Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.07.2015, Az.: 2 W 159/15

Zulässigkeit der Wiederaufnahme gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.07.2015
Aktenzeichen
2 W 159/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 20957
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0710.2W159.15.0A

Amtlicher Leitsatz

Ein Wiederaufnahmeverfahren in Gestalt eines Nichtigkeitsantrages ist auch nach einem Beschluss über die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig.

Tenor:

Der am 6. Juli 2015 vorab durch Telefax eingegangene Nichtigkeitsantrag des Antragsstellers vom selben Tage gegen den ihm per Telefax übersandten Beschluss des Senats vom 2. Juni 2015 wird abgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Gegenstandes des Wiederaufnahmeverfahrens wird auf 88.378,92 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Nichtigkeitsantrag des Antragstellers ist statthaft.

Auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Entscheidungen sind wiederaufnahmefähig (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, vor § 578 Rn. 9 m.w.N.). Eine Wiederaufnahme ist nicht nur gegen Endurteile, sondern analog §§ 578 ff. ZPO auch gegen nicht mehr anfechtbare Beschlüsse gegeben, die ein Streitverfahren urteilsvertretend beenden (vgl. BVerfG NJW 1993, 3256 [BVerfG 09.06.1993 - 1 BvR 380/93]; Musielak/Voit, ZPO, 12. Auflage 2015, § 578 Rn. 13). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Nichtigkeitsantrag des Antragstellers richtet sich gegen den nicht mehr anfechtbaren Beschluss des Senats vom 2. Juni 2015, durch den die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den sein Gesuch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen und das vor dem Senat anhängig gewesene Beschwerdeverfahren 2 W 127/15 urteilsvertretend beendet worden ist. Der Antragsteller macht den Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geltend, den er auch hinreichend dargetan hat. Dazu ist die schlüssige Behauptung ausreichend, ohne dass der Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorzuliegen braucht (vgl. BGHZ 57, 211; BGH NJW 1995, 332 [BGH 22.11.1994 - X ZR 51/92]).

Zur Entscheidung über den Antrag ist analog § 584 Abs. 1 2. Alt. ZPO der Senat als Beschwerdegericht berufen, weil er die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Dabei hat der Senat in voller Besetzung zu entscheiden, weil er auch in dem zugrundeliegenden Verfahren aufgrund der Übertragung nach § 568 ZPO entschieden hat und somit als erkennendes Gericht im Sinne des § 584 Abs. 1 ZPO anzusehen ist (vgl. für den umgekehrten Fall der Übertragung durch die Kammer auf den Einzelrichter gemäß § 348 a ZPO: Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, § 584 Rn. 1).

Der Antrag ist auch in der gesetzlichen Form und Frist gemäß §§ 585 ff. ZPO erhoben. Insbesondere hat der Antragsteller hinreichend dargetan, dass er von der durch den Beschluss des Einzelrichters vom 1. Juni 2015 erfolgten Übertragung des Beschwerdeverfahrens auf den Senat als Beschwerdegericht nicht bereits vor dem Erhalt des Übertragungsbeschlusses am 5. Juni 2015 Kenntnis im Sinne des § 586 Abs. 2 ZPO erlangt hatte.

II.

In der Sache ist der Nichtigkeitsantrag jedoch unbegründet. Der Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des erkennenden Gerichts ist vorliegend nicht gegeben.

1. Bei seiner Beschlussfassung am 2. Juni 2015 war der Senat aufgrund der Übertragung nach § 568 ZPO in seiner vollen Besetzung für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Antragstellers zuständig.

Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht schon dann vor, wenn die Besetzung auf einer irrigen Gesetzesauslegung oder einer irrtümlichen Abweichung von den Festsetzungen des Geschäftsverteilungsplans beruht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung fordert für die Beachtlichkeit einer Besetzungsrüge vielmehr, dass die Gesetzesverletzung klar zutage liegt, schwer oder "qualifiziert" ist, also auf einer nicht mehr hinnehmbaren Rechtsansicht und damit letztlich auf objektiver Willkür beruht (vgl. BGH NJW 1995, 332 [BGH 22.11.1994 - X ZR 51/92]; Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, § 579 Rn. 2). Hieran fehlt es im vorliegenden Streitfall. Der nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Antragstellers zuständige Einzelrichter hat durch Beschluss vom 1. Juni 2015 das Beschwerdeverfahren dem Senat als Beschwerdegericht übertragen. Im Zeitpunkt der Übertragung war noch keine dahingehende Prüfung erfolgt, ob die sofortige Beschwerde begründet ist. Es hatte insbesondere keine Befassung mit dem Inhalt der Entscheidung des Landgerichts stattgefunden. Die Übertragung des Beschwerdeverfahrens entsprach vielmehr der in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Köln NJW 2002, 2329) geteilten Zielsetzung und Praxis des Senats, widersprüchliche Beurteilungen durch den Einzelrichter des Beschwerdegerichts im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Beschwerde und des über eine etwaige spätere Berufung im Hauptsacheverfahren entscheidenden Senats von vorneherein zu vermeiden. Angesichts der ohnehin gegebenen besonderen Schwierigkeit der Sache in tatsächlicher Hinsicht kann von einer willkürlichen Handhabung keine Rede sein.

2. Soweit der Antragsteller geltend macht, auch das Landgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, es habe keine rechtliche Grundlage dafür bestanden, dass die Vorsitzende Richterin am Landgericht G. die Beschlüsse vom 20. Mai 2015 und 29. Mai 2015 "als Einzelrichterin" gefasst habe, vielmehr sei Richterin am Landgericht M. zuständige Einzelrichterin gewesen, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Es kommt im Ergebnis nicht darauf an, ob eine fehlerhafte Besetzung des Landgerichts überhaupt Auswirkungen auf die in vorschriftsgemäßer Besetzung getroffene Beschwerdeentscheidung des Senats hätte. Auch kann der Umstand auf sich beruhen, dass entgegen der Ansicht des Antragstellers eine angeblich fehlerhafte Besetzung des erstinstanzlichen Spruchkörpers keineswegs zwingend eine Zurückverweisung an die Vorinstanz zur Folge gehabt hätte. Die durch den Antragsteller in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle betrafen im Gegensatz zu dem vorliegenden Streitfall durchweg Ausgangsverfahren, in denen jeweils die Kammer anstelle des zuständigen Einzelrichters ohne vorherige Übertragung des Verfahrens auf die Kammer entschieden hatte. Auch die durch den Antragsteller zitierte Kommentierung in Zöller/Heßler, ZPO, 30. Auflage 2014, § 572 Rn. 27, befasst sich ebenfalls gerade mit der Entscheidung eines funktional überhaupt nicht zuständigen Spruchkörpers im Ausgangsverfahren, was sich wegen § 568 ZPO gerade auch auf den gesetzlichen Richter im Beschwerdeverfahren auswirken könnte. Eine solche Konstellation war vorliegend nicht zu beurteilen. Selbst nach dem Vorbringen des Antragstellers war die 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover gemäß dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2015 für die Entscheidung über den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zuständig. Weiterhin geht auch der Antragsteller davon aus, dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts gemäß § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hatte. Da nach dem Vortrag des Antragstellers eine Entscheidung des tatsächlich zuständigen Spruchkörpers, nämlich der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer, erfolgt ist, bestand unbeschadet der Frage, ob die Kammervorsitzende als Vertreterin für ein anderes Kammermitglied entscheiden konnte, keine Veranlassung zu einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht.

Der Antragsteller legt nicht einmal dar, dass überhaupt im Hinblick auf die Entscheidungen des Landgerichts die Voraussetzungen eines Nichtigkeitsgrundes im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu bejahen seien. Seinen Nichtigkeitsantrag stützt er maßgeblich darauf, dass nach dem Inhalt der Verfügung der Kammervorsitzenden vom 20. Mai 2015 Frau Richterin am Landgericht M. als originäre Einzelrichterin gemäß § 348 Abs. 1 ZPO zuständig gewesen sei, nicht aber die Kammervorsitzende. Weiterhin macht er geltend, dass "aus den im Internet veröffentlichten Vertretungsregelungen des Landgerichts Hannover gemäß Geschäftsverteilungsplan 2015 nirgends ein Erkenntnisansatz hervorgeht, wonach speziell innerhalb der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover eine Vertretung innerhalb der Kammer zu Gunsten der Vorsitzenden Richterin G. vorgesehen wäre". Weder aus diesem Vorbringen noch ansonsten wird ein Anhalt dafür ersichtlich, dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover bei ihrer Beschlussfassung nicht vorschriftgemäß besetzt gewesen sei. Der Antragsteller trägt unverändert gerade nicht dazu vor, dass Richterin am Landgericht M. am 20. Mai und 29. Mai 2015 überhaupt im Dienst gewesen sei und auch ansonsten kein Vertretungsfall vorgelegen habe. Soweit er in dem gemäß § 21e GVG durch das Präsidium des Landgerichts beschlossenen Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr 2015 eine Regelung zu der kammerinternen Vertretung innerhalb der 4. Zivilkammer vermisst und hieraus den Schluss zieht, die Vorsitzende Richterin G. sei nicht zu einer Vertretung eines verhinderten Kammermitglieds berechtigt, übersieht der Antragsteller, dass die Geschäfte innerhalb des Spruchkörpers, die auch die Vertretungsregelung umfassen, durch einen Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter auf die Mitglieder gemäß § 21g GVG verteilt werden, nicht jedoch durch den durch das Präsidium zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts. Dass sich in dem für die Vertretungsregelungen maßgeblichen Geschäftsverteilungsplan der 4. Zivilkammer keine Regelung findet, wonach die Kammervorsitzende unter bestimmten Voraussetzung die Vertretung der anderen Kammermitglieder zu übernehmen hat, ist ebenfalls weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Hinsichtlich der Gerichtskosten gelten die gleichen Bestimmungen wie für das Ausgangsverfahren über die Beschwerde des Antragstellers gegen den seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss des Landgerichts. Da das Wiederaufnahmeverfahren vor dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht durchgeführt wird, ist vorliegend die Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, Teil 1, Hauptabschnitt 4., Abschnitt 3., Nr. 1430, einschlägig.

Die Entscheidung ist gemäß § 591 ZPO analog unanfechtbar, weil auch im Ausgangsverfahren über die sofortige Beschwerde gegen den den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss ein Rechtsmittel nicht statthaft ist (vgl. BGHZ 154, 102; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Auflage 2014, § 922 Rn. 14).