Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 23.04.2013, Az.: 7 A 4913/12

Erforschung des Sachverhalts; Erkennungsdienstliche Maßnahmen; Ermessen; Ermittlungspflicht; Glaubhaftigkeit; Glaubwürdigkeit; Notwendigkeit; Sexueller Missbrauch Minderjähriger; Strafverfolgungsverjährung; Strafverfolgungsvorsorge; Unterstellung pädophiler Neigungen und des Fehlens von Empathie; Verdacht; Verhältnismäßigkeit; Wiederholungsgefahr; Zeugenaussagen

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
23.04.2013
Aktenzeichen
7 A 4913/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64378
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Polizeibehörde muss auch in Fällen, in denen der Verdacht des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger geäußert wird, den Sachverhalt von Amts wegen aufklären. Sie darf sich nicht ausschließlich auf nicht weiter geprüfte, womöglich zweifelhafte Angaben vermeintlicher Opfer stützen, um die erkennungsdienstliche Behandlung des vermeintlichen Täters anzuordnen.

Eine lediglich formelhafte und unspezifische Begründung für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, wonach bei Sexualstraftätern eine weit überdurchschnittliche Gefahr einer zukünftigen Straftat bestehe, genügt nicht den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der im Jahre 1937 geborene Kläger ist verheiratet sowie mehrfach Vater und Großvater. Er wendet sich gegen die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung seiner Person, die die für die Beklagte handelnde Polizeiinspektion L./E. mit Bescheid vom 29. Oktober 2012 (Aktenzeichen: …) gemäß § 81b 2. Fall StPO zum Zwecke des Erkennungsdienstes unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügt hat.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Nach telefonischer Terminvereinbarung erschienen am 28. Dezember 2011 in E. bei dem Fachkommissariat 1 der Polizeiinspektion L./E.

die Tochter des Klägers, Frau M. L., geboren im Jahre 1961, und
deren Tochter, Frau L. L., geboren im Jahre 1990.

Eine Polizeibeamtin vernahm beide Personen zeugenschaftlich. Diese brachten Vorfälle vor, die gegenüber dem Kläger den Verdacht des sexuellen Missbrauchs zu ihren Lasten hervorriefen. Die Vernehmungen der Zeuginnen dauerten jeweils ca. 20 Minuten; im Falle der M. L. umfasst die Niederschrift vier Seiten und im Falle der L. L. 22 Seiten.

Der Kläger folgte einer Vorladung der Polizei zur Vernehmung als Beschuldigter nicht.

Aus dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion L./E. vom 16. April 2012 ergab sich im Wesentlichen (und auszugsweise wörtlich) Folgendes.

Die Zeugin M. L.

„gab in ihrer Vernehmung an, dass sie als Kind von dem Beschuldigten sexuell missbraucht worden sei. Von 1967 bis 1969 hätte sie mit ihren Geschwistern und ihren Eltern in P. in F. gewohnt. Sie sei damals sechs bis acht Jahre alt gewesen, als sie mit ihren Brüdern in der Badewanne gesessen habe. Der Beschuldigte sei in das Badezimmer gekommen und habe ihr mit den Fingern an die Scheide gefasst. Gemäß der Einlassung der Zeugin habe der Beschuldigte seinen Finger in ihre Scheide eingeführt. Der Beschuldigte habe geäußert, dass sie sich dort auch waschen müsse.

Weiterhin äußerte Fr. L., sie sei damals häufig von ihrem Vater auf den Bodenraum des G. Hofes gerufen worden, weil sie ihm in der Werkstatt habe helfen sollen. Wenn sie dort gewesen wäre, habe der Beschuldigte des Öfteren in die Scheide gefasst. Auch habe ihr Vater ihre Hand ergriffen und an seinen erigierten Penis geführt, so dass das Opfer diesen anfassen musste. Ob der Beschuldigte zum Erguss gekommen ist, konnte Fr. L. nicht mehr sagen.

Fr. L. gab weiterhin an, sie habe am 10.12.2011 ihre Eltern aufgesucht, da der hier Beschuldigte seinen Geburtstag gefeiert habe. Im Vorfeld habe sie einen Brief geschrieben und mitgeteilt, dass ihre Tochter vom Beschuldigten sexuell missbraucht worden sei. Als sie ihre Eltern aufgesucht habe, um eine Aussprache herbeizuführen, wäre ihre Mutter erbost gewesen. Ihre Mutter habe ihr einen Schlag mit der flachen Hand und einen Schlag mit der Faust in das Gesicht versetzt. …“

Die Zeugin L. L.

„gab in ihrer Vernehmung an, dass sie ihre Großeltern gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester an den Wochenenden besucht hätte. Während dieser Besuche habe der Beschuldigte ihr in zwei Fällen an die Brust gefasst. In einem Fall habe er sie von hinten festgehalten und ihre Brust unterhalb der Bekleidung gestreichelt. In einem zweiten Fall habe er ihre Brust unterhalb der Bekleidung umfasst. Fr. L. führte aus, dass sie ihren Großvater aufgefordert habe, diese Handlung zu unterlassen. … die Tathandlungen hätten sich vor ihrer Konfirmation ereignet … es könnte sich hinsichtlich der Tatzeiten um das Jahr 2003 oder 2004 handeln.“

In dem gegen den Kläger geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren äußerte er sich anwaltlich vertreten mit Schreiben vom 22. Mai 2012 zu den erhobenen Vorwürfen dahingehend, dass „all die Vorwürfe, die in dem Verfahren gemacht werden, nicht haltbar sind“. In der ausführlichen Stellungnahme heißt es unter anderem, dass es nicht möglich gewesen sei, dass im damals von der Familie Sch. bewohnten G. Hof im F. Nr. … die Kinder gemeinsam „in der Badewanne gesessen“ hätten oder es zu Übergriffen auf dem Dachboden in der Werkstatt gekommen sei, da es in diesem G. Hof weder eine Badewanne noch auf dem Dachboden eine Werkstatt gegeben habe. Eine Werkstatt sei erst in der neuen Wohnung in der K. in E. eingerichtet worden. Die Zeugin M. L. sei unglaubwürdig. So habe diese auch den Vorfall vom 10. Dezember 2011 falsch dargestellt - vielmehr sei die Ehefrau des Klägers von der Zeugin M. L. angegriffen worden. Das familiäre Verhältnis sei „wunderbar“ gewesen und dies mit Ausnahme der Beziehungen zur Zeugin M. L. bis heute auch noch geblieben. So habe die Zeugin M. L. ihre drei Kinder immer wieder zu dem Kläger und seiner Familie gebracht; N. L. (der Zwillingsbruder der Zeugin L. L.) und die Zeugin L. L. hätten wochenlange Ferien bei den Großeltern verbracht. Dies sei insoweit auch praktische Lebensgestaltung gewesen, weil die Zeugin M. L. mit Familie seinerzeit in K. gewohnt habe. Insgesamt sei dies „gut“ gegangen, bis die Zeugin L. L. beabsichtigt habe, von Herbst 2010 an der Fachhochschule in E. zu studieren. Sie habe deshalb - allerdings im Ergebnis erfolglos - bei dem Kläger und seiner Ehefrau angefragt, ob sie während des Studiums bei ihnen wohnen könne; dies sei dem Kläger und seiner Ehefrau (ihren Großeltern) nicht recht gewesen, unter anderem weil sie befürchtet hätten, dass sich dann viele andere junge Leute unbeaufsichtigt im Hause aufhalten könnten. Am Tage dieser abschlägigen Mitteilung habe der Lebensgefährte der Zeugin M. L., Herr S. L., noch telefonisch versucht, den Kläger und seine Ehefrau umzustimmen. Zwei Tage später, nämlich am 18. November 2010 habe er nochmals telefonisch angerufen und dabei die Ehefrau des Klägers am Telefon beschimpft und unter anderem angegeben, der Kläger habe die Zeugin M. L. als Kind missbraucht. Der Kläger und seine Ehefrau hätten dies allerdings zunächst auf sich beruhen lassen, so dass insoweit ein Jahr lang „Funkstille“ geherrscht habe, ohne dass sich die Zeuginnen bei dem Kläger und seiner Ehefrau gemeldet hätten. Genau ein Jahr später, unter dem 18. November 2011 habe sodann die Zeugin M. L. einen Brief geschrieben, der nicht nur an den Kläger und seine Ehefrau, sondern auch an die Geschwister der Zeugin M. L. gesandt worden sei und in dem sie u.a. Folgendes festgehalten habe (Anlage zur Stellungnahme vom 22. Mai 2012):

„am Freitag, den 04.11.2011 habe ich erfahren, dass unser Vater sich auch an meiner Tochter L. vergangen hat.
Ohnmächtige Wut ist in mir !!!
nicht nur an mich hat er Hand gelegt, sondern auch an meine Tochter! …“

Was die Aussage der Zeugin L. L. anbelangt, so sei diese unglaubhaft, wie sich aus verschiedenen Einzelheiten ergebe. Insbesondere werde die Aussage der Zeugin L. L. in ihrem Verlauf immer vager.

Die Staatsanwaltschaft Aurich erhob mit Anklageschrift vom 5. Juni 2012 Anklage vor dem Amtsgericht Emden - Strafrichter - gegen den Kläger und wirft ihm darin vor, im Herbst 2003 in E. durch zwei Straftaten sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vorgenommen zu haben; wörtlich heißt es:

„Ihm wird zur Last gelegt:

… Im o. g. Tatzeitraum kam es an zwei im Einzelnen nicht mehr näher konkretisierbaren Tagen dazu, dass der Angeschuldigte seiner zu diesem Zeitpunkt 13-jährigen Enkeltochter L. L. im Esszimmer seines Wohnhauses an deren Brust fasste. Beim ersten Mal hielt er seine Enkelin von hinten fest und streichelte deren Brust unterhalb der Bekleidung. Beim zweiten Mal umfasste er ihre Brust unterhalb ihrer Kleidung.“

Mit Schreiben vom 24. August 2012 hörte die Polizeiinspektion L./E. den Kläger unter Stellungnahmefrist bis 25. September 2012 zu ihrer Absicht an, seine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b 2. Fall StPO zum Zwecke des Erkennungsdienstes anzuordnen und durchzuführen. Dort heißt es, im Ermittlungsverfahren werde ihm vorgeworfen, zwischen dem 1. Oktober 2003 und dem 1. Januar 2004 seine Enkelin L. sexuell missbraucht zu haben. Zuvor habe er in den Jahren 1967 bis 1967 seine damals sechs- bis achtjährige Tochter M. sexuell missbraucht. Die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung solle folgende Maßnahmen beinhalten:

- Abnahme von Fingerabdrücken,
- Abnahme von Handflächen- und Handkanten,
- Abnahme von Lichtbildern bzw. Portraitaufnahmen,
- Feststellung äußerer körperlicher Merkmale mit Ausnahme des Intimbereichs, wie Fotografieren und Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen, wie z. B. Narben,
- Messungen der Körpergröße und des Gewichts.

Sie führte in der Begründung insbesondere aus, es bestünde die Gefahr, dass der Kläger auch künftig für vergleichbare Straftaten in Betracht käme. Er habe als „Vater/Opa“ seine Macht- und Autoritätsposition ausgenutzt, um seine eigenen sexuellen Bedürfnisse/Defizite auf Kosten des Kindes zu befriedigen. In den Vernehmungen habe sich gezeigt, dass beide Opfer seine Übergriffe nicht verwunden hätten und heute noch unter einem erheblichen Leidensdruck stünden.

Der Kläger nahm dazu mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. September 2012 ausführlich Stellung und wiederholte und vertiefte das bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren schriftsätzlich unter dem 22. Mai 2012 Vorgebrachte. Von dem Tatvorwurf könne keine Rede sein. Darüber hinaus bestehe keine Wiederholungsgefahr und seien die Maßnahmen weder notwendig noch verhältnismäßig.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2012 ordnete die Polizeiinspektion L./E. unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung gegen den Kläger die erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b 2. Fall StPO zum Zwecke des Erkennungsdienstes mit folgenden Einzelmaßnahmen an:

- Abnahme von Fingerabdrücken,
- Abnahme von Handflächen- und Handkanten,
- Abnahme von Lichtbildern bzw. Portraitaufnahmen,
- Feststellung äußerer körperlicher Merkmale mit Ausnahme des Intimbereichs, wie Fotografieren und Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen, wie z. B. Narben,
- Messungen der Körpergröße und des Gewichts.

In den Gründen des Bescheides heißt es:

Die Äußerung des Klägers vom 18. September 2012 sei bei der Rechtmäßigkeitsüberprüfung berücksichtigt. Die Abwägung aller vorgetragenen Aspekte führe nicht zu einer Änderung der angestrebten Maßnahme. Insbesondere komme es nicht auf eine rechtskräftige Verurteilung des Klägers an, da es sich bei der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht um eine Maßnahme im Rahmen eines Strafverfahrens, sondern um eine präventiv-polizeiliche Maßnahme der Gefahrenabwehr handele. Sie sei nicht für die Zwecke des konkret gegen den Kläger betriebenen Strafverfahrens, sondern vielmehr im Interesse der Strafverfolgungvorsorge für die Zwecke des Erkennungsdienstes angeordnet.

Ermessensfehlerfrei seien die Maßnahmen gegenüber dem Kläger anzuordnen.

Die Notwendigkeit dieser Maßnahme der Gefahrenabwehr bemesse sich danach, ob der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung des Zeitraumes, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme biete, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könne und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen überführend oder entlastend – fördern könnten. Damit setze die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen im Sinne von § 81b 2. Fall StPO einen einfachen Tatverdacht, eine Wiederholungsgefahr und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme voraus. Angesichts des geführten Strafverfahrens sei von einem einfachen Tatverdacht auszugehen. Die Wiederholungsgefahr sei bei Taten mit sexuellem Hintergrund gegeben, da eine signifikant erhebliche Rückfallgefahr bestehe, so dass auch eine erstmalige Begehung wegen einer solchen Tat eine Wiederholungsgefahr zu begründen vermöge, wenn nicht die Tatumstände einschließlich aller weiteren bedeutsamen Faktoren auf eine zu erwartende Einmaligkeit der Tat hindeuteten.

Nach den vorliegenden Zeugenaussagen lägen auch - strafrechtlich allerdings verjährt - sexuelle Missbrauchshandlungen gegenüber der Tochter des Klägers M. L. vor. Diese Taten hätten eindeutige Indizwirkung dahingehend, dass es sich bei den sexuellen Übergriffen des Klägers nicht um einmalige Verfehlungen handele. Hinsichtlich der Zeugin L. L. stehe er im Verdacht „als Opa Ihre Macht- und Autoritätsposition ausgenutzt zu haben, um Ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse/Defizite auf Kosten des Kindes zu befrieden“.

Das „offenkundig gewordene Verhalten“ biete Anhaltspunkte für die auf kriminalistischen Erfahrungswerten basierende Annahme, dass der Kläger erneut als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden Straftat einbezogen werden könne; für deren Aufklärung könnten sodann die erkennungsdienstlichen Unterlagen förderlich - be- oder entlastend - sein.

Ferner heißt es in den Gründen des Bescheides im Wortlaut:

„Durch die von Ihnen begangenen Anlasstaten kann kriminalistisch von einer pädosexuellen Ansprechbarkeit Ihrer Person ausgegangen werden, so dass die Gefahr einer Wiederholungstat nicht auf den engen Kreis Ihrer eigenen Familie begrenzt werden kann. Insoweit kann hier der Argumentation [des Klägers] nicht gefolgt werden. …

Des weiteren wird [vom Kläger] die Zeitspanne seit dem Missbrauch der Enkelin L. (ca. 8 Jahre) als Ausschlusskriterium für die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer ED-Maßnahme nach § 81 b 2. Alt. StPO herangezogen.

Dieses Argument kann von hier so nicht nachvollzogen werden.

Zwischen dem durch die Tochter M. L. angezeigten Missbrauch und dem aktuellen Verfahren des Missbrauchs der Enkelin L. lag … ein noch weit größerer Zeitraum und trotzdem ist es, nach Aussagen des Opfers zu Übergriffen gekommen.

Die bei ihnen eventuell vorliegende pädosexuelle Ansprechbarkeit zeigt sich in der kriminogenen Wirkung durch ein Absinken des Mitleids mit den missbrauchten Kindern und dem Abbau emotionaler Hemmschwellen. Die mir bekannt gewordenen zeugenschaftlichen Vernehmungen lassen diese Prognose zu.

Auch Ihr bekannt gewordenes Verhalten nach der Konfrontation mit den Missbrauchsvorwürfen durch Ihre Tochter/Enkelin zeigen in der Reaktion (Verleugnen, Verdrängen) eine geringe emphatische Beteiligung an dem Sachverhalt.“

Es liege hinreichende Wiederholungsgefahr vor, weil Sexualdelikte regelmäßig von einer besonderen Veranlagung oder Neigung geprägt seien. Die konkreten, auf eine Triebtat hinweisenden Umstände gäben keinen Grund zu der Annahme, dass es künftig nicht mehr zu derartigen Verfehlungen kommen werde, sei es innerhalb oder sei es außerhalb des Familienkreises.

Darüber hinaus folge die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung aus der Möglichkeit, dass gegen den Kläger eventuell wegen weiterer Vorwürfe aus dem Bereich des Sexualstrafrechts ermittelt werden könnte.

Die Möglichkeit der Aufklärung künftiger Straftaten, die im allgemeinen Interesse liege, sei höher zu gewichten als das Persönlichkeitsrecht des Klägers.

Aus all diesen Gründen sei die Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen gemäß der Anordnung zur Vorsorge für die Verfolgung und die Verhütung von Straftaten erforderlich.

Der Kläger hat am 7. November 2012 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen begehrt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:

Der Bescheid sei von einer unzuständigen allgemeinen Polizeibehörde und nicht von der zuständigen Kriminalpolizei erlassen.

Eine Notwendigkeit sei nicht gegeben, sondern vielmehr zu verneinen. Allerdings liege wohl im strafrechtlichen Sinne ein einfacher Tatverdacht vor, aber weder seien Wiederholungsgefahr noch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gegeben.

Die Angaben der Zeugin M. L. seien nie überprüft worden. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage werde wohl für immer ungeprüft bleiben.

Die Aussage der Zeugin L. L. sei nicht glaubhaft.

Hinsichtlich beider Aussagen müsse berücksichtigt werden, dass eine familieninterne Zwietracht vorausgegangen sei und vorgelegen habe. Auslösend sei die Weigerung des Klägers und seiner Ehefrau, ihrer Enkeltochter L. L. das Wohnen bei ihnen für die Zeitdauer des Studiums zu ermöglichen.

Wenn davon auszugehen wäre, dass solche wie die hier vorliegenden Aussagen dazu führen könnten, dass aus polizeipräventiven Gesichtspunkten die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet werden dürfte, so öffne dies jedem Missbrauch Tür und Tor. Insbesondere als Frau sei man dann in der Lage, jeden Mann durch eine einfache Behauptung anzuzeigen, so dass ein Ermittlungsverfahren eröffnet und erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt würden. Hier sei zwar die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens als solches nicht zu beanstanden - die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen sei aber unverhältnismäßig und auch im Übrigen unbegründet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt, vertieft und ergänzt sie ausführlich die Gründe des angegriffenen Bescheides.

Das Strafgericht hat bislang nicht über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, so dass sich das Strafverfahren noch im Stadium des Zwischenverfahrens befindet (Stand vom 10. April 2013). Auch hat es einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchführung einer DNA-Feststellung bei dem angeschuldigten Kläger weiterhin nicht beschieden. Das Strafgericht hat vielmehr ein Glaubwürdigkeitsgutachten hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Zeugin L. L. eingeholt und lässt derzeit Nachermittlungen hinsichtlich etwaiger Vorbefragungen der Zeugin L. L. anstellen. Das für das Strafgericht erstellte ‚Aussagepsychologische Sachverständigengutachten‘ von Frau Dipl.-Psych. K. D., E., vom 13. Februar 2013 kommt zu folgendem Befund (Seite 78):

„Da sich in der Betrachtung der Aussageentstehung und -entwicklung Hinweise auf suggestive Beeinflussungen der Aussage (H01) ergaben, wurde die Zuverlässigkeit der Angaben als eingeschränkt bzw. als nicht hinreichend gewährleistet erachtet und die Hypothese H01 (Beeinflussung der Aussage durch suggestive Befragungen) konnte nicht entkräftet werden.

Die Durchführung der Inhaltsanalyse der Aussage erübrigte sich angesichts der Feststellung suggestiver Vorbedingungen, da die Aussage als psychologische Methodik nicht geeignet ist, zwischen erlebnisbasierten und suggerierten Aussagen zu unterscheiden (…).

Vor diesem Hintergrund kann auch die Hypothese H0 (bei der Aussage handelt es sich um das Produkt reiner Phantasietätigkeit) nicht mit ausreichender diagnostischer Sicherheit widerlegt werden.

Insgesamt kann daher die Aussage der Zeugin L. L. bezüglich der inkriminierten Ereignisse nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als glaubhaft bezeichnet werden.“

Die im angegriffenen Bescheid angeordneten Maßnahmen sind nicht vollzogen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der bis Blatt 133 in Kopie beigezogenen Strafakte (einschließlich Sonderband DNA bis Blatt 14) des Amtsgerichtes Emden (Geschäftszeichen 210 Js 8791/12 - 6 Ds 129/12) Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Polizeiinspektion L./E. vom 29. Oktober 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

In formeller Hinsicht ist der Bescheid allerdings nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Beklagte vor seinem Erlass in ordnungsgemäßer Art und Weise dem Kläger hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und rechtliches Gehör zur beabsichtigten Maßnahme gewährt, § 28 VwVfG. Auch ist die Beklagte zuständig.

Der angegriffene Bescheid erweist sich in materieller Hinsicht als rechtswidrig.

Rechtsgrundlage des Bescheids ist § 81b 2. Fall StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen auch gegen den Willen des Beschuldigten von ihm Lichtbilder und Fingerabdrücke aufgenommen werden und Messungen sowie vergleichbare erkennungsdienstliche Maßnahmen vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81b 2. Fall StPO werden nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - und zwar ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen sind (BVerwG, Urteil vom 23. November 2005 - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225 [BVerwG 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05] m.w.N.). § 81b 2. Fall StPO ist nicht eine Regelung aus dem Bereich der Strafverfolgung, sondern eine Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge im Sinne präventiv-polizeilicher Tätigkeit. Die Vorschrift bezweckt die vorsorgende Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2. Fall StPO bemisst sich dementsprechend danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene auch künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentiell Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urteil vom 23. November 2005, a.a.O.; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juni 2007 - 11 LC 372/06 -, juris).

Die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers ist nach diesen Maßstäben zu verneinen. Das Merkmal der Notwendigkeit ist im vorliegenden Einzelfall nicht erfüllt. Ebenso liegt eine Wiederholungsgefahr nicht vor und ist die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Ferner liegt Ermessensfehlgebrauch vor.

Das Gericht sieht keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger künftig als Verdächtiger in den Kreis potentiell Beteiligter an einer aufzuklärenden strafbaren Handlung gegen die sexuelle Selbstbestimmung einbezogen werden könnte. Maßgeblich ist dabei die Sachlage zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Die Wiederholungsgefahr, die die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b 2. Fall StPO rechtfertigt, ist nur zu beziehen auf das Delikt, das die erkennungsdienstliche Behandlung veranlasst hat. Es ist also lediglich darauf abzustellen, ob vom Kläger die Gefahr weiterer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und insbesondere des sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgeht (s. dazu allgemein VG Braunschweig, Urteil vom 23. Mai 2007 - 5 A 14/06 -, zitiert nach juris; m.w.N.). Dies ergibt sich aus dem Grundgedanken von § 39 Abs. 3 Satz 1 SOG. Nach dieser Norm kann die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Strafverfolgung rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, speichern, verändern und nutzen, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person erforderlich ist, um für die Verfolgung von "vergleichbaren künftigen" Straftaten dieser Person vorzusorgen oder "solche" Straftaten zu verhüten. Es scheint sehr zweifelhaft, ob beim Kläger die hinreichende Gefahr vergleichbarer Straftaten besteht. Zwar teilt das Gericht den Ansatz der Beklagten, ein Sexualdelikt sei regelmäßig von besonderer Veranlagung oder Neigung des Täters geprägt und könne deshalb die Gefahr der Wiederholung auch bei erstmaliger Begehung ausdrücken. Diese Erwägungen hat die Beklagte aber nicht im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls konkretisiert.

Die konkret angeordneten Maßnahmen sind nach der maßgeblichen Sachlage der mündlichen Verhandlung (s. Nds. OVG, Urteil vom 26. Februar 2009 - 11 LB 431/08 -, zitiert nach juris) nicht für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig. Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist nur die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für zukünftige Ermittlungen geeignet sind und diese fördern könnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982, - 1 C 29/79 -, BVerwGE 66, 192 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juni 2007 - 11 LC 372/06 -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 26. Februar 2009 - 11 LB 431/08 -, juris). Je nach der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat kann die Frage nach dem Einsatz der bzw. welcher erkennungsdienstlichen Maßnahme(n) deshalb unterschiedlich zu beantworten sein mit der Konsequenz, dass möglicherweise nur bestimmte Maßnahmen getroffen werden dürfen, um dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen (Nds. OVG, Beschluss vom 5. Februar 2004 - 11 ME 271/93 -, NVwZ-RR 2004, 346 [OVG Niedersachsen 05.02.2004 - 11 ME 271/03]). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes sind nur solche erkennungsdienstlichen Unterlagen, die nach der Art der in Rede stehenden Straftaten, für die eine Wiederholungsgefahr besteht, geeignet sind, entsprechende Ermittlungen zu fördern (VG Osnabrück, Beschluss vom 24. Juni 2008 - 6 B 58/08 -, juris). Bei der Prüfung der Frage, ob die Aufnahme erkennungsdienstlicher Angaben notwendig ist, ist zu berücksichtigen, dass eine Korrektur einer unzutreffend unterbliebenen erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mehr möglich ist. Ist nämlich eine erkennungsdienstliche Behandlung unterblieben, so fehlen der Polizei gegebenenfalls später die Unterlagen, die die Erforschung und Aufklärung einer Straftat - unter Umständen entscheidend, sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Betreffenden - fördern könnten (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 23. November 2005 6 C 2.05 , NJW 2006, 1225 [BVerwG 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05]; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juni 2007 11 LC 372/06 , juris). Wie die vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe "fördern" und "könnten" verdeutlichen, ist es nicht erforderlich, dass erkennungsdienstliche Unterlagen zur Aufklärung der zukünftig zu erwartenden Straftaten mit Sicherheit zwingend notwendig sein werden. Es reicht aus, wenn sie in zukünftigen Verfahren hilfreich sein könnten (VG Oldenburg, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 7 B 49/09 -, V.n.b). Für diese Möglichkeit muss es aber konkrete Anhaltspunkte geben. Angesichts des hohen Stellenwertes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung darf eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht mit praktisch fernliegenden, rein hypothetischen Erwägungen zur möglichen Nützlichkeit entsprechender Unterlagen begründet werden. Eine Voraussetzung für die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2. Fall StPO (und ihre weitere Verwendung) ist insoweit eine Wiederholungsgefahr. Insoweit genügt eine lediglich formelhafte und unspezifische Begründung für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr - wie hier -, dass bei Sexualstraftätern eine weit überdurchschnittliche Gefahr einer zukünftigen Straftat bestehe, nicht den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Im Falle des Klägers bezieht die Beklagte diese abstrakten Erwägungen weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren hinreichend konkret auf die Umstände des Einzelfalls.

Maßgeblich hat die Kammer hier abzustellen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (so auch Nds. OVG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 11 LB 115/12 –, juris).

Daher bezieht die Kammer das vom Strafgericht eingeholte und dem Verwaltungsgericht vorliegende Sachverständigengutachten von Frau D. vom 13. Februar 2013 (aaO.) in seine Betrachtungen ein und hält fest, dass insoweit hinsichtlich des Vorwurfs der maßgeblichen ‚Anlasstat‘ (eventueller sexueller Missbrauch zu Lasten der Zeugen L. L.) erhebliche Zweifel am von dieser Zeugin behaupteten Geschehen begründet (Seite 78 des Gutachtens; Zitat siehe oben) und erkennungsdienstliche Maßnahmen gegenüber dem Kläger nicht notwendig gemäß § 81b 2. Fall StPO sind, zumal die Angaben der Zeugin M. L. nicht in einem wegen deren Behauptungen des früheren sexuellen Missbrauchs gegen den Kläger geführten Strafverfahren ihrer Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden können.

Nach der Überzeugung der Kammer fehlen hier Notwendigkeit, Wiederholungsgefahr und Verhältnismäßigkeit im obigen Sinne. Die Kammer stützt dies nicht allein auf das angeführte Gutachten, sondern auf die folgende Bewertung des konkreten Sachverhalts insgesamt. Dabei weist die Kammer darauf hin, dass diese Bewertung nicht auf das gegen den Kläger eingeleitete und derzeit von dem Strafrichter des Amtsgerichts Emden geführte Strafverfahren zu beziehen sind, schon weil die Kammer insoweit nicht zuständig ist, sondern dass maßgeblich auf die präventiv-polizeiliche, gefahrenabwehrrechtliche Tätigkeit und angegriffene Verfügung der Beklagten und deren Bewertung im Verwaltungsprozess abzustellen ist. Es handelt sich bei Maßnahmen nach § 81b 2. Fall StPO um Verfahren und Eingriffe, auf die die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (jedenfalls sinngemäß) anzuwenden sind, auch wenn die Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung angesiedelt ist. Dabei hält die Kammer fest, dass die Beklagte vor Erlass des angegriffenen Bescheides nicht die ihr von Amts wegen obliegende Ermittlung des Sachverhaltes vorgenommen hat, sondern sich insoweit auf einen nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt stützt, und dass deshalb keine hinreichenden Erkenntnisse für ihre Schlussfolgerungen vorliegen. Die Beklagte bezieht sich unzureichend auf die dem Kläger lediglich vorgeworfene ‚Anlasstat‘ (eventueller sexueller Missbrauch zu Lasten der Zeugin L. L.), was wegen der fehlenden Belastbarkeit der entsprechenden Zeugenaussage sehr zweifelhaft ist, und auf eine weitere, strafgerichtlich nicht mehr überprüfbare eventuelle frühere ‚Tat‘ des Klägers zu Lasten der Zeugin M. L., ohne sich mit deren Vorbringen, das sich nach den bisherigen Erkenntnissen ebenfalls als nicht belastbar erweist, näher befasst zu haben. Die durchgreifenden Zweifel der Kammer begründen sich wie folgt.

Zunächst fällt der Umstand ins Auge, dass die Zeuginnen M. L. und L. L. nach einer telefonischen Voranmeldung durch den damaligen (und wohl auch noch jetzigen) Lebensgefährtin der Zeugin M. L., Herrn S. L., gemeinsam bei der Polizei erschienen sind, um Aussagen zu machen. Wie es dazu kam, ist offen, obwohl die mit der Sache befassten Polizeibediensteten womöglich den Hintergrund sogar kannten.

Hier wäre es naheliegend und erforderlich gewesen, diese Umstände abzuklären, nach Aufnahme der Zeugenaussagen weiter zu ermitteln, insbesondere auch durch Anhörung von Herrn S. L.. Dies ist unterblieben. Insoweit enthält lediglich die Zeugenaussage der M. L. die Textpassage: „Mein Lebensgefährte hat bei der Polizei angerufen und mit der vor mir sitzenden Beamtin gesprochen und für den heutigen Tag einen Termin vereinbart.“ Dem wäre nachzugehen gewesen, um zum Beispiel den Inhalt der telefonischen Angaben des Herrn L. zu erfragen. Die Polizei hätte insbesondere der Gesamtkonstellation der gleichzeitig (nacheinander) gemachten Aussagen und vor allem einer Aussage rund 40 Jahre nach dem vermeintlichen Tatgeschehen insbesondere mit Blick auf die Mutter-Kind-Beziehung der Zeuginnen nachgehen müssen. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Zeugin M. L. ausweislich der Niederschrift Folgendes angegeben hat:

„Im vergangenen Jahr hat es eine Situation mit dem Ex-Mann gegeben. Es ging um die Scheidung, die dort zur Disposition stand. Im Zuge dessen, dass eben halt vieles, was ich schon vor 18 Jahren meinem Ex-Mann erzählt hatte, der wiederum meinem jetzigen Lebensgefährten von dem Missbrauch berichtete, wieder hochgekommen ist. Im Zuge des Gespräches, welches ich mit meinem Lebensgefährten führte, habe ich ihn gefragt, ob er nicht willens wäre, mit meinen Eltern zu sprechen. Ich wollte das ganze Thema für mich abschließen. Während dieses Telefonats, das eben halt mein Lebensgefährte mit meinen Eltern führte, hat meine Mutter konkret auf den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs so reagiert, als dass sie das Telefonat beendet. Es kam dann anschließend nicht mehr zu einem weiteren Gespräch. Jetzt in diesem Jahr, es war am 04.11.2011, hat meine Tochter L. sich ihrer Schwester anvertraut. Diese erzählte meinem Lebensgefährten davon, dass die L. von meinem Vater missbraucht worden sei. Mein Vater habe ihr an die Brust gefasst und hätte dabei geäußert, er müsste fühlen, ob die schon gewachsen wären. Sie hat sich gewehrt und ihn weggedrückt. ...“

Diese Angaben hätten die Beklagte veranlassen müssen, zur Vorgeschichte der Anzeigen und der Zeugenaussagen vom 28. Dezember 2011 zu ermitteln. Hier ist nämlich dem Umstand erhöhte Bedeutung beizumessen, dass der von der Zeugin M. L. hinsichtlich ihrer Person vorgetragene Umstand eines eventuellen sexuellen Missbrauchs in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts strafrechtlich keine Relevanz mehr zukommt, weil insoweit eine strafrechtliche Verfolgung des Klägers von Vornherein aufgrund von Verjährungsvorschriften nicht mehr in Betracht kommen darf und mithin insoweit jedenfalls eine strafrechtliche Erforschung der Vorwürfe ausscheidet. Dies gilt in gesteigertem Maße für die Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin M. L.. Also hätte die Beklagte, wenn auch allerdings nicht für ein nicht stattfindendes Strafverfahren, wohl aber hier für die Zwecke des § 81b 2. Fall StPO als Behörde der Gefahrenabwehr den Sachverhalt überprüfen und von Amts wegen sowohl hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin M. L. als auch der Glaubhaftigkeit derer Bekundungen ermitteln müssen.

Ferner wären hier hinsichtlich der Zeugenaussage der L. L. vom selben Tage in der Zeugenaussage der M. L. hinreichend Ansätze gewesen, um die Glaubhaftigkeit beider Aussagen zu überprüfen, noch bevor es zur Anhörung hinsichtlich des Erlasses der angefochtenen Verfügung kam. Im Einzelnen enthält nämlich die zuletzt zitierte Passage aus der Zeugenaussage der M. L. tatsächliche Hinweise auf

- den Lebensgefährten,
- den „Ex-Mann“,
- die Zeitabläufe und angebliche erste Offenbarung vor 18 Jahren,
- die Kenntnisnahme von vermeintlichen Übergriffen gegenüber der Tochter L. über Dritte und
- die Schwester der Zeugin L. L. (wohl: L.) und deren Rolle.

Hier hätte also durch Ermittlungsmaßnahmen im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG womöglich in Erfahrung gebracht werden können, wie sich die tatsächlichen Zusammenhänge dargestellt haben. Insbesondere hätte der Lebensgefährte M. L. und die Schwester der L. L. (wohl: L.) detailliert dartun können, wie und in welchem Rahmen welcher Gespräche tatsächlich über etwaige Übergriffe gegenüber der L. L. berichtet worden sein sollte. Hinsichtlich des vermeintlichen Geschehens „in der Badewanne“ hätte es sich angeboten, Nachfrage bei den angeblich dort ebenfalls gewesenen Brüdern der Zeugin M. L. zu halten. All dies ist aber unterblieben, zudem ohne dass in dem polizeilichen Abschlussbericht vom 16. April 2012, der mithin weit vor der Anhörung zum Erlass der hier angefochtenen Verfügung erstellt wurde, Hinweise darauf enthalten wären, aus welchen sachlichen Gründen - z.B. Glaubwürdigkeit der Zeuginnen - solche weiteren Nachforschungen unterblieben waren, so dass also für das vorliegende präventiv-polizeiliche Verfahren keine Gründe dargetan sind, warum auf weitere Sachverhaltsaufklärung hätte verzichtet werden dürfen. Damit ist die Erkenntnislage zu dürftig, um die Vorwürfe der Zeugin M. L. (und erst Recht der Zeugin L. L., vgl. das o.a. Gutachten) verwerten zu können. Die Beklagte darf sich hier im vorliegenden Verfahren nicht allein auf die Aussagen vom 28. Dezember 2011 stützen. Dies wirkt sich zu Ungunsten der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides aus.

Dies gilt erst Recht, soweit bereits vor Erlass des angegriffenen Bescheides die anwaltlichen Stellungnahmen des Klägers vom 22. Mai 2012 und vom 18. September 2012 erhebliches Tatsachenmaterial für weitere sachdienliche Ermittlungen dargetan haben.

So bekundet der Kläger in seiner anwaltlichen Stellungnahme vom 22. Mai 2012 ausdrücklich ein Detailwissen, welches die Aussage der Zeugin M. L., deutlich in Frage stellt (beispielsweise nur, dass es in dem damals bewohnten G. Hof nicht auf dem Dachboden eine Werkstatt und nicht eine Badewanne gegeben habe).

Auch sind dort Hinweise auf ein Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz (Amtsgericht Emden, 16 F 632/11 EAGS) sowie auf ein Strafermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Aurich (520 Js 8998/12) gegen die Ehefrau des Klägers enthalten, ohne dass die Beklagte dem im Zuge ihres Verwaltungsverfahrens nachgegangen wäre oder ansonsten Bedeutung geschenkt hätte. Es wäre jedenfalls in Betracht gekommen, hier die Akten beizuziehen oder aber auch weitere Auskunft der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu erbitten.

Weiter ist dort der Hinweis darauf enthalten, dass die Zeugin L. L. regelmäßig ihre Ferienzeit - gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder N. - wochenlang bei den Großeltern über Jahre verbracht hat. Auch dies hätte Anlass sein müssen, vor dem Erlass der umstrittenen Anordnung weitere Nachforschungen hinsichtlich der Prognose und damit der Notwendigkeit und Wiederholungsgefahr anzustellen. Es ist auch widersprüchlich, einerseits wegen abstrakt unterstellter pädosexueller Neigungen beim Kläger von Wiederholungsgefahr auszugehen, andererseits aber auf der Hand liegende Nachforschungen nach Geschehnissen z.B. in den Ferien bei den Großeltern zu unterlassen, obwohl gerade in solchen Situationen das Risiko der Realisierung der unterstellten Gefahr hoch sein dürfte, was selbst der angegriffene Bescheid wohl meint, wenn er davon spricht, der Kläger habe eine Macht- oder Autoritätsposition ausgenutzt. Eine solche Position ist bei Abgabe der Kinder ohne elterliche Begleitung für die Ferien, sei es bei Großeltern, sei es in einem Ferienlager, stärker ausnutzbar als ansonsten – Erkenntnisse dazu liegen aber hier nicht vor und hat die Beklagte auch nicht versucht zu beschaffen. Insoweit hätten Vernehmungen der weiteren Familienmitglieder und der Ehefrau des Klägers weiteren Aufschluss über die verschiedenen Örtlichkeiten und zeitlichen Einordnungen der Mißbrauchsvorwürfe gegen den Kläger erbringen können.

Desgleichen sind dort noch etliche Hinweise auf den Lebensgefährtin der Zeugin M. L. (Herrn S. L.), sowie deren früheren Ehemann enthalten, ebenso wie auch auf Besprechungen mit dem ältesten Sohn des Klägers (R. Sch.); auf sie ist die Beklagte aber nicht zur Sachverhaltsermittlung zugegangen.

Da nach den dortigen Angaben der Brief der Zeugin M. L. vom 18. November 2011 auch an die Geschwister insgesamt versandt worden sein soll, hätten auch alle Geschwister der Zeugin M. L. hierzu als eventuelle Auskunftspersonen zur Verfügung gestanden. Bedauerlicherweise hat die Beklagte versucht, von diesen Informationen zu erlangen.

Die Beklagte hat leider auch die Hinweise des Klägers auf die jüngere Schwester L. der Zeugin L. L. ebenfalls nicht aufgegriffen.

Über die voranstehenden tatsächlichen Anhaltspunkte hinaus, die bereits hinreichenden Anlass für weitere Nachforschungen hätten geben müssen, enthält zudem die anwaltliche Stellungnahme vom 18. September 2012 auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 24. August 2012 weitere Angaben, denen nachzugehen gewesen wäre.

Es bestehen deshalb weiterhin Zweifel, ob es mit der einmaligen Einvernahme der Zeuginnen L. und M. L. sein Bewenden hätte haben dürfen.

Soweit schließlich die Zeugin L. L. (laut Niederschrift, Seite 12) Folgendes bekundet:

„Aber meine Schwester ist vom Gemüt auch ganz anders einzuschätzen. Also ist sie wesentlich offener und redet auch viel mehr bzw. und hat ‘ne bessere Bindung zu meiner Mutter auch. Das ist einfach wesentlich stärker und das ist m. E. nichts passiert…“

hätte dies auch Anlass dazu geben dürfen, nachzufragen, ob und inwieweit die eigene Bindung an die Mutter nicht so stark sei wie diejenige der jüngeren Schwester (L.) und ob hier ein Defizit empfunden wird, das womöglich Einfluss auf das Aussageverhalten hat.

Schon die Gesamtsituation des Erscheinens der beiden im Mutter-Kind-Verhältnis miteinander verbundenen Zeuginnen auf telefonische Vorbesprechung hin mit dem Lebensgefährtin der Zeugin M. L. hätte hier beispielsweise zur Motivation der Beteiligten hinterfragt werden müssen. Dennoch beurteilt die Beklagte mit dem hier maßgeblichen gefahrenabwehrrechtlichen Bescheid den Sachverhalt allein aufgrund dieser Aussage(n). Insbesondere heißt es im angegriffenen Bescheid, der Kläger stehe „in Verdacht, die Kinder L. und M. sexuell missbraucht zu haben“. Mithin stützt sich der Bescheid auch auf beide zwei Tatvorwürfe, nämlich nicht nur auf allein denjenigen aus der hier maßgeblichen ‚Anlasstat‘ zu Lasten der Zeugin L. L., derentwegen auch später Anklage erhoben wurde, sondern auch auf den strafrechtlich verjährten Vorwurf des (eventuellen) Missbrauchs zu Lasten der Zeugin M. L.. Deutlich wird dies dadurch, dass es in dem Bescheid auf Seite 3 heißt, der Kläger habe „als Vater/Opa“ eine Machtposition ausgenutzt. Auch der strafrechtlich verjährte Vorwurf des Missbrauchs zu Lasten der Zeugin M. L. ist maßgeblich. So heißt es auf Seite 3 in diesem Bescheid „hinsichtlich Ihrer Tochter M. soll es sogar zu mehrfachen vaginalen Penetrationen mit dem Finger gekommen sein“. Mithin stützt der Bescheid Notwendigkeit und Wiederholungsgefahr auch auf die Vorwürfe der Zeugin M. L.. Alle tatsächlichen Umstände, die mit diesem Tatvorwurf zusammenhängen, hat die Beklagte aber nicht aufgeklärt, sondern schlicht die Aussage der M. L. übernommen, obwohl immer klar war, dass einer strafgerichtlichen Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Aussage die Verjährungsvorschriften entgegenstehen würden, so dass ein späterer Erkenntnisgewinn aus einem auf diesem Vorwurf beruhenden strafgerichtlichen Verfahren nicht zu erwarten gewesen war und ist. Auch dies lässt eine erhebliche Lücke in der Tatsachenbasis für den angegriffenen Bescheid entstehen.

Auch berücksichtigt der Bescheid nicht hinreichend die Umstände des Einzelfalls. Er verhält sich nicht zu Lebensalter, Wohnsituation, familiäres Umfeld und sonstigen Lebensumständen des Klägers. So spricht hier schon der Umstand gegen das Vorliegen von Notwendigkeit und Wiederholungsgefahr, dass der Kläger bereits im Jahr 1937 geboren ist. Jedenfalls hätte dies in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in die Ermessensbetätigung (dazu am Ende) einfließen müssen. Damit unterscheidet sich auch der vorliegende Fall von Fällen anderer Art, (vgl. dazu nur z. B. das Urteil der Kammer vom 11. August 2009, Az.: 7 A 29/09), an denen die Beklagte ebenfalls beteiligt war (vgl. Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 25. Februar 2010 - 11 LA 492/09 -). Ferner liegt der Unterschied des vorliegenden Einzelfalles zu anderen Fällen darin, dass neben der ‚Anlasstat‘ (, nämlich dem Tatvorwurf, den die Zeugin L. L. macht), hier keine weiteren staatsanwaltlichen oder auch nur polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger bekannt sind und dass dieser – anders als Betroffene in anderen Verfahren – als unbescholten gelten muss (vgl. wiederum das Verfahren 7 A 29/09 mit Urteil der Kammer vom 11. August 2009 mit dem dagegen die Berufung zulassenden Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 25. Februar 2010 - 11 LA 492/09 -).

Schließlich lässt sich im vorliegenden Einzelfall auch nicht begründen, warum es bei dem Kläger überhaupt pädosexuelle Neigungen geben sollte, wie der angegriffene Bescheid dies behauptet und wie die Beklagte meint. Sie unterstellt dies nämlich, um eine Wiederholungsgefahr begründen zu können. Ansonsten griffe der Hinweis auf kriminalistische Erfahrungssätze nicht. Dass dieser Gedanke im Ergebnis auch hier nicht trägt, ergibt sich daraus, dass pädosexuelle Neigungen dem Kläger gar nicht unterstellt werden dürfen, weil nämlich weder Umstände der ‚Anlasstat‘ noch die der mit in den Bescheid einbezogenen Vorwürfe der Zeugin M. L. ausreichend ermittelt sind. Dementsprechend kann auch - wie die Beklagte meint - das Fehlen von Empathie beim Kläger gegenüber den vermeintlichen Opfern nicht erschwerend zu seinen Ungunsten herangezogen werden. Es ist angesichts des gegen ihn geführten Strafverfahrens und der Schwere, auch Ehrenrührigkeit der Vorwürfe nicht vorwerfbar und nicht zu Ungunsten des Klägers verwertbar, dass dieser zu den Vorwürfen schweigt und auch nicht Empathie zeigt.

In der angegriffenen Anordnung ist zudem kein sachgerechtes Ermessen ausgeübt worden, auch wenn der angegriffene Bescheid dies eingangs seiner Begründung so darzustellen versucht. § 81b 2. Fall StPO stellt es ins pflichtgemäße Ermessen der Polizei, ob sie die Maßnahme ergreift oder nicht und welche erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Einzelnen angeordnet werden. Die Kehrseite dieses vom „Opportunitätsprinzip“ bestimmten Ermessens besteht darin, dass die Polizei ihre Handlungsfreiheit erkennen und die Entscheidung für oder gegen ein entsprechendes Tätigwerden begründen muss (s. § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG). Ist anders als im vorliegenden Einzelfall die Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt worden, kann allerdings grundsätzlich von intendiertem Ermessen ausgegangen werden (Nds. OVG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 11 LB 115/12 –, juris).

Hieran fehlt es in dem Bescheid der Polizeiinspektion. Dies kann durchaus auf einen Ermessensausfall, muss aber hier jedenfalls auf Ermessensfehlgebrauch schließen lassen. Insbesondere kann eine Ermessenausübung nicht aus den im Bescheid enthaltenen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme herausgelesen werden. Insoweit handelt es sich um unterschiedliche rechtliche Prüfpunkte. Dass für eine bestimmte Entscheidung sachliche Gründe gefunden werden können, ersetzt nicht die fehlende Ermessensausübung der Polizeiinspektion. Hinzu kommt, dass in einem solchen Fall gemäß § 114 Satz 2 VwGO der Mangel möglicherweise nicht durch ergänzende Erklärungen geheilt werden kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. November 2008 - 10 C 08.2872 -, zitiert nach juris). Allein schon das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers hätte Niederschlag finden müssen. Selbst wenn tatbestandlich Notwendigkeit, Wiederholungsgefahr und Verhältnismäßigkeit gegeben wären (was die Kammer verneint), so hätten das Lebensalter des Klägers, seine aktuellen Lebensverhältnisse und die familiäre Gesamtsituation spätestens auf der Rechtsfolgenseite in die Abwägung einfließen müssen, was unterblieb. Dies begründet die Fehlerhaftigkeit auch der Ermessensausübung.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs.1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).