Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.08.2019, Az.: L 6 U 78/18

Anerkennung eines Arbeitsunfalls; Mitgliedschaft in einem Verein; Beruhen einer Tätigkeit auf Mitgliedspflichten

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.08.2019
Aktenzeichen
L 6 U 78/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 43231
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 23.04.2018 - AZ: S 62 U 58/16

Fundstelle

  • NWB 2019, 3055

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Mitgliedschaft in einem Verein steht der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses und damit einer versicherten Tätigkeit wie ein Beschäftigter nicht entgegen.

2. Unfallversicherungsschutz besteht nicht, wenn der Grund der verrichteten Tätigkeit auf Mitgliedspflichten beruht.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 23. April 2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Der im Jahr 1959 geborene Kläger verunglückte als Mitglied des Segelflugvereins E. eV, dem er seit dem Monat Juli 2013 angehört, am 27. Dezember 2014 beim Fällen eines Baumes auf dem Vereinsgelände. Dabei erlitt er ein Polytrauma (s im Einzelnen den Befundbericht der Zentralen Notaufnahme und den Verlegungsbrief vom 12. Januar 2015 der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Neurotraumatologie des Allgemeinen Krankenhauses Celle). Die Ehefrau des Klägers zeigte der Beklagten den Unfall telefonisch an. Der dritte Vorsitzende F. des E. eV teilte in der E-Mail vom 18. Februar 2015 mit, die Baumfällarbeiten seien zur Erhaltung der Betriebssicherheit des Geländes notwendig gewesen. Jedes Mitglied müsse eine bestimmte Anzahl Baustunden ableisten, der Unfall habe sich bei einer derartigen Tätigkeit ereignet. Der Kläger habe jedoch nicht regelmäßig Baumfällarbeiten durchgeführt, sondern wie jedes Mitglied verschiedene Tätigkeiten, die zum gegebenen Zeitpunkt notwendig gewesen seien. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 bat der Kläger die Beklagte um Prüfung der Eintrittspflicht dem Grunde nach: Er habe als Vereinsmitglied gemeinschaftlich mit einem Vereinskameraden in Erledigung von satzungsgemäßen Arbeitsstunden einen Baum gefällt. Der zweite Vorsitzende G. konkretisierte in der Unfallanzeige vom 13. Juli 2015, dass der Kläger zwei Stunden tätig gewesen wäre und dass bei seiner Verhinderung ein anderes Vereinsmitglied die Tätigkeit ausgeübt hätte. In der auf der Mitgliederversammlung am 24. März 2006 geänderten Baustundenregelung sind der Umfang der Baustunden und die zu zahlenden Sätze für nicht geleistete Baustunden geregelt. Als Baustunden sind genannt:

- Werkstatt-, Platz-, Hallenarbeiten sowie Arbeiten an Aufenthaltsräumen - - Mähen und Walzen des Platzes - - Fallschirme packen - - Flugzeug- und Fahrzeugwartung sowie Kontrollen - - Heimarbeiten, die mit dem Werkstattleiter oder dem Vorstand abgesprochen sind - - Theoriestunden der Fluglehrer - - Flugleiter- und Fluglehrerdienst lt Dienstplan. Pro eingeteiltem Tag max 5 Stunden. - - Wegebau und Neubauarbeiten. - Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. August 2015 die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab, weil es sich bei den Baumfällarbeiten um eine mitgliedschaftliche Verpflichtung gehandelt habe.

Im Widerspruchsverfahren zog sie zunächst die Akten der Staatsanwaltschaft G. zu der Strafanzeige gegen den Beigeladenen wegen fahrlässiger Körperverletzung bei. Nach der Einlassung des Beigeladenen gegenüber Polizeioberkommissar H. am 15. Januar 2015 wurde am Unfalltag ein Baum gefällt, der die Start- und Landebahn beeinträchtigte. Der Beigeladene führte aus: "Im Winter schneiden wir regelmäßig die Bäume um unser Gelände wieder zurück. Da arbeiten unterschiedliche Personen aus dem Verein mit." Der Kläger sollte den Beigeladenen, der jedes Jahr mehrere Bäume fällt, durch die Bedienung eines Greifzuges unterstützen. Abgesprochen war, dass sich der Kläger beim Fallen des Baumes entfernt. Trotzdem wurde er beim Fallen des Baumes von einem starken Ast am Kopf getroffen. Der Beigeladene gab an, sich nicht erklären zu können, wie das passiert sei. In dem von der Beklagten übersandten Fragebogen gab der zweite Vorsitzende des E. eV I. am 17. Februar 2016 an: Der Segelflugplatz bestehe über 40 Jahre und müsse hinsichtlich des Bewuchses regelmäßig freigeschnitten werden. Pro Jahr würden ungefähr 5 Bäume gefällt. Die Baumfällarbeiten führten neben ihm und dem Beigeladenen durch: "J., K., L., M., N. uvm". Bei den Baumfällarbeiten seien immer zwei bis drei Vereinsmitglieder anwesend. Nach dem Unfall seien die Baumfällungen fremdvergeben worden. Der am 27. Dezember 2014 gefällte Baum habe in der Ebene gestanden, ungefähr 5 m neben einem Hang. Die in der Baustundenregelung aufgeführten "Platzarbeiten" und "Wegearbeiten" umfassten: "Schlaglöcher auffüllen, Wege abschleppen und Walzen, Löcher im Platz auffüllen (nach dem Besuch von Wildscheinen), Maulwurfhügel abtragen, Platz walzen, Mähen, Büsche zurückschneiden, Bäume fällen und zersägen". Anschließend wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Der Kläger habe die unfallbringende Tätigkeit im Rahmen von mitgliedschaftlichen Verpflichtungen ausgeführt und diese Tätigkeiten begründeten keinen Versicherungsschutz. Die Mitglieder des E. eV seien durch Satzung und Vereinsbeschluss verpflichtet Baustunden abzuleisten. Dazu gehörten auch das Fällen und Zersägen von Bäumen. Entsprechende Tätigkeiten fielen regelmäßig an.

Dagegen richtet sich die am 13. Mai 2016 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobene Klage. Der Kläger hat die Ansicht geäußert, er sei wie ein Beschäftigter am Unfalltag tätig gewesen und erfülle deshalb die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes. Zwar sei er zu Baustunden verpflichtet gewesen. Die unfallbringende Tätigkeit habe aber eine derart hohe technische Qualifikation an das betreffende Vereinsmitglied gestellt, dass man nicht allein auf die Vereinsbeschlüsse abstellen könne. Vergleiche man die zum Unfall führende Tätigkeit von Baumfällarbeiten mit den übrigen im Rahmen der Baustunden auszuführenden Arbeiten der Platzpflege stelle man fest, dass die Tätigkeit einer Baumfällung aus den anderen Tätigkeiten weit herausrage, weil sie von besonderer Gefahr auch für das ausführende Vereinsmitglied sei.

Das SG ist der Auffassung der Beklagten gefolgt und hat die Klage durch Urteil vom 23. April 2018 abgewiesen: Der Kläger sei als Vereinsmitglied aufgrund der Verpflichtung zur Ableistung von Baustunden tätig geworden. Die Baumfällarbeiten fielen unter die in der Baustundenregelung aufgeführten "Platzarbeiten" und "Wegebauarbeiten".

Gegen die am 3. Juli 2018 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 1. August 2018 Berufung eingelegt. Er hat seine Auffassung vertieft, dass das Fällen des Baumes am Unfalltag nicht unter die Baustundenregelung falle und deshalb Versicherungsschutz begründe: Am Unfalltag seien nicht lediglich Buschwerk oder einfaches Schwachholz zu beseitigen gewesen. Vielmehr habe er bei der Beseitigung eines massiven Baumes, der über 10 m hoch gewesen sei, geholfen. Er sei vollkommen unerfahren und vollständig von den Weisungen des Beigeladen abhängig gewesen, die er exakt befolgt habe. Für den Beigeladenen, der regelmäßig mit der Motorsäge arbeite, allerdings über keinen Motorsägeschein verfüge, sei es klar gewesen, dass er selbst im Rahmen der Baustunden tätig geworden sei und dazu der Hilfe anderer Vereinsmitglieder bedurfte. Er - der Kläger - habe sich auf Anfrage spontan bereit erklärt. Der 9. Senat des Gerichts habe durch Urteil vom 31. Mai 2011 (L 9 U 245/08) Versicherungsschutz eines Mitglieds eines Angelsportvereins bei Baumfällarbeiten bejaht, das als Fällhelfer von einer Baumkrone verletzt wurde. Genau so liege der Fall hier.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des SG Braunschweig vom 23. April 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2016 aufzuheben, 2. 3. die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 27. Dezember 2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 23. April 2018 zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Beschluss des Vorsitzenden vom 11. Dezember 2018 O., der den Baum, der den Kläger verletzte, fällte und deshalb von diesem wegen Schadensersatz in Anspruch genommen wird, zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene teilt die Auffassung des Klägers und beantragt,

1. das Urteil des SG Braunschweig vom 23. April 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2016 aufzuheben, 2. 3. festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 27. Dezember 2014 ein Arbeitsunfall ist.

Der Senat hat die Beteiligten darauf aufmerksam gemacht, dass er beabsichtige, das Rechtsmittel durch Beschluss zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, die Kläger und Beigeladener genutzt haben.

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Ihr Inhalt ist Grundlage der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit insgesamt zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen, § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Begehren des Klägers auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Rahmen einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 und 4 SGG ist nach BSGE 108, 274 [BSG 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R] zulässig. Demgegenüber ist der Leistungsantrag ohne eigenständige Bedeutung, auf ein unbestimmtes unechtes Grundurteil ohne vollstreckungsfähigen Inhalt gerichtet und deshalb schon unzulässig. Jedenfalls ist die Klage unbegründet. SG und Beklagte haben zutreffend einen Versicherungsschutz aufgrund der mitgliedschaftlichen Verpflichtungen des Klägers verneint.

Zwar schließt die Mitgliedschaft in dem E. eV die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht und damit auch nicht eine versicherte Tätigkeit wie ein Beschäftigter iSd § 2 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - aus. Ein Versicherungsschutz entfällt jedoch, wenn der Grund der verrichteten Tätigkeit auf Mitgliedspflichten beruht (st Rspr, zB BSG Urteil vom 13. August 2002 - B 2 U 5/02 R - juris Rn 26). Das ist hier der Fall.

Entscheidend für die Beurteilung ist die Vereinswirklichkeit, in der Satzung, Organbeschlüsse und allgemeine Vereinsübung übereinstimmen (näher hierzu Kruschinsky in Krasney SGB VII - Komm § 2 Rn 859 ff). Ausweislich der im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskünfte des E. eV ist der Kläger im Rahmen der beschlossenen Baustundenregelung tätig geworden. Die Festsetzung von Baustunden fällt nach § 14 Nr 3 der Satzung in die Befugnisse der Mitgliederversammlung. Nach der von der Jahresmitgliederversammlung beschlossenen Baustundenregelung haben alle Mitglieder, die fliegen, Baustunden zu leisten. Vollaktive vollzahlende Mitglieder leisten 60 Stunden jährlich. Die Arbeiten am Unfalltag umfassten zwei Stunden. Die Bedeutung dieser mitgliedschaftlichen Verpflichtung wird durch die zu zahlenden Sätze je nicht geleisteter Baustunde unterstrichen. Auf Nachfrage der Beklagten hat der zweite Vorsitzende G. mitgeteilt, dass das jährliche Fällen von ungefähr fünf Bäumen unter die Baustundenregelung fiel und von einer Vielzahl von Personen verrichtet wurde. Namentlich benannt hat er sieben Vereinsmitglieder. Zudem ist diese Auflistung nicht abschließend, wie aus dem Zusatz "uvm" hervorgeht. Im Übrigen ist auch die Motivation des Klägers am Unfalltag gewesen, "in Erledigung von satzungsgemäßen Arbeitsstunden" (Schriftsatz vom 18. Juni 2015) tätig zu werden.

Das unterscheidet diesen Sachverhalt von dem, der dem Urteil des 9. Senats des Gerichts vom 31. Mai 2011 (L 9 U 245/08) zugrunde lag und der das Fällen von vier größeren Bäumen zum Gegenstand hatte. Dort wurden die Arbeiten üblicherweise von einem erfahrenen Vorstandsmitglied allein verrichtet. Der Kläger in dem entschiedenen Rechtsstreit hatte sich spontan bereit erklärt zu helfen. Er war - anders als in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt - nicht aufgrund von Vereinsbeschlüssen und nicht aufgrund allgemeiner Vereinsübung tätig geworden.

Vor diesem Hintergrund ist die unfallbringende Tätigkeit des Klägers mitgliedschaftlich und nicht arbeitnehmerähnlich geprägt gewesen. Allein die vom Kläger und Beigeladenen vertieft geschilderte Gefährlichkeit und auch eine erforderliche besondere Fachkunde vermögen Versicherungsschutz nicht zu begründen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 123, s auch die og Entscheidung des 9. Senats des Gerichts juris Rn 31).

Die Kostenentscheidung, die auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen erfasst, folgt aus § 193 SGG.

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegt nicht vor. -