Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.08.2019, Az.: L 15 P 14/18

Aufhebung eines Widerspruchsbescheides; Zurücknahme eines Verwaltungsaktes; Benennung des zurückgenommenen Bewilligungsbescheides

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.08.2019
Aktenzeichen
L 15 P 14/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 42226
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 21.02.2018 - AZ: S 29 P 2/17

Redaktioneller Leitsatz

1. Wird ein Verwaltungsakt gem. § 45 Abs. 1 SGB X zurückgenommen, muss der betroffene Bewilligungsbescheid, der Gegenstand der Rücknahme ist, benannt werden.

2. Dies gilt auch deshalb für Verwaltungsakte der Pflegeversicherung, weil es ohne die Nennung des aufgehobenen Bescheides an einem Verfügungssatz fehlt, der jedoch Bestandteil eines jeden Verwaltungsaktes zu sein hat.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichtes Hannover vom 21. Februar 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, ihren Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 aufzuheben. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten, statt Sachleistungen nur noch Pflegegeld zu gewähren.

Die am H. geborene Klägerin erlitt im Dezember 2005 eine Hirnblutung, die im Wesentlichen folgende Schäden hinterließ: eine spastische Tetraparese, starke kognitive Einschränkungen, eine Harn-Inkontinenz mit Dauerblasenkatheter sowie eine Stuhlinkontinenz. In einem Gutachten vom 4. Januar 2007 schätzte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 138 Minuten ein. Die Beklagte gewährte daraufhin der Klägerin Leistungen entsprechend der Pflegestufe II in Form von Pflegegeld. Die Klägerin befand sich danach im I. in vollstationärer Pflege. Da die Klägerin und ihr Ehemann mit der dortigen Situation unzufrieden waren, erkundigten sie sich bei der Beklagten, welche Möglichkeiten es gebe, sie - die Klägerin - zu Hause zu pflegen. Mit Schreiben vom 17. November 2008 informierte die Beklagte die Klägerin über die Möglichkeit die Kosten einer Pflegekraft für Sachleistungen der Pflegestufe II bis zur Höhe von 980 EUR zu tragen. Nachdem die Klägerin am 1. Mai 2009 aus dem I. ausgezogen war, begutachtete der MDK sie am 15. Mai 2009 erneut und stellte einen täglichen Hilfebedarf von 155 Minuten für die Verrichtungen der Grundpflege fest. Mit Bescheid vom 20. Mai 2009 bestätigte daraufhin die Beklagte die Gewährung von Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe II (Pflegegeld).

Mit weiterem Bescheid vom 30. Juni 2009 bewilligte sie der Klägerin ab 2. Mai 2009 - zunächst bis zum 31. Dezember 2009 befristet - 980 EUR für die inzwischen von der Klägerin mit der Pflege beauftragte tschechische Pflegekraft nach Prüfung von ihrer Qualifikation. Diese Pflegerin wurde ihr über eine Agentur vermittelt, für die die Klägerin eine Vermittlungsgebühr zu zahlen hatte. In der Folge wurde sie weiterhin von J. Pflegerinnen, die über ihre Qualifikationen und Fortbildung Auskunft gaben, gepflegt. Sie wohnten stets in der häuslichen Umgebung der Klägerin. Am 16. Dezember 2014 beantragte die Klägerin die Gewährung von höheren Pflegeleistungen aufgrund erhöhten Pflegebedarfs. Am 13. Januar 2015 schätzte der MDK den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 195 Minuten ein. Mit Bescheid vom 16. Januar 2015 lehnte die Beklagte die Gewährung höherer Pflegeleistungen ab. Ihren Widerspruch vom 5. Februar 2015 begründete die Klägerin mit einem Pflegetagebuch.

Am 2. Juni 2015 begutachtete der MDK die Klägerin erneut und schätzte im Gutachten vom selben Tag den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 317 ein und bejahte außerdem die pflegerische Voraussetzung eines Härtefalls seit Dezember 2014. Mit Bescheid vom 4. Juni 2015 bewilligte die Beklagte daraufhin der Klägerin Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe III ab 1. Dezember 2014, im Umfang von 1.918 EUR monatlich als Sachleistung sowie Betreuungsleistungen i.H.v. 200 EUR monatlich. Das Bundesversicherungsamt rügte aufgrund einer Revisions-Prüfung die Bewilligung der Sachleistungen, weil die Beklagte mit den jeweils tätigen tschechischen Pflegefachkräften keinen Vertrag geschlossen habe. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 hörte daraufhin die Beklagte die Klägerin dazu an, dass beabsichtigt sei, ihr ab 1. November 2015 nur noch Pflegegeld statt Pflegesachleistungen zu zahlen. Zur Begründung wurde angeführt, dass die bisherige Gewährung von Sachleistungen deshalb nicht möglich sei, weil mit der Pflegerin K. kein Vertrag bestehe.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 entschied die Beklagte, der Klägerin ab 1. Januar 2016 nur noch Pflegegeld zu zahlen. Zur Begründung führte sie insbesondere an, die Voraussetzung für die Gewährung von Sachleistungen für die tschechischen Pflegefachkräfte hätten nie vorgelegen. In ihrem Widerspruch vom 15. Januar 2016 wies die Klägerin insbesondere daraufhin, dass sie von allen ambulanten Pflegediensten eine Absage für ihre Pflege erhalten habe. Eine sinnvolle pflegerische Betreuung sei daher nur über eine ständig im Haushalt lebende und immer anwesende Pflegekraft möglich. Der MDK schätzte in einem weiteren Gutachten vom 16. Februar 2016 den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege bei der Klägerin auf 350 Minuten ein und führte dabei insbesondere aus, die Hilfe sei bei mehreren Verrichtungen nur durch mehrere Pflegekräfte gleichzeitig durchführbar und es sei unrealistisch im vorliegenden Fall einen Pflegedienst einzusetzen, insbesondere auch deshalb, weil in der Nacht regelmäßig Hilfen zu leisten seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. In dem sich anschließenden Klageverfahren (S 29 P 87/16) nahm die Klägerin ihre Klage wegen Versäumens der Klagefrist zurück. Am 26. September 2016 beantragte sie bei der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 14. Dezember 2015. Mit Bescheid vom 24 Oktober 2016 wies die Beklagte den Antrag auf Rücknahme dieses Bescheides mit der Begründung zurück, sie habe den genannten Bescheid eingehend geprüft und könne dessen Rechtswidrigkeit nicht feststellen. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2016 zurückgewiesen.

Mit ihrer am 2. Januar 2017 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie angeführt, sie habe auf die Richtigkeit der Bewilligung von Sachleistungen für ihre tschechischen Pflegerinnen vertraut. Nachdem man sich mit der Beklagten vor deren Bewilligung von Sachleistungen intensiv über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgetauscht habe, habe für sie kein Anlass bestanden, an der Entscheidung der Beklagten zu zweifeln. Auch sei zu berücksichtigen, dass die erfolgte Entscheidung der Beklagten vom 14. Dezember 2015, d.h. die Umstellung von Sach- auf Pflegeleistungen - für sie eine unzumutbare Härte darstelle, da sie finanziell nicht in der Lage sei, die daraus entstehende Differenz selbst zu tragen. Ihr bliebe nur die Aufnahme in eine vollstationäre Einrichtung, gegen die sie sich jedoch nach ihren Erfahrungen im I. bewusst entschieden habe. Ihr Mann habe bereits die Lebensversicherung frühzeitig aufgelöst, um die Pflege nunmehr finanzieren zu können. Hilfsweise sei die Beklagte dazu zu verpflichten, für die von ihr ausgewählten J. Pflegerinnen jeweils Einzelverträge abzuschließen.

Mit Urteil vom 21. Februar 2018 hat das SG Hannover der Klage stattgegeben und zur Begründung folgendes angeführt: Die Entscheidung der Beklagten, ihren Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 auch nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht aufzuheben, sei rechtswidrig, denn die genannten Bescheide stünden nicht im Einklang mit § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Die Bewilligung von Sachleistungen für die von der Klägerin selbstorganisierte Pflege durch L. Pflegerinnen im Jahr 2008 sei rechtswidrig gewesen, da weder die Voraussetzungen des § 72 noch des § 77 SGB XI erfüllt gewesen seien. Auch genieße die Klägerin deshalb keinen Vertrauensschutz für das Behaltendürfen dieser Leistungen, weil bis zum Jahr 2015 eine hohe Überzahlung zu Gunsten der Klägerin aufgelaufen sei (ca. 60.000 EUR), je höher die unberechtigt erhaltene Leistung sei desto höher sei das allgemeine Interesse an der Richtigstellung der rechtswidrigen Entscheidung. Demgegenüber unterliege das Interesse der Klägerin an der fortgesetzten Zahlung der Pflegesachleistungen aus folgenden Erwägungen. Die Klägerin habe in den Jahren 2009 bis einschließlich November 2014 Sachleistungen i.H.v. - lediglich - 980 EUR erhalten und es sei ihr gelungen, über Jahre die häusliche Pflege durch die J. Pflegerinnen mit diesem Zuschuss zu finanzieren, da die Kosten seinerzeit für die Pflegerinnen ca. 1.700 EUR betragen hätten, hätten schon damals monatlich ca. 700 EUR durch die Klägerin zusätzlich finanziert werden müssen. Die Sachleistungen nach Maßgabe der Pflegestufe III/Härtefall seien ihr erst mit Bescheid vom 4. Juni 2015 (mit Wirkung ab 1. Dezember 2014) bewilligt worden und mit Wirkung zum 1. Januar 2016 aufgrund des streitigen Bescheides vom 14. Dezember 2015 wieder entzogen worden. Aufgrund des geringes Zeitraumes sei das Vertrauen der Klägerin nicht schutzwürdig. Der Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 erweise sich jedoch deshalb als rechtswidrig, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe. Auf diese Ermessensausübung könne vorliegend auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Beklagte die Gewährung der Sachleistungen zugunsten der Geldleistung (Pflegegeld) für die Zukunft zurückgenommen habe. Gegen das ihr am 9. März 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. März 2018 Berufung mit folgender Begründung eingelegt: Die vom SG ausgesprochene Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Wiederspruchbescheides vom 27. Juni 2016 sei deshalb rechtswidrig, weil dies nicht im Wege von § 44 SGB X geschehen könne. Das SG habe verkannt, dass der Klägerin nicht deshalb Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden seien, weil der genannte Rücknahmebescheid das Recht unrichtig angewandt habe. Denn der vom Gesetz geforderte Kausalzusammenhang bestehe immer nur dann, wenn die vorenthaltene Sozialleistung materiell zu Unrecht nicht erbracht worden sei. Denn § 44 SGB X diene ausschließlich der Herstellung materieller Gerechtigkeit. Vorliegend sei jedoch unstreitig, dass sich die Klägerin nicht auf einen materiell-rechtlichen Anspruch zur Gewährung von Sachleistungen für die Pflege durch ihre tschechischen Pflegerinnen berufen könne, sondern vielmehr diese Rechtsposition ihr unrechtmäßig durch eine rechtswidrige Bewilligung zugestanden worden sei. Durch die Entscheidung des SG werde mithin eine Rechtslage verfestigt, die nicht den Vorschriften des SGB XI entspreche. Sie vertritt außerdem die Auffassung, sie habe dadurch Ermessen ausgeübt, dass sie die für die Klägerin mildeste Form der Rücknahme gewählt habe, nämlich eine solche, die sich nur auf die Zukunft - statt auch auf die Vergangenheit beziehe. Dem Urteil des Bundessozialgerichtes zum Aktenzeichen B 9 V 16/96 R (vom 4. Februar 1998) sei zu entnehmen, dass einem Sozialleistungsberechtigten nur dann sogar eine unrechtmäßige Leistung verbleiben dürfte, wenn er Vertrauensschutz genieße. Dies habe das SG Hannover jedoch ausdrücklich verneint. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Februar 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das Urteil des SG Hannover im Ergebnis für zutreffend. Gravierende Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze lägen nicht vor. Sie habe auf die Richtigkeit der Gewährung von Sachleistungen für die von Ihr bestellten Pflegerinnen vertraut. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berichterstatterin konnte gem. § 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Verfahren ohne ehrenamtliche Richter entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des SG Hannover vom 21. Februar 2018 erweist sich als zutreffend. Denn zu Recht hat es den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2016 aufgehoben, weil die Ablehnung der Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 rechtswidrig ist. Rechtsgrundlage für die Überprüfung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 ist § 44 Abs. 1 SGB X. Diese Vorschrift besagt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. 1. Bei Erlass des Bescheides vom 14. Dezember 2015 (und des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016) wurde das Recht in folgender Hinsicht unrichtig angewandt. Dem genannten Bescheid mangelt es nach er Überzeugung des Senates an inhaltlicher Bestimmtheit. Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 45 Abs. 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, der im Recht begründet (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, insoweit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden darf als er rechtswidrig ist. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senates, dass bei einer Rücknahme eines Verwaltungsaktes gem. § 45 Abs. 1 SGB X, der betroffene Bewilligungsbescheid, der Gegenstand der Rücknahme ist, zu nennen ist (vgl. Urteil des Senates vom 17. Dezember 2013 Az.: L 15 AS 170/10 m.w.N.). Diese Rechtsprechung wurde zwar im Bereich der Hartz IV-Rechtsprechung entwickelt, gilt jedoch auch deshalb für Verwaltungsakte der Pflegeversicherung, weil ohne die Nennung des aufgehobenen Bescheides es an einem Verfügungssatz fehlt, der jedoch Bestandteil eines jeden Verwaltungsaktes zu sein hat (§ 31 S. 1 SGB X). Gegenstand des Bescheides vom 14. Dezember 2015 sollte wohl der letzte Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 4. Juni 2015 sein, mit dem sie der Klägerin ab 1. Dezember 2014 Sachleistungen entsprechend der Pflegestufe III bewilligte. Es handelte sich dabei um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne von § 45 Abs. 3 SGB X. Dieser Bewilligungsbescheid vom 4. Juni 2015 war auch rechtswidrig, weil die Klägerin nicht die für die bewilligte Sachleistung gem. § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XI erforderliche Voraussetzung erfüllte, nämlich einen ambulanten Pflegedienst mit der Pflege zu beauftragen. Vielmehr hat sie selbst Verträge mit Pflegerinnen abgeschlossen, dies entsprach nicht den Voraussetzungen des § 77 SGB XI (zunächst in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung), denn es fehlte insoweit an einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Beklagten und den jeweiligen Pflegerinnen. Auch hat die Beklagte diesen Bewilligungsbescheid in der nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X erforderlichen Frist von zwei Jahren, nämlich hier sechs Monate nach Erlass mit ihrem Bescheid vom 14. Dezember 2015 abgeändert. Der Senat ist darüber hinaus zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligung der Sachleistungen durch den Bescheid vom 4. Juni 2015 im Sinne von § 45 Abs. 2 SGB X vertraut hat. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dabei ist auf die Person des Ehemannes der Klägerin abzustellen, weil er die Betreuung hinsichtlich der Vermögenssorge für seine Frau seit 4. November 2008 innehatte (Amtsgericht Hannover - Vormundschaftsgericht - Az.: 671 XV 11 P 1786). Die Klägerin selbst litt zu dieser Zeit an starken kognitiven Einschränkungen. Der Ehemann der Klägerin, der für sie auch die Angelegenheiten mit der Beklagten regelte, vertraute auf die Richtigkeit der Bewilligung von Sachleistungen, seit dem ersten entsprechenden Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2009. Die darin zunächst befristete Sachleistung wurde danach mit Bescheid vom 28. Juli 2009 unbefristet fortgesetzt. Auch ein durch Antrag der Klägerin am 16. Dezember 2014 eingeleitetes Verwaltungsverfahren, in welchem die Höherstufung beantragt wurde, wurde von der Beklagten nicht genutzt, um die Gewährung der Sachleistung zu überprüfen. Insbesondere die vom Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Ereignisse bekräftigen die Annahme, dass der Ehemann der Klägerin auf die Richtigkeit der Bewilligung der Sachleistung vertraut hat. Danach gab es bereits Ende des Jahres 2008 und weiter auch im Jahr 2009 intensive Kontakte zwischen der Klägerseite und der Beklagten, nachdem die Klägerin nicht weiter im I., einer vollstationären Einrichtung, verbleiben wollte. Man suchte gemeinsam nach einer Lösung für die Pflege zu Hause, wobei die Klägerseite spätestens am 12. Juni 2009 auch ihre mit den J. Pflegerinnen abgeschlossenen Verträge an die Beklagte übersandt hat. Es liegt auch kein Fall des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X vor, wonach der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat. Dem Ehemann der Klägerin ist nach der Überzeugung des Senates nicht vorzuwerfen, dass er als ausgebildeter Elektroniker bzw. Elektro-Installateur und später Rettungssanitäter hätte wissen müssen, dass seiner Frau keine Pflege-Sachleistungen zustanden. Insbesondere ist ihm nicht vorzuhalten, dass er klüger als die Beklagte hätte sein müssen. Entgegen der Auffassung des SG Hannover ist das Vertrauen der Klägerin auf die Bewilligung von Sachleistungen auch schutzwürdig. Die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits und das durch den Erlass des fehlerhaften Verwaltungsaktes begründete Vertrauen des Begünstigten andererseits ergibt ein Überwiegen des letzteren. Zutreffend ist zwar, dass das öffentliche Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen bei Dauerleistungen wie im vorliegender Fall in der Regel höher einzuschätzen ist als bei der Gewährung einmaliger Leistungen. Auch trifft zu, dass dieses Interesse umso schwerer wiegt, je länger bereits ohne Korrekturen Leistungen gewährt wurden bzw. zu gewähren sind (zu allem: von Wulfen/Schütze: SGB X, 6. Auflage 2008 § 45 Rn. 40). Auf Seiten des Begünstigten kommt es insbesondere auf die Aufhebungsfolgen an. Dabei ist zu prüfen, ob dem Begünstigten nicht zuzumuten ist, die zugebilligte Leistung im Zukunft zu entbehren (BSG Soz R 1300 § 45 Nr. 9). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch die Rücknahme der bewilligten Leistung die Existenzgrundlage des Betroffenen nachhaltig geschmälert wird (von Wulfen/Schütze a.a.O. Rn. 41). Der Ehemann der Klägerin hat bereits seine Lebensversicherung gekündigt um die Finanzierung der J. Pflegfachkräfte sicherzustellen. Bereits vor Erlass des erstinstanzlichen Urteiles hat die Klägerin vorgetragen auch diese Reserven seien inzwischen verbraucht. Der Senat konnte jedoch offenlassen, ob auf Seiten der Klägerin die finanziellen Folgen der Aufhebung der Sachleistung zu berücksichtigen ist, denn die Unzumutbarkeit der Entscheidung der Beklagten ergibt sich daraus, dass die Pflege der Klägerin nur mit der Gewährung von Pflegegeld im Sinne von § 37 Abs. 1 S. 2 SGB XI (in der bis zum 31. Dezember 2016 gültigen Fassung) nicht sicher zu stellen wäre. Seit Dezember 2014 liegen bei der Klägerin - so der MDK in seinem Gutachten vom 2. Juni 2015 die - pflegerischen - Voraussetzungen für die Pflegestufe III in Form eines Härtefalles vor. Es ist offensichtlich, dass allein der Ehemann diese umfangreiche und anspruchsvolle Pflege nicht sicherstellen kann. Berücksichtigt man außerdem, dass die Klägerin bei der damaligen Begutachtung mit einer PEG-Sonde versorgt war und Positionswechsel stets nur durch zwei Pflegepersonen durchgeführt werden konnten so ist offensichtlich, dass es für die sachgerechte Durchführung der Pflege zumindest auch einer ausgebildeten Pflegerin bedarf. Diese pflegerische Situation bestand auch zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung im Dezember 2015 noch fort. Die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes war der Klägerin jedoch nicht möglich. Dazu hat sie geschildert, dass die größte in ihrer Umgebung befindliche Einrichtung, die M., es für unmöglich angesehen hat, die bei der Klägerin notwendige Pflege durchzuführen. Auch von anderen ambulanten Pflegediensten hat die Klägerin ausschließlich Absagen erhalten. Mit der Beauftragung der J. Pflegerinnen, die die Klägerin in ihren Haushalt aufgenommen hat und die mithin 24 Stunden vor Ort anwesend sind, hat die Klägerin mithin die für ihre sachgerechte Pflege einzig mögliche Lösung gewählt. Dies hat offensichtlich auch die Beklagte so gesehen, weshalb sie der Klägerin mit Bescheid vom 30. Juni 2009 Sachleistungen - damals i.H.v. 980 EUR - bewilligte. Dies geschah nach Überprüfung der Ausbildungszeugnisse der von der Klägerin angestellten J. Pflegefachkräfte. Der Senat teilt die Auffassung der Klägerin, dass bereits damals erhebliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Voraussetzungen des § 77 SGB XI (in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung) gegeben waren und die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, einen entsprechenden Vertrag mit den Pflegerinnen abzuschließen. Dies kann jedoch für den damaligen Zeitpunkt offenbleiben, weil es im vorliegen Fall nur darauf ankommt, ob im Dezember 2015 die Voraussetzungen für den Abschluss eines solchen Vertrages vorgelegen hätten, wofür nach der Neufassung des § 77 SGB XI ab 1. Januar 2012 einiges spricht. Auch hat der MDK es in seinem Gutachten vom 16. Februar 2016, in welchem er noch einmal die Voraussetzungen des Hilfebedarfs entsprechend der Pflegestufe III bestätigte, für unrealistisch gehalten einen Pflegedienst zu Pflegeeinsätzen in der Nacht heranzuziehen. Die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufhebung der Sachleistung, das finanzieller Art ist und des Interesses der Klägerin am Fortbestand der Gewährung der Sachleistung, das - wie oben ausgeführt - gesundheitlicher Natur ist, ergibt nach der Überzeugung des Senates einen eindeutigen Vorrang des klägerischen Interesses. Maßgebend für diese Einschätzung ist nicht nur das Postulat des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB XI wonach die Leistungen der Pflegeversicherung den Pflegebedürftigen helfen sollen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht sondern auch dasjenige des § 4 Abs. 1 S. 2 SGB XI wonach Art und Umfang der Leistungen sich nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und sich danach richten, ob häusliche, teilstationäre oder vollstationäre Pflege in Anspruch genommen wird. Der Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 2015 leidet darüber hinaus insbesondere an dem erheblichen Mangel, dass er keinerlei Ermessensausübung erkennen lässt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die insoweit zutreffenden ausführlichen Darlegungen des SG. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht bereits in der Tatsache, dass sie eine Aufhebung der Gewährung der Sachleistung für die Zukunft gem. § 45 Abs. 1 S. 1, erste Alternative SGB X gewählt hat, als Ermessensausübung anzusehen. Abgesehen davon, dass die Beklagte keine Begründung für diese Entscheidung vorgetragen hat, hätte es hier insoweit einer ausführlichen Ermessenserwägung bedurft, als - wie oben dargestellt - die Interessensabwägung dazu einen naheliegenden notwendigen Anlass gab. Auch ist der Hinweis der Beklagten, es habe zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf die Sachleistungen bestanden, nicht als Ermessenausübung anzusehen, weil die Beklagte diesen Umstand insbesondere nicht gegenüber den Interessen der Klägerin am Fortbestand der Sachleistungsgewährung abgewogen und mithin bewertet hat. 2. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch die zweite in § 44 Abs. 1 SGB X genannte Voraussetzung vor, dass der Klägerin aufgrund des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. Juni 2016 Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Senat schließt sich ausdrücklich den Erwägungen des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 4. Februar 1998 Az.: B 9 V 16/96 R) an, wonach ein durch die Gewährung einer Sozialleistung Begünstigter im Falle, dass ihm in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse Vertrauensschutz zukommt, auch eine ursprünglich rechtswidrige, nicht im Einklang mit den materiellen Rechtsvorschriften stehende Leistung behalten darf und Anspruch auf die Fortgewährung dieser Leistung hat. Der entscheidende Grund ist darin zu sehen, dass einem Leistungsempfänger, der auf den Fortbestand einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung vertrauen durfte, aufgrund des § 45 SGB X ein Anspruch auf den Fortbestand rechtswidrig gewährter Begünstigungen vermittelt wird, der der Sache nach als materiell-rechtlich anzusehen ist, weil diese Vorschrift ebenso verbindlich einen Rechtsgrund für den weiteren Bezug oder das Behaltendürfen dieser Leistung begründet und gegen spätere Korrekturen schützt (So auch von Wulfen/Schütze: SGB X § 44 Rn. 17 a.E.). Der Tenor des Sozialgerichtes Hannover war insoweit abzuändern und richtig zu stellen, als die Beklagte nach § 44 Abs. 1 SGB X selbst zur Rücknahme des Bescheides vom 14. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 verpflichtet ist, das Gericht kann diese Verpflichtung nicht selbst durch eine entsprechende Aufhebung der Bescheide ersetzen (vgl. dazu ebenfalls Urteil des Senates vom 17. Dezember 2013, L 15 AS 170/10). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat und nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichtes im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 abweicht.