Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.07.1996, Az.: 18 W 19/96

Barunterhalt statt Unterhaltsgewährung in Form von Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld; Wirksamkeit einer Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung; Voraussetzung des Vorliegens besonderer Gründe für die Abänderung der gewählten Unterhaltsart; Tiefgreifende Entfremdung und Zerrüttung; Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Zuganges der Antragsschrift

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.07.1996
Aktenzeichen
18 W 19/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1996, 22803
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1996:0723.18W19.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 15.04.1996 - AZ: 9 T 110/96

Fundstelle

  • FamRZ 1997, 966-967 (Volltext mit red. LS)

Der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 23. Juli 1996
beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 15.04.1996 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 5.000 DM.

Gründe

1

I.

Die am 08.04.1976 geborene Antragstellerin ist eines von insgesamt vier Kindern aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe des Antragsgegners. Ihre Mutter lebt in ... der Bruder ... studiert Medizin in ... die Schwester ... studiert Jura in ... der jüngere Bruder ... lebt - wie früher auch die Antragstellerin - beim Antragsgegner. Die Antragstellerin ist einen Tag nach Erreichen der Volljährigkeit am 09.02.1994 aus der Wohnung des Antragsgegners ausgezogen. Seit dem 26.04.1994 bezieht sie Sozialhilfe. Im Rahmen eines von der Antragstellerin eingeleiteten Unterhaltsverfahrens - 5 F 312/94 AG Winsen - hat der Antragsgegner die Zahlung von Barunterhalt verweigert - Schreiben von 09.06.1994 -, der Antragstellerin jedoch Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld "wie bisher" in seiner Wohnung angeboten. Nachdem ein Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe durch Beschluß des Senats vom 06.12.1994 zurückgewiesen worden ist, hat die Antragstellerin am 07.02.1995, dem Antragsgegner am 29.03.1995 zugegangen, beantragt, die von dem Antragsgegner mit Schreiben vom 09.06.1994 getroffene Unterhaltsbestimmung aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr Barunterhalt zu leisten. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, die von dem Antragsgegner angebotenen Lebensumstände in dessen Wohnung seien für sie unzumutbar. Zwischen ihr und ihrem Vater sei eine tiefgreifende Entfremdung eingetreten, sie sei vom Antragsgegner häufig körperlich mißhandelt worden, auch habe er ihre Lebensführung in umfangreichster Weise beschnitten, ihr Nahrung, Räumlichkeiten, Wohnungsschlüssel und jede Form von Freizeit vorenthalten. Darüber hinaus sei sie gezwungen worden, unter Vernachlässigung ihrer schulischen Aufgaben betriebliche Arbeiten und solche des Haushalts durchzuführen. Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat am 18.10.1995 die Parteien angehört und sodann durch Beschluß vom 14.12.1995 die Unterhaltsbestimmung vom 09.06.1994 dahinabgeändert, daß der Antragsgegner der Antragstellerin bis zum 30.06.1996 Barunterhalt zu gewähren hat. Die dagegen vom Antragsgegner eingelegte Erinnerung/Beschwerde, der der Vormundschaftsrichter nicht abgeholfen hat, hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade durch Beschluß vom 15.04.1996 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Antragsgegners.

2

II.

1.

Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde ist statthaft (§ 27 FGG) und formgerecht eingelegt (§ 29 FGG). Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich gem. den §§ 20, 29 Abs. 1 FGG bereits aus der Zurückweisung der Erstbeschwerde (BGHZ 31, 92, 95) [BGH 23.09.1959 - IV ZB 105/59].

3

2.

Das sonach zulässige Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

4

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

5

Zur Überzeugung der Kammer sei aufgrund der von den Parteien eingereichten, Stellungnahmen ein tiefgreifendes Zerwürfnis und eine tiefgreifende Entfremdung festzustellen, die nicht rücksichtslos oder gar vorsätzlich von der Antragstellerin provoziert worden sei.

6

Diese Ausführungen halten der dem Senat allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§§ 27 FGG, 550 ZPO) stand.

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a)

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Erklärung des Antragsgegners vom 09.06.1994 eine an sich wirksame Bestimmung des Vaters über die Art der Unterhaltsgewährung darstellt (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB). Daß die Bestimmung allein vom Antragsgegner getroffen worden ist, steht der Wirksamkeitnicht entgegen. Denn aus dem Wortlaut des § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB läßt sich nicht herleiten, daß beide Eltern an der Bestimmung mitwirken müssen (BGH FamRZ 1984, 37). Vielmehr kann bei geschiedenen Eltern jeder Elternteil gegenüber einem volljährigen Kind ein einseitiges Bestimmungsrecht ausüben, soweit nicht berechtigte Belange des anderen Elternteils beeinträchtigt werden (BGH, FamRZ 1988, 831). Das ist hier nicht der Fall.

8

Daß die Erklärung des Antragsgegners im Unterhaltsrechtsstreit abgegeben worden ist, steht der Annahme einer wirksamen Bestimmung i.S. von § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB auch nicht entgegen. Zwar ist eine im Unterhaltsrechtsstreit lediglich zur Verteidigung abgegebene Erklärung, dem Kind Naturalunterhalt leisten zu wollen, im allgemeinen keine Bestimmung i.S. des § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB (BayObLG Rpfl. 1988, 527 f.). Vorliegend besteht jedoch angesichts der weiteren Verteidigung des Antragsgegners im Unterhaltsrechtsstreit, er sei auch nicht leistungsfähig, kein Zweifel daran, daß die Bestimmung des Naturalunterhalts durch den Antragsgegner ernsthaft gewollt gewesen ist.

9

b)

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß besondere Gründe i.S. von § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB vorliegen, die eine Abänderung der von dem unterhaltspflichtigen Antragsgegner getroffenen Bestimmung des Naturalunterhalts rechtfertigen. Die in § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB enthaltene Voraussetzung der besonderen Gründe ist als unbestimmter Rechtsbegriff vom Senat als Gericht der weiteren Beschwerde nur dahin gehend nachzuprüfen, ob die vom Beschwerdegericht festgestellten Tatsachen in ihrer Gesamtheit richtig bewertet sind und ob sie den Rechtsbegriff ausfüllen (BayObLG NJW RR 1992, 1219; NJW RR 1995, 1093; Keidel/Kuntze/Winkler FGG, 13. Aufl., § 27 Rdnr. 30 m.w.N.).

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aa)

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Vorliegen besonderer Umstände i.S. des § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB bejaht. Besondere Gründe i.S. der vorgenannten Vorschrift, die eine Änderung der von einem Elternteil getroffenen Bestimmung rechtfertigenkönnen, liegen vor, wenn - auch ohne Verschulden oder eine überwiegende Ursache in der Sphäre der Eltern - zwischen ihnen und dem Kind eine tiefgreifende Entfremdung eingetreten ist, die das Kind nicht verschuldet hat (KG FamRZ 1970, 415, 417; OLG Köln FamRZ 1977, 54; BayObLG FamRZ 1979, 950; OLG Zweibrücken FamRZ 1981, 494; OLG Hamburg FamRZ 1983, 1053; BayObLG Rpfl. 1988, 527; BayObLG NJW-RR 1992, 1219;  1995, 1093; KG FamRZ 1990, 791 ff.; OLG Celle Rpfl. 1989, 60; OLG Hamm FamRZ 1990, 1028 [OLG Hamm 14.02.1990 - 10 WF 77/90]; OLG Hamburg FamRZ 1989, 339). Auf der Grundlage der vom Amtsgericht durchgeführten persönlichen Anhörung von Antragsgegner und Antragstellerin hat das Landgericht zutreffend in Verbindung mit dem Akteninhalt ein tiefgreifendes Zerwürfnis und eine tiefgreifende Entfremdung zwischen Vater und Tochter festgestellt. Soweit die weitere Beschwerde rügt, das Landgericht habe den Umfang seiner Ermittlungspflicht verkannt und damit gegen § 12 FGG verstoßen, weil es die Parteien nicht erneut persönlich angehört habe, greift dieser Einwand nicht durch. Denn eine weitergehende Aufklärung war durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten. Einer Vernehmung der Zeugin ... bedurfte es ebenfalls nicht. Beide Parteien haben umfangreich selbst Stellung genommen. Daß danach viele Vorfälle streitig sind, hindert die Feststellung einer tiefgreifenden Zerrüttung und Entfremdung nicht. Denn der Akteninhalt belegt eindringlich und exemplarisch - und darauf hat das Landgericht zutreffend abgestellt -, daß zwischen Vater und Tochter schon länger tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten bestehen, die ihre Ursache jedenfalls teilweise auch in nicht unbedingt angemessenen Erziehungsmaßnahmen des Antragsgegners haben. Insoweit hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß das Vorenthalten eines Wohnungsschlüssels, das Verschließen der Küche, das Verschließen von Lebensmittelvorräten auch mit der der Antragstellerin gegebenen Begründung gegenüber einem fast volljährigen Kind unangemessen, wenig einfühlsam und vertrauenszerstörend ist. Auch die Weigerung des Kindesvaters, die Antragstellerin am Tage ihrer Volljährigkeit ihren Geburtstag feiern zu lassenunter Hinweis auf mögliche Störungen des Praxisbetriebes zeigt, wie wenig Verständnis und Vertrauen der Antragsgegner seiner Tochter entgegenbringt.

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Angesichts dessen, daß seit dem Auszug der Antragstellerin bis zur Entscheidung des Landgerichts nahezu zwei Jahre vergangen sind, ohne daß von einer der Parteien der Versuch einer Annäherung unternommen worden ist - sieht man einmal von dem verbalen Angebot des Antragsgegners bei der Anhörung vor dem Amtsgericht ab -, ist auch deshalb wegen Fehlens jeglicher persönlicher Bindungen von einer grundlegenden Entfremdung auszugehen. Angesichts des beiderseitigen Verhaltens in den letzten Jahren scheint eine Überwindung der eingetretenen Entfremdung kaum möglich.

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Nicht zu beanstanden ist es auch, daß das Landgericht ein provokatorisches Verhalten der Antragstellerin im Ergebnis nicht festgestellt hat.

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Schließlich hat das Landgericht bei seiner Abwägung auch hinreichend berücksichtigt, daß nach § 1618 a BGB Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schulden. Es hat allerdings diesen Umstand in abgewogener Weise zurücktreten lassen gegenüber der Tatsache, daß zwischen den Parteien eine tiefgreifende Entfremdung eingetreten ist, die ein gedeihliches Zusammenleben in einem Haushalt nicht mehr erwarten läßt.

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Es kommt hinzu, daß der Antragsgegner zwar ständig finanzielle Schwierigkeiten reklamiert, ohne diese jedoch bisher auch nur annähernd substantiiert vorgetragen und belegt zu haben.

15

bb)

Der angefochtenen Entscheidung läßt sich allerdings nicht hinreichend sicher entnehmen, von welchem Zeitpunkt an die Unterhaltsbestimmung vom 09.06.1994 abgeändert worden ist.

16

Der Antragsschrift vom 07.02.1995, die am 08.02.1995 beim - unzuständigen - Amtsgericht ... eingegangen ist, ist dem Antragsgegner am 29.03.1995 zugegangen. Sie enthält keinen konkreten Antrag, von welchem Zeitpunkt an eine Änderung der Unterhaltsbestimmung begehrt wird.

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Dem Begehren der Antragstellerin läßt sich jedoch entnehmen, daß sie eine Änderung der Unterhaltsbestimmung vom nächst zulässigen Zeitpunkt an erstrebt. Sie hat in der Antragsschrift geschildert, daß sie den Antragsgegner vor dem Familiengericht auf Zahlung von Barunterhalt in Anspruch genommen und daß dieser im Prozeß erklärt hat, er wolle Naturalunterhalt gewähren. Es ist deshalb davon auszugehen, daß sie mindestens vom Zeitpunkt des Zugangs der Antragstellung beim Antragsgegner, hier also mindestens ab 29.03.1995, die Leistung von Barunterhalt begehrt (so ausdrücklich: KG FamRZ 1990, 791, 793; vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 141;  1994, 460, 461), [OLG Düsseldorf 22.02.1993 - 3 Wx 520/92]Mit dieser zeitlich begrenzten Rückwirkung ist auch dem Schutzbedürfnis des unterhaltspflichtigen Elternteils genüge getan, denn vom Zeitpunkt des Zuganges der Antragsschrift muß ein Elternteil damit rechnen, auf Barunterhalt in Anspruch genommen zu werden. Dies gilt hier um so mehr, als bereits vorher ein Unterhaltsprozeß zwischen den Parteien anhängig gewesen ist.

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Soweit das Begehren der Antragstellerin allerdings so zu verstehen sein sollte, daß rückwirkend eine Abänderung bereits ab Unterhaltsbestimmung, d.h. ab 09.04.1994 begehrt wird, ist dies nach wohl herrschender Meinung (vgl. OLG Hamm FamRZ 1986, 386; wohl auch BayObLG FamRZ 1989, 1222; Palandt/Diedrichsen BGB, 54. Aufl., § 1612 Rdnr. 20, Soergel/Häberle BGB, 12. Aufl., § 1612 Rdnr. 18) nicht möglich.

19

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 2 KostO, 13 a FGG.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 5.000 DM.