Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2019, Az.: L 7 AL 124/18

Einhaltung der Antragsfrist für den Anspruch auf Zahlung von Saison-Kurzarbeitergeld; Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten; Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.08.2019
Aktenzeichen
L 7 AL 124/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 41907
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 24.07.2018 - AZ: S 4 AL 108/16

Fundstelle

  • info also 2020, 31-32

Redaktioneller Leitsatz

1. Kurzarbeitergeld ist innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen; der Antrag wird als Willenserklärung wirksam, wenn er der Arbeitsagentur zugeht.

2. Ein Antragsteller trägt ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung und weil es sich insoweit um eine Ausschlussfrist handelt, ist bei Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts OIdenburg vom 24. Juli 2018 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Saison-Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen für die Monate Januar und Februar 2016. Streitig ist die Einhaltung der Antragsfrist.

Die Klägerin betreibt in F. ein Bauunternehmen und erhält seit Jahren wiederholt für die Wintermonate Saison-Kurzarbeitergeld von der Beklagten. Für den Monat Januar 2016 beantragte die Klägerin für 66 Arbeitnehmer mit Erstantrag vom 12. April 2016, erstem Korrekturantrag vom 10. Mai 2016 und zweitem Korrekturantrag vom 11. Mai 2016 Saison-Kurzarbeitergeld, Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für umlagepflichtige Arbeitnehmer, Mehraufwand-Wintergeld und Zuschuss-Wintergeld in Höhe von insgesamt 46.145,12 Euro. Für den Monat Februar 2016 beantragte sie für 69 Arbeitnehmer mit Erstantrag vom 12. April 2016 und Korrekturantrag vom 10. Mai 2016 dieselben Leistungen in Höhe von insgesamt 37.312,02 Euro. Nach Angaben der Beklagten gingen alle fünf Anträge zusammen mit dem Leistungsantrag für den Monat März 2016 am 2. Juni 2016 bei der Agentur für Arbeit F. ein und wurden vom Dienstleister in G. am 3. Juni 2016 eingescannt.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2016 lehnte die Beklagte die Zahlung von Saison-Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen für die Abrechnungsmonate Januar und Februar 2016 ab, weil die dreimonatige Antragsfrist des § 325 Abs. 3 SGB III nicht eingehalten worden sei. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil die Anträge jeweils zwei/drei Tage nach der Unterzeichnung durch die Geschäftsführung und den Betriebsrat zur Post aufgegeben worden seien und somit ihr Haus fristgerecht verlassen hätten. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 5. August 2016 hat die Klägerin beim Sozialgericht Oldenburg Klage erhoben. Sie trägt vor, dass die Mitarbeiterin H. die Leistungsanträge für Januar und Februar 2016 am 13. April 2016 nach Unterzeichnung durch den Geschäftsführer und den Betriebsrat zur Deutschen Post aufgegeben habe, die unter Zugrundelegung einer üblichen Postlaufzeit von maximal drei Tagen spätestens am 16. April 2016 bei der Beklagten eingegangen sein müssten. Auch die korrigierten Anträge seien von der Mitarbeiterin I. unverzüglich zur Post gegeben worden. Auf den Zeitpunkt des Einscannens dürfe nicht abgestellt werden. Die Anträge seien nicht mit einem Eingangsstempel versehen. Gleichwohl seien sie fristgerecht in den Machtbereich der Beklagten gelangt.

Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, dass der Absender das Risiko trage, wenn Anträge beim Empfänger verspätet eingingen.

Das Sozialgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 24. Juli 2018 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin für die Monate Januar und Februar 2016 antragsgemäß Saison-Kurzarbeitergeld zu zahlen. In den Gründen hat es ausgeführt, dass vorliegend eine Beweislastumkehr stattfinde und die Beklagte beweisen müsse, dass die Leistungsanträge für Januar und Februar 2016 nicht fristgemäß eingegangen seien. Denn die Anträge seien an die Anschrift der Beklagten in F. adressiert gewesen und dort auch eingegangen. Die Beklagte habe jedoch keinen Eingangsstempel verwendet. Es könne nicht festgestellt werden, wann die Antragsformulare von F. nach G. verbracht worden seien. Dieser Beweis wäre nur mittels eines Eingangsstempels zu erbringen, der im vorliegenden Falle jedoch gerade fehle. Für die Kammer sei ferner maßgebend, dass in der Vergangenheit kein Antrag auf Saison-Kurzarbeitergeld von der Klägerin verfristet gestellt worden sei.

Gegen das am 7. August 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. August 2018 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ein früherer Zugang als am 2. Juni 2016 sei nicht nachweisbar. An diesem Tage seien die Anträge im Bürogebäude in F. eingegangen, als Tagespost unmittelbar weitergeleitet und am 3. Juni 2016 beim Scanzentrum in G. mit dem Eingangsdatum 2. Juni 2016 eingescannt worden. Anders als Tagespost, die unmittelbar bei der Beklagten eingehe und von ihr weitergeleitet werde, unterscheide man die sogenannte "Routingpost". Wenn der Absender die Beklagte über eine bestimmte Postleitzahl anschreibe, werde die Sendung durch die Post unmittelbar an den Scandienstleister weitergeleitet und noch am gleichen Tage eingescannt. Entgegen der Spekulation der Klägerin benutze die Beklagte weiterhin Eingangsstempel. Diesen Eingangsstempel erhielten alle Posteingänge außer der scanfähigen Tagespost, die unmittelbar an den Scandienstleister weitergeleitet und von diesem mit dem Eingangsdatum bei der Beklagten versehen werde. Dies gehe aus den aufgedruckten Scandaten oben rechts auf dem jeweiligen Dokument hervor. Eines zusätzlichen Stempels bedürfe es nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Juli 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen, dass die Anträge jeweils zeitnah am Unterschriftsdatum und nicht alle zusammen kurz vor dem 2. Juni 2016 versandt worden seien, was durch die Mitarbeiterin H. bewiesen werden könne. Eine eingetretene Verspätung müsse zu Lasten der Beklagten gehen. Insbesondere auf Grund der ungewöhnlichen Organisation einer Zusammenarbeit mit einem Scanunternehmen, an das jedes Dokument weitergeleitet werde, spreche jede Lebenswahrscheinlichkeit dafür, die vermeintliche Eingangsverzögerung auf unsachliche Gründe zurückzuführen, die sämtlich in der Risikosphäre der Beklagten lägen. Es wäre der Klägerin schlichtweg nicht zuzumuten, das Risiko von Organisationsfehlern zu tragen. Dadurch, dass die Beklagte keine Eingangsstempel mehr im eigentlichen Sinne verwende, müsse sie auch beweisen, dass die Anträge nicht rechtzeitig eingegangen seien. Es liege der Verdacht nahe, dass gegebenenfalls aus Kostengründen Schriftverkehr mit bestimmten Adressaten zunächst gesammelt und dann gemeinsam zum Scanzentrum weitergegeben werde. Der Scanaufdruck mit dem Datum könne nicht wie ein Eingangsstempel behandelt werden. Der Aufdruck werde erst auf Grundlage eines Auftragsblattes erstellt, das nach Gutdünken der Behörde gefertigt werde. So biete der Aufdruck nicht im Ansatz den Beweiswert eines gewöhnlichen Eingangsstempels. Der Beweiswert des Aufdruckes werde außerdem dadurch geschmälert, dass er erst im Scanzentrum und gerade nicht in der maßgeblichen Behörde aufgebracht werde. Unabhängig von der Behandlung als Tages- oder Routingpost bestehe höchste Rechtsunsicherheit. So wisse der Absender eines Schriftstücks an die Behörde nicht, woran er erkennen könne, ob das Schriftstück fristgemäß eingegangen sei. Nur ein gewöhnlicher Eingangsstempel könne für Rechtssicherheit sorgen. Die im Belieben der Behörde stehende Vorgehensweise verunmögliche außerhalb förmlicher Zustellungen den sicheren Nachweis rechtzeitiger Eingänge. Wegen des vollständigen Sachverhaltes und des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung des Urteils vom 24. Juli 2018 und zur Klageabweisung. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Klägerin stehen für Januar und Februar 2016 kein Saison-Kurzarbeitergeld und keine ergänzenden Leistungen zu. Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III sind Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 SGB III für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen; die Frist beginnt mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die die Leistungen beantragt werden. Der Antrag wird als Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er der Arbeitsagentur zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Antragsteller trägt somit ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 21. Februar 1993 - 7 RAr 74/89 -, SozR 3-4900 § 81 Nr. 1, juris Rdnr. 30). Wegen des Charakters als Ausschlussfrist kommt bei Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 5. Februar 2004 - B 11 AL 47/03 R -, SozR 4-4300 § 325 Nr. 1). Die Klägerin hat die Frist gemäß § 325 Abs. 3 SGB III nicht eingehalten. Diese endet mit Ablauf des dritten Monats nach Ablauf des Anspruchszeitraums, also für Januar 2016 am 30. April 2016 und für Februar 2016 am 31. Mai 2016. Die Anträge der Klägerin für beide Abrechnungsmonate sind aber verspätet erst am 2. Juni 2016 eingegangen. Einen früheren Zugang kann der Senat nicht feststellen. Das Eingangsdatum geht aus dem Aufdruck oben rechts auf dem eingescannten Dokument sowie aus dem Scanprotokoll hervor. Die Anträge enthalten oben den Aufdruck "20160602- HHCDT- (sowie eine fortlaufende Dokumentennummer)". Die Zahlenfolge 20160602 steht für den 2. Juni 2016. Die Buchstabenfolge HHCDT bedeutet, dass das Dokument im Scanzentrum G. (HH) als Tagespost (DT) mit einer internen Kennzeichnung des Scandienstleisters (D) unter einer fortlaufenden Nummer eingescannt wurde. Das Scanprotokoll beweist, dass dieses Dokument als Tagespost bei der Agentur für Arbeit am 2. Juni 2016 eingegangen ist und vom Scandienstleister am 3. Juni 2016 um 13:10 Uhr eingescannt wurde. Es wäre nunmehr Aufgabe der Klägerin gewesen, einen konkreten Vorgang darzulegen und zu beweisen, dass die Anträge fristgerecht bei der Beklagten eingegangen sind. Das ist ihr nicht gelungen. Insofern kann der Senat offenlassen, ob jede Lebenswahrscheinlichkeit dafürspreche, dass häufiger Fehler auftreten würden, wenn nicht die Behörde selbst die Schriftstücke einscanne, sondern ein externer Dienstleister bzw. ob die Vermutung der Klägerin zutreffe, dass aus Kostengründen Anträge bestimmter Antragsteller gesammelt und erst später zum Scanzentrum weitergeleitet würden. Jedenfalls geben die allgemein gehaltenen Ausführungen der Klägerin keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen oder rechtfertigen diese sogar eine Umkehr der Beweislast. Im Übrigen würde die vom Sozialgericht befürwortete Lösung im Ergebnis bedeuten, dass seit der Umstellung auf die elektronische Aktenbearbeitung (demnächst auch bei Gerichten) jede Fristversäumnis unschädlich wäre, wenn die Behörde sich nicht auf das eingescannte Eingangsdatum berufen darf, sondern einen anderen Zugangsnachweis erbringen müsste. Eine Vernehmung der Mitarbeiterin H. über die Modalitäten, wann genau sie welchen Antrag abgesandt hat, ist nicht entscheidungserheblich. Klärungsbedürftig ist lediglich, an welchem Tag der Antrag bei der Beklagten eingegangen ist. Der Erklärende kann sich nicht für den Zugang auf einen Anscheinsbeweis berufen, weil allein der Nachweis der Absendung hierfür nicht ausreicht (Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. Januar 1978 - IX ZR 204/75 - juris Rdnr. 32; Oberlandesgericht München, Urteil vom 11. August 2003 - 29 W 1912/03 -, juris Rdnr. 29). Für den Nachweis des rechtzeitigen Zugangs genügt der Nachweis der Absendung schon deshalb nicht, weil aufgegebene Sendungen teilweise mit erheblicher Verzögerung den Adressaten erreichen. Wenn die Klägerin sich dabei eines postalischen Beförderungsweges bedient, muss sie unabhängig von dem Tag der Abgabe zur Post beweisen, dass der Antrag rechtzeitig eingegangen ist. Dies unabhängig davon, ob auf dem Antrag ein herkömmlicher Stempel oder ein Scanaufdruck aufgebracht wird. Genauso wenig wie die Klägerin vor Einführung der elektronischen Akte von einer Behörde verlangen durfte, dass diese als Nachweis für den Antragsteller irgendwelche Stempel aufbringen muss, kann sie jetzt nicht erwarten, dass anlässlich der elektronischen Aktenbearbeitung irgendwelche Vorkehrungen getroffen werden, damit der Absender von der ihm obliegenden Pflicht eines rechtzeitigen Zugangsnachweises befreit werden kann. Die Klägerin hat folglich nicht bewiesen, dass ihre Anträge vor Ablauf der dreimonatigen Frist aus § 325 Abs. 3 SGB III eingegangen sind. Im Einzelfall kann die Berufung auf den Fristablauf durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich sein, wenn zum Beispiel die Einhaltung der Ausschlussfrist für die Verwaltung von geringerer Bedeutung ist und ganz erhebliche langfristig wirkende Interessen des Antragstellers auf dem Spiel stehen (ausführlich: Radüge in Hauck/Noftz, SGB III Kommentar, § 325 Rdnr. 15). Derartige Umstände werden vorliegend von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Gegen eine wirtschaftliche Überforderung der Klägerin als Folge der Nichtgewährung der beantragten Leistungen spricht der Umstand, dass sie das Saison-Kurzarbeitergeld, das sie pünktlich im jeweiligen Monat an die Arbeitnehmer vorab auszahlen musste, nicht - wie bei anderen Arbeitgebern üblich - sofort, sondern nach eigenen Angaben erst circa zweieinhalb Monate später beantragt und in den folgenden Wochen auch nicht bei der Beklagten nachgefragt hat, wo das Geld bleibe. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da die Klägerin unterliegt, muss sie für ihre außergerichtlichen Aufwendungen in beiden Rechtszügen selbst aufkommen. Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. -