Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.07.2015, Az.: 5 U 24/15

Sittenwidrige Überhöhung des Einheitspreises für eine Eventualposition "Baustelleneinrichtung, Verlängerung"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.07.2015
Aktenzeichen
5 U 24/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 41036
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0730.5U24.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 10.02.2015

Fundstellen

  • BauR 2017, 563-565
  • GK/Bay 2017, 235-236
  • IBR 2017, 5

Amtlicher Leitsatz

Der Einheitspreis einer Eventualposition für "Baustelleneinrichtung, Verlängerung" über 13.230 Euro, der einen Wagnis- und Gewinnanteil in Höhe von 11.750 Euro enthält, ist sittenwidrig überhöht (§ 138 Abs. 1 BGB).

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Februar 2015 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Der Klägerin fallen die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen der Streithelferin des beklagten Landes zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Das beklagte Land (nachfolgend: die Beklagte) beauftragte die Klägerin mit Fassadensanierungsarbeiten an der ... Hochschule. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin knapp 80.000,00 Euro für "Baustelleneinrichtung, Verlängerung" (Pos. 01.01.0010) nämlich für 6 Monate á 13.230,14 Euro netto. Die Beklagte hatte die zugehörigen Abschlagsrechnungen beglichen und sie aus der Schlussrechnung herausgekürzt, weil sie der Auffassung ist, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein. Die Beklagte errechnet sich einen Saldo zu ihren Gunsten. Dem Grunde nach unstreitige Forderungen der Klägerin von insgesamt 10.561,69 Euro aus den Rechnungen Nr. 12082, 12083, 11368 sind ebenfalls Gegenstand der Klage.

Das Angebot der Klägerin vom 16. Mai 2012 (K 1) enthielt die fragliche Position mit der Beschreibung "Baustelleneinrichtung, Verlängerung" als Eventualposition. Das von der Beklagten beauftragte Ingenieurbüro wies diese auf überhöhte Preise für die Verlängerung der Baustelleneinrichtung hin. Die Beklagte erteilte den Auftrag dem Angebot gemäß. Die Baumaßnahme wurde vom 30. Juli 2012 bis zum 31. Januar 2013 unterbrochen, weil von einem Drittunternehmer zu erbringende Vorleistungen fehlten. Nach einer Baubesprechung schrieb die Klägerin den Architekten (Schreiben vom 27. Juli 2012, K 3, Anlagenband):

"Wie besprochen werden wir das Mauerwerk beim o. g. Bauvorhaben nicht bis zu geplanter Sollhöhe fertigstellen. Wir werden wunschgemäß die Baumaßnahme am 30. Juli 2012 unterbrechen und die restlichen drei bis vier Schichten Mauerwerk erst fertigstellen, wenn die Unterkonstruktion der Fassade montiert ist. Für weitere Rückfragen und Besprechungen stehen wir Ihnen jederzeit gern zur Verfügung (...)."

Die Klägerin hat ihren Vortrag zur Kalkulation der Eventualposition wie folgt spezifiziert:

Sonstiges: 163,54 Euro

Sanitär: 345,60 Euro

Stromzählerkasten und Leitungen: 540,00 Euro

Bauzaun/Vorhängeschloss: 280,80 Euro

Bauwagen und Materialcontainer: 151,20 Euro

Wagnis und Gewinn: 11.750,00 Euro

GESAMT: 13.230,14 Euro

Von dieser Kalkulation sind "Sonstiges" und "Wagnis und Gewinn" streitig.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Eventualposition sei zumindest konkludent vereinbart.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 81.436,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. August 2013 sowie vorgerichtliche Kosten zur Höhe von netto 1.680,10 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein Nachtrag zu dieser Eventualposition sei nicht vereinbart; dies hätte ausdrücklich erfolgen müssen. Sie sei nicht notwendig gewesen, zudem habe die Klägerin eine entsprechende vergütungsfähige Leistung nicht erbracht. Die Urkalkulation sei nicht vorgelegt, der Einheitspreis zudem sittenwidrig überhöht.

Nach der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2014 (Bl. 132 ff.) vorgetragen, den Preis von 13.230,14 Euro für Baustelleneinrichtung, Verlängerung habe die Klägerin auch in anderen Angeboten Centgenau verwandt, jedoch mit gänzlich anderer Aufschlüsselung. Das belege, dass die im hiesigen Verfahren vorgelegte Kalkulation nicht die Urkalkulation sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Position "Baustelleneinrichtung, Verlängerung" mit 13.230,14 Euro netto sittenwidrig überhöht sei. Die Klägerin sei bereits überzahlt. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 139 ff.) Bezug genommen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag in voller Höhe weiterverfolgt.

Sie meint, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu überhöhten Einzelpositionen im Leistungsverzeichnis sei nicht übertragbar auf die Eventualpositionen des Angebotes und der Preis nicht sittenwidrig überhöht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 155 ff.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 10. Februar 2015 (Az. 9 O 14/14) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 81.436,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 28. August 2013, sowie vorgerichtliche Kosten zur Höhe von netto 1.680,10 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil, ergänzt und vertieft ihren Vortrag. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 1. Juni 2015 (Bl. 172 ff.) Bezug genommen.

Die Streithelferin der Beklagten schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Es kann dahinstehen, ob hinsichtlich der streitigen Position überhaupt eine Nachtragsvereinbarung zustande gekommen ist, obwohl die Beklagte in ihrem Leistungsverzeichnis (B 2) unter 01.01.0010 aufgenommen hat, für die "verlängerte Vorhaltung für die Baustelleneinrichtung zur Durchführung der Rohbauarbeiten, Verlängerung gegenüber den vertraglich festgelegten Ausführungsterminen, für vom AG zu vertretende Verlängerung und vom AN zu vertretende Verlängerungen werden nicht vergütet" und ein ausdrückliches Gespräch über die Verlängerungskosten nicht stattgefunden hat. Denn die von der Klägerin angesetzte Position 01.01.0010 mit 13.230,14 Euro netto ist sittenwidrig überhöht, § 138 Abs. 1 BGB.

1. Folgende Umstände indizieren die unredliche Absicht der Klägerin:

- Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Klägerin den Betrag von 13.240,13 Euro netto für eine Baustellenverlängerung auch bei anderen Angeboten verwandt hat, denen eine gänzlich andere Leistung zugrunde lag. Die genannte Summe wurde jeweils mit unterschiedlichen Positionen "aufgefüllt". Das eine Mal handelte es sich um Lohn, Material und Geräte, das andere Mal um Pkw-Kilometer, LKW, Baumittellohn, Pkw-Bauleitung, Baustelleneinrichtungsverlängerung und Baumaschinen.

Warum sich bei gänzlich anderen Auftragsgestaltungen jeweils der identische Preis ergibt, vermochte die Klägerin nach Hinweis und Erörterung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht zu erklären.

- Weiter fällt auf, dass bei dem Versuch der Vereinzelung Kleinigkeiten wie etwa Bauzaun und Vorhängeschloss mit dem Zusatz "usw." mit 280,80 Euro gelistet werden und es darüber hinaus noch eine Position "Sonstiges" mit 162,54 Euro gibt. Was dieses "Sonstige" sein soll, hat sich dem Senat nicht erschlossen.

- Die Summe von 11.750,00 Euro netto für "Wagnis und Gewinn" steht schon zu diesen anderen genannten Positionen in keinem nachvollziehbaren Verhältnis.

Es liegt vielmehr die Vermutung nahe, als verwende die Klägerin üblicherweise diesen Betrag, um im besten Falle ihren Gewinn nachhaltig zu erhöhen.

2. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, der Beklagten sei der Preis positiv bekannt gewesen. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass die Klägerin den Umstand ausnutzen wollte, dem zuständigen Sachbearbeiter werde diese Eventualposition "durchrutschen". Der Zahlung von Abschlagsrechnungen kommt keine eigenständige Bedeutung zu.

Wegen der "Abwehrklausel" in der Leistungsbeschreibung der Beklagten hätte die Klägerin erkennen können, dass die Gegenseite dieser Position keine besondere Aufmerksamkeit beimisst und sie es im Drange der Geschäfte - wie nicht unüblich - unterlässt, vorsorglich diese Frage vorab zu klären.

Der Hinweis der Klägerin darauf, die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 7. März 2013, Az.: VII ZR 68/10) betreffe gerade nicht eine Eventual-Position für eine erforderliche Leistung, verfängt nicht. Im vorliegenden Fall ist weder dargetan noch ersichtlich, dass es einen maßgeblichen Einfluss auf die Höhe der anfallenden Kosten gemacht hätte, ob die Beklagte die "vorläufige Beendigung" der Baustelle anordnet mit dem vollständigen Abzug oder lediglich eine Unterbrechung. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist im Einzelnen erörtert worden, dass auf der Baustelle lediglich zwei Bauwagen vorgehalten wurden, von denen einer dann später auf Aufforderung der Beklagten abgezogen wurde, sowie eine Toilette, der Bauzaun und Elektrizitätsequipment. Es ist nicht im Ansatz nachvollziehbar, dass das "Vorhalten" dieser Gerätschaften zu Kosten und entgangenem Gewinn der Klägerin in der angegebenen Höhe geführt haben soll. Auch auf Vorhalt und Erörterung in der mündlichen Verhandlung war die Klägerin nicht in der Lage, dazu Näheres auszuführen.

3. Diese - von der Klägerin nicht entkräfteten - Indizien lassen den Schluss zu, dass die Klägerin von Anfang an darauf abgehoben hat, die Beklagte durch diese erhöhte Eventualposition zu übervorteilen. Die Vermutung, die Beklagte werde dieser Position, weil es sich um eine Eventualposition handelt, keine Aufmerksamkeit schenken, konnte die Klägerin ebenfalls nicht entkräften. Der Klägerin war als Fachfirma positiv bekannt, dass es - gerade bei Großbauvorhaben - häufig zu Bauzeitverlängerungen kommt. Diese hohe Wahrscheinlichkeit wollte sie sich Zunutze machen, indem sie in einer Eventualposition trotz der "Abwehrklausel" der Beklagten einen exorbitant hohen Preis ohne gleichwertige Gegenleistung unterbrachte. Ein solches Vorgehen kann die Rechtsordnung nicht hinnehmen, auch wenn der Klägerin zu konstatieren ist, dass die Beklagte durch ein eindeutiges Verhalten, nämlich das Streichen der Position und eine Klärung bei der Vereinbarung der Unterbrechung den vorliegenden Rechtsstreit voraussichtlich hätte vermeiden können.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nach Auffassung des Senates nicht, ebenso wenig die Frage einer Fortentwicklung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 543 Abs. 2 ZPO.