Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.09.2001, Az.: 6 V 425/01

Hemmung der Vollziehung; Gerichtliche Überprüfung der Wiederherstellung der hemmenden Wirkung bei Widerruf der Bestellung als Steuerberater

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.09.2001
Aktenzeichen
6 V 425/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 14605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0914.6V425.01.0A

Fundstelle

  • EFG 2002, 929-931

Tatbestand

1

Mit Bescheid vom... widerrief die Antragsgegnerin die Bestellung des Antragstellers als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids an. Für die Begründung sowohl des Widerrufs als auch der Anordnung der sofortigen Vollziehung wird auf den Bescheid verwiesen.

2

Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. ...) und sich zugleich gegen den Sofortvollzug gewandt. Er bestreitet die Tatsachen, die dem Widerruf zugrunde liegen.

3

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die hemmende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom...wieder herzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

5

Sie ist der Auffassung, ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sei nicht wirksam gestellt worden. Der Antragsteller habe lediglich Klage gegen den Widerrufsbescheid erhoben. Eine Klage gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unstatthaft.

Gründe

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Der Antrag ist zulässig.

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Mit Antrag vom...hat der Antragsteller zweifelsfrei Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom...erhoben. Zugleich führt er unter "Betr. b)" auf: "Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anordnung der sofortigen Vollziehung". Am Ende des Schriftsatzes heißt es, er, der Antragsteller, beantrage die Aufhebung der Entscheidung des Antragsgegners. Indem der Antragsteller unter "Betr." ausdrücklich unter Buchstabe b) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anspricht, bringt er zum Ausdruck, dass er um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Gericht in der Form nachsucht, die hemmende Wirkung der Klage wieder herzustellen. Einen ausdrücklichen Antrag braucht der Antragsteller nicht zu stellen.

8

Der Antrag ist auch begründet.

9

Gemäß 164 a Abs. 1 Steuerberatungsgesetz richtet sich die Durchführung des Verwaltungsverfahrens bei Widerruf der Bestellung als Steuerberater nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO). Nach § 348 Nr. 5 AO ist der Einspruch gegen den von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Widerruf der Bestellung als Steuerberater nicht statthaft. Es ist damit unmittelbar Klage gegeben. Gemäß § 164 a Abs. 2 Satz 1 Steuerberatungsgesetz ist die Vollziehung des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater gemäß § 46 Steuerberatungsgesetz bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit gehemmt; § 69 Abs. 5 Sätze 2 bis 4 FGO bleiben unberührt. § 69 Abs. 5 FGO trifft Regelungen über die Vollziehbarkeit des mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakts, der die Berufsausübung untersagt. Nach dem über § 164 a Steuerberatungsgesetz anzuwendenden § 69 Abs. 5 Satz 2 FGO kann die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Nach Satz 3 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wieder herstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. § 69 Abs. 5 Satz 3 FGO korrespondiert mit § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO; allerdings macht letztgenannte Vorschrift nicht zur Voraussetzung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen müssen.

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Das Gericht hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde in zweierlei Hinsicht zu prüfen. In einem ersten Schritt hat das Gericht darüber zu befinden, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell und materiell rechtmäßig ist. Das Gericht hat also zu überprüfen, ob die Behörde zu Recht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse angeordnet und hinreichend schriftlich begründet hat. Da die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat, ist diese nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar (§ 102 FGO). Hat die Behörde zu Unrecht das Vorliegen eines öffentlichen Interesses angenommen oder ihre Ermessensentscheidung nicht unter Abwägung der widerstreitenden öffentlichen Interessen und der Interessen des Beteiligten unter Einbeziehung aller maßgebenden Gesichtspunkte getroffen, so stellt das Gericht die hemmende Wirkung wieder her. Ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst nicht zu beanstanden, so trifft in einem zweiten Schritt das Gericht eine eigene Entscheidung darüber, ob es die hemmende Wirkung wieder herstellt, und hat dabei zu beachten, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler § 69 FGO Rdz. 1166; Kopp/Schenke, VwGO § 80 Rdz. 146, 149).

11

Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend begründet. Die Antragsgegnerin führt insofern in ihrem Bescheid aus, der Berufstand des Steuerberaters genieße großes Vertrauen in der Öffentlichkeit und demzufolge werde die zuverlässige und gewissenhafte Erfüllung der aus dem Beruf resultierenden Pflichten von der Bevölkerung erwartet. Die Steuerrechtspflege sei ein wichtiges Gemeinschaftsgut und deshalb im Interesse des Gemeinwohls besonders zu schützen. Dieser Schutz gehe daher einem eventuell in Betracht zu ziehenden Schutz des Vertrauens eines Einzelnen in eine Rechtsposition vor. Im Interesse des Steueraufkommens, der Steuermoral sowie zum Schutz des unkundigen Steuerpflichtigen solle sichergestellt werden, dass nur solche Berater geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten würden, die die dazu erforderliche sachliche und personelle Zuverlässigkeit besäßen. Nach Würdigung des gesamten Sachverhalts sei sie, die Antragsgegnerin, zu dem Ergebnis gekommen, dass das öffentliche Interesse die Anordnung der sofortigen Vollziehung nötig mache. Die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers seien nicht geordnet. Dieses werde insbesondere durch die Eintragung im Schuldnerverzeichnis dokumentiert. Es sei davon auszugehen, dass bereits die schlechte Vermögenslage eines Steuerberaters - unabhängig davon, ob sie auf ein vorwerfbares Verhalten zurückzuführen sei - regelmäßig eine abstrakte Gefährdung der Interessen der potentiellen Auftraggeber sowie der Interessen derjenigen, die gleichfalls durch die Tätigkeit eines Steuerberaters betroffen sein könnten, darstelle. Das gelte um so mehr, als die Tätigkeit eines Steuerberaters mit der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verbunden sei. Ausgehend von dieser abstrakten Gefährdung sei im öffentlichen Interesse der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu gewähren. Zu berücksichtigen sei dabei ferner, dass durch eine möglicherweise vom Antragsteller zu erhebenden Klage noch viele Jahre vergehen könnten, bis der Widerrufsbescheid umgesetzt werde. Insofern halte es die Antragsgegnerin für vordringlich, die potentiellen Auftraggeber des Antragstellers, ohne ihn hierdurch eine jetzt vorhandene konkrete Absicht der Gefährdung unterstellen zu wollen, vor abstrakten eventuellen finanziellen Gefahren zu bewahren. Das öffentliche Interesse überlagere auch das persönliche Interesse des Antragstellers. So habe er in der Vergangenheit keinen lückenlosen Versicherungsschutz unterhalten. Auch sei bereits ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.

12

Mit diesen Ausführungen wiederholt die Antragsgegnerin im Wesentlichen die Begründung für den Widerruf der Zulassung als Steuerberater. Die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung müssen aber über die Gründe für den Erlass des Verwaltungsaktes hinausgehen. Gründe die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigen, reichen in aller Regel nicht allein auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts aus (Hübschmann/Hepp/Spitaler § 69 FGO Rdz. 1156 m.w.N.; Gräber, FGO, § 169 Rdz. 192; Kopp/Schenke, VWGO, § 80 Rdzn. 85 ff.). Die Antragsgegnerin hat keine Gründe genannt, die ein Abweichen vom Grundsatz, dass die Klage gegen den Widerrufsbescheid hemmende Wirkung hat, im öffentlichen Interesse rechtfertigen könnten. Insbesondere hat sie nicht im konkreten Fall, was sich im Allgemeinen in Widerrufsfällen anbieten dürfte, auf die konkrete Gefährdung von Mandanten durch ein weiteres Tätigwerden des Steuerberaters abgestellt. Sie hat ausdrücklich ausgeführt, dass potentielle Auftraggeber nur vor der abstrakt vorliegenden Gefahr bewahrt werden sollen. Auch hat sie das Interesse des Antragstellers an der weiteren Ausübung seines Berufs und damit auf sein Interesse am Erhalt seiner Existenzgrundlage nicht in die Abwägung einbezogen. Die Antragsgegnerin hat damit maßgebliche Aspekte bei ihrer Ermessensentscheidung außer Acht gelassen. Die von ihr aufgeführten Gründe rechtfertigen die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse nicht.

13

Das Gericht braucht bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht darauf abzustellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Dies ergibt sich aus dem zuvor aufgezeigten Prüfungsprogramm des Gerichts. Müßte das Gerichts auch im ersten Schritt die Rechtmäßigkeit des mit der Klage angegriffenen Verwaltungsaktes berücksichtigen, so wäre die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde selbst nicht überprüfbar, wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids bestünden. Da das Gesetz jedoch die besondere Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse, das schriftlich zu begründen ist, gebietet, muss diese Entscheidung der Behörde durch das Gericht gesondert überprüfbar sein, und zwar unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt selbst rechtmäßig oder rechtswidrig erscheint. Eine Lücke im gerichtlichen Rechtsschutz läge nämlich vor, wenn die Behörde einen rechtmäßig erscheinenden Verwaltungsakt erlassen würde und mit einer unzureichenden Begründung die sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anordnen würde. Gerade in diesen Fällen, in denen ein öffentliches Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs nicht begründet wird, muss es beim Regelfall, nämlich der hemmenden Wirkung der Klage gegen den Verwaltungsakt, bleiben. Das gilt um so mehr, als die Regelungen des § 69 Abs. 5 FGO schwerwiegende Eingriffe unter anderem in die Berufsausübung und damit die Existenz des Beteiligten betreffen.

14

Da schon aus diesen Gründen die hemmende Wirkung der Klage wiederherzustellen ist, braucht das Gericht keine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob es die hemmende Wirkung wiederherstellt, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.