungewissheit über den Verfahrensausgang sei aufgrund seines Berufs auch bei eigener Betroffenheit ausgeschlossen. Eine solche Sichtweise würde die Berufsgruppe der Rechtsanwälte generell von Entschädigungsansprüchen nach § 198 GVG ausschließen.

Für den durch die unangemessene Verfahrensdauer entstandenen Nachteil kann indes nach § 198 Abs. 2 S. 2 SGG Entschädigung nur beansprucht werden, wenn nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer nach Abs. 4, möglich ist. Eine derartige Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch kann etwa dann gerechtfertigt sein, wenn die Klage unschlüssig, d. h. bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar unbegründet war. Denn die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in solchen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Aussichtslosigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine sonstigen Nachteile verbunden (vgl. BFH a. a. O. Rn. 62, 64 f.). So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Es erschließt sich bereits der zum Ausgangsverfahren führende Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Bundesagentur vom 6. Februar 2014 nicht. Denn mit jenem Bescheid wurde in Verbindung mit dem am selben Tag erlassenen Bewilligungsbescheid dem Widerspruch des Klägers gegen den ursprünglichen Ablehnungsbescheid abgeholfen. Der Kläger war durch den Abhilfebescheid mithin nicht beschwert. Wenn er gleichwohl Widerspruch einlegte, kann dies nur seinem Gebühreninteresse im Hinblick auf § 63 Abs. 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geschuldet gewesen sein. Dementsprechend hat der Kläger im Klageverfahren S 21 AL 31/14 auch nur noch seinen Kostenerstattungsanspruch weiterverfolgt, welcher indes für jeden Rechtskundigen erkennbar offensichtlich nicht bestanden hat. Ein Anspruch auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahren besteht nach der Grundregel des § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X, wenn der Widerspruch erfolgreich ist. Erfolgreich wäre der Widerspruch des Klägers nur dann gewesen, wenn die Bundesagentur den angefochtenen Bescheid vom 6. Februar 2014 aufgehoben hätte. Damit wäre indes die ursprüngliche Bescheidlage - Ablehnung des Antrags des Klägers auf Arbeitslosengeld - wiederhergestellt worden, was weder erfolgt ist noch dem Interesse des Klägers entsprochen hätte. Auch auf § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X konnte der Kläger seinen Kostenerstattungsanspruch erkennbar nicht stützen, denn sein Widerspruch hatte nicht nur deshalb keinen Erfolg, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich war. Vielmehr war der Widerspruch schon deshalb zurückzuweisen, weil der Kläger - wie ausgeführt - durch den angefochtenen Bescheid überhaupt nicht beschwert war und sein Widerspruch sich damit als unzulässig darstellte. Dessen ungeachtet lag offenkundig auch keine Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift vor, insbesondere keine Verletzung der Begründungspflicht des § 35 SGB X. Einer Begründung des Verwaltungsakts bedarf es nach § 35 Abs. 2 Nr. 1 SGB X nicht, wenn die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt. Hier hatte die Bundesagentur dem Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld stattgegeben. Ferner bedarf ein Verwaltungsakt auch dann keiner Begründung, wenn dem Betroffenen die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist. Der Kläger hatte seinen vorangegangenen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid begründet. Wenn die Bundesagentur ihm daraufhin das beantragte Arbeitslosengeld bewilligte, beruhte dies für den Kläger ohne weiteres erkennbar darauf, dass sie der Widerspruchsbegründung gefolgt war. Soweit der Kläger gleichwohl eine Begründung des Bescheides benötigte, hätte er diese nach § 35 Abs. 3 SGB X innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe verlangen können, ohne dass es hierfür der Einlegung eines - unzulässigen - Widerspruchs bedurfte.

Substanzlose Klagen wie die hier in Rede stehende, welche unter Ausnutzung der Gerichtskostenfreiheit sozialgerichtlicher Verfahren erhoben werden, tragen maßgeblich zur Überlastung der Sozialgerichte bei und führen dazu, dass anderen Rechtssuchenden der ihnen zukommende Rechtsschutz oftmals nur mit erheblicher Verzögerung gewährt werden kann. Es ist vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt, die Erhebung derartiger Klagen, die von den Sozialgerichten zu Recht nicht vorrangig bearbeitet werden, mit der Zuerkennung von Entschädigungsansprüchen für eine überlange Verfahrensdauer zu honorieren. Das Vorbringen des Klägers zu seiner angespannten wirtschaftlichen Lage, welches der Senat als wahr unterstellt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zutreffend weist der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Ausgangsverfahren lediglich eine Forderung in Höhe von 380,80 EUR im Streit stand, so dass die berufliche Existenz des Klägers nicht von dem Ausgang des Verfahrens abhängig gewesen sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn - wie hier - zwar kein Entschädigungsanspruch besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird. Im Hinblick auf den Umstand, dass die im Ausgangsverfahren erhobene Klage - wie ausgeführt - zu denjenigen gehört, welche geeignet sind, die Sozialgerichte von der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe abzuhalten, entspricht es der Billigkeit, dem Kläger die Kosten für das Entschädigungsklageverfahren aufzuerlegen.

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 3 S. 1 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.