Landgericht Oldenburg
Urt. v. 07.12.2005, Az.: 5 S 562/05
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 07.12.2005
- Aktenzeichen
- 5 S 562/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 42461
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2005:1207.5S562.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg (Oldbg) - AZ: E5 C 5637/04 (XXIII)
Fundstelle
- zfs 2006, 146 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 17.06.2005 geändert:
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin weitere 162,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 29.06.2004 zu zahlen.
In Höhe der zurückgewiesenen Berufung wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagten 2/3; von denen zweiter Instanz werden der Klägerin 3/4 und den Beklagten 1/4 auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 105 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
Der Beurteilung der Kammer liegen nach § 540 Abs. 1 ZPO die tatsächlichen Feststellungen zugrunde, wie sie in dem angefochtenen Urteil enthalten sind. Neue entscheidungserhebliche Tatsachen haben sich im Berufungsrechtszug nur insoweit ergeben, daß der Kammer bekannt ist, daß der Neuanschaffungspreis des beschädigten Fahrrades nach Liste 560 € beträgt, es als Auslaufmodell aber auch für 499 € zu erhalten ist. Neuer, nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigender Tatsachenvortrag liegt nicht vor. Insbesondere bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, so daß deshalb eine erneute Feststellung geboten wäre.
Danach hat die Beklagte zu 2) die Vorfahrt der Klägerin mißachtet. Nach allgemeiner Rechtsauffassung verliert der Vorfahrtberechtigte die Vorfahrt nicht dadurch, daß er sich selbst verkehrswidrig verhält (BGHSt 34, 127 = NJW 1986, 2651 = MDR 1986, 951 = DAR 1986, 361-362; 20, 238, 241; BGH VersR 1966, 87; 1967, 883; OLG Bremen DAR 1970, 97; OLG Stuttgart VRS 35, 217, 218; Mühlhaus DAR 1969, 1 f; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 8 StVO RN 30, 53 mwNw.), sei es, daß er gegen das Rechtsfahrgebot verstößt und die linke Fahrbahnseite benutzt (RGZ 167, 357, 360; BGH VRS 22, 134, 135), sei es, daß er sich mit überhöhter Geschwindigkeit der Kreuzung oder Einmündung nähert (BGH VersR 1967, 883; OLG Hamm VRS 30, 130; KG DAR 1976, 240, 241), daß er bei der Einfahrt in die untergeordnete Straße die Kurve schneidet (BGH VRS 4, 458; 10, 19; BGH DAR 1956, 12; OLG Düsseldorf VRS 31, 456, 458), das Blinken unterlässt (BGH VRS 30, 23, 26) oder beim Einbiegen nicht den vorgeschriebenen Radweg benutzt (OLG Oldenburg VRS 37, 389).
Verletzt der Vorfahrtsberechtigte seinerseits die Straßenverkehrsvorschriften, führt das nur dann zu einer Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG, wenn sich das Verhalten des Vorfahrtsberechtigten kausal für die Entstehung der Schäden ausgewirkt hat. In die Abwägung nach § 17 StVG dürfen nur diejenigen Tatbeiträge eingebracht werden dürfen, die zum einen bewiesen sind und zum anderen sich tatsächlich auf die Schädigung ausgewirkt haben (BGH VersR 1995, 357 = NJW 1995, 1029).
Der hier streitige Unfall ist dadurch verursacht worden, daß die Beklagte zu 1) Gaspedal und Bremse verwechselt hat. Daß die Fahrtrichtung der Klägerin hierfür irgendwie ursächlich gewesen war, wird weder behauptet noch ist das ersichtlich. Vielmehr handelt es sich bei dem Fehler der Beklagten zu 1) um einen so schweren Verstoß gegen die Straßenverkehrsverordnung, daß ein Fehlverhalten der Klägerin dahinter zurücktritt.
Die volle Haftung der Beklagten führt indessen nicht zu einem vollständigen Erfolg der Klage. Die Vorstellungen der Klägerin von der Höhe des Schadens sind zu hoch.
Die Klägerin macht Sachschäden für die Reparatur des Fahrrades auf der Basis eines Kostenvoranschlages geltend. Dieser übersteigt sogar die Kosten für eine Neuanschaffung und ist deshalb nicht nach § 249 BGB ersatzfähig. Danach ist wirtschaftlich der Zustand herzustellen, der ohne die Schädigung bestehen würde.
Das Amtsgericht hat daher zutreffend auf den Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrrades abgestellt. Aufgrund der Kenntnis der Kammer von dem Neupreis eines solchen Fahrrades schätzt die Kammer in Anbetracht des Alters des Fahrrades den Wiederbeschaffungswert auf 400 €. Es kommen die auch vom Amtsgericht zu Recht angesetzten Fahrtkosten hinzu. Die allgemeine Schadenspauschale ist auch bei dem hier vorliegenden Unfall zu erstatten. Damit sollen die erfahrungsgemäß im Rahmen einer Schadensabwicklung anfallenden Kosten für Telefonate und Schreiben abgedeckt werden. Dabei ist es belanglos, ob wegen eines beschädigten Fahrrades oder eines Autos telefoniert wird.
Bei dem Schmerzensgeld ist der vom Amtsgericht zuerkannte Betrag von 1. 200 € auch bei einer 100 %-Quote angemessen.
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie das Maß der Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Hier liegt das Schwergewicht. Daneben können auch alle Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben (BGHZ 18, 149). Das Gericht ist nicht gehindert, die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unterschreiten oder über sie hinaus zu gehen, wenn ihm dies nach Lage des Falles - vor allem in Anbetracht der wirtschaftlichen Entwicklung oder veränderter allgemeiner Wertvorstellungen - geboten erscheint (BGH DAR 76, 244).
Werden nach diesen Vorgaben die Schmerzensgeldtabellen mit den Verletzungen der Klägerin verglichen, so ist festzustellen, daß Schmerzensgeldbeträge von 1. 500 € für Prellungen nur dann gezahlt werden, wenn Ausmaß und Dauer der Verletzungen erheblich höher als bei der Klägerin waren (z. B. ADAC-Schmerzensgeldtabelle Nr. 22.730 - LG Trier Urt. 06.02.2001 - 1 S 135/00 für eine vorsätzliche unerlaubte Handlung; Nr. 15.274 AG Langen - ZfS 87, 103 bei einer Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen und einer 30 %igen MdE für ein weiteres Jahr; Nr. 22.656 AG Freiburg i. B. Urt. 19.09.00 - 11 C 170/00 für eine Schlägerei mit Nasenbeinfraktur und weiteren Verletzungen). Demgegenüber hat das AG Schwerin einer Radfahrerin 1. 200 € für Prellungen und Quetschungen mit Dauerschaden zugesprochen (Urt. 27.05.02).
Die Klägerin war demgegenüber nur etwa 2 Wochen beeinträchtigt. Wegen der beklagten Gefühllosigkeit ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welche Einbußen an Lebensfreude das mit sich bringen soll. Der entgangene Konzertgenuß kann mit dem Schmerzensgeld vielfach nachgeholt werden.
Unter dem Gesichtspunkt, daß Prellungen nach einem Verkehrsunfall ohnehin nur in schweren Fällen überhaupt die Zubilligung eines Schmerzensgeldes rechtfertigen, ist ein Betrag von 1. 200 € schon recht hoch gegriffen. Es kommt hinzu, daß der Eindruck entsteht, daß die Klägerin ihre Schäden dramatisiert. Anders kann der Vortrag nicht verstanden werden, das Fahrrad habe einen Wiederbeschaffungswert von 800 €.
Insgesamt stehen der Klägerin damit 1.652,50 € zu (400 + 32,50 + 20 + 1.200). Davon sind 780 € vorprozessual gezahlt worden, weitere 710 € hat das Amtsgericht zugesprochen. Es verbleibt somit ein bislang nicht ersetzter Schaden von 162,50 €.
Zinsen sind unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet.
Die übrigen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 92 Abs. 2, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.