Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 24.05.1996, Az.: 6 U 31/96

Herstellerhaftung bei unzureichenden Warnhinweisen auf einem Rohrreinigungsmittel; Anforderungen an das Vorliegen eines Mitverschuldens des Verwenders; Belegung der eigenen Sachkunde eines Gerichts für die Beurteilung einer Arbeitsunfähigkeit; Notwendigkeit der Herbeiziehung eines Sachverständigen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
24.05.1996
Aktenzeichen
6 U 31/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 21439
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1996:0524.6U31.96.0A

Fundstellen

  • IBR 1998, 112 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • NJW-RR 1997, 1520-1521 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1998, 65-66 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Haftung des Herstellers eines Rohrreinigungsmittels bei unzureichenden Warnhinweisen. Mitverschulden des Verwenders bei fahrlässigem Umgang mit dem Reinigungsmittel.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz ihres Verdienstausfalls und Zahlung eines Schmerzensgeldes, weil sie nach der Benutzung des von der Beklagten hergestellten Mittels ,,Abfluss-Frei", eines Mittels zur Reinigung von Rohrleitungen, erheblich verletzt worden ist.

2

Am 18.9.1992 gegen 22.30 Uhr wollte die damals 55 Jahre alte Klägerin mit dem genannten Mittel in ihrem Badezimmer eine Verstopfung des Duschabflusses beseitigen. Nach der Benutzung des Mittels wurde sie erheblich verletzt, weil die Flasche platzte und der Flascheninhalt ihren nackten Oberkörper und ihre Arme traf und verätzte.

3

Das Reinigungsmittel besteht aus einem Gemisch fester Stoffe, das in einer Plastikflasche abgefüllt ist. Die Stoffe reagieren nur bei Zufuhr von Wasser, dann aber unter erheblicher Wärmeentwicklung, wobei gasförmige und ätzende Produkte entstehen.

4

An Warnhinweisen ist auf der Flasche in roter Schrift aufgedruckt:

"Verursacht schwere Verätzungen. Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen. Bei Berührung mit den Augen gründlich mit Wasser spülen und Arzt konsultieren. Bei der Arbeit geeignete Schutzhandschuhe und Schutzbrille tragen. Beschmutzte Kleider sofort ausziehen. Flasche fest verschlossen halten. Keinesfalls Wasser hineingießen. Nach versehentlichem Einnehmen sofort große Mengen Wasser trinken, sofort Arzt aufsuchen und Packung mitnehmen. Verschüttetes Gut sofort zusammenkehren und mit viel Wasser im Spülbecken wegspülen. Neigt bei Berührung mit brennbaren Stoffen zur Selbstentzündung. Keinesfalls in den Plastikkorb oder Abfalleimer werfen. Gegenstände, die mit Rohrreinigern in Berührung gekommen sind, gründlich spülen.

Enthält: 54 % Natriumhydroxid, Aluminium und Salze. Flasche aus Polyäthylen (PE) Flasche nur vollständig entleert in die Wert-Tonne geben."

5

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe geduscht, das Wasser sei jedoch schlecht abgelaufen. Als sie mit einer Gummipumpe eine Abhilfe nicht erreicht habe, sei sie in den Keller gelaufen und habe eine ca. 2 Jahre alte, bereits mehrfach benutzte Flasche ,,Abfluss-Frei" geholt. Sie habe zwei Esslöffel des Inhalts in den Abfluss geschüttet, die Flasche verschlossen und in ein Regal gestellt. Dann habe sie ihr Haar geföhnt dabei aber plötzlich ein Zischen gehört. Sie habe mit der linken Hand die Flasche vom Regal genommen. Dann sei die Flasche explodiert; ihr Inhalt habe sich über ihren nackten Oberkörper und ihre Arme ergossen.

6

Infolge des Unfalls könne sie ihren Beruf als Masseurin nicht mehr ausüben. Im März 1992, ein halbes Jahr vor dem Unfall, habe sie sich entschlossen, ihre Praxis in Neuharlingersiel nicht mehr auszuüben und nur noch in der Praxis in Wilhelmshaven tätig zu sein, weil ihr Ehemann infolge eines Bandscheibenleidens und einer Herzoperation nicht mehr als Masseur habe tätig sein können. Steuerlich habe ihr Ehemann die Praxis in Wilhelmshaven geführt, sie sei dort (steuerlich) als Putzfrau für 6.400,-- DM Jahresgehalt eingesetzt. Es handle sich jedoch um eine Gemeinschaftspraxis beider Eheleute, die sie ab März 1992 allein geführt habe. Vor und nach ihrem Unfall habe ihr Schwager in der Praxis mitgeholfen. Ihr Ehemann, der eigentlich berufsunfähig sei, habe nach ihrem Unfall ab Januar 1993 gegen ärztlichen Rat wieder in der Praxis gearbeitet. Den ihr erwachsenen Verdienstausfallschaden hat sie bis einschließlich 1993 mit 150.374,45 DM errechnet.

7

Ihren Schmerzensgeldanspruch hat sie mit 100.000,-- DM für angemessen gehalten. Sie hat dazu vorgetragen, nach ihrem Unfall sei sie dreimal operiert worden, zuletzt am 27.1.1994, es seien jedoch starke Narben zurückgeblieben. Sie habe immer noch Schmerzen. Sie sei berufsunfähig und zu 50 % erwerbsunfähig.

8

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. 1.

    an sie 150.374,45 DM nebst 8 . Zinsen auf 33.921,65 DM vom 1.10.1992 bis zum 31.12.1992 und auf 150.374,45 DM seit dem 1.1.1994 zu zahlen,

  2. 2.

    ihr den künftigen Schaden aus dem Vorfall vom 18.9.1992 zu ersetzen,

  3. 3.

    ihr ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen und dieses mit 4 % seit Klagzustellung (14.9.1993) zu verzinsen.

9

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie meint, sie habe ihrer Hinweispflicht durch den Flaschenaufdruck genügt. Sie habe von dem Produkt ,,Abfluss Frei" seit 1963 ca. 100 - 120 Mio. Flaschen verkauft, ohne dass ihr bisher auch nur ein einziger Vorfall, wie er der Klage zugrunde liege, bekannt geworden sei. Die Klägerin habe entgegen den Warnhinweisen keine Schutzkleidung getragen und aller Wahrscheinlichkeit nach Wasser in die Flasche gefüllt. Nur nach dem Hinzugeben von Wasser könne die verschlossene Flasche langsam aufweichen und platzen.

11

Die Klägerin hat entgegnet, sie habe keinesfalls Wasser in die Flasche gegossen. Es könne nur so gewesen sein, dass der Flascheninhalt Wasserdampf angezogen habe.

12

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Beklagte zur Zahlung eines Verdienstausfalls von 31.398,30 DM und eines Schmerzensgeldes von 36.000,-- DM, jeweils nebst Zinsen, verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 9/10 ihres künftigen Unfallschadens zu ersetzen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Beklagte hafte nach §§ 823 Abs. 1, 842, 847 BGB, weil sie bei dem Vertrieb des Rohrreinigungsmittels ,,Abfluss-Frei" fahrlässig ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch die Körperverletzung der Klägerin verursacht habe. Allerdings habe die Beweisaufnahme ergeben, dass Wasser - wenn auch in geringer Menge -in die Flasche gelangt sein müsse. Da der Beklagten als Herstellerin die dann einsetzende heftige Reaktion des Mittels habe bekannt sein müssen, habe sie ein ungeeignetes Behältnis verwendet und die Kundin auch nicht auf die Möglichkeit des Berstens hingewiesen. Als Verdienstausfall könne die Klägerin ihre entgangenen Einnahmen abzüglich der von ihrem Ehemann erzielten Einnahmen beanspruchen, jedoch gekürzt um den ihr anzulastenden Mitverschuldensanteil von 1/10. Der Schmerzensgeldanspruch sei unter Berücksichtigung eines entsprechenden Mitverschuldens, somit in Höhe von 36.000,-- DM, das Feststellungsbegehren in Höhe von 9/10 des künftigen Unfallschadens begründet.

13

Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen beider Parteien.

14

Die Klägerin verlangt weiterhin Ersatz ihres vollen Schadens. Sie trägt vor, ein Mitverschulden sei ihr nicht anzulasten. Ihren Verdienstausfall habe das Landgericht viel zu gering bemessen. Der durch ihren Ausfall entgangene Umsatz sei entgangener Gewinn und mit dem Schaden gleichzusetzen. Das Schmerzensgeld müsse mindestens 80.000,-- DM betragen.

15

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen,

    1. a)

      an die Klägerin 150.374,45 DM nebst 8 % Zinsen auf 33.921,65 DM vom 1.10.1992 bis zum 31.12.1992 und auf 150.374,45 DM seit dem 1.1.1994 b) sowie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 8 % Prozesszinsen zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 18.9.1992 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

16

Die Beklagte beantragt,

  1. 1.

    die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

  2. 2.

    das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

17

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

18

Die Beklagte verbleibt bei ihrer Auffassung, sie habe ihr obliegende Verkehrssicherungspflichten nicht verletzt. Sie trägt vor, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer solchen Verletzung und der Körperverletzung der Klägerin sei nicht bewiesen.

19

Zumindest treffe die Klägerin ein erhebliches Mitverschulden. Zur Schadenshöhe sei das Urteil verfahrensfehlerhaft, weil der Schaden ohne sachverständige Begutachtung des Zustandes der Klägerin nicht beurteilt werden könne. Die vom Landgericht vorgenommene Berechnung des Verdienstausfalls sei nicht nachvollziehbar.

20

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Berufungen der Parteien führen zur Aufhebung des ergangenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, weil das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 539 ZPO leidet. Jedoch kann über den Grund des Anspruchs vorab entschieden werden, §§ 304, 523, 540 ZPO.

22

Das Landgericht hat der Klägerin Schadensersatz zugesprochen, weil es aufgrund der vorgelegten Lichtbilder und der ärztlichen Bescheinigungen als erwiesen angesehen hat, dass die Klägerin jeden falls bis Ende 1993 arbeitsunfähig war, dass die Verätzungen zu starker Narbenbildung im Hals- und Brustbereich geführt haben und sehr schmerzhaft mit langwierigem Heilungsverlauf und Dauerschäden sind und dass Zukunftsschäden zu erwarten sind. Dies ist nicht nachvollziehbar. Den vorgelegten Unterlagen ist Art und Umfang der Verletzungen unmittelbar nach dem Unfall, der Dauerschäden und der eventuellen Zukunftsschäden nicht zu entnehmen. Art und Dauer der stationären und ambulanten Behandlungen ist nicht festgehalten. Der Heilungsverlauf wird nicht mitgeteilt. Die Klägerin hat eine Bescheinigung der medizinischen Hochschule Hannover vom 7.3.1994 über eine ambulante Untersuchung am 4.10.1993 und über eine am 27.1.1994 durchgeführte Operation vorgelegt, die das Ausmaß einer vorhandenen oder zu erwartenden Behinderung nicht erkennen lässt. Die vorgelegten Atteste des praktischen Arztes Dr. ..., eines ohne Datum, das andere vom 24.8.1994, sowie des Attestes des Arztes für Allgemeinmedizin und Sportmedizin Dr. .... vom 3.5.1995 bescheinigen der Klägerin zwar eine Berufsunfähigkeit wegen andauernder Schmerzen und Behinderungen. Wann und wie diese Schmerzen auftreten und inwieweit die Klägerin behindert oder in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt ist, lässt sich den Bescheinigungen aber nicht entnehmen. Zudem hat die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Senat auf Befragen erklärt, seit Mitte 1995 etwa 10 Stunden pro Woche in der Praxis mitzuhelfen. dass die vorgelegten ärztlichen Atteste zur Beweisführung ungeeignet sind, hätte sich dem Landgericht auch deshalb aufdrängen müssen, weil Dr. ... dem Ehemann der Klägerin am 17.8.1992 und am 3.11.1994 eine Berufsunfähigkeit bescheinigt hat, während der Ehemann tatsächlich, wie er bekundet hat, ab Anfang 1993 wieder in der Praxis "voll tätig" gewesen ist. Zu diesen Attesten hat die Klägerin im Berufungsverfahren ausgeführt, es handele sich um eine "rein subjektiv-ärztliche Bewertung". Dem ist nichts hinzuzufügen.

23

Soweit das Landgericht meint, aufgrund eigener Sachkunde an Hand der Lichtbilder und der Atteste feststellen zu können, dass die Klägerin bis Ende 1993 arbeitsunfähig war, dass sie Dauerschäden erlitten hat und Zukunftsschäden zu erwarten sind, ist nicht ersichtlich, woher das Landgericht seine Sachkunde bezieht (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 402 Rn. 7).

24

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ohne eingehende sachverständige Begutachtung der Unfallverletzungen und ihrer Folgen, insbesondere im Hinblick auf eine zeitweise oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, weder die Höhe des Verdienstausfalls noch das Schmerzensgeld zutreffend ermittelt werden kann. Ebenso kann ohne sachverständige Hilfe nicht festgestellt werden, ob der Klägerin weiterer materieller oder immaterieller Schaden droht, für den die Beklagte einzustehen hätte.

25

Die insoweit gebotene Beweiserhebung hat das Landgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen. Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Der Senat hielt es nicht für sachdienlich, von einer Zurückverweisung abzusehen und auch zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche selbst zu entscheiden (§ 540 ZPO) Dagegen erschien es dem Senat sachdienlich, vorab über den Grund der Leistungsansprüche zu entscheiden.

26

Die Beklagte ist aus unerlaubter Handlung gem. §§ 823 Abs. 1, 842 BGB dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin den durch die geplatzte Flasche ,,Abflussfrei" entstandenen Schaden zu ersetzen, weil sie als Herstellerin bei dem Inverkehrbringen ihres Produkts Instruktionspflichten verletzt hat. Allerdings muss die Klägerin sich ein Mitverschulden von 1/3 anrechnen lassen.

27

Die Klägerin ist bei der Verwendung des von der Beklagten hergestellten Mittels verletzt worden. Unstreitig hat sie in ihrem Badezimmer das Mittel benutzt; nach der Verwendung hat sich die Flasche mit dem Mittel verformt und ist sodann geplatzt. Dabei hat die Klägerin erhebliche Verletzungen am Hals, am Oberkörper und an den Armen erlitten. Wie es dazu gekommen ist, hat die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Senat eingehend geschildert. Da diese Schilderung mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. ... vom 9.5.1994 und der dort erläuterten Reaktion des Flascheninhalts in Verbindung mit Wasser in Einklang zu bringen ist, geht der Senat davon aus, dass bei der Verwendung des Mittels "Abflussfrei" versehentlich Wasser in die Flasche gelangt ist und dass dies zu den für die Klägerin schlimmen Verletzungsfolgen geführt hat.

28

Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten reagiert nämlich der Flascheninhalt, wie die Beklagte auch nicht bestreitet, bei einem bestimmten Mischungsverhältnis mit Wasser heftig. Wenn zu einer Restmenge des Inhalts etwa 1/10 der Menge an Wasser hinzugegeben wird (etwa auf 100 g "Abflussfrei" 10 g Wasser) und die Flasche dann verschlossen wird, kann der Inhalt unter beträchtlicher Wärme- und Gasentwicklung reagieren, wobei Temperaturen bis zu 180 Celsius entstehen, die Flasche sich verformt, schmilzt und schließlich (nach etwa 3 Minuten) platzt, so dass der Inhalt verspritzt wird.

29

Eine solche Verletzung hat die Klägerin im Zusammenhang mit der Verwendung der Flasche erlitten. Die Beklagte hat für die Verletzungsfolgen einzustehen.

30

Als Herstellerin des Produkts "Abflussfrei" ist sie verpflichtet, den Verbraucher vor Gefahren zu warnen, die aus der unsachgemäßen Verwendung des Produkts entstehen können, soweit die Verwendung noch im Rahmen der allgemeinen Zweckbestimmung des Produktes liegt (vgl. BGH NJW 1992, 560 f [BGH 12.11.1991 - VI ZR 7/91]). In diesem Rahmen muss nicht nur vor einer missbräuchlichen oder unsachgemäßen Verwendung gewarnt werden, sondern auch vor einem sorglosen Umgang.

31

Da bei dem Gebrauch des Mittels auch unbeabsichtigt eine geringe Menge Wasser in die Flasche gelangen und ein gefährliches Mischungsverhältnis entstehen kann, hätte die Beklagte vor den daraus folgenden Gefahren warnen müssen. Daran fehlt es hier.

32

Zwar enthält der Flaschenaufdruck eine Warnung vor der stark ätzenden Wirkung, fordert das Tragen von Handschuhen und einer Schutzbrille bei der Arbeit und gebietet, keinesfalls Wasser hineinzugießen. Es fehlt aber ein Hinweis, dass, wenn Wasser hineingelangt und die Flasche sodann verschlossen wird, diese explodieren kann.

33

Vor dieser Gefahr hätte die Beklagte wegen der möglichen erheblichen Verletzungsfolgen warnen müssen. dass versehentlich Wasser in die Flasche gelangen kann, liegt bei der vorgesehenen Verwendung des Mittels nicht fern. Nach der Gebrauchsanweisung soll das Mittel in einen Abfluss geschüttet werden, sodann soll mit einer Tasse Wasser nachgespült werden.

34

Die Beklagte muss sich auch ein schuldhaftes Fehlverhalten vorwerfen lassen. Sie hat ihre Warnpflichten fahrlässig verletzt.

35

Als Herstellerin hätte sie selbst prüfen müssen, wie das Mittel mit Wasser in der verschlossenen Flasche reagiert. Sie hätte dann die einem Benutzer drohenden Gefahren erkennen und vor ihnen warnen müssen.

36

Tatsächlich hat sie das Mittel ohne den insoweit erforderlichen Warnhinweis in den Verkehr gegeben Damit ist im Produkthaftungsprozess davon auszugehen, dass ein solcher Instruktionsmangel auf dem Verschulden des Herstellers beruht, wenn die Beklagte nicht den Beweis führt, dass sie kein Verschulden trifft (vgl. BGH NJW 1992, 560, 562) [BGH 12.11.1991 - VI ZR 7/91]. Diesen Beweis hat sie nicht geführt. Sie macht nicht geltend, dass der fehlende Warnhinweis eine Gefahr betrifft, die erst aufgrund neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen aufgedeckt worden wäre. Auch ihre Ausführungen, sie habe in den letzten Jahren das Mittel millionenfach verkauft, aber von einem vergleichbaren Unfall nicht gehört, vermögen sie nicht zu entlasten. Die hohen Verkaufszahlen könnten bei einem Konstruktionsfehler für einen sogenannten Ausreißer sprechen, für den die Beklagte nicht einzustehen hätte. Hier handelt es sich jedoch um einen von ihr zu vertretenden Instruktionsfehler, der sich (möglicherweise) bisher noch nicht in vergleichbaren Unfällen ausgewirkt hat.

37

Es muss auch davon ausgegangen werden, dass die fehlende Warnung für den eingetretenen Schaden ursächlich geworden ist. Allerdings ist dieser Ursachenzusammenhang von der Klägerin zu beweisen. Es besteht jedoch eine tatsächliche Vermutung für die Annahme, dass die Klägerin einen ausreichenden Warnhinweis auf das mögliche Zerbersten der Flasche vernünftigerweise beachtet hätte, dass sie ihn nämlich zum Anlass genommen hätte nicht ungeschützt (unbekleidet) mit dem Mittel zu hantieren, dass sie bei dem vernommenen Zischen sofort geflüchtet wäre, statt die Flasche zu ergreifen, oder dass sie die Flasche nach Gebrauch sogleich an einen entfernteren Ort abgestellt hätte. Zwar hat die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Senat eingeräumt, sie habe die aufgedruckten Warnhinweise auf der Flasche am Unfalltag nicht durchgelesen. Sie hat aber hinzugefügt, dass sie diese Hinweise vor einer früheren Verwendung der Flasche durchgelesen habe. Sie habe das Mittel häufiger in ihrer Praxis in Neuharlingersiel benutzt. Die Gefährlichkeit des Stoffs sei ihr wohl bewusst gewesen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin sich bei einem deutlichen Warnhinweis auf ein mögliches Platzen der Flasche sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch daran erinnert und sich vorsichtiger verhalten hätte.

38

Allerdings ist der Klägerin ein Mitverschulden an der Herbeiführung des Unfalls anzulasten. Dieses besteht darin, dass sie aus Unachtsamkeit, somit fahrlässig, Wasser in die Flasche hat gelangen lassen.

39

Weitergehende Umstände fehlerhaften Verhaltens hat die insoweit darlegungspflichtige Beklagte nicht dargetan. Der Senat hält die Unachtsamkeit der Klägerin für weniger schwerwiegend als den unterbliebenen Warnhinweis der Beklagten und bemisst deshalb das der Klägerin anzulastende Mitverschulden mit 1/3.

40

Neben der Vorabentscheidung zum Grund der Leistungsansprüche war eine Teilabweisung der bezifferten Zahlungsanträge nicht geboten, weil dies eine unabweisbare Folge der Quote ist und deshalb besser im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Höhe der Schadensersatzansprüche geschehen kann.

41

Zur Beurteilung der Schadenshöhe wird das Landgericht ein weiteres Gutachten zum entgangenen Gewinn der Klägerin einholen müssen. Das vorliegende Gutachten des Sachverständigen ... vom 19.6.1995 ist unbrauchbar, weil die maßgeblichen Ausführungen zum entgangenen Gewinn auf einer nicht nachvollziehbaren Schätzung der ersparten Ausgaben beruhen. Es geht auch nicht an, dass die Einnahmen der Klägerin um die Einnahmen ihres Ehemannes (im Jahr 1993) gekürzt werden. Ebensowenig kann unterstellt werden, dass ihr Ehemann durch seine Einnahmen die Unkosten der Praxis allein abgedeckt hätte, so dass die erzielbaren Einnahmen der Klägerin als Gewinn zu behandeln und dem Schaden gleichzusetzen wären. Unabhängig davon, welche steuerliche Konstruktion die Klägerin und ihr Ehemann für die Praxis in Wilhelmshaven gewählt haben, ist für ihren "Verdienstausfall" maßgeblich, welchen Gewinn sie durch ihre Arbeit in Wilhelmshaven ohne den Unfall hätte erzielen können. Dabei dürfte es im Ergebnis nicht so sehr darauf ankommen, ob diese Praxis als Gemeinschaftspraxis beider Eheleute oder tatsächlich allein von der Klägerin geführt wurde. Im Fall einer Gemeinschaftspraxis müsste die Klägerin ihren Ehemann an ihrem Gewinn beteiligen, wobei die Praxiskosten hälftig zu teilen wären. Wenn dagegen darauf abgestellt wird, dass die Klägerin die Praxis allein betrieben hat, muss sie auch sämtliche Praxiskosten tragen.

42

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens war dem Landgericht zu übertragen.

43

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.