Landgericht Oldenburg
Urt. v. 12.10.2005, Az.: 4 O 2094/05

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
12.10.2005
Aktenzeichen
4 O 2094/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 42462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2005:1012.4O2094.05.0A

Fundstelle

  • VersR 2006, 520 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

In dem Rechtsstreit

...

hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 28.09.2005 durch den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig Vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit einem Sturzereignis geltend.

2

Am Nachmittag des 02.03.2005 befand sich die Klägerin in Begleitung ihres Ehemannes und ihrer Schwester sowie zweier Hunde in der Umgebung ihres in der Pater-Kolbe-Straße 9 in Saterland gelegenen Wohnhauses auf einem Spaziergang. Auf der bis dahin zurückgelegten Strecke waren die Wege teilweise von Schnee und Eis geräumt. Als die Klägerin und ihre Begleiter gegen 17.00 Uhr nach ungefähr einer Stunde an dem in der Eschstraße 24 gelegenen Grundstück der Beklagten angelangt waren, hatte die Gruppe noch einen Rückweg von ungefähr 100 Metern zurückzulegen. Die Klägerin, die knöchelhohe Winterwanderschuhe mit einer geriffelten Sohle angezogen hatte, ging der Gruppe voraus.

3

Der Sohn der Beklagten war - wie die Klägerin erkannt hatte - damit beschäftigt, den entlang des Grundstücks der Beklagten verlaufenden Bürgersteig von Schnee zu befreien. Die maßgebliche Straßenreinigungsverordnung der Gemeinde Saterland sieht eine Räumung durch die Eigentümer an Werktagen bis 7.00 Uhr sowie eine Wiederholung bei Bedarf vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die als Anlage zur Klage eingereichte Ablichtung Bezug genommen.

4

Der Einfahrtsbereich zum Wohnhaus der Beklagten war bereits vollständig geräumt.

5

Der Sohn der Beklagten versuchte - für die Klägerin erkennbar - im angrenzenden und in Laufrichtung der Klägerin liegenden Bereich mit einer Schaufel die unter einer Schneeschicht liegende Eisschicht zu beseitigen, womit dieser nach Auffassung der Klägerin überfordert war. Als die mittig auf dem Bürgersteig weitergehende Klägerin die Ecke Eschstraße/Pater-Kolbe-Straße erreicht hatte, stürzte sie.

6

Wegen der von der Klägerin behaupteten Verletzungs- und Schadenfolgen wird auf die Ausführungen in der Klageschrift (dort ab Seite 2) Bezug genommen. Die Klägerin behauptet ferner, die von der Gemeinde nicht geräumte Eschstraße sei ebenfalls schneebedingt glatt gewesen.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld - mindestens 15 000,00 EUR - zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird zuzüglich 5% Zinsen darauf über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.03.2005,

  2. 2.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Haushaltshilfeschaden in Höhe von 3 148,20 EUR brutto zu zahlen zuzüglich 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung,

  3. 3.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 502,73 EUR zuzüglich 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung an Schadensersatz zu zahlen,

  4. 4.

    festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner haften für alle Schäden, die der Klägerin aufgrund des Unfalls vom 02.03.2005 noch entstehen werden.

8

Die Beklagten beantragen,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Sie sind der Ansicht, sie treffe keine Haftung, da die Klägerin erkennbar auf eine nicht geräumte Fläche gegangen sei.

10

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist unbegründet.

12

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt die geltend gemachten Ansprüche zu.

13

Insbesondere für einen aus § 823 BGB folgenden Zahlungsanspruch wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Gestalt der Streupflicht liegen die Voraussetzungen nicht vor.

14

Die Räum- und Streupflicht besteht nicht uneingeschränkt. Grundsätzlich muss sich der Fußgängerverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat aber durch Schneeräumen und Streuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, im Rahmen und nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze zu beseitigen ( BGHZ 112, 74, 75 /76; BGH, NJW 1993, 2802, 2803). Die Streupflicht beinhaltet nicht, dass die Wege bei Winterglätte derart zu bestreuen sind, dass ein Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht ausgleiten kann; vielmehr müssen die Wege nur derart bestreut werden, dass sie von den Verkehrsteilnehmern, die ihrerseits die erforderliche Sorgfalt aufwenden, ohne Gefahr benutzt werden können (Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., Kap. 14, Rn. 147).

15

Vorliegend kann im Ergebnis offenbleiben, ob die Beklagten zum Unfallzeitpunkt ihrer als Eigentümer obliegenden Schnee- und Räumpflicht vorwerfbar nicht im ausreichendem Maße nachgekommen sind.

16

Selbst bei Annahme einer Verletzung der Streupflicht zum konkreten Unfallzeitpunkt würde ein Anspruch der Klägerin - wie schon in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde - daran scheitern, dass der Geschädigten nach § 254 BGB ein derart überwiegendes Verschulden anzulasten wäre, hinter dem eine Streupflichtverletzung vollständig zurücktreten würde.

17

Der Geschädigten waren die allgemeinen Witterungsverhältnisse bekannt, da sie nach ihren Angaben bereits annähernd eine Stunde zu Fuß unterwegs gewesen sei. Der Geschädigten ist vorzuwerfen, dass sie die bis zu ihrem Eintreffen nur teilweise vorgenommene Räumung sowie den Umstand erkannt hatte, dass der ihrer eigenen Einschätzung nach überforderte Sohn der Beklagten mit einer Schaufel versuchte, eine Eisschicht zu beseitigen. In dieser Situation hätte ein für die Frage eines Mitverschuldens maßgeblicher verständiger Dritter in Kenntnis dieser gefahrerhöhenden Umstände von einem Weitergehen auf dem noch nicht von Schnee und Eis geräumten Bürgersteig Abstand genommen. Es kann in diesem Zusammenhang auch offenbleiben, ob - wie die Klägerin behauptet - die Eschstraße ebenfalls schneebedingt glatt und ein Ausweichen deshalb unmöglich war. In dieser konkreten Situation hätte ein Dritter aus eigener gebotener Sorgfalt heraus entweder den Sohn der Beklagten zu einem vorsorglichen Abstreuen des Restweges aufgefordert oder aber einen anderen Weg, ggf. auch einen solchen mit einer längeren Wegstrecke in Kauf genommen. Zumindest hätte eine dritte Person vorsorglich Halt an dem auf den Lichtbildern ersichtlichen Grundstückszaun gesucht und wäre nicht wie die Klägerin mittig auf dem Bürgersteig gegangen.

18

Die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 28.09.2005 und 07.10.2005 haben im Ergebnis keinen Anlass gegeben, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Streitwert: bis zu 19 000 EUR