Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 10.10.2000, Az.: 6 A 322/99

Fahrtenbuch; Geschwindigkeitsüberschreitung; Geschäftsfahrt; Geschäftsfahrzeug

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
10.10.2000
Aktenzeichen
6 A 322/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41867
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Die Klägerin ist Halterin des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen BS-...

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Nach einem von der Stadt Salzgitter eingeleiteten Bußgeldverfahren ist mit diesem Fahrzeug am 15.06.1999 um 15.53 Uhr auf der BAB 39 in der Gemarkung Salzgitter-Thiede die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 34 km/h überschritten worden. Den am 13.07.1999 an die Klägerin übersandten Zeugenfragebogen sandte diese nicht zurück. Die daraufhin eingeschaltete Polizei in Braunschweig ermittelte, dass das besagte Fahrzeug "meistens von den beiden Gesellschaftern der Firma" benutzt werde. Beide hätten gegenüber dem ermittelnden Beamten bestritten, das Fahrzeug gelenkt zu haben. Anhand der Bildqualität des Beweisfotos sei keiner der beiden Personen als verantwortlicher Fahrzeugführer zu erkennen gewesen. Einen Nachweis über die Nutzung des Mercedes-Kombi werde von der Klägerin nicht geführt, auch andere Firmenangehörige hätten die Erlaubnis, dieses Fahrzeug zu benutzen.

4

Nachdem die Klägerin dazu angehört worden war, gab die Beklagte ihr mit Bescheid vom 19.10.1999 auf, für die Dauer von sechs Monaten für das o.g. Fahrzeug - auch für ein Ersatzfahrzeug - ein Fahrtenbuch zu führen.

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Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, den die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.1999 zurückwies.

6

Mit der am 28.12.1999 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

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Sie sei Bauunternehmerin und halte deswegen zahlreiche Firmenfahrzeuge, die von verschiedenen Mitarbeitern gefahren würden. Der einmalige Verkehrsverstoß rechtfertige die Anordnung eines Fahrtenbuches nicht. Im Übrigen sei nicht ausreichend ermittelt, sondern lediglich der Anhörungsbogen übersandt worden.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 19.10.1999 i.d.G. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 29.11.1999 aufzuheben.

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Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest und beantragt,

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die Klage zurückzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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Rechtsgrundlage für die gegenüber der Klägerin als Fahrzeughalterin angeordnete Maßnahme der Beklagten ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

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Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 15.06.1999 um 15.53 Uhr auf der BAB 39 in der Gemarkung Salzgitter-Thiede die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 34 km/h überschritten worden ist. In einer Geschwindigkeitsübertretung dieser Größenordnung liegt ein erheblicher Verkehrsverstoß, der entgegen der Auffassung der Klägerin bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigt, ein Fahrtenbuch zu führen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Bay.VBl. 1983, 310; Urt. vom 17.05.1995 - 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227; Beschl. vom 09.09.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386; Nds. OVG, Urt. vom 26.06.1980 - 12 OVG A 45/80; Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00). Des Nachweises einer konkreten Gefährdung durch diesen zu den Hauptunfallursachen rechnenden Verkehrsverstoß bedarf es nicht.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, a.a.O., Nr. 18 m.w.N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Nds. OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde, die sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf beschränkt hat, den Anhörungsbogen zu übersenden, angemessen. Unerheblich ist insoweit, dass der Anhörungsbogen zur Verkehrsordnungswidrigkeit der Klägerin nicht binnen zwei Wochen erst am 13.07.1999 übersandt worden ist. Allerdings wird davon auszugehen sein, dass dem Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwands grundsätzlich nur dann genügt ist, wenn der Halter unverzüglich (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls regelmäßig innerhalb von zwei Wochen) von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Wird die Anhörung des Halters verzögert, ist die Fahrtenbuchauflage gleichwohl indessen z.B. dann nicht ausgeschlossen, wenn - wie hier - feststeht, dass die Verzögerung für die Erfolglosigkeit der Täterermittlung nicht ursächlich gewesen ist, obwohl das bei den Akten befindliche Frontfoto von schlechter Qualität ist. Bereits aus der Tatsache, dass die Klägerin den Anhörungsbogen nicht zurückgesandt hat, hätte die Behörde bereits auf eine Weigerung der Klägerin schließen können, bei der Ermittlung des Fahrers mitzuwirken. Die Klägerin hat sich im Übrigen auf Erinnerungslücken ihrer Gesellschafter nicht nur nicht berufen. Die beiden Gesellschafter der Klägerin, von denen einer ihr Geschäftsführer ist, haben vielmehr gegenüber der Polizei, die sie ausweislich des am 23.08.1999 darüber gefertigten Vermerks (Bl. 10 des Verwaltungsvorgangs, der das Original der vormaligen Bußgeldakte enthält) dazu befragt hat, ausdrücklich angegeben, sie hätten das Fahrzeug zur Tatzeit nicht geführt. Dabei haben sie Erinnerungslücken nicht geltend gemacht. Sie haben im Übrigen auch nicht konkretisiert, wer es sonst geführt haben könnte. Der allgemeine Hinweis darauf, dass das Fahrzeug auch von anderen Betriebsangehörigen benutzt werde, reicht insoweit nicht aus. Der Behörde war es nicht zumutbar, die Ermittlungen auf weitere Mitarbeiter der Klägerin auszudehnen. Da die Klägerin eine sowohl nach bilanz- wie auch steuerrechtlichen Gesichtspunkten buchführungspflichtige Handelsgesellschaft ist, bei der vorhandene Geschäftsfahrzeuge mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung stehen, wäre es Sache ihrer Geschäftsleitung gewesen, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass auch noch nach längerer Zeit festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat (vgl. VGH Bad.-Würt., Beschl. vom 26.02.1996 - 10 S 294/96 - m.w.Nw., Beschl. vom 20.11.1998 - 10 S 2673/98 - NZV 1999, 149; VG Koblenz, Urt. vom 05.02.1997 - 3 F 10/97 A - ZfSch 1997, 318 - hier zitiert nach Juris; VG Braunschweig, Urt. vom 22.04.1999 - 6 A 41/99 -; Urt. vom 03.08.2000 - 6 A 296/99 ).

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Da die angefochtene Fahrtenbuchanordnung auch im Übrigen rechtmäßig ist, muss die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und berücksichtigt für jeden Monat der Dauer der streitigen Anordnung einen Betrag in Höhe von 500,-- DM (vgl. dazu Nr. 45.6 der Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996, DVBl. 1996, 605, 610).