Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 25.07.1996, Az.: 22 U 161/95

Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vermächtnisses; Enteignung des Grundstücks nach dem Tode der Erblasserin durch die Staatsgewalt der ehemaligen DDR; Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit; Erläuternde Auslegung eines Testamentes; Unmöglichkeit der Abtretung eines Anspruchs nach dem Vermögensgesetz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.07.1996
Aktenzeichen
22 U 161/95
Entscheidungsform
Schlussurteil
Referenz
WKRS 1996, 17195
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1996:0725.22U161.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 27.06.1995 - AZ: 14 O 250/94

Redaktioneller Leitsatz

Der Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit, dessentwegen der Gesetzgeber dem Berufungsgericht bei verfahrensfehlerhafter Entscheidung in der Vorinstanz die Möglichkeit eigener Sachentscheidung eingeräumt hat, geht dem Verbot der Schlechterstellung des Berufungsklägers im Falle eines unzulässigen Teil-Urteils vor, wenn beide. Grundsätze in Konflikt geraten.

In dem Rechtsstreit
...
[xxxxx]Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
des Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. Juni 1995 verkündete Teil-Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage im übrigen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens zu 6,11 %. Im übrigen bleibt die Entscheidung über diese Kosten dem Landgericht vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet. Beide Parteien dürfen die Sicherheit durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank leisten.

Beschwer: 180.000 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vermächtnisses.

2

Die Parteien und ihr Bruder ... sind die Kinder der am ... 1966 verstorbenen Witwe ... (Erblasserin). Diese bestimmte durch eigenhändiges Testament vom 5. Mai 1964: "... setze ich meine Tochter ..." (Klägerin) "als Erbin für mein Wohnhaus ... in ... ein." Etwa zwei Wochen später übersiedelte die Erblasserin von ... in der ehemaligen DDR zu der Beklagten nach ... welche aus der DDR geflohen war. Am 2. Mai 1966 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament mit dem wesentlichen Inhalt: "Zu meiner alleinigen Erbin setze ich ein meine Tochter ..." (Beklagte). Nach dem Tode der Erblasserin beantragte die Klägerin anscheinend einen Erbschein zu ihren Gunsten beim Staatlichen Notariat der ehemaligen DDR, das den Antrag an das Nachlaßgericht Hannover weiterleitete. Dieses teilte der Klägerin (Schreiben vom 5. Dezember 1966) mit, es könne dem Antrag wegen des Testamentes vom 2. Mai 1966 nicht entsprechen; die Beklagte habe aber auf telefonische Anfrage zugesagt, sie wolle dem Wunsche der Erblasserin bezüglich des Grundstücks in ... nachkommen. Danach entspann sich ein Briefwechsel zwischen den Parteien. Am 12. Februar 1967 schrieb die Klägerin der Beklagten unter anderem: "Die Notarin ist der Meinung, dass wir gar nichts vom Rechtsanwalt zu erwarten haben, es sei nun ganz allein Deine Angelegenheit.

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... Sollte sich nun doch in dieser Angelegenheit etwas geändert haben, und Du Muttis Wunsch nicht respektieren kannst, dann schreibe es mir doch bitte bald ..." In dem Brief der Beklagten an die Klägerin vom 26. Juli 1967 heißt es unter anderem: "Oma" (Erblasserin) "hat bei unserem Rechtsanwalt, wie hier die Verschreibung und das Testament gemacht wurde gesagt, daß das Haus in ... nicht dazu geschrieben werden solle denn das hat sie ... bei einem Notar der jüngsten Tochter" (Klägerin) "vermacht." Am 21. August 1967 erklärten die Beklagte und ihr Schwiegersohn vor einem Notar an Eides Statt, die Erblasserin habe noch kurz vor ihrem Tode keineswegs vorgehabt, das erste Testament durch das zweite aufzuheben. - Die Behörden der ehemaligen DDR enteigneten das Grundstück in ... nach dem Tode der Erblasserin. Am 24. Juli 1968 zahlte die Beklagte 2.200 DM auf den Pflichtteil der Klägerin, dessen Berechnung das Grundstück in ... ausklammerte. Durch Vertrag vom 24. August 1992 trat die Beklagte den Anspruch auf Rückübereignung des Grundstücks nach dem Vermögensgesetz im Wege vorweggenommener Erbfolge an ihre Tochter ab. Diese wurde am 26. April 1994 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

4

Die Klägerin hat Zahlung von 180.000 DM nebst Zinsen begehrt. Sie hat gemeint, das Verhalten der Beklagten nach dem Tode der Erblasserin zeige, daß deren Wunsch, ihr - der Klägerin - das Grundstück in ... zuzuwenden, ungeachtet des zweiten Testamentes fortbestanden habe, und behauptet, das Grundstück sei bei Abtretung des auf seine Rückübereignung gerichteten Anspruchs an die Tochter der Beklagten mindestens 180.000 DM wert gewesen. - Die Beklagte hat Abweisung der Klage erstrebt. Sie hat behauptet, die auf das Grundstück bezogenen Äußerungen in dem Briefwechsel und die eidesstattliche Versicherung hätten nicht der Wahrheit entsprochen und nur dazu gedient, das Grundstück nicht als solches der Beklagten erscheinen zu lassen, um dessen Enteignung zu Lasten der Beklagten als "Republikflüchtiger" zu verhindern.

5

Das Landgericht hat Zeugenbeweis erhoben insbesondere zu Sinn und Beweggrund der eidesstattlichen Versicherung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften des Amtsgerichts Dresden vom 2. März 1995 (Bl. 117 - 120 d. A.), des Amtsgerichts Starnberg vom 20. Dezember 1994 (Bl. 126 - 129 d. A.) sowie des Landgerichts vom 30. Mai 1995 (Bl. 171 - 174 d. A.) verwiesen.

6

Durch Teil-Urteil hat das Landgericht der Klage in Höhe von 11.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Gegen dieses Teil-Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wendet die Beklagte sich mit der Berufung und beantragt Abweisung der Klage, soweit über sie entschieden. Sie behauptet nunmehr, der Notar habe erklärt, daß durch das neue Testament (vom 2. Mai 1966) alle früheren Testamente aufgehoben würden, die Erblasserin dazu geschwiegen, und meint, sie treffe an ihrem Unvermögen zur Erfüllung des Vermächtnisses kein Verschulden, weil sie im Zeitpunkt der Abtretung nicht mehr damit gerechnet habe, daß die Klägerin das Vermächtnis noch einfordern werde. - Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist unbegründet.

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Darüber hinaus war es sachdienlich (§ 540 ZPO), die Klage, soweit das Landgericht nicht über sie entschieden hat, dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.

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I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach und in Höhe von mindestens 11.000 DM wegen von der Beklagten zu vertretenden Unvermögens einer ihrerseits der Klägerin geschuldeten Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB).

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1.

Mit Inkrafttreten des Vermögensgesetzes schuldete die Beklagte der Klägerin die Abtretung des Anspruchs auf Rückübereignung des Grundstücks in ... der für sie - die Beklagte - als Erbin ihrer Mutter, der das Grundstück bei deren Tod gehörte, entstanden war. Dieser Anspruch war der Ersatz für den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Übereignung des genannten Grundstücks (§ 281 Abs. 1 BGB), der mit 15. Juli 1966 aufgrund Vermächtnisses (§ 2174 BGB) entstanden und mit der Enteignung des Grundstücks nach dem Tode der Erblasserin durch die Staatsgewalt der ehemaligen DDR erloschen war, weil die Beklagte von da an, ohne daß sie daran ein Verschulden traf, die Übereignung an die Klägerin nicht mehr bewirken konnte (§ 275 BGB). Unabhängig davon, in welche rechtliche Form (Erbeinsetzung oder Vermächtnis) der in dem Testament der Erblasserin vom 5. Mai 1964 zweifelsfrei ausgedrückte Wunsch, der Klägerin ihr Hausgrundstück in ... zukommen zu lassen, bei dessen Errichtung gekleidet war, ist das Testament der Erblasserin vom 2. Mai 1966 erläuternd (§ 133 BGB) dahin auszulegen, daß dieser Wunsch - in der angesichts der Bestimmung der Beklagten zur Alleinerbin nunmehr allein noch möglichen Form des Vermächtnisses - fortgalt. Die Erblasserin hat das frühere Testament nicht aufgehoben (§ 2258 Abs. 1 BGB).

11

a)

Ein inhaltlicher Widerspruch zwischen beiden Testamenten (vgl. BGH NJW 1981, 2745 f.) besteht nicht. Die jeweils getroffenen Anordnungen können nebeneinander gelten und schließen sich nicht gegenseitig aus, dann nämlich nicht, wenn man sie als Vermächtnis einerseits und Erbeinsetzung andererseits versteht. Nicht entscheidend ist, wie das Testament vom 5. Mai 1964 für sich allein gesehen auszulegen wäre. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Regelungen sachlich einander zwangsläufig widersprechen, nicht darauf, ob eine bestimmte rechtliche Einordnung der Regelungen zu einem Widerspruch zwischen ihnen führt. Über die Aufrechterhaltung des früheren Testamentes entscheidet der zuletzt geäußerte Wille der Erblasserin, nicht die rechtliche Ausgestaltung dieses oder des früher geäußerten Willens.

12

b)

Dem Testament der Erblasserin vom 2. Mai 1966 ist ferner deren Wille, daß von nun an dieses ausschließlich gelten sollte (dazu: BGH a.a.O. S. 2746), nicht zu entnehmen. Dieses gilt selbst dann, wenn die Erblasserin, wie die Beklagte zuletzt behauptet hat, das Testament unterschrieb, nachdem sie auf den Hinweis des Notars, mit dem neuen Testament seien alle früher womöglich errichteten Testamente aufgehoben, geschwiegen hatte. Es gibt zuverlässige Indiztatsachen, daß die Erblasserin die Zuwendung des Grundstücks in ... an die Klägerin weiterhin wünschte. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1966 (Anlage K 12 zum Schriftsatz vom 31. Oktober 1994 - Bl. 90 d. A.) hat das Nachlaßgericht in Hannover der Klägerin, die ausweislich dieses Schreibens anscheinend beim Staatlichen Notariat in ... einen Erbscheinsantrag gestellt hatte, mitgeteilt, diesem Antrag könne es wegen des Testamentes vom 2. Mai 1966 nicht entsprechen; die Beklagte habe jedoch auf telefonische Anfrage erklärt, sie wolle dem Wunsche der Erblasserin bezüglich des Grundstücks in ... nachkommen. Am 12. Februar 1967 (Anlage C zum Schriftsatz vom 13. März 1995 - Bl. 149 f. d. A.) hat die Klägerin der Beklagten geschrieben, "sollte sich nun doch in dieser Angelegenheit etwas geändert haben, und Du Muttis Wunsch nicht respektieren kannst, dann schreibe es mir doch bitte bald ..." Zumindest diese beiden Schrieben lassen sich nicht damit erklären, daß die Parteien den Behörden der ehemaligen DDR nur vorspiegeln wollten, das Testament vom 5. Mai 1964 sei noch gültig, um eine Enteignung des Grundstücks zu Lasten der Beklagten als "Republikflüchtiger" zu verhindern. Jeglicher Anhaltspunkt fehlt, daß der Nachlaßrichter in Hannover sich von den Parteien in ein solches Täuschungsmanöver hat einbeziehen lassen. Der Inhalt des Schreibens vom 12. Februar 1967 spricht dafür, daß die zuständige Notarin in der ehemaligen DDR wußte, worum es ging. Demnach hat sie - mit den Worten der Klägerin an die Beklagte - gemeint, "daß wir gar nichts vom Rechtsanwalt zu erwarten haben, es sei nun ganz alleine Deine (der Beklagten) Angelegenheit", nämlich den Willen der Erblasserin zu achten oder nicht.

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2.

Die Beklagte hat sich die Abtretung des Anspruchs nach dem Vermögensgesetz unmöglich gemacht. Durch Vertrag vom 24. August 1992 hat sie diesen an ihre Tochter abgetreten, welche aufgrund dessen seit dem 26. April 1994 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist.

14

3.

Den Umstand, der zum Unvermögen ihrer Leistung geführt hat, hat die Beklagte zu vertreten. Sie hat den Anspruch nach dem Vermögensgesetz bewußt und gewollt, mithin vorsätzlich (§ 276 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB) an ihre Tochter abgetreten. Die Beklagte hat nicht dargetan (§ 282 BGB), daß ihr dabei das Bewußtsein fehlte, den Vermächtnis an Spruch der Klägerin zu beeinträchtigen. Sie kannte den Wunsch der Erblasserin, daß die Klägerin das Grundstück erhalten sollte. Ob die Beklagte nicht mehr damit rechnete, daß die Klägerin das Vermächtnis einforderte, ist belanglos.

15

4.

Angesichts des von der Klägerin behaupteten Wertes des abgetretenen Anspruchs im Zeitpunkt der Abtretung von 180.000 DM übersteigt die Schadensersatzforderung voraussichtlich die bereits zuerkannten 11.000 DM und auch mögliche Gegenrechte der Beklagten. Die Wertsteigerung des Grundstücks im ... mit Inkrafttreten des Vermögensgesetzes hat lediglich zu einem aufrechenbaren Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin in Höhe von 2.200 DM aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB) geführt. Der rechtliche Grund für die Zahlung der 2.200 DM am 24. Juli 1968 auf den Pflichtteil der Klägerin ist weggefallen, weil seit Inkrafttreten des Vermögensgesetzes der Wert des Vermächtnisses weiter reicht als derjenige des Pflichtteils (§ 2307 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB).

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II.

Wegen des Verfahrensfehlers, den das Landgericht begangen hat, durfte der Senat in der Sache auch insoweit entscheiden, als er damit entgegen § 536 ZPOüber den Antrag der Beklagten zu deren Nachteil hinausgegangen ist.

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1. Das Verfahren des Landgerichts leidet an einem wesentlichen Mangel (§ 539 ZPO). Das Landgericht durfte das Teil-Urteil, welches nicht zugleich ein Grundurteil (§ 304 Abs. 1 ZPO) darstellt, nicht erlassen. Derjenige Teil des Anspruchs, über den das Landgericht entschieden hat, war nicht zur Endentscheidung reif (§ 301 Abs. 1 ZPO). Er ist vom Rest des Anspruchs nicht unabhängig, so daß das Teil-Urteil die Gefahr einander widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen über Teile eines einheitlichen Anspruchs heraufbeschwor. Die Auslegung des Testamentes der Erblasserin vom 2. Mai 1966, auf welche es entscheidend ankam, betrifft den Grund des erhobenen prozessualen Anspruchs insgesamt (vgl. auch: BGHZ 107, 236/242).

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2.

Der Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit, dessentwegen der Gesetzgeber dem Berufungsgericht bei verfahrensfehlerhafter Entscheidung in der Vorinstanz die Möglichkeit eigener Sachentscheidung eingeräumt hat, geht dem Verbot der Schlechterstellung des Berufungsklägers im Falle eines unzulässigen Teil-Urteils vor, wenn beide. Grundsätze in Konflikt geraten (s. BGH LM § 540 ZPO Nr. 5). Auch für die formal benachteiligte Beklagte wäre unwirtschaftlich gewesen, wenn der Senat durch Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht für Anwalts- und Gerichtskosten nach einem Wert von 11.000 DM bindend nur darüber geurteilt hätte, daß das Landgericht nicht wie geschehen hätte verfahren dürfen. Die Antwort auf die Kernfrage des Streites der Parteien, ob der Klägerin überhaupt ein Anspruch zusteht, wäre nur aufgeschoben worden.

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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Für die Beschwer der Beklagten war - ebenso wie für den Streitwert - die volle Höhe des Anspruchs maßgebend, in welcher die Klägerin ihn geltend macht.

Streitwertbeschluss:

Beschwer: 180.000 DM.