Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.09.2001, Az.: 6 K 955/99

Berichtigung eines Steuerbescheides wegen offenbarer Unrichtigkeit; Erkennen einer Antragstellung durch Auslegung einer Willenserklärung nach Bestandskraft des Verwaltungsaktes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.09.2001
Aktenzeichen
6 K 955/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0911.6K955.99.0A

Fundstelle

  • EFG 2002, 170-171

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte den Körperschaftsteuerbescheid 1993 gem. § 129 Abgabenordnung (AO) berichtigen durfte.

2

Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Kraftfahrzeugen sowie deren Reparatur. Am Stammkapital i.H.v. 500.000 DM waren im Streitjahr die R GmbH mit 370.000 DM und H mit 130.000 DM beteiligt.

3

Auf der Gesellschafterversammlung am 31. Januar 1994 stellten die Gesellschafter den Jahresabschluss 1992 fest, erteilten der Geschäftsführung Entlastung und beschlossen eine Gewinnausschüttung i.H.v. 300.000 DM. Nach Erstellung der Jahresbilanzen 1993 am 23. Juni 1994 beschlossen die Gesellschafter eine Gewinnausschüttung i.H.v. 50.000 DM. Im Jahre 1995 beschlossen sie zudem für das Geschäftsjahr 1994 eine Gewinnausschüttung i.H.v. 300.000 DM.

4

Die Gewinnausschüttung für die Jahre 1992 und 1993 zahlte die Klägerin im Jahre 1994 aus. Bei der Erstellung der entsprechenden Steuerbescheinigungen ging sie zunächst davon aus, dass die ausgeschütteten Gewinne einer Körperschaftsteuerbelastung i.H.v. 36 % unterliegen. Im Rahmen der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 1993 kreuzte die Klägerin auf der Anlage "weitere Angaben - Anträge" (WA) nicht das Feld an "für die Ausschüttungen wurde die Ausschüttungsbelastung noch nach bisherigem Recht 36 v.H.; Körperschaftsteuererhöhung bei Verwendung von EK 01) hergestellt". Als offene Gewinnausschüttung gab sie dort 50.000 DM an. Auf dem Vordruck "Erklärung zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum 31. Dezember 1993" trug die Klägerin in Zeile 23 ("Änderung der Körperschaftsteuer aufgrund in späteren Wirtschaftsjahren für das Wirtschaftsjahr 1993 vorgenommener offener Gewinnausschüttung") einen Betrag i.H.v. 10.938 DM ein. Schließlich gab sie auf dem Vordruck über die Entwicklung des verwendbaren Eigenkapitals in Zeile 45 a (EK 50 Minderung der Körperschaftsteuer) einen Betrag von 10.938 DM an.

5

Der Beklagte führte bei der Klägerin für die Jahre 1988 - 1993 eine Außenprüfung durch. Im Rahmen der Umsetzung der Prüfungsfeststellungen hob der Beklagte die Vorbehalte der Nachprüfung auf und setzte die Körperschaftsteuer auf 14.211 DM fest. Dabei ging er von einer Körperschaftsteuerbelastung von 28.497 DM (50 %) und einer Minderung der Körperschaftsteuer aus offenen Ausschüttungen i.H.v. 14.286 DM aus. Im geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum 31.12.1993 betrug das EK50 370.787 DM, das EK36 48.717 DM und das EK02 25 DM.

6

In der Folgezeit wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Gewinnausschüttungen für die Jahre 1992 und 1993 mit einem Körperschaftsteuersatz von 30 % belastet wurden, die von der Klägerin erstellten Steuerbescheinigungen für die Gesellschafter aber eine Steuerbelastung von 36 % ausweisen. Die Klägerin erstellte daraufhin für den Gesellschafter H eine neue Steuerbescheinigung, die eine Steuerbelastung von 30 % auswies. Für den Mehrheitsgesellschafter berichtigte sie die Steuerbescheinigung nicht.

7

Daraufhin erließ der Beklagte am 9. Dezember 1998 einen gem. § 129 AO berichtigten Körperschaftsteuerbescheid, in dem er die Körperschaftsteuer auf 17.559 DM festsetzte. Dabei reduzierte er die Körperschaftsteuerminderung von 14.286 DM auf 10.938 DM. Am selben Tag ließ der Beklagte einen entsprechend geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 KStG zum 31.12.1993. Gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1993 legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein.

8

Mit ihrer Klage macht sie geltend, dass der Beklagte eine Änderung gem. § 129 AO nicht habe durchführen dürfen. Der Körperschaftsteuerbescheid 1993 vom 24. Januar 1998 sei rechtmäßig gewesen. Erst durch die Berichtigung gem. § 129 AO sei ein rechtswidriger Zustand herbeigeführt worden. Die Klägerin habe nämlich keinen Antrag nach § 54 Abs. 10 a Satz 2 KStG gestellt. Deswegen unterliegen die offenen Ausschüttungen einer Körperschaftsteuerbelastung von 30 %.

9

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Bescheid zu ändern und zwar mit der Maßgabe, dass der zuvor ergangene Bescheid in Kraft tritt.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er ist der Auffassung, die Berichtigung gem. § 129 AO sei rechtmäßig erfolgt. Die Gewinnausschüttung für das Jahr 1993 unterliege einem Körperschaftsteuersatz i.H.v. 36 % Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Klägerin ein Wahlrecht bezüglich des Steuersatzes gehabt und ausgeübt habe. Das sei zwar nicht durch ein Kreuz in der entsprechenden Steuererklärung wahrgenommen worden. Der Beklagte habe jedoch den Willen der Klägerin durch Auslegung ermittelt. In der von der Klägerin eingereichten Aufstellung über die Entwicklung des Eigenkapitals nach § 30 KStG habe die Klägerin die Steuerminderungsbeträge unter Berücksichtigung eines Körperschaftsteuersatzes für ausgeschüttete Gewinne i.H.v. 36 v.H. berechnet. Hieraus sei zu schließen, dass die Klägerin einen Antrag nach § 54 Abs. 10 a Satz 2 KStG habe stellen wollen. Dies habe der Beklagte zunächst übersehen. Dieser Fehler sei durch Berichtigung gem. § 129 beseitigt worden.

Gründe

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Die Klage ist begründet. Der Beklagte war nicht berechtigt den Körperschaftsteuerbescheid 1993 gem. § 129 AO zu berichtigen.

13

Eine Änderungsvorschrift nach §§ 172 ff. AO ist, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen, nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Beklagten durfte eine Berichtigung des Körperschaftsteuerbescheides 1993 vom 9. Dezember 1998 auch nicht auf § 129 AO gestützt werden. Denn beim Erlass des Körperschaftsteuerbescheides vom 8. Januar 1996 ist ihm keine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen.

14

Es kann dahingestellt bleiben, ob die widersprüchlichen Erklärungen der Klägerin in ihrer Körperschaftsteuererklärung (einerseits Berechnung der Körperschaftsteuerminderung unter Zugrundelegung eines Ausschüttungssteuersatzes von 36 %; andererseits Unterlassen eines ausdrücklichen Antrages auf Anwendung des alten Rechtes) dahingehend auszulegen sind, dass sie einen Antrag auf Berücksichtigung von 36 % Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Beträge konkludent gestellt hat. Denn selbst wenn der Steuererklärung ein schlüssiger Antrag auf Berücksichtigung eines Steuersatzes i.H.v. 36 % zu entnehmen gewesen wäre, stellt die Nichtberücksichtigung eines solchen Antrages keine offenbare Unrichtigkeit dar. Dabei ist unerheblich, ob in der unterlassenen Aufklärung der Widersprüche eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zu sehen ist oder - wie der Beklagte meint - die Antragstellung durch Auslegung nachträglich ermittelt wurde. Denn eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. In solchen Fällen hat das Finanzamt zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht gegenüber dem Steuerpflichtigen ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen (BFH-Urt. v. 23.01.1991 I R 26/90, BFH/NV 1992, 359). Dies gilt auch für den Fall der nachträglichen Auslegung der Willenserklärung der Klägerin. Die Auslegung von Willenserklärungen stellt sich als Rechtsanwendung dar und kann deshalb nicht zu einer offenbaren Unrichtigkeit führen. Zwar gehört die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen revisionsrechtlich zur Tatsachenfeststellung, die durch den BFH nur im begrenzten Umfang überprüfbar ist. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Auslegung von Willenserklärungen in der juristischen Methodik einen Teil der Rechtsanwendung darstellt. Dies ergibt sich bereits aus der Kodifikation der Grundsätze der Auslegungsmaßstäbe in §§ 133 und 157 BGB. Die Auslegung einer Willenserklärung ist nämlich die Ermittlung ihres rechtlich maßgebenden Sinnes. Jeder Auslegung geht die Feststellung des Erklärungstatbestandes, d.h. die Ermittlung der für die Auslegung relevanten Tatsachen voraus. Die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätze auf den so ermittelten Erklärungstatbestand führt sodann zu einem Ermittlungsergebnis, dem Inhalt der Willenserklärung. Dies verdeutlicht zugleich, dass die Auslegung von Willenserklärungen ein Akt juristischer Methodik, also Teil der Rechtsanwendung ist. Demzufolge war dem Übersehen eines möglichen Antrages in jedem Fall eine rechtliche Überlegung vorgeschaltet, welche die Anwendung des § 129 AO ausschließt.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 § 711 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 151 Abs. 1 u. 3 FGO.