Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 16.10.2000, Az.: 6 A 222/00

Anfallsleiden; Bewusstseinsstörung; Facharzt; Fahrerlaubnisentziehung; Schweigepflichtsentbindung; Verwertungsverbot; Widerruf; ärztliche Schweigepflicht

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
16.10.2000
Aktenzeichen
6 A 222/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41237
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entziehung der Fahrerlaubnis ohne weitere Klärung der Fahreignung, weil Nichteignung auf Grund einer fernmündlichen Stellungnahme des Facharztes feststeht (Anfallsleiden). Verwertbarkeit der ärztlichen Äußerung trotz Widerrufs der Schweigepflichtsentbindung vor der schriftlichen Bestätigung der mündlichen Auskunft.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Antrag des Klägers, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Der im Jahre 1953 geborene Kläger, dem im November 1971 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt wurde, wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.

2

Durch eine Mitteilung des Polizeikommissariats V. erhielt der Beklagte davon Kenntnis, dass man den Kläger am 15. November 1999 nach einem epileptischen Anfall fahruntüchtig in seinem Pkw angetroffen habe und dass deshalb sein Führerschein vorläufig sichergestellt worden sei. In dem Bericht ist von den eingesetzten Polizeibeamten festgehalten worden, dass der Kläger in Vechelde augenscheinlich bewusstlos und nicht ansprechbar über dem Lenkrad seines Fahrzeuges liegend angetroffen worden sei. Bei dem Eintreffen des aus einer in der Nähe gelegenen Praxis gerufenen Arztes (Dr. M.) sei der Kläger zwar wieder bei Bewusstsein gewesen, aber immer noch orientierungslos, so dass er die Polizeibeamten nicht als solche erkannt habe. Der Kläger sei eindringlich dazu überredet worden, sich sogleich in die Behandlung des herbeigerufenen Arztes zu begeben; dieser habe nach der Behandlung erklärt, dass der Kläger unter epilepsie-ähnlichen Anfällen leide und bis zu einer neurologischen Untersuchung und medikamentösen Einstellung fahruntüchtig sei. Der Kläger habe angegeben, seit 1998 bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. aus Salzgitter in Behandlung zu sein und seitdem das Medikament Ergenyl Chrono 300 einzunehmen. Eine Überprüfung auf der Dienststelle habe ergeben, dass der Kläger bereits zuvor zwei Unfälle gehabt habe, die auch er nicht habe erklären können. Auf Befragen habe er keine konkreten Angaben hierzu machen können.

3

Nachdem der Kläger am 17. November 1999 den Arzt Dr. L. schriftlich von der Schweigepflicht hinsichtlich seiner Krankheit entbunden hatte, wurde ihm der Führerschein zunächst wieder ausgehändigt. Der von dem Beklagten am 24. November 1999 telefonisch um Auskunft ersuchte Arzt teilte nach einem hierüber gefertigten Aktenvermerk mit, dass der Kläger an Epilepsie mit großen Anfällen leide und seit dem 22. September 1998 von ihm behandelt werde. Es liege ein Bericht des Dr. F. (Internistischer Dienst) vom 30. April 1999 vor, aus dem hervorgehe, dass der Kläger auf seiner Arbeitsstelle einen Krampfanfall erlitten und auch einen Verkehrsunfall verursacht habe, der auf einen Krampfanfall zurückzuführen sei. Von dem Arzt Dr. F. sei dem Kläger geraten worden, einen engen Kontakt zu den behandelnden Ärzten zu halten. Der Kläger sei zwar mit Medikamenten eingestellt; ärztlicherseits könne aber nicht sichergestellt werden, ob er diese auch entsprechend der Verordnung einnehme.

4

Mit Verfügung vom 30. November 1999 entzog daraufhin der Beklagte dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Hiergegen erhob der Kläger am 13. Dezember 1999 Widerspruch mit der Begründung, dass ihm eine Erkrankung oder ein Mangel in der Form eines Anfallleidens nicht bekannt und deshalb die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gerechtfertigt sei. Den Führerschein werde er aber zunächst gemäß der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung abgeben. Am 14. Dezember 1999 lieferte der Kläger seinen Führerschein bei dem Beklagten ab.

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Als der Beklagte sich mit dem Aktenvermerk vom 24. November 1999 an den Arzt Dr. L. wandte um sich die darin enthaltenen Angaben schriftlich bestätigen zu lassen, widerrief der Kläger die Schweigepflichtsentbindung. Dr. L. teilte ausweislich eines von dem Beklagten hierüber gefertigten Aktenvermerks in einem Telefongespräch vom 01. Februar 2000 mit, dass ihm wegen der zurückgezogenen Schweigepflichtsentbindung ein schriftlicher Bericht nicht mehr möglich sei, er aber bei einer Zeugenvernehmung in einem Verwaltungsstreitverfahren bereit sei, die Richtigkeit seiner im Vermerk vom 24. November 1999 festgehaltenen Ausführungen zu bestätigen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2000, zugestellt am 21. Februar 2000, wies die Bezirksregierung Braunschweig den Rechtsbehelf des Klägers als unbegründet zurück. Ein zwischenzeitlich vom Kläger anhängig gemachtes Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtschutzes blieb ohne Erfolg. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wurde vom Verwaltungsgericht Braunschweig durch Beschluss vom 25. Februar 2000 abgelehnt (6 B 160/00). In dem Verfahren war dem Gericht auf Veranlassung des Beklagten ein weiterer Bericht des Polizeikommissariats V. vom 23. Februar 2000 zugeleitet worden, nach dessen Inhalt der Kläger mit seinem Pkw in Lengede einen Verkehrsunfall verursacht hatte und wegen des Verdachts auf einen Schwäche- oder Krampfanfall zur Untersuchung in das Kreiskrankenhaus eingeliefert worden war. Wegen Abkommens von der Fahrbahn und Verursachung eines Sachschadens erhielt der Kläger von der Bußgeldstelle des Beklagten eine kostenpflichtige Verwarnung in Höhe von 75,-- DM.

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Am 20. März 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:

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Die angefochtenen Bescheide seien als rechtswidrig aufzuheben. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht in dem Beschluss vom 25. Februar 2000 hätten sich bei ihren Entscheidungen mit allgemein gehaltenen Erwägungen auf bloße Vermutungen gestützt. Nach § 11 FeV könne eine Fahrerlaubnis erst entzogen werden, wenn zunächst den Bedenken gegen die körperliche Eignung mit der Einholung eines ärztlichen Gutachtens nachgegangen werde. Wenn dann feststehe, dass ein solcher Mangel vorliege, könne eine Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommen. Er bestreite massiv, dass Dr. L. in seinem Telefonat vom 24. November 1999 geäußert habe, er (der Kläger) leide an Epilepsie mit großen Anfällen. Der Beklagte sei insoweit darlegungs- und beweispflichtig. Die im Widerspruchsbescheid aufgeführten Vorfälle vom 01. September 1997 und vom 08. Februar 1999 seien ebenso wie der Vorgang vom 23. Februar 2000 nicht rechtsstaatlich ausermittelt worden, um darauf eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu stützen. In dem Unfallbericht vom 08. Februar 1999 sei festgestellt worden, dass er einen verkehrstüchtigen Eindruck gemacht habe; einem Zeitungsbericht über den Vorfall sei zu entnehmen, dass eine offensichtlich nicht angepasste Geschwindigkeit auf nasser und glatter Fahrbahn die Unfallursache gewesen sei. Die von dem Beklagten verwerteten Erkenntnisse seien auf eine rechtswidrig erlangte Schweigepflichtsentbindung zurückzuführen. Man habe ihn unter Druck gesetzt, dass er den Führerschein nur wieder ausgehändigt erhalte, wenn er die Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht unterzeichne. Eine Vernehmung sowohl des Arztes Dr. L. als auch des Kreisinspektors G. als Zeugen über Erkenntnisse, die unter Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot erlangt worden seien, sei nicht zulässig. Auch der zu dem Vorfall vom 15. November 1999 zugezogene Arzt Dr. M., den er nicht von seiner Schweigepflicht entbunden habe, sowie die eingesetzten Polizeibeamten, die den Arzt ohne Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht vernommen hätten, könnten nicht als Zeugen angehört werden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 30. November 1999 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 17. Februar 2000 aufzuheben und den Führerschein wieder herauszugeben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Zunächst seien mit den Vorfällen vom 01. September 1997, vom 08. Februar 1999 und vom 15. November 1999 Tatsachen bekannt geworden, die lediglich Bedenken gegen die Fahrerlaubnis begründet hätten. Ohne weitere Erkenntnisse wäre die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens eines Neurologen angezeigt gewesen. Solche weiteren Erkenntnisse seien jedoch mit einer fernmündlichen Auskunft des Arztes Dr. L. hinzugekommen, der erklärt habe, dass der Kläger unter Epilepsie mit großen Anfällen leide. Zu einer schriftlichen Bestätigung dieser mündlichen Auskunft sei es nur deshalb nicht gekommen, weil der Kläger seine Erklärung über die ärztliche Schweigepflichtsentbindung zurückgezogen habe. Auf die Schriftform komme es indes nicht an. Allein ein Bestreiten genüge nicht, die Richtigkeit der Wiedergabe des Gesprächs, an dem der Kläger ohnehin nicht teilgenommen habe, in Zweifel zu ziehen. Erforderlichenfalls könnten hierüber Dr. L. und auch der Kreisinspektor G. als Zeugen vernommen werden. Aus dem Polizeibericht vom 15. November 1999 ergeben sich außerdem, dass der Kläger seit dem Sommer 1998 das Medikament Ergenyl Chrono 300 einnehme, bei dem es sich nach der Auskunft einer Pharmazeutin um ein Anti-Epileptikum handele. Angesichts dieser Sachlage könne nicht davon gesprochen werden, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis lediglich auf Vermutungen gestützt worden sei. Der Kläger wisse selbst, dass er Epileptiker sei, und habe dies bisher auch weder bestritten noch widerlegt. Nach den Begutachtungsleitlinien des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin seien Personen, bei denen epileptische Anfälle oder anfallsartige Bewusstseinsstörungen aufgetreten seien, in der Regel nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet, solange - wie hier - ein Risiko von Anfallsrückfällen bestehe. Die aktenkundig gewordenen Vorfälle wie auch der Umstand, dass der Kläger am 23. Februar 2000 ohne Fahrerlaubnis ein Fahrzeug geführt habe, zeigten zudem charakterliche Eignungsmängel. Sein Interesse an einem Benutzen des Fahrzeugs stelle er über die Sicherheitsbelange anderer Verkehrsteilnehmer und nehme deren Gefährdung billigend in Kauf.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Verfahrens 6 B 160/00 sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Bände) Bezug genommen. Dem Gericht haben außerdem die Widerspruchsvorgänge der Bezirksregierung Braunschweig vorgelegen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

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Nach § 3 Abs. 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ein Kraftfahrzeugführer, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4,5 oder 6 zu der Fahrerlaubnisverordnung vorliegen. Begründen Tatsachen, die der Behörde hinsichtlich einer die Fahreignung betreffenden Erkrankung bekannt werden, zunächst nur Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Fahrerlaubnisinhabers, ist diesen Zweifeln behördlicherseits regelmäßig mit einer Anordnung zur Beibringung des Gutachtens oder Zeugnisses eines Facharztes oder Amtsarztes oder des Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nachzugehen (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 2 Abs. 7 und 8 StVG, § 11 Abs. 2 und 3 FeV). Steht dagegen die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines solchen Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV).

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Nach dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachstand im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 17. Februar 2000 hat der Beklagte zutreffend angenommen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet war, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, und das es für diese Überzeugungsbildung keiner weiteren Tatsachenermittlung oder Beiziehung eines Gutachtens bedurfte. Dem Beklagten lagen mit den polizeilichen Berichten vom 01. September 1997 und vom 15. November 1999 nicht nur Hinweise auf einen Bewusstseinsverlust während des Führens eines Kraftfahrzeugs vor, der seine Ursache in einer die Fahreignung beeinträchtigenden oder ausschließenden Erkrankung des Klägers haben könnten; der Behörde war aus diesen Untersuchungsunterlagen außerdem bekannt, dass der zu einem dieser Vorfälle zugezogenen Arzt Dr. M. nach der Notfallbehandlung des Klägers den eingesetzten Polizeibeamten als Grund für den Vorfall vom 15. November 1999 einen epilepsieähnlichen Anfall genannt hatte, der nach der Auffassung des Arztes bis zu einer neurologischen Untersuchung und medikamentösen Einstellung die Fahreignung ausschließe. Maßgeblich ist jedoch, dass gemäß einer von dem den Kläger behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. L. aus S., mündlich erteilten und in einem Aktenvermerk des Beklagten festgehaltenen Auskunft der Kläger unter Epilepsie mit großen Anfällen leidet und aus diesen Gründen seit September 1998 sich in fachärztlicher Behandlung bei diesem Arzt befindet. Der Aktenvermerk, welcher hinsichtlich der Erkrankung des Klägers weitere Einzelheiten enthält, die die Behörde nur von dem behandelnden Facharzt erhalten haben kann, wurde Dr. L. mit der Bitte um eine nochmalige Bestätigung der bereits mündlich erteilten Auskunft zugeleitet, jedoch von diesem Arzt nicht mehr schriftlich bestätigt, weil der Kläger inzwischen die in Bezug auf diesen Arzt erklärte Entbindung von der Schweigepflicht wieder zurückgezogen hatte. Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks des Beklagten vom 01. Februar 2000 über ein von der Behörde mit dem Facharzt Dr. L. geführtes Telefongespräch war dem Facharzt der Aktenvermerk vom 24. November 1999 zugegangen; der Arzt, der die Richtigkeit seiner in dem Aktenvermerk festgehaltenen Angaben noch einmal mündlich bestätigte, sah sich lediglich im Hinblick auf die zurückgezogene Schweigepflichtentbindung nicht mehr in der Lage, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

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Hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit dieser Aktenvermerke und der darin festgehaltenen Gesprächsinhalte bestehen keine Zweifel. Soweit der Kläger unsubstantiiert die Angaben des Facharztes in dem Telefonat vom 24. November 1999 bestreitet und lediglich geltend macht, dass ihm die definitive Diagnose eines Anfallsleidens noch nie eröffnet worden und deshalb ihm ein solcher Mangel nicht bekannt sei, ist nicht geeignet, sowohl die Tatsache der festgehaltenen Telefonate als auch deren Gesprächsinhalte hinsichtlich ihrer Richtigkeit in Frage zu stellen. Es mag zutreffen, dass ärztlicherseits gegenüber dem Kläger als Patienten dieser Krankheitsbegriff nicht definitiv erwähnt worden ist; ein solcher Umstand lässt es jedoch weder als ausgeschlossen noch als zweifelhaft erscheinen, dass der Facharzt auf ein behördliches Ersuchen um eine fachärztliche Aussage zu der Art der Erkrankung eine dem Patienten bis dahin nicht bekannte Bezeichnung verwendet, deren Begrifflichkeit hinreichend sicheren Aufschluss über die sich daraus ergebenden Folgen für die Teilnahme am Straßenverkehr gibt. Das Gericht hält jedoch - ohne dass für die Entscheidungsfindung hierauf maßgeblich abzustellen ist - diese Behauptung des Klägers für unzutreffend, weil der Kläger ein Medikament zur ständigen Einnahme verordnet bekommen hat, mit dem epileptische Anfälle möglichst unterbunden werden sollen.

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Nach dem in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115, Februar 2000) gesammelten verkehrsmedizinischen Erfahrungswissen beeinträchtigen epileptische Reaktionen die Fahreignung eines Menschen in so erheblichem Ausmaß, dass die hiervon betroffenen Personen in aller Regel nicht in der Lage sind, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, selbst wenn solche Anfälle nur selten aufgetreten sind. Maßgeblich bleibt, dass sich diese Anfälle jederzeit unvorhersehbar und für den Kraftfahrer unabwendbar wiederholen können, insbesondere dann, wenn die Anfallsprovokation von dem Erkrankten beeinflussbar sind (Stresssituation, unregelmäßige Medikamenteneinnahme). Die Möglichkeit, dass derartige, die epileptischen Anfälle auslösenden Konditionen beim Kläger jederzeit erneut eintreten konnten, ließ sich aus der Sicht der Behörde nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, wie auch der während des gerichtlichen Verfahrens 6 B 160/00 aktenkundig gewordene weitere Vorfall vom 23. Februar 2000 deutlich macht. Die von einer solchen Person ausgehende Gefahr ist bei der Dichte des modernen Massenverkehrs derart groß, dass sie von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ausgeschlossen werden muss. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bleibt nach mehr als zwei epileptischen Anfällen, von denen in Bezug auf den Kläger mindestens ausgegangen werden muss, bis zu einem Nachweis darüber ausgeschlossen, dass innerhalb eines ärztlich kontrollierten Zeitraums von 5 Jahren ohne eine antiepileptische Behandlung ein weiterer Vorfall nicht aufgetreten ist. Die Wiedererlangung einer Fahreignung ist in einem solchen Fall zu dem an strenge und dem Einzelfall angepasste wiederholte Kontrolluntersuchungen und an ein positives neurologisches Gutachten gebunden. Der Beklagte hat deshalb zu Recht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war und dass dieser Eignungsmangel auch im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2000 noch vorgelegen hatte.

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Soweit der Kläger im Hinblick auf die von ihm zurückgezogene Schweigepflichtsentbindung des Facharztes Dr. L. sowie wegen des Fehlens der Schweigepflichtsentbindung in Bezug auf den Arzt Dr. M. eine Verwertung der von diesen Personen erhaltenen Erkenntnisse hinsichtlich seiner Erkrankung für unzulässig hält, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Mit einem späteren Widerruf der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht wird eine während der Dauer der Schweigepflichtsentbindung abgegebene ärztliche Stellungnahme nicht unverwertbar. Das Gericht wäre deshalb nicht gehindert, erforderlichenfalls hinsichtlich der Einzelheiten einer während der Dauer der erklärten Schweigepflichtsentbindung abgegebenen ärztlichen Stellungnahme Beweis zu erheben. Die Beweismöglichkeiten sind allenfalls insoweit eingeschränkt, als ein als Zeuge zu vernehmender Arzt hinsichtlich seiner früheren Angaben von dem ihm nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen könnte. Andererseits läge ein Verstoß gegen die ärztliche Pflicht zur Verschwiegenheit u.a. nicht vor, wenn und soweit die Offenbarung zum Schutz eines höheren Rechtsguts, insbesondere zur Abwehr schwerer gesundheitlicher Gefahren von dem Patienten oder einem anderen, erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 04.09.1970, DÖV 1972, 59; VGH München, Urteil vom 02.07.1986, DVBl 1987, 119). Ungeachtet dieser vornehmlich die strafrechtliche Komponente der ärztlichen Schweigepflicht betreffenden Problematik (vgl. hierzu Schlund, Grundsätze ärztlicher Verschwiegenheit im Rahmen der Verkehrssicherheit, DAR 1995, 50) gilt jedenfalls in dem hier zur rechtlichen Überprüfung anstehenden Bereich des öffentlichen Straßenverkehrsrechts, dass die Behörde zur Erfüllung der ihr nach diesen Vorschriften obliegenden Aufgaben selbst dann verpflichtet wäre, wenn der Mitteilende eine ihm obliegende Verschwiegenheit verletzt hätte (BVerwG, aaO.). Ausschlaggebend ist allein, ob von dem Kraftfahrer nach den gewonnenen Erkenntnissen Gefahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer ausgehen, die es gebieten, den Kraftfahrer nicht mehr am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen (Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.07.2000, 12 M 2579/00 m.w.N.).

22

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Kläger hiernach die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen hat und die Kosten des Vorverfahrens gegenüber dem Beklagten nicht erstattungsfähig sind, war der Antrag auf die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, abzulehnen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

23

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf den festgesetzten Wert, wenn eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 im Streit ist.