Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.05.2007, Az.: 5 A 14/06

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
23.05.2007
Aktenzeichen
5 A 14/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61872
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2007:0523.5A14.06.0A

Fundstellen

  • DSB 2008, 16 (Kurzinformation)
  • DVP 2008, 273
  • Kriminalistik 2008, 416
  • NVwZ-RR 2008, 30-32 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Zulässigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen und Wiederholungsgefahr bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (hier: Kinderpornographie)

Tenor:

  1. Der Bescheid der Polizeiinspektion Gifhorn vom 05.01.2006 wird aufgehoben, soweit die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung auch die Entnahme einer Speichelprobe umfasst.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Der Kläger trägt 2/3 und die Beklagte trägt 1/3 der Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

    Der jeweilige Vollstreckungsgläubiger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Der am F. geborene Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.

2

Im Rahmen von Ermittlungen gegen verschiedene Personen wegen der Verbreitung kinderpornographischer Schriften über eine Internet-Tauschbörse teilte der Internet-Provider AOL der Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Anklam am 11.01.2005 auf eine entsprechende Anfrage mit, unter dem "AOL-Namen "S" sei der Kläger angemeldet. Dieser habe noch folgende AOL-Namen: "c, d, c und x". Einer Strafanzeige der KPI Anklam vom 28.01.2005 zufolge habe der Kläger am 24.12.2003 mindestens eine E-Mail mit mehreren kinderpornographischen Bildern versandt. Am 07.02.2005 erstattete die Polizeiinspektion Nienburg / Schaumburg von Amts wegen Anzeige gegen den Kläger, weil er am 06.07.2004 unter dem AOL-Namen "x" eine E-Mail mit kinderpornographischem Inhalt versandt habe. Anlässlich einer Hausdurchsuchung am 20.06.2005 durch die Polizeiinspektion Gifhorn zum Zecke der Beschlagnahme des klägerischen Computers räumte der Kläger ein, Bilder mit kinderpornographischem Inhalt zu besitzen. Bei der Auswertung des beschlagnahmten Materials (PC und Datenträger) stellte die Polizei Gifhorn abgesehen von zahlreichen strafrechtlich nicht relevanten "normal"-pornographischen Bildern sieben Bilddateien mit eindeutig kinderpornographischem Inhalt fest. Außerdem fanden sich auf dem Computer Nacktfotos des Klägers und unter dem Account "X" Hinweise darauf, dass er sich zur Kontaktaufnahme mit Minderjährigen als gleichaltrig ausgegeben hat. Ein in diesem Zusammenhang zusätzlich eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Urhebergesetz (Softwarepiraterie) stellte die Staatsanwaltschaft Hildesheim am 08.11.2005 nach § 153 StPO ein, während die Polizei wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder weiter ermittelte.

3

Mit Bescheid vom 05.01.2006 verfügte die Polizeiinspektion Gifhorn die hier streitgegenständliche Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b 2. Alt. StPO bestehend aus der Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, der Aufnahme von Lichtbildern, der Feststellung von äußeren körperlichen Merkmalen und Messungen sowie der Entnahme einer Speichelprobe. Als Begründung wurde angeführt, gegen den Kläger bestehe in dem anhängigen Strafverfahren der dringende Tatverdacht, in mindestens zwei Fällen kinderpornographische Bilddateien per E-Mail empfangen und versandt zu haben, was gemäß § 184 StGB strafbar sei. Dasselbe gelte für das bei ihm festgestellte, auf CD abgespeicherte kinderpornographische Bildmaterial. Dass er sich als 12-Jährige(r) ausgegeben und jeweils mit Fotos junger Mädchen im Anhang Kontakt zu Gleichaltrigen gesucht habe, lasse Rückschlüsse auf seine Motivation und Persönlichkeit zu. Offenbar habe er die ihm jetzt vorgeworfenen Taten auch bereits in den Jahren 2003 und 2004 fortgesetzt begangen. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorsorge für die Verfolgung oder Verhütung von künftigen Straftaten erforderlich.

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Am 13.01.2006 hat der Kläger Klage erhoben.

5

Er trägt vor: Die Entnahme einer Speichelprobe gehöre nicht zu den erkennungsdienstlichen Maßnahmen. Auch im Übrigen sei der Bescheid rechtswidrig, denn gegen ihn sei erstmals ein Ermittlungsverfahren anhängig, und es bestehe weder eine Wiederholungsgefahr noch die Gefahr, dass er andere Taten begehen könne. Er befinde sich in einer festen Beziehung und werde in Kürze heiraten.

6

Die Staatsanwaltschaft Hannover - Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer oder sonst jugendgefährdender Schriften - hat am 11.05.2006 gegen den Kläger wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornographischer Schriften Anklage erhoben. Das Amtsgericht Gifhorn hat den Kläger mit Urteil vom 31.08.2006 - rechtskräftig seit 08.09.2006 - wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt (Az.: 8 Ds 3744 Js 18733/05).

7

Der Kläger trägt dazu vor, aus der Höhe der Geldstrafe weit unterhalb von 90 Tagessätzen ergebe sich, dass das Amtsgericht die Tat als nicht schwerwiegend angesehen habe. Er sei letztlich wegen einer einzigen Tat verurteilt worden, so dass die Anzahl der bei ihm abgespeicherten Dateien unerheblich sei. Von ihm gehe eine Wiederholungsgefahr nicht aus. Er habe zwischenzeitlich geheiratet, habe ein Kind und sei strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Beklagte habe auch nicht angegeben, was sie mit der Fertigung von Lichtbildern, Fingerabdrücken oder der Speichelprobe bezwecke, denn er sei im Internet und nicht persönlich in Erscheinung getreten. Fingerabdrücke und DNA würden im Internet nicht hinterlassen. Außerdem stelle die Entnahme einer Speichelprobe den schwersten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, weil dadurch seine DNA gewonnen werden solle. Er habe auch nie die Zustimmung zur Entnahme einer Speichelprobe erteilt. Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 legt er einen Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 27.04.2007 (Az.: 12 QS 24/07) vor, mit dem die (auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover) durch Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 28.03.2007 gegen den Kläger angeordnete Entnahme von Körperzellen gemäß § 81g StPO wieder aufgehoben worden ist.

8

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Polizeiinspektion Gifhorn vom 05.01.2006 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie erwidert: Der Kläger sei als Teilnehmer an einer Internet-Tauschhandel-Börse über Kinderpornos ermittelt worden. Seine "Abartigkeit" zeige sich bereits an den in den Ermittlungsakten befindlichen Kopien von Fotos, auf denen nackte Mädchen im Grundschulalter in "eindeutigen" Posen zu sehen seien. Dass er sich selbst als minderjährig im Internet ausgegeben habe, sei ebenso wie der Umstand, dass er von sich selbst Nacktfotos auf seinem Rechner gespeichert habe, zwar für sich genommen nicht strafbar, habe aber im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Vorwürfen Aussagewert. Bei Tätern, die wie der Kläger durch Sexualstraftaten auffällig geworden seien, sei stets eine Wiederholungsgefahr zu befürchten. Dem stehe die Eheschließung des Klägers nicht zwingend entgegen, denn nach kriminologischer Erfahrung sei spätestens bei Konfliktsituationen wie etwa Beziehungsproblemen ein Rückfall in alte Verhaltensweisen, auch in verschärfter Form, zu befürchten. Die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht unverhältnismäßig, denn Maßnahmen nach § 81b 2. Alt. StPO seien nicht auf Schwerkriminalität beschränkt. Auch komme es nicht darauf an, wie oft und ob der Kläger bislang rechtskräftig verurteilt worden sei, denn § 81b 2. Alt. StPO verlange lediglich, dass er Beschuldigter nach der StPO sei. Zwischenzeitlich sei der Kläger wegen des Sexualdelikts sogar vorbestraft. Daran ändere das Strafmaß unter 90 Tagessätzen nichts, denn auch wenn die Verurteilung in ein polizeiliches Führungszeugnis nach § 32 Abs. 2 Ziff. 5 a BZRG nicht aufgenommen werde, so sei sie im BZRG abgespeichert. Soweit es um den handschriftlichen Zusatz "Speichelprobe" gehe, sei diese bei richtigem Verständnis nicht als ED-Maßnahme angeordnet worden. Die Entnahme einer Speichelprobe könne nicht auf § 81b StPO gestützt werden; sie sei gegen den Willen des Klägers auch nicht beabsichtigt gewesen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den übersandten Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie der Akten der Staatsanwaltschaft Hannover (Az.: 3744 Js 18733/05) und Hildesheim (Az.: 23 Js 31712/05, Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist nur teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid der Polizeiinspektion Braunschweig ist rechtswidrig, soweit die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung die Entnahme einer Speichelprobe umfasst. Im Übrigen ist die angegriffene Verfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

13

Rechtsgrundlage für eine erkennungsdienstliche Behandlung zu präventiv-polizeilichen Zwecken ist § 81b 2. Alternative StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Nicht jedoch ermächtigt § 81b 2. Alt. StPO die Polizeibehörden, in eigener Zuständigkeit die Entnahme einer Speichelprobe anzuordnen. Hierfür stehen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Verfahren nach §§ 81a, 81e StPO bzw. das Verfahren nach § 81g StPO, letzteres ausdrücklich zu präventiv-polizeilichen Zwecken, zur Verfügung. Diese Verfahren, für deren Anordnung das Gericht und nur bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten i. S. v. § 152 GVG zuständig ist, sind zum Schutze des Betroffenen an strengere Voraussetzungen gebunden, die durch die Einbindung in eine auf der Grundlage des § 81b 2. Alt. StPO angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung nicht unterlaufen werden dürfen (vgl. dazu auch: VG Aachen, Beschluss vom 06.04.2006 - 6 L 63/06 -, Juris). Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung und ihren weiteren Stellungnahmen mehrfach erwähnt und klargestellt, dass der handschriftliche Zusatz "Entnahme Speichelprobe" nicht als förmliche ED-Anordnung gedacht und zu verstehen war. Sie hat zwar ausgeführt, dass die Speichelprobenentnahme nicht unter § 81b 2. Alt StPO falle und deshalb von der Staatsanwaltschaft Hannover beim Amtsgericht Gifhorn ein richterlicher Beschluss zur zwangsweisen Durchführung beantragt worden sei. Eine ausdrückliche Änderung bzw. teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheids der Polizeiinspektion Gifhorn vom 05.01.2006 ist aber unterblieben. Da in diesem Bescheid unter der Überschrift "Die erkennungsdienstliche Behandlung umfasst folgende Maßnahmen:" neben der Aufzählung von Finger- und Handflächenabdrücken, Aufnahme von Lichtbildern, Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und Messungen ausdrücklich die Entnahme der Speichelprobe genannt wird, musste der Kläger als Adressat des Bescheids davon ausgehen, dass es sich auch bei dem handschriftlichen Zusatz um eine förmliche Anordnung handelte, zumal ein Hinweis auf die Freiwilligkeit der Speichelprobe fehlte. Der Bescheid vom 05.01.2006 erweist sich deshalb hinsichtlich der Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe als rechtswidrig.

14

Im Übrigen ist die verfügte erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers jedoch rechtlich nicht zu beanstanden.

15

Die Polizeiinspektion Gifhorn hat den Kläger zu Recht als Beschuldigten i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO angesehen, denn im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids hat sie gegen ihn wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornographischer Schriften ermittelt. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt allerdings auch nur, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Ermittlungs- oder Strafverfahren hervorgehen muss (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 -, DVBl. 2006, 923 ff. Rn. 22) Dies ist hier der Fall. Zweifel an der Beschuldigteneigenschaft bestehen nicht. Der Kläger ist später wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB sogar rechtskräftig verurteilt worden.

16

Die Abnahme von Fingerabdrücken, Aufnahme von Lichtbildern sowie die Durchführung von Messungen und die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale ist für die Zwecke des Erkennungsdienstes auch "notwendig" i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO ist. Da es sich um Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m Art. 1 Abs. 1 GG) handelt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser verlangt, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist, und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des Tatverdachts steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.12.2004 - 11 ME 264/04 - veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG - m. w. N.). Die Notwendigkeit bemisst sich deshalb danach, "ob der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung des Zeitraumes, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten" (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 a. a. O.; Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 114.79 -, BVerwGE, 66, 202, 205;).

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Nach diesen Grundsätzen ist der Einschätzung der Beklagten, beim Kläger bestehe schon nach einmaligem Begehen einer Sexualstraftat eine hinreichende Wiederholungsgefahr, zu folgen. Das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover - Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer oder sonst jugendgefährdender Schriften - in ihrer Anklageschrift vom 11.05.2006 in Verbindung mit dem nach § 154a Abs. 2 StPO auf die Taten nach dem 27.12.2003 beschränkten Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 31.08.2006 wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften lassen die Prognose der Wiederholungsgefahr zu.

18

Dabei versteht die Kammer unter der für die "Notwendigkeit" i. S. v. § 81b 2. Alt StPO zu fordernden "Wiederholungsgefahr" nicht die allgemeine Gefahr, dass der Kläger in der Zukunft Straftaten - welcher Art auch immer - begehen wird, sondern die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die Einschränkung der Wiederholungsgefahr auf (das) bestimmte, die erkennungsdienstliche Behandlung veranlassende(n) Delikt(e) ergibt sich aus dem Gedanken des § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG. Nach dieser Norm kann die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Strafverfolgung rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, speichern, verändern und nutzen, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person erforderlich ist, um für die Verfolgung von "vergleichbaren künftigen" Straftaten dieser Person vorzusorgen oder "solche" Straftaten zu verhüten. Hauptanwendungsfall des § 39 Abs. 3 Nds. SOG ist das Anlegen und Führen von Kriminalakten und das Einstellen von Daten in die polizeiliche Verbunddatei POLAS. § 39 Abs. 3 Nds. SOG stellt somit eine spezielle polizeirechtliche Regelung i. S. v. §§ 481, 484 Abs. 4 StPO dar für die Verwendung der nach § 81b StPO erhobenen Daten (vgl. Böhrenz/ Unger/ Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl., § 39 Rn. 11; im Einzelnen zu den Voraussetzungen der Speicherung von Daten seit der Einführung der §§ 474 ff. StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 02.08.2000 (BGBl I. S. 1253): Hess. VGH, Urt. v. 16.12.2004 - 12 UE 2982/02 -, NJW 2005, 523 ff.). Da § 81b 2. Alt. i. V. m. §§ 481, 484 Abs. 4 StPO die grundsätzliche Befugnis der Polizei eröffnet, das erhobene erkennungsdienstliche Material zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks des Erkennungsdienstes auch aufzubewahren und zu nutzen, muss schon wegen der ausdrücklichen Verweisung auf die Polizeigesetze der Länder die Einschränkung in § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG auf "vergleichbare" Straftaten auch für die Beurteilung gelten, ob eine Erhebung von personenbezogenen Daten notwendig i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO ist. Dies schließt eine stets anzustellende Gesamtbetrachtung nicht aus.

19

Beim Kläger besteht trotz erstmaliger Begehung eines Delikts nach § 184b Abs. 4 StGB die hinreichende Gefahr der Begehung vergleichbarer Straftaten. Ein Sexualdelikt ist regelmäßig von einer besonderen Veranlagung oder Neigung des Täters - wie etwa auch bei Körperverletzungs- und Betäubungsmitteldelikten - geprägt und kann deshalb die Gefahr der Wiederholung auch bei erstmaliger Begehung mit sich bringen (anders z.B. bei Vermögensdelikten, vgl. Urteil der erkennenden Kammer vom 27.09.2006 (Az.: 5 A 53/06 - mit der ausdrücklichen Feststellung, dass die einmalige Begehung eines Betruges nicht ohne weiteres auf die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte vergleichbarer Art schließen lasse).

20

Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich beim Besitz von kinderpornographischem Material nicht um ein bloßes Bagatelldelikt. Auch wenn der Strafrahmen bei § 184b Abs. 4 StGB gegenüber dem der Absätze 1 bis 3 erheblich geringer ist, so reicht er doch bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Maßgeblich ist, dass es sich um ein Delikt handelt, das regelmäßig von der bereits genannten abnormalen Veranlagung oder Neigung des Täters geprägt ist. Dass beim Kläger eine solche Neigung vorhanden (gewesen) ist, belegen die Fotokopien der Fotos, die auf CDs des Klägers sichergestellt worden sind. Diese zeigen unbekleidete minderjährige, höchstens 10-jährige Mädchen in einer breitbeinigen Stellung, die ihr Geschlechtsteil deutlich erkennen lässt. Ein Foto zeigt darüber hinaus ein nacktes, auf dem Rücken liegendes Mädchen, an dem von einer anderen - möglicherweise erwachsenen Person - orale sexuelle Handlungen vorgenommen werden. Allein der strafbare Besitz dieser Fotos - auch wenn es relativ wenige waren - ist Hinweis auf eine sexuelle Abartigkeit des Klägers. Diese besondere persönliche Veranlagung wird nicht automatisch durch die Eheschließung und dadurch beseitigt, dass er mittlerweile ein Kind hat. Vielmehr gibt es - wie aus der Presse allgemein bekannt ist - zahlreiche Fälle, in denen Familienväter Sexualstraftaten begehen. Außerdem vermag die Kammer in der Eheschließung des Klägers eine grundlegende Änderung seiner Lebensumstände nicht zu erkennen. Der Kläger besaß nämlich die am 20.06.2005 beschlagnahmten kinderpornographischen Bilddateien zu einem Zeitpunkt, als er bereits eine feste Beziehung zu seiner heutigen Ehefrau hatte. Dies ergibt sich aus der Feststellung im Durchsuchungsbericht der Polizeiinspektion Gifhorn vom 22.06.2005 über die Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 20.06.2005 von 7.40 - 8.20 Uhr, dass in der Wohnung noch seine Freundin G. und deren Kleinkind (...) angetroffen worden seien.

21

Selbst wenn die geschilderte Veranlagung des Klägers durch geordnete Familienverhältnisse und eine gute Ehe unterdrückt werden sollte, so kann sie in Konfliktsituationen wieder auftreten. In derartigen Fällen ist denkbar und nach kriminalistischer Erfahrung nicht unwahrscheinlich, dass das Ansehen von Kinderpornos nicht mehr genügend Befriedigung bringt und deshalb nur die Vorstufe zum tatsächlichen sexuellen Missbrauch von Kindern gewesen ist. Da der Kläger nach den der Kammer vorliegenden Unterlagen in der Vergangenheit Kontakte zu Kindern im Internet gesucht und sich dabei als Minderjähriger ausgegeben hat, kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er zukünftig reale Treffen mit Kindern verabreden wird, bei denen er sexuelle Handlungen vornehmen will.

22

Diese Prognose steht der Auffassung des Landgerichts Hildesheim im Beschluss vom 27.04.2007 (Az.: 12 Qs 24/07) zu § 81g StPO nicht entgegen. Danach sei beim Kläger - anders als vom Amtsgericht Gifhorn am 28.03.2007 entschieden - eine besondere Veranlagung, die die Besorgnis begründen könne, er werde sich in Zukunft des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig machen oder eine andere Straftat von erheblicher Bedeutung begehen, bei der es zur Absonderung von Körperzellen kommt, nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für die richterliche Anordnung einer DNA-Analyse nach § 81g StPO sind erheblich strenger als die einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b StPO, weil mit ihr ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Verdächtigen verbunden ist. Der Maßstab des Landgerichts war daher auch ein anderer als der hier anzuwendende. Das Landgericht hatte nicht das Bestehen einer allgemeinen Wiederholungsgefahr zu prüfen, sondern das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die besondere Veranlagung beim Kläger, bei einem sexuellen Missbrauch von Kindern oder einer anderen Straftat von erheblicher Bedeutung Körperzellen abzusondern.

23

Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung steht zu dem mit ihr verfolgten Zweck auch nicht außer Verhältnis. Die beabsichtigten Maßnahmen in Form der Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken, der Aufnahme von Lichtbildern sowie der Feststellung äußerer Merkmale und der Durchführung von Messungen erscheinen geeignet, künftige polizeiliche Ermittlungen gegen den Kläger wegen gleichartiger Straftaten (gegen die sexuelle Selbstbestimmung) zu erleichtern (zur Erforderlichkeit konkreter ED-Maßnahmen: vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.12.2004 a. a. O.; a. A. wohl OVG Mecklenburg-Vorpommern, wonach "von der Natur der Sache her nicht vorausgesagt werden kann, für welche konkreten polizeilichen Maßnahmen bei der Aufklärung künftiger Straftaten die Lichtbilder und Fingerabdrücke erforderlich sind", Beschluss vom 04.03.2003 - 3 M 30/03 -, Juris). Dass der Kläger bislang nur im Internet aufgetreten ist und sich die kinderpornographischen Darstellungen ausschließlich an seinem Computer angesehen hat, steht der Erforderlichkeit der einzelnen Maßnahmen nicht entgegen. Wie oben bereits ausgeführt kann es nach kriminalistischen Erfahrungen als Fortsetzung zu Internet-Kontaktaufnahmen zu realen Kontaktaufnahmen verbunden mit Exhibitionismus, sexuellem Missbrauch von Kindern und sonstigen Gewaltdelikten kommen. Für die Aufklärung derartiger Straftaten sind Lichtbilder, Fingerabdrücke, Ergebnisse von Messungen und die Kenntnis besonderer äußerer Merkmale potentieller Täter notwendig.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Klage nur gegen eine von fünf Maßnahmen stattzugeben ist, mit der Anordnung der Speichelprobe aber ein besonderer Grundrechtseingriff verbunden ist, erscheint es angemessen, wenn der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

25

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.