Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.10.2019, Az.: 1 V 91/19

Hinzuschätzungen bei einer Spielhalle

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.10.2019
Aktenzeichen
1 V 91/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 42577
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2019:1011.1V91.19.00

Amtlicher Leitsatz

Die Rechtmäßigkeit von Bescheiden über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie über den Gewerbesteuermessbetrag, in denen hinzugeschätzte Einnahmen berücksichtigt sind, kann ernstlich zweifelhaft sein, wenn das Finanzamt, ohne die Zusammenhänge nachvollziehbar zu erläutern, seine Schätzungsbefugnis aus dem Fehlen des Statistikteils der Auslesestreifen herleitet, in dem "durch Hand eingestellte Kreditbeträge und Sonderspiele" der Geldglücksspielgeräte ausgewiesen sein sollen, die Hinzurechnungen per Hand zur elektronisch gezählten Kasse erforderlich machen sollen.

Die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden, in denen hinzugeschätzte Einnahmen berücksichtigt sind, kann ernstlich zweifelhaft sein, wenn das Finanzamt ausgehend von den gebuchten Betriebsausgaben anhand der Reingewinnsätze der Richtsatzsammlung die Betriebseinnahmen schätzt, wenn nicht sicher ist, dass der Steuerpflichtige - wie bei den Richtsatzbetrieben vorausgesetzt - im Betrieb unentgeltlich mitarbeitet.

Tenor:

Die Vollziehung der Bescheide für 20xx, 20xx+1 und 20xx+2 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie der Bescheide 20xx+1-20xx+2 über den Gewerbesteuermessbetrag, alle vom ... 2019, wird vom Eingang der Einspruchsschrift bei dem Antragsgegner bis einen Monat nach dem Ergehen der jeweiligen Einspruchsentscheidung bzw. nach der anderweitigen Erledigung der Einsprüche ausgesetzt bzw. aufgehoben.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu 91 v. H. und der Antragsteller im Übrigen zu tragen.

Gründe

I.

1

Streitig sind Hinzuschätzungen im Anschluss an eine Außenprüfung.

2

Der Antragsteller betreibt mehrere Spielhallen mit Geldglücksspielgeräten, seit dem ... 20xx auch eine Spielhalle in A im Bezirk des Antragsgegners (das Finanzamt). Einkommensteuerlich wird er bei einem anderen Finanzamt geführt. Er war bis März 20xx+1 als ... in Vollzeit nichtselbständig tätig. Seit dem ... Juli 20xx+2 ist er nach den Erkenntnissen der Finanzbehörden bei der B GmbH angestellt, deren Geschäftsführerin seine Schwester ist.

3

Der Antragsteller ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Für die Jahre 20xx - 20xx+2 erklärte der Antragsteller Verluste in Höhe von 29-40 T€. Das Finanzamt erließ erklärungsgemäße Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und über den Gewerbesteuermessbetrag, die mit Ausnahme der für das Jahr 20xx+1 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.

4

Das Finanzamt ordnete im Jahr 20xx+4 eine Außenprüfung an, die sich unter anderem auf die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie die Gewerbesteuer 20xx-20xx+2 erstrecken sollte. Die Außenprüfung begann 20xx+4.

5

Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, die Aufzeichnungen des Antragstellers seien formell nicht ordnungsgemäß. Er rügte insbesondere, die Statistikteile der Auslesestreifen der Geräte seien regelmäßig nicht ausgedruckt bzw. nach dem Ausdruck vom Auslesestreifen abgeschnitten worden. Es lägen fast ausschließlich nur sogenannte Kurzstreifen vor. Ohne die Angaben im Statistikteil sei die Beweiskraft eines Auslesestreifens nicht gegeben. Da in diesem Teil neben der Spielstatistik unter anderem die Seriennummer, die Fehlermeldungen, die Ereignisliste und die Liste der Türöffnungen abgebildet würden und alle diese Angaben bestimmten Plausibilitäten unterlägen, träte eine Beweiskraft dieser Belege im Sinne von § 158 Abgabenordnung (AO) als Teil der Buchführung erst mit Vorlage des vollständigen Auslesestreifens (sog. Langstreifen) ein. Es handele sich um einen Verstoß gegen § 147 Abs. 1 Nummer 4 AO. Die Buchführungsmängel erschütterten die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO), sodass die Buchführungsergebnisse hinsichtlich der Vollständigkeit der Erlöse nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnten. Die Buchführungsergebnisse seien gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen.

6

Der Prüfer sah es als sachgerecht an, eine Schätzung ausgehend von den erklärten Betriebsausgaben nach dem amtlichen Richtsatz für den Reingewinn vorzunehmen, weil die Betriebsausgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollständig in den Aufzeichnungen erfasst seien. Im Betriebsprüfungsbericht heißt es, als Schätzungsgrundlage dienten somit die Zahlenwerte des Unternehmens. Um Lage, Ausstattung und Bekanntheit angemessen zu berücksichtigen, setzte er einen durchschnittlichen Richtsatz an, im Übernahmejahr 20xx davon die Hälfte. Es ergaben sich so für die Jahre 20xx-20xx+2 Hinzuschätzungen zum Gewinn von (brutto) 43, 123 und 151 T€. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht über die Außenprüfung vom ... 20xx+5 verwiesen.

7

Das Finanzamt erließ der Rechtsauffassung des Prüfers entsprechende Änderungsbescheide für die Prüfungsjahre, die auf § 164 Abs. 2 AO bzw. für 20xx+1 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt waren. Außerdem änderte es den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid für 20xx+3 über den Gewerbesteuermessbetrag, weil der ursprünglich angerechnete Verlust entfallen war. Die Bescheide für 20xx und 20xx+3 über den Gewerbesteuermessbetrag lauten auch nach der Änderung auf 0 €. Sämtliche Bescheide sind mit Einsprüchen angefochten, über die noch nicht entschieden ist. Das Finanzamt hat mit Bescheid vom ... 2019 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitigen Bescheide abgelehnt.

8

Der Antragsteller begehrt, sämtliche streitigen Bescheide in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen. Der vom Finanzamt behauptete Verstoß gegen die Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff sei weder nachvollziehbar noch im Ansatz substantiiert dargelegt. Die Behauptung des Finanzamts, ohne den Statistikteil sei die Beweiskraft des Auslesestreifens nicht gegeben, sei falsch. Das Finanzamt verkenne, dass sämtliche Geldflüsse sowie alle für eine ordnungsgemäße Buchhaltung steuerlich relevanten Daten aus den vorliegenden sogenannten Kurzstreifen/Auslesestreifen vollständig erkennbar seien. Die Kurzstreifen enthielten alle Geldbewegungen - Einwürfe, Auszahlungen, Nachfüllungen, Entnahmen -, die für eine ordnungsgemäße Buchhaltung maßgeblich zu dokumentieren seien. Der seitens des Finanzamts als fehlend bemängelte Statistikteil gäbe lediglich Aufschluss über statistische Auswertungen, wobei die Einstellungen hierbei zum Teil variabel seien. Maßgeblich für eine Identifizierung und Zuordnung der Spielgeräte sei nicht die in den Statistikteilen ohnehin nicht wiedergegebene Seriennummer des Gerätes, die sich nur auf dem Gerätegehäuse befinde, sondern die Zulassungsnummer, welche für das jeweils in dem Gehäuse installierte Spielepaket vom Hersteller vergeben worden sei. Diese Zulassungsnummer sei auf den ausgedruckten Kurzstreifen lückenlos vorhanden gewesen. Warum etwaige Fehlermeldungen, Ereignislisten und Türöffnungen für eine ordnungsgemäße Buchhaltung unbedingt erforderlich sein sollten, sei nicht ersichtlich. Zwar könne bei einer Türöffnung Geld entnommen werden, jede Entnahme von Geld werde aber vom Gerät gesondert angezeigt und auf dem Kurzstreifen ausgewiesen. Insgesamt lägen keine Buchführungsmängel vor, sodass die Schätzung des Finanzamts rechtswidrig sei.

9

Ohnehin sei die Schätzung fehlerhaft. Auch wenn die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß wäre, sei darauf abzustellen, inwieweit sie sachlich unrichtig sei. Insoweit sei aufgrund der lückenlosen Buchhaltung kein Raum für Hinzuschätzungen.

10

Der Antragsteller habe am 7., 10., 15. und 27. ... 20xx im Rahmen der Betriebsgründung Darlehen in Höhe von insgesamt 89 T€ von Freunden, Geschäftspartnern, seiner Schwester und seiner Ehefrau erhalten. Die diesbezüglichen Darlehensverträge seien vorgelegt.

11

Die Aussetzung der Vollziehung sei auch zur Abwendung schwerwiegender Nachteile notwendig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom ... 2019 Bezug genommen.

12

Der Antragsteller beantragt,

13

die Bescheide für 20xx-20xx+2 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie die Bescheide 20xx-20xx+3 über den Gewerbesteuermessbetrag, alle vom ... 2019, von der Vollziehung auszusetzen.

14

Der Antragsgegner hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,

15

den Antrag abzulehnen.

16

Das Finanzamt meint, der Antragsteller habe für die Besteuerung bedeutsame Unterlagen nicht geordnet aufbewahrt, obwohl er dazu verpflichtet sei (§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO). Der Mangel sei dadurch gegeben, dass zu einem Großteil nur Kurzstreifen anstelle von Langstreifen zu den ausgelesenen Daten aus den Geldglücksspielgeräten vorhanden seien.

17

Die auf den Kurzstreifen ausgewiesene Position "elektronisch gezählte Kasse" bilde die Grundlage des Zahlenwerks für steuerliche Zwecke, müsse hierfür aber manuell ergänzt werden. So seien unter anderem in den Geldglücksspielgeräten durch Hand eingestellte Kreditbeträge und Sonderspiele der Position "elektronisch gezählte Kasse" hinzuzurechnen. Ob und wenn ja welche Kreditbeträge oder Sonderspiele auf einem Gerät eingestellt gewesen seien, sei ausschließlich dem Statistikteil des Auslesestreifens, also ausschließlich dem sogenannten Langstreifen, zu entnehmen. Der Statistikteil sei deshalb mit den als sonstige Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nummer 5 AO anerkannten Registrierkassenstreifen, Kassenzetteln und Bons vergleichbar. Durch die fehlenden Teile der Auslesestreifen sei eine Überprüfung der Zahlenwerte auf dem verbleibenden Ausdruck nicht möglich.

18

Es bestünden auch in sachlicher Hinsicht Zweifel an der Richtigkeit der Buchführung. Die Einkünfte der Jahre 20xx-3 - 20xx+2 des Antragstellers beliefen sich auf insgesamt ./. 75 T€. Obwohl durchgehend Verluste erwirtschaftet worden seien, habe der Antragsteller seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen können. Hierzu seien Bareinzahlungen auf sein Bankkonto vorgenommen worden. Die Herkunft der eingezahlten Barmittel habe nicht geklärt werden können, obwohl der Antragsteller im Rahmen der Betriebsprüfung zur Stellungnahme aufgefordert worden sei. Der Antragsteller trage insoweit vor, er habe Darlehen von Verwandten und Freunden erhalten und ihm seien diese Darlehen in bar ausgezahlt worden. Die zu diesem Sachvortrag vorgelegten Darlehensverträge könnten die Herkunft der Barmittel nicht erklären, weil Nachweise zur tatsächlichen Zahlung der Darlehenssummen nicht vorlägen.

19

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom ... und ... 2019 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt.

II.

20

Der Antrag ist im Wesentlichen begründet.

21

I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 und 4 Finanzgerichtsordnung - FGO).

22

II. Der Antrag ist nur insoweit abzulehnen, als der Antragsteller die Aussetzung der Bescheide 20xx und 20xx+3 über den Gewerbesteuermessbetrag begehrt. Insoweit liegen zwar vollziehbare Verwaltungsakte vor, die Grundlagenbescheide für die nachfolgenden Gewerbesteuerbescheide der Gemeinde sind. Es ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich, woraus sich das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der auf 0 € lautenden Bescheide ergeben soll.

23

Im Übrigen hat der Antrag Erfolg. Der Antrag ist gemäß § 69 Abs. 4 FGO statthaft. Das Finanzamt hat einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitigen Bescheide abgelehnt.

24

1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

25

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. März 2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999 und vom 19. März 2014 III S 22/13, BFH/NV 2014, 856 jeweils mit weiteren Nachweisen).

26

Solche Gründe liegen hier vor.

27

a. Bei der gebotenen summarischen Betrachtung bleiben ernstliche Zweifel, ob das Finanzamt zur Schätzung befugt ist. Die streitige Frage, ob die Buchführung ordnungsgemäß ist, lässt sich nicht sicher verneinen.

28

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann (sog. Vorrang der Sachverhaltsermittlung und -feststellung, vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 2010 V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015). Liegt diese Voraussetzung vor, hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Ein Ermessen besteht insoweit nicht.

29

§ 162 Abs. 2 AO konkretisiert die wichtigsten Schätzungsanlässe, ist jedoch nicht abschließend. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO i. V. m. § 158 AO sind die Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann zu schätzen, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden. Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. § 158 AO begründet eine Rechtsvermutung zugunsten der sachlichen Richtigkeit der Buchführung. Das Ergebnis einer formell ordnungsgemäßen Buchführung ist nur insoweit nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, als die Vermutung des § 158 AO von der Finanzbehörde widerlegt wird (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 2015 [BFH 13.07.2010 - V B 121/09]; zum Ganzen BFH-Beschluss vom 19. Februar 2018 II B 75/16, BFH/NV 2018, 706).

30

Es ist unklar, ob das Fehlen des sog. Statistikteils in den Kurzstreifen einen Buchführungsmangel darstellt. Mangels einer nachvollziehbaren Erläuterung der ertragsteuerlichen Auswirkungen lässt sich nicht sicher beurteilen, inwieweit sich "durch Hand eingestellte Kreditbeträge und Sonderspiele" an einem Geldglücksspielgerät bei einem Steuerpflichtigen, der wie der Antragsteller seinen Gewinn durch Einnahmeüberschussrechnung ermittelt, auf den Gewinn auswirken und deshalb die Statistikteile der Auslesestreifen mit den diesbezüglichen Angaben für die Besteuerung von Bedeutung sind. In dem "Datenausdruck für Geldspielgeräte ..." des Herstellers ist von solchen Einstellmöglichkeiten per Hand ebenso wenig die Rede wie - folgerichtig - von der Notwendigkeit, per Hand Hinzurechnungen zu dem für die elektronisch gezählte Kasse ausgewiesenen Betrag vorzunehmen. Der Fachprüfer des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen ..., den das Finanzamt um eine Stellungnahme gebeten hatte, rügt die fehlende Überprüfbarkeit durch Hand eingestellter Kreditbeträge und Sonderspiele in seinem ausführlichen, 25 Seiten (ohne Anlagen) umfassenden Gutachten ebenfalls nicht.

31

Soweit das Finanzamt durch den Zusatz "unter anderem" andeutet, es gäbe noch weitere Beträge, die der elektronisch gezählten Kasse hinzuzurechnen seien, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Es ist nicht nachvollziehbar, worauf sich das Finanzamt bezieht.

32

Der Antragsteller bestreitet die im Rahmen der Außenprüfung behaupteten Buchführungsmängel mit substantiiertem Vortrag. Er führt aus, die Seriennummer des Gehäuses sei ohne Bedeutung, es komme vielmehr auf die Zulassungsnummer an, die für das jeweils in dem Gehäuse installierte Spielepaket vom Hersteller vergeben worden sei. Diese Zulassungsnummer werde auf den Kurzstreifen aber ausgedruckt. Die Seriennummer sei auch ohnehin nicht im Statistikteil enthalten. Dem ist das Finanzamt im gerichtlichen Verfahren nicht entgegengetreten. Wofür die Seriennummer des Gerätes bei vorhandener Zulassungsnummer des Spielepakets von Bedeutung ist, ist vom Finanzamt nicht dargelegt.

33

Entsprechendes gilt für die Türöffnungen, die unstreitig in dem Statistikteil ausgewiesen werden, auf den Kurzstreifen jedoch nicht. Der Antragsteller räumt zwar ein, dass bei jeder Türöffnung auch Geld entnommen werden kann. Jedoch wird nach seiner Darstellung jede Geldentnahme vom Gerät dokumentiert und auf den Kurzstreifen ausgedruckt. Das Finanzamt tritt diesen Ausführungen nicht entgegen. Es macht auch keine Angaben dazu, welche Folgerungen gezogen werden könnten oder welche zusätzlichen Prüfungsansätze sich auftäten, wenn die Zahl der Türöffnungen bekannt wäre.

34

Der Hinweis auf Plausibilitäten, die zwischen den Angaben im Statistikteil und denen auf den Kurzstreifen bestehen sollen, ist allgemein gehalten und ohne nähere Erläuterungen nicht überprüfbar.

35

b. Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis gegeben wäre, ist ernstlich zweifelhaft, ob die Schätzung des Finanzamts methodisch fehlerfrei durchgeführt worden ist.

36

Es erscheint fraglich, ob die aus der Buchführung ersichtlichen Beträge für Betriebsausgaben als Ausgangspunkt der Schätzung geeignet sind. Der Prüfer hat mittels der Reingewinnsätze der Richtsatzsammlung die Betriebseinnahmen errechnet, die angesichts der erklärten Betriebsausgaben notwendig sind, um einen nach der Richtsatzsammlung mittleren Reingewinn zu erzielen. Die errechneten abzüglich der erklärten Betriebseinnahmen ergeben den Nettobetrag der Hinzuschätzung. Diese Vorgehensweise könnte im Streitfall fehlerhaft sein, weil sich die Richtsätze auf Betriebe beziehen, in denen der Inhaber unentgeltlich mitarbeitet. Das dürfte dem Antragsteller nicht möglich gewesen sein. Er war bis März 20xx+1 in Vollzeit als ... beschäftigt. Aktenkundig ist ferner, dass er seit ... Juli 20xx+2 für die B GmbH tätig gewesen sein soll. Der zeitliche Umfang dieser Tätigkeit ist unbekannt. Der Antragsteller selbst erwähnt diese Anstellung nicht. Dem Antragsteller gehörten auch noch weitere Spielhallen, was sich ebenfalls auf den Umfang seiner Mitarbeit in der Spielhalle in A ausgewirkt haben könnte. Gegenüber den Richtsatzbetrieben könnten die Lohnaufwendungen des Antragstellers daher zu hoch und anzupassen sein. Dadurch würde sich der Betrag der Betriebsausgaben, auf dem die Schätzung des Finanzamts aufbaut, mindern.

37

c. Soweit das Finanzamt die Darlehensgewährungen an den Antragsteller anzweifelt (und wohl nicht erklärte Einnahmen des Antragstellers vermutet), fehlt es wiederum an der Substantiierung. Die schriftlichen Darlehensverträge liegen als präsente Beweismittel vor. Das Finanzamt hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum den Darlehensgebern die Darlehensgewährungen nicht möglich gewesen sein sollten. Dass die Darlehenssummen dem Antragsteller in bar übergeben worden sein sollen, mag ungewöhnlich sein, genügt aber für sich allein nicht, die Darstellung des Antragstellers zu verwerfen.

38

Selbst wenn es anders wäre, ist es vom zeitlichen Ablauf her ausgeschlossen, dass die dann womöglich nicht erklärten Einnahmen in Höhe von 89 T€ in den hier angefochtenen Bescheiden zu erfassen wären. Die Darlehensauszahlungen sind nach den Verträgen bei Vertragsschluss im ... 20xx erfolgt, also vor der Übernahme der Spielhalle durch den Antragsteller. Der Antragsteller hat Anlagevermögen der Spielhalle für 89 T€ zzgl. Umsatzsteuer erworben und den Kaufpreis laut vorliegender Quittung am ... 20xx in voller Höhe bar bezahlt. Der Nettokaufpreis von 89 T€ entspricht der Summe der aufgenommenen Darlehen. Die Darlehenssummen übersteigen die vom Finanzamt für die Jahre 20xx-3-20xx+2 ermittelten negativen Einkünfte von ./. 75 T€ und erklären somit, wie der Antragsteller trotz der negativen Einkünfte seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen konnte.

39

d. Weiter ist ernstlich zweifelhaft, ob sich das Finanzamt bezüglich der Bescheide für 20xx+1 zu Recht auf die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nummer 1 AO beruft.

40

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache im Sinne. des § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 21. Februar 2017 VIII R 46/13, BFHE 257, 198, BStBl II 2017, 745, Rz 34, m.w.N.). Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des geänderten Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 29. November 2017 II R 52/15, BFHE 260, 306, BStBl II 2018, 419).

41

Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des geänderten Steuerbescheids noch nicht kannte. Die Tatsache muss daher zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt sein. Dies gilt auch für Hilfstatsachen, die den sicheren Schluss auf eine (innere) Haupttatsache (wie z.B. eine Kenntnis oder eine Absicht) zulassen (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 2019 IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057 m. w. N.).

42

Bestehen aus den dargelegten Gründen ernstliche Zweifel an dem Vorhandensein von Buchführungsmängeln, bestehen damit auch ernstliche Zweifel an dem Vorliegen von Tatsachen oder Beweismitteln, die zu einer höheren Steuer führen.

43

e. Auf die Frage, ob die Vollziehung der Bescheide für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, kommt es nicht mehr an.

44

2. Soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen vollziehbaren Bescheide bestehen, wird die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung vom Eingang des Einspruchs bei dem Finanzamt bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung(en) in der Hauptsache gewährt.

45

Da die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nur für die Zukunft wirkt, war gemäß § 69 Abs. 2 und 3 FGO die Vollziehung der vollziehbaren Bescheide von dem Zeitpunkt an aufzuheben, zu dem Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestanden haben. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung schließt, sofern er nicht im Einzelfall erkennbar auf eine in Zukunft wirkende Maßnahme beschränkt wird, das Begehren nach einer Aufhebung der Vollziehung ein (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351, m. w. N.).

46

Die aufgezeigten Zweifel bei der Beurteilung der Rechtslage bestehen seit Erlass der Bescheide. Der Antragsteller hat mit seinem mit der Einspruchseinlegung verbundenen Erstantrag deutlich gemacht, dass er die Aussetzung der Vollziehung für das gesamte außergerichtliche Verfahren anstrebt. Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung soll nur für die Dauer eines Verfahrensabschnitts, hier also des außergerichtlichen Verfahrens, angeordnet werden (vgl. BFH-Urteil vom 3. Januar 1978 VII S 13/77, BStBl II 1978, 157).

47

Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung der Folgebescheide zu entscheiden.

48

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Als Streitwert für die auf 0 € lautenden Bescheide sind 500 €, der Eingangswert der Streitwerttabelle, berücksichtigt worden (vgl. Brandt in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 139, 80).